Aktenzeichen 15 ZB 22.268
Leitsatz
Verfahrensgang
RN 6 K 20.2196 2021-10-26 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen vom Landratsamt D. erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses.
Die Beigeladene beantragte mit Unterlagen vom 4. September 2019 die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohneinheiten und Garagen auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung I.Das Baugrundstück grenzt im Norden an eine Privatstraße an, die sich u.a. auf den im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücken FlNr. …3 und … Gemarkung I.befindet und im Westen in den M.weg mündet. Nach Westen grenzt das Baugrundstück an das Grundstück FlNr. …1 Gemarkung I., das ebenfalls im Westen an das seinerseits an den M.weg angrenzende Grundstück FlNr. …2 Gemarkung I.angrenzt.
Auf den Grundstücken der Klägerin FlNr. … und …3 Gemarkung I.lastet u.a. ein Wasser- und Abwasserleitungsrecht zugunsten der Gemeinde I.Darüber hinaus lastet auf dem Grundstück FlNr. …2 Gemarkung I.u.a. ein Geh- und Fahrtrecht zugunsten der Grundstücke FlNrn. … und …1 sowie ein Versorgungsleitungsrecht zugunsten des Grundstücks FlNr. …1 jeweils Gemarkung I.Das Grundstück FlNr. …1 Gemarkung I.ist u.a. mit einem Geh- und Fahrtrecht sowie einem Versorgungsleitungsrecht zugunsten des Grundstücks FlNr. … Gemarkung I.belastet.
Mit Bescheid vom 6. August 2020 erteilte das Landratsamt Deggendorf der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Hiergegen erhob die Klägerin Klage, die vom Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 26. Oktober 2021 abgewiesen wurde. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Entstehung eines Notwegerechts zu Lasten der Klägerin auszuschließen sei. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Es liegen weder die von der Klägerin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch hat die Rechtssache die von der Klägerin behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Auch die geltend gemachte Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegt nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Klägerin macht hier ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils geltend, weil das Verwaltungsgericht eine Rechtsverschlechterung wegen Duldenmüssens eines Notleitungsrechts infolge fehlender Erschließung des Bauvorhabens mit Trinkwasser abgelehnt habe. Daraus ergeben sich solche Zweifel aber nicht.
Das Verwaltungsgericht hat zunächst ausgeführt, dass die Entstehung eines Notwegerechts zu Lasten der Klägerin bereits deshalb auszuschließen sei, da auf den Grundstücken FlNr. … und …1 Gemarkung I.ein ausreichendes Geh- und Fahrtrecht eingetragen sei und ein Notleitungsrecht hinsichtlich der Abwasserleitung nicht zu befürchten sei, da die bereits bestehende Abwasserleitung nach den von der Gemeinde vorgelegten Bestandsplänen vom Baugrundstück ohne Inanspruchnahme von Grundstücken privater Dritter zum gemeindlichen Kanal verlegt sei. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht entgegen. Das Verwaltungsgericht hat weiter ausgeführt, dass auch hinsichtlich der Wasserversorgung kein Notleitungsrecht zu befürchten sei, da im Hinblick auf die dargestellte Trassenführung der Abwasserleitung auch hinsichtlich der Wasserversorgung eine andere Grundstücksverbindung besteht, durch die eine ordnungsgemäße Benutzung gewährleistet ist und auch eine Verlegung über andere Grundstücke, insbesondere die öffentliche Grünfläche auf FlNr. …5 Gemarkung I., ohne weiteres möglich wäre. Demgegenüber ist die Klägerin der Ansicht, für die Rechtsverschlechterung wegen fehlender Erschließung müsse die Möglichkeit der Inanspruchnahme ihres Grundstücks ausreichen und dürfe keine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung angestellt werden; die bloße Möglichkeit der Leitungsführung über das gemeindliche Grundstück FlNr. …5 Gemarkung I.genüge nicht, die Inanspruchnahme ihres Grundstücks über § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB auszuschließen.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Gebot ausreichender Erschließung des Baugrundstücks weder in bauplanungsrechtlicher noch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht nachbarschützende Funktion hat (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2021 – 9 ZB 18.2316 – juris Rn. 7; B.v. 6.12.2021 – 15 ZB 21.2360 – juris Rn. 15). Allenfalls in Fällen, in denen das genehmigte Bauvorhaben eine unmittelbar gegenständliche Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks zur Folge hat, kann ausnahmsweise über Art. 14 GG ein Genehmigungsabwehranspruch begründet sein, d.h. wenn die Umsetzung der Baugenehmigung die Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB bewirkt (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1998 – 4 B 45.98 – juris Rn. 10; BGH, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – juris Rn. 27; BayVGH, U.v. 7.12.2010 – 14 B 09.2292 – juris Rn. 17; B.v. 3.1.2018 – 15 ZB 16.2309 – juris Rn. 14 m.w.N.). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
§ 917 Abs. 1 Satz 1 BGB knüpft das Notwegrecht an die Voraussetzung, dass einem Grundstück die Verbindung mit einem öffentlichen Weg – hier mit dem öffentlichen Wasserleitungsnetz – fehlt, die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendig ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.6.1996 – 4 C 15/95 – juris Rn. 20). Abgesehen davon, dass das Zulassungsvorbringen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur möglichen Trinkwassererschließung in Anlehnung an die Trassenführung der Abwasserleitung nichts entgegensetzt, besteht eine solche Notlage des Baugrundstücks auch nicht, wenn andere Verbindungsmöglichkeiten bestehen, die ebenfalls eine ordnungsgemäße Grundstücksnutzung gewährleisten. Erschwernisse, z.B. eine umständlichere, weniger bequemere oder kostspieligere Verbindungsmöglichkeit, müssen hierbei regelmäßig hingenommen werden (BGH, U.v. 15.4.1964 – V ZR 134/62 – juris Rn. 11). Dass und weshalb dies hier anders sein sollte, lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen, so dass durch die erteilte Baugenehmigung gerade kein Automatismus in Richtung auf die Entstehung eines Notwegerechts ausgelöst wird (vgl. BVerwG, U.v. 4.6.1996 – 4 C 15.95 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 69; U.v. 7.12.2010 – 14 B 09.2292 – juris Rn. 17). Unabhängig davon, dass weder ersichtlich noch dargelegt ist, dass der Anschluss an die Wasserversorgung über das gemeindliche Grundstück FlNr. …5 Gemarkung I.keine geeignete – unter Inkaufnahme gewisser Erschwernisse – die Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks ausschließende Verbindungsmöglichkeit darstellt, ist – wiederum unabhängig davon – ein Notleitungsrecht auch deswegen ausgeschlossen, weil zugunsten der Gemeinde I.Grunddienstbarkeiten für Wasser- und Abwasserleitungen auf den unmittelbar nördlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücken der Klägerin FlNr. … und …3 Gemarkung I.lasten. Dass hierdurch keine ordnungsgemäße Erschließung des Baugrundstücks möglich ist und das Baugrundstück hierüber nicht über eine unmittelbare Verbindung zum öffentlichen Trinkwasserleitungsnetz der Gemeinde verfügt, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
2. Die Rechtssache hat nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 1.12.2020 – 15 ZB 20.1985 – juris Rn. 16; B.v. 9.11.2021 – 9 ZB 19.1586 – juris Rn. 15). Dem genügt die Frage, „ob ein Hinterliegergrundstück auch leitungsseitig als erschlossen anzusehen ist, wenn am Vorderliegergrundstück zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Hinterliegergrundstücks eine Grunddienstbarkeit in Form nur eines Geh- und Fahrtrechts eingetragen ist“, nicht. Die Frage ist bereits nicht entscheidungserheblich, weil – wie oben angeführt – nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts andere Verbindungsmöglichkeiten bestehen und zudem im Grundbuch Leitungsrechte zugunsten der Gemeinde eingetragen sind.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
Der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 5). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen, das den angeführten Entscheidungen (BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 und BayVGH, U.v. 17.11.1999 – 26 B 96.1267) schon keinen sich widersprechenden Rechtssatz des Verwaltungsgerichts gegenüberstellt, nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nur ausnahmsweise eine Rechtsverletzung des Nachbarn wegen fehlender Erschließung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht kommt und hat dies in den Urteilsgründen verneint. Eine lediglich fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall oder eine Ergebnisdivergenz vermögen eine Divergenzrüge aber nicht zu begründen (vgl. BVerwG, B.v. 9.3.2021 – 2 B 6.21 – juris Rn. 7; B.v. 6.4.2016 – 1 B 22.16 – juris Rn. 7).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene im Zulassungsverfahren einen rechtlich die Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).