Baurecht

Nachbarklage, Industriegebiet, Agrarstandort, kein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren, kein Gebietserhaltungsanspruch, kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wegen Ausnahme und Befreiungen vom Bebauungsplan, kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wegen immissionsschutzrechtlicher Auswirkungen (Lärmimmissionen, Staubimmissionen, Explosionsgefahr)

Aktenzeichen  W 5 K 21.1020

Datum:
12.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16830
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 30 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen zu tragen.
III.  Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt den Kläger nicht in nachbarschützenden Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris).
Das mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugelassene Vorhaben verstößt – insbesondere mit Blick auf den geplanten unmittelbaren Grenzanbau – nicht gegen drittschützende Rechte des Klägers, die im nach Art. 60 BayBO durchgeführten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind.
1. Soweit die Klägerseite zunächst rügt, dass anstelle des Baugenehmigungsverfahrens ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren hätte durchgeführt werden müssen, verhilft dies der Klage nicht zum Erfolg.
Allein das Erfordernis der „richtigen“ Verfahrensart vermittelt für sich genommen noch keine drittschützende Wirkung. Zwar dient das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren auch dazu, den Schutz der Nachbarschaft zu gewährleisten. Daraus ergibt sich aber nicht, dass die Einhaltung des Verfahrens um seiner selbst willen dem Schutz potentiell betroffener Nachbarn dient, unabhängig davon, ob konkrete Anforderungen zum Schutz der Nachbarn verletzt sein können oder nicht. Das Verfahren dient dem Schutz Dritter nur insofern, als es gewährleisten soll, dass die rechtlichen Schutzvorschriften eingehalten werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.10.1990 – 7 C 55.89, 7 C 56.89 – juris). Allein durch die Wahl eines „falschen“ Genehmigungsverfahrens können keine Nachbarrechte verletzt sein (vgl. zuletzt OVG Lüneburg, B.v. 15.10.2021 – 1 ME 107/20 – juris m.w.N.).
Abgesehen davon ist hier nicht von einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 BImSchG auszugehen, da das Vorhaben den Regelungen von Anlage 1 4. BImSchV nicht unterfällt. Gemäß Nummer 9.11.2 der Anlage 1 sind immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtig nur offene oder unvollständig geschlossene Anlagen, ausgenommen Anlagen, die von Nummer 9.3 erfasst werden, zur Erfassung von Getreide, Ölsaaten oder Hülsenfrüchten, soweit 400 Tonnen oder mehr je Tag bewegt werden können und 25.000 Tonnen oder mehr je Kalenderjahr umgeschlagen werden können. Hier mögen hinsichtlich des geplanten Getreideumschlags zwar die angegebenen Mengengrenzen überschritten sein, doch erfolgt dieser innerhalb einer vollständig geschlossenen Anlage, vgl. Blatt … der Anlagen- und Betriebsbeschreibung, S. … der Behördenakte). Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein Fall von Nummer 9.3 der Anlage 1 einschlägig ist, von der Anlage umfasst werden, die der Lagerung von Stoffen der Stoffliste des Anhangs 2 dienen. Darunter fallen etwa Stoffe, die als Ammoniumnitrat oder ammoniumnitrathaltige Zubereitungen der Gruppen A und B nach Anhang I Nr. 5 bzw. Nr. 8 der Gefahrstoffverordnung einzustufen sind. Eine entsprechende Einstufung lässt sich im vorliegenden Fall aber nicht vornehmen, da nach den vorgesehenen Betriebsabläufen des genehmigten Vorhabens der Beigeladenen lediglich Düngemittel der Gruppe C gelagert werden (vgl. auch Ziffer 2.12 der Nebenbestimmungen, wonach lediglich die Lagerung von Düngemitteln der Gruppe C nach Anhang I Nr. 5 der Gefahrstoffverordnung zulässig ist). Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass die genehmigte Anlage der Beigeladenen der Lagerung von Stoffen des Anhangs 2 dient.
2. Die Klägerseite kann sich nicht mit Erfolg auf einen Gebietserhaltungsanspruch stützen.
Ein Nachbar kann sich in einem Plangebiet gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung wenden. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst. Im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können. Der Gebietserhaltungsanspruch wird direkt durch den Bebauungsplan – hier dem Bebauungsplan „G.- und I. S. W.“ der Gemeinde K. i.d.F. der Bekanntmachung vom … … 2011 – vermittelt und ist unabhängig von einer tatsächlichen Belästigung. Da der Gebietserhaltungsanspruch wie bereits erläutert auf Gegenseitigkeit beruht, kann er nur Nutzern im selben Baugebiet zustehen. Grenzüberschreitenden Schutz vermittelt er nicht. Unerheblich ist dabei auch, ob verschiedene Gebiete Teil eines einzigen Bebauungsplans sind. Es schützt nicht der gesamte Plan, sondern nur die einzelne Gebietsfestsetzung (Pützenbacher in Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, 2. Aufl. 2018, § 8 Rn. 49).
Ausgehend davon kann sich der Kläger, dessen Grundstück Fl.Nr. …4 der Gemarkung K. im als Industriegebiet ausgewiesenen Teil des Bebauungsplans „G.- und I. S. W.“ gelegen ist, zwar gegen eine im Industriegebiet i.S.v. § 9 BauNVO unzulässige Nutzung wenden. Vorliegend erweist sich jedoch das Vorhaben der Beigeladenen als in einem Industriegebiet zulässig. Insbesondere ist es nicht (nur) in einem Gewerbegebiet i.S.v. § 8 BauNVO zulässig. Da in beiden Gebieten Gewerbebetriebe aller Art regelzulässig sind, kommt es grundsätzlich auf den Störgrad der Anlage an. In Gewerbegebieten sollen vorwiegend „nicht erheblich belästigende“ Gewerbebetriebe untergebracht werden (§ 8 Abs. 1 BauNVO), während im Industriegebiet vorwiegend solche Gewerbebetriebe untergebracht werden, die in anderen Gebieten unzulässig sind (vgl. § 9 Abs. 1 BauNVO), d.h. solche die als „erheblich belästigend“ einzustufen wären. Bei der damit einhergehenden Abgrenzung des Störgrads gelten dabei folgende Grundsätze: Bedarf das Vorhaben nach der 4. BImSchV eines förmlichen immissionsschutzrechtlichen Verfahrens kann regelmäßig, allerdings auch nicht immer, eine Einstufung als erheblich belästigend erfolgen. Die Nutzungen, die nur im vereinfachten immissionsschutzrechtlichen Verfahren genehmigt werden müssen, gehören hingegen grds., aber ebenfalls nicht immer, in ein Gewerbegebiet (Pützenbacher in Bönker/Bischopink, 2. Aufl. 2018, § 9 Rn. 21). Unterfällt das Vorhaben keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht, ist zu untersuchen, ob die Anlage einem bestimmten Anlagentyp zugeordnet werden kann und ob dieser Anlagentyp noch einem Gewerbebetrieb entspricht. Lässt sich der Betrieb einem bestimmten Anlagentyp nicht zuordnen, ist der Störgrad des konkreten Betriebs bei funktionsgemäßer Nutzung einzelfallbezogen zu ermitteln. Im vorliegenden Fall besteht nach vorstehenden Ausführungen keine immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht (vgl. Ziffer 1 der Entscheidungsgründe). Der geplante „Agrarstandort“ lässt sich auch keinem bestimmten Anlagentyp zuordnen, so dass eine derartige einzelfallbezogene Ermittlung des Störgrads erforderlich ist.
Die einzelfallbezogene Betrachtung führt im vorliegenden Fall dazu, dass dem geplanten Gewerbebetrieb ein erheblich belästigender Störgrad beizumessen ist. Bei dem Vorhaben handelt es sich ausweislich der Betriebsbeschreibung um einen „Agrarstandort“, welcher der zentralen Erfassung und Lagerung des regionalen Getreideaufkommens dienen soll. Die Betreiberin ist ein auf den Bezug und Absatz von Agrarprodukten im unterfränkischen Einzugsgebiet spezialisiertes Unternehmen. Das Vorhaben umfasst neben der Errichtung eines Bürogebäudes insbesondere eine Getreideannahmehalle, eine Düngelagerhalle, einen Förderturm und sechs Silos. Die Betriebsvorgänge stellen sich nach der fachtechnischen Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 6. Mai 2021 im Wesentlichen wie folgt dar: Die Annahme des Getreides erfolgt nach Verwiegen durch Abkippen in einer allseitig geschlossenen Schüttgosse mit Tiefenannahme und integrierter Absaugung der staubhaltigen Verdrängungsluft. Die technisch mögliche Annahmeleistung wird mit 200 t Getreide/Stunde angegeben. Nach der Siebreinigung, Sortierung und Aspiration des Getreides soll dieses mittels horizontaler Fördertechnik (Tragkettenförderer, Bänder) und vertikaler Fördertechnik (Elevatoren) in die Silozellen bzw. Stahlblechsilos überhoben und anschließend zur Gesunderhaltung mittels mobiler Lüftungsgeräte belüftet werden. Die während der Verfahrensschritte abgesaugte Luft soll nach Reinigung durch die Zentralentstaubung mittels Druckschlauchfilter über Dach des Förderturms abgeleitet werden. Die Auslagerung des Konsumgetreides soll ebenfalls in der allseitig geschlossenen Annahmehalle mittels schwenkbarem Verladerohr erfolgen. Die Saatgutaufbereitung soll mittels Feuchtbeize erfolgen. Der Annahmebetrieb soll in der Regel während der Erntezeit erfolgen (Juli bis September), die Saatgutaufbereitung in den Monaten Februar bis April, die Verladung des Saatguts im September bis Oktober bzw. Februar bis Mitte April und die Verladung des Konsumgetreides ganzjährig. Die Regelbetriebszeiten der Getreideannahmestelle sind außerhalb der Erntezeit mit 7-17 Uhr, sonst von 6 bis 22 Uhr angegeben. In Ausnahmefällen kann auch ein 24h-Betrieb erforderlich werden. Die Anlieferung des Mineraldüngers als Schüttgut ist für die Monate Oktober bis Dezember geplant. Es ist vorgesehen, dass die anliefernden LKW den losen Dünger auf ein Förderband mit Aufgabetrichter geben. Die Abgabestelle des Förderbandes ragt dabei in die Halle. Die Beladung der Abholfahrzeuge soll mittels Flurförderfahrzeugen erfolgen (vgl. zum Ganzen Bl. … f. der Behördenakte). Nach Einschätzung der Immissionsschutzbehörde stellen derartige Nutzungen durchaus emissionsbedeutende Anlagen dar (insbesondere Staubemissionen und Lärm), für die umfangreiche Auflagenvorschläge getroffen wurden (vgl. Bl. … ff. der Behördenakte). Insgesamt ist daher von einem „erheblich belästigenden“ Gewerbebetrieb auszugehen, so dass das Vorhaben im Industriegebiet zulässig ist. Ob das Vorhaben auch bei Annahme eines niedrigen Störgrads unter Berücksichtigung des nicht abschließenden Wortlauts des § 9 Abs. 1 BauNVO („vorwiegend“) in einem Industriegebiet zulässig wäre, bedarf keiner näheren Erörterung. Damit scheidet ein Gebietserhaltungsanspruch des Klägers aus.
3. Eine Verletzung in drittschützenden Rechten des Klägers ergibt sich weiterhin nicht mit Blick auf die beanstandeten Höhen der Silos und des Förderturms.
Die Höhe der Silos von 25,60 m bzw. 22,80 m und die Höhe des Förderturms von 31,92 m widersprechen zwar der auf Grundlage von § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB und § 16 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO ergangenen Festsetzung des Bebauungsplans „… und I. S. W.“, wonach die Wandhöhe von Hauptgebäuden max. 20 m über dem natürlichen Gelände betragen darf. Der Bebauungsplan sieht aber ausdrücklich eine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 16 Abs. 6 BauNVO vor, wonach u.a. Silos und Förderanlagen diese Gebäudehöhe überschreiten dürfen. Diese Anlagen dürfen jedoch nach der weiteren Regelung des Bebauungsplans eine Höhe von 50,00 m nicht überschreiten, was hier nicht der Fall ist. Bewegt sich ein Vorhaben im Rahmen der Ausnahmebebauung des Bebauungsplans, so hat der Bauherr einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Die Behörde hat im Bescheid ausgeführt, die Ausnahme werde „nach pflichtgemäßem Ermessen“ erteilt. Ein Ermessensnichtgebrauch liegt nicht vor, allerdings ist keine eigene Begründung der Ermessensausübung erfolgt. Die Klägerseite kann sich auf diesen Gesichtspunkt aber nicht berufen (VG Würzburg, U.v. 8.10.2020 – W 5 K 19.579 – juris). Eine Verletzung nachbarlicher Rechte kann nur vorliegen, wenn die Voraussetzungen der ausnahmsweisen Zulässigkeit des Vorhabens nicht gegeben sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2008 – 15 ZB 07.2914 – juris). Bei einem ausnahmefähigen Vorhaben ist eine Ablehnung der Ausnahme nur dann ermessensgerecht, wenn besondere städtebauliche Gründe dem Vorhaben entgegenstehen, andernfalls ist das Ermessen zugunsten des Bauherrn auf Null reduziert. Auf städtebauliche Erwägungen kann sich ein Nachbar aber nicht stützen.
Es kann auch nicht im Rahmen des Rücksichtnahmegebots von einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung zulasten des Klägers ausgegangen werden. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (auch) dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Insbesondere besteht für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes grundsätzlich dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes oder wenn die Gebäude so weit voneinander entfernt liegen, dass eine solche Wirkung ausgeschlossen ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 30; B.v. 8.2.2017 – 15 NE 16.2226 – juris Rn. 22; B.v. 23.8.2018 – 1 NE 18.1123 – juris Rn. 24; VGH BW, U.v. 15.9.2015 – 3 S 975/14 – BauR 2015, 1984 = juris Rn. 29).
Dass das Bauvorhaben der Beigeladenen der Gewerbeeinheit auf dem Grundstück des Klägers gegenüber erdrückende Wirkung entfalten würde, kann nicht gesehen werden. Es ist nicht erkennbar, dass die Zulassung der Silos und des Förderturms die Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten des Klägers überschreiten würde. Das streitgegenständliche Bauvorhaben hält die Abstandsflächenvorschriften der Bayerischen Bauordnung zum Grundstück des Klägers nach dem Abstandsflächenplan P 14 zur Baugenehmigung ein; eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften zu Lasten des Klägers wurde von seinem Bevollmächtigten auch nicht geltend gemacht. Auch wenn aus einer Nichteinhaltung bauordnungsrechtlich geforderter Abstandsflächen nicht automatisch auf eine unzumutbare Beeinträchtigung und damit auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots geschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 – BeckRS 2019, 7160 Rn. 10 m.w.N.), scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots regelmäßig aus tatsächlichen Gründen aus, wenn die Vorgaben des Art. 6 BayBO eingehalten sind (zu dieser Indizwirkung vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17; B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 15.2.2019 – 9 CS 18.2638 – juris Rn. 23 m.w.N.). Eine erdrückende Wirkung des Vorhabens auf das Anwesen des Klägers scheidet hier auch unter Berücksichtigung der Ausmaße und der baulichen Gestaltung aus. Hinzu kommen die für ein Industriegebiet nicht unerheblichen Abstände zwischen dem Bauvorhaben und der Gewerbeeinheit des Klägers: So liegt das Gewerbeobjekt des Klägers auf dem Anwesen Fl.Nr. …4 der Gemarkung K. im kürzesten Abstand über 30 m von den Silos und dem Förderturm entfernt. Dabei ist auch noch in den Blick zu nehmen, dass in Industriegebieten hinsichtlich der erdrückenden Wirkung strengere Anforderungen an die Zumutbarkeit zu stellen sind als dies etwa in einem Wohngebiet der Fall ist. Insgesamt ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass das Vorhaben der Beigeladenen dem Anwesen des benachbarten Klägers förmlich „die Luft nimmt“, weil es derartig übermächtig wäre, dass sein Gebäude auf dem Nachbargrundstück nur noch oder überwiegend wie von einem „herrschenden“ Gebäude dominiert und ohne eigene Charakteristik wahrgenommen würde (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 23 f. m.w.N.).
Soweit noch eine vorhabenbedingte Verschattung der Photovoltaikanlage des Klägers reklamiert wurde, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Nach Maßstab des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots sind Verschattungseffekte regelmäßig hinzunehmen, wenn die landesrechtlichen Abstandsflächen eingehalten sind, die gerade darauf abzielen, eine ausreichende Belüftung und Besonnung von Nachbargrundstücken sicherzustellen (vgl. OVG Münster, B.v. 16.11.2020 – 2 B 1537/20; B.v. 17.12.2020 – 7 B 1616/20; BayVGH, B.v. 12.12.2013 – 15 CS 13.1561 – alle juris). Ein Anspruch auf die unveränderte Beibehaltung einer einmal gegebenen Besonnung eines Grundstücks ist aus dem Rücksichtnahmegebot nicht abzuleiten. Die Einhaltung einer bestimmten Besonnungsdauer gewährleistet das Baurecht nicht. Dies gilt auch für eine Beeinträchtigung einer Photovoltaikanlage durch Verschattung (OVG für das Land Schleswig-Holstein, B.v. 15.10.2019 – 1 MB 20/19 – juris). Dass sich die Situation im vorliegenden Einzelfall abweichend von diesen Grundsätzen ausnahmsweise dennoch als für den Kläger unzumutbar darstellen könnte, ist nicht aufgezeigt und angesichts der vorhandenen und geplanten Gebäudesituierungen, aufgrund derer sich die Verschattungseffekte im Wesentlichen auf die Morgen- bzw. Vormittagsstunden beschränkten dürften, auch nicht ersichtlich.
4. Der Kläger kann eine Verletzung in drittschützenden Rechten nicht aus den für das Bauvorhaben erteilten Befreiungen ableiten.
Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung. Bei einer Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung richtet sich der Nachbarschutz hingegen nach den Grundsätzen des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme, das aufgrund der gem. § 31 Abs. 2 BauGB gebotenen „Würdigung nachbarlicher Interessen“ Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung findet (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris; BayVGH, 15 CS 20.1332 – juris).
Hier ist nicht zu ersehen und von Klägerseite auch nicht dargetan, dass die plangebende Gemeinde K. die hier in Rede stehenden Festsetzungen des Bebauungsplans zur Festlegung einer Verkehrsfläche bzw. privaten Grünfläche sowie die weitere Festsetzung zur überbaubaren Grundstücksfläche (südliche Baugrenze), von denen im Rahmen der Baugenehmigung Befreiungen erteilt worden sind, drittschützende Wirkung zukommen lassen wollte. Dies lässt sich weder dem Bebauungsplan, also dessen Planzeichnungen und textlichen Festsetzungen, noch dessen Begründung entnehmen. Mangels Befreiungen von einer nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans kommt es auf die Frage, ob bei der Erteilung der Befreiungen alle Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB vorlagen und insgesamt hierbei eine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen wurde, daher vorliegend nicht an.
Die im Rahmen der angefochtenen Baugenehmigung erteilten Befreiungen führen auch nicht zu einer Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme.
Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ist ein Vorhaben unzulässig, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets (im Baugebiet selbst oder) in dessen Umgebung unzumutbar sind. Dies ist dann der Fall, wenn sich das Vorhaben nach Abwägung aller Belange, insbesondere der Interessen des Bauherrn und des Nachbarn, als rücksichtslos darstellt, weil es auf besonders schutzbedürftige und qualifizierte Belange des Nachbarn intensiv einwirkt (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22/75 – BVerwGE 52, 122 – juris). Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet und ob von einer unzumutbaren Situation auszugehen ist, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Nachbarn aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 35 Rn. 78).
Gemessen daran führt der Umstand, dass der Wegfall des auf der Verkehrsfläche liegenden Wendehammers sich für den Kläger nachteilig auswirken kann, weil ihm damit ggf. die Möglichkeit einer weiteren LKW-Zuwegung über die südliche Grundstücksgrenze genommen wird, nicht zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Klägers ist darin nicht zu erkennen. Der im Bebauungsplan vorgesehene, vom S. W. abzweigende Erschließungsweg mit Wendehammer ist bislang nicht hergestellt worden; es ist unter Berücksichtigung der geplanten Bebauungsplanänderung nicht einmal absehbar, ob und ggf. wann es zu einer Errichtung dieses Erschließungswegs kommen könnte. Da die verkehrsmäßige Erschließung der umliegenden Grundstücke nicht über die betroffene Verkehrsfläche erfolgt, sondern allein über den S. W., und da das Grundstück des Klägers im maßgeblichen Bereich eingezäunt ist (vgl. Lichtbildaufnahmen der Ortseinsicht des Landratsamts … vom 24. November 2021, Bl. … ff der Gerichtsakte), kann sich ein Wegfall des Wendehammers allenfalls in unbestimmter Zukunft auf den Kläger auswirken. Unabhängig davon fehlt es ohnehin an einer für den Kläger nicht mehr hinnehmbaren Situation, da der auf seinem Grundstück gelegene Gewerbebetrieb – wie bisher – in hinreichender Weise vom S. W. aus ohne größere Schwierigkeiten erreichbar ist. Nicht ansatzweise ersichtlich ist ferner, dass der Kläger durch die Befreiung von der Festsetzung einer privaten Grünfläche beeinträchtigt sein könnte. Gleiches gilt für die Befreiung von der südlichen Baugrenze um ca. 2 m. Diese Baugrenze wird nicht in dem Bereich überschritten, welcher dem Grundstück des Klägers gegenüberliegt (vgl. Planunterlage …), so dass eine Betroffenheit in eigenen Rechten ausscheidet.
Die im Rahmen der angefochtenen Baugenehmigung erteilten Befreiungen führen somit nicht – weder einzeln noch zusammen betrachtet – zu einer Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme.
5. Es liegt auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Klägerseite kein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme vor (Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO i.V.m. § 30 Abs. 1 BauGB und § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO).
Das Vorbringen der Klägerseite zur Lärm- und Staubentwicklung sowie zu mit dem Vorhaben einhergehenden Explosionsgefahren lässt – die vorstehend beschriebenen Maßstäbe zugrunde gelegt – keine Situation erkennen, die dem Kläger billigerweise nicht zugemutet werden kann und deshalb einer Verletzung der angefochtenen Baugenehmigung gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nach sich zieht. Im Einzelnen:
5.1. Die zu erwartende Lärmentwicklung führt nicht zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Für die Berücksichtigung des Immissionsschutzes im Bauplanungsrecht sind Grenzwerte nicht gesetzlich festgelegt. (Lärm- und Geräusch-)Immissionen sind grundsätzlich unzumutbar und verletzen das Rücksichtnahmegebot, wenn sie geeignet sind, erhebliche Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG für die Nachbarschaft hervorzurufen (st. Rspr., vgl. z.B. BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 5.98 – BauR 1999, 152 = juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 26; B.v. 31.8.2012 – 14 CS 12.1373 – juris Rn. 31). Bei der Erteilung einer Baugenehmigung ist sicherzustellen, dass bei der Nutzung des genehmigten Vorhabens keine derartigen Belästigungen entstehen. Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt auch diesbezüglich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Gegeneinander abzuwägen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 40; B.v. 9.7.2012 – 22 CS 12.575 – juris Rn. 32 m.w.N.). Was die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen anbetrifft, können anerkanntermaßen die TA Lärm (Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz – Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, vom 26.8.1998, GMBl. S. 503, geändert durch ÄndVwV v. 1.6.2017 – BAnz AT 8.6.2017) bzw. die darin enthaltenen Immissionsrichtwerte herangezogen werden. Die TA Lärm gehört zu den sogenannten „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften“, welche vorbehaltlich abweichender Erkenntnisse im Regelfall der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Die Baugenehmigungsbehörde hat bei der Prüfung, ob und inwieweit von einer Anlage Immissionen ausgehen können, der Reichweite der Immissionen nachzugehen. Sie muss prüfen, in welchem Umkreis die Immissionen noch zumutbar sind. Die Baugenehmigungsbehörde ist daher verpflichtet, gegebenenfalls durch Auflagen in der Baugenehmigung oder die Einbeziehung von Beschreibungen entsprechend § 9 BauVorlV sicherzustellen, dass der Nachbar vor unzumutbaren Immissionen ausreichend geschützt wird. Auf solche Schutzauflagen hat der Nachbar einen Anspruch (BayVGH, U.v. 16.11.2006 – 26 B 03.2486 – juris Rn. 28). Geht es um die Lösung einer Immissions-Konfliktlage, reicht es in der Regel (es sei denn, die Anforderung ist von vornherein nicht einhaltbar) aus, wenn dem Emittenten aufgegeben wird, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten (vgl. BVerwG, U.v. 5.11.1968 – I C 29.67 – BVerwGE 31, 15).
Vorliegend ist nicht anzunehmen, dass das streitgegenständliche Vorhaben das Grundstück des Klägers und den darauf befindlichen Betrieb aufgrund von Lärmimmissionen in unzumutbarer Weise beeinträchtigen wird. In der Baugenehmigung des Landratsamts … vom 29. Juni 2021 sind zahlreiche Nebenbestimmungen zum Lärmschutz enthalten (vgl. Ziffern 1.1 bis 1.10 der „Auflagen aus Sicht des Immissionsschutzes“), die den in den immissionsschutzrechtlichen Stellungnahmen vom 6. Mai 2021 und vom 15. Juni 2021 enthaltenen Auflagenvorschlägen (vgl. Bl. … f., … f. der Behördenakte) entsprechen. Insbesondere ist in eindeutiger Weise geregelt, dass die Beurteilungspegel der vom Gesamtbetrieb auf dem Grundstück einschließlich des Zu- und Abfahrtverkehrs sowie der Ladetätigkeiten ausgehenden Geräusche an der nächstgelegenen schutzwürdigen Bebauung im Industriegebiet (Betriebsleiterwohnung Fl.Nr. …4 der Gemarkung K.) die gemäß Nr. 6.1 Buchst. a) TA Lärm und zur Berücksichtigung der Vorbelastung um 5 dB(A) reduzierten Immissionsrichtwerte von tagsüber und nachts 65 dB(A) nicht überschreiten dürfen. Bei der Festlegung dieser Immissionsrichtwerte ist die grundsätzliche Orientierung am Schutzniveau der TA Lärm für ein Industriegebiet (70 dB(A), vgl. Nr. 6.1 Buchst. a) TA Lärm) nicht zu beanstanden. Ebenso nachvollziehbar erscheint die von der Immissionsschutzbehörde für erforderlich gehaltene Reduzierung des anzulegenden Immissionsrichtwerts um 5 dB(A) aufgrund einer bestehenden Vorbelastung. Hiergegen ist klägerseits auch nichts eingewendet worden. Es ist auch nicht ersichtlich oder durch die Klägerseite vorgetragen worden, dass die von der Immissionsschutzbehörde explizit in den Blick genommene Betriebsleiterwohnung des Klägers entgegen der fachlichen Einschätzung der Immissionsschutzbehörde in einer Weise schutzwürdig ist, dass zur Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze nicht auf den herabgesetzten Immissionsgrenzwert von 65 dB(A) abgestellt werden dürfte. Insbesondere ist nicht erkennbar oder aufgezeigt worden, dass die Betriebsleiterwohnung das festgesetzte Industriegebiet in der Weise prägt, dass auf die Belange einer Wohnnutzung in gesteigertem Maße Rücksicht zu nehmen wäre (vgl. VG Sigmaringen, U.v. 11.4.2002 – 8 K 702/00 – juris). Vor diesem Hintergrund bestehen keine handgreiflichen Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bestimmung der vorbezeichneten Lärmgrenzwerte.
Werden – wie hier – Lärmgrenzwerte festgesetzt, so kommt es darauf an, ob diese Werte realistischerweise auch tatsächlich eingehalten werden können. Überschreiten die bei der Nutzung einer Anlage entstehenden Immissionen bei regelmäßigem Betrieb die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze, dann genügt es zur Sicherung der Nachbarrechte nicht, in der Baugenehmigung den maßgeblichen Immissionsrichtwert als Grenzwert festzulegen und weitere Nebenbestimmungen vorzubehalten. Vielmehr muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden (BayVGH, B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2328; U.v. 18.7.2002 – 1 B 98.2945; beide juris). Auch dieser Anforderung ist vorliegend in hinreichender Weise Genüge getan, indem entsprechend der fachlichen Einschätzung der unteren Immissionsschutzbehörde zahlreiche weitere Nebenbestimmungen zur Eindämmung der Lärmauswirkungen auf die Nachbarschaft getroffen wurden (vgl. Ziffern 1.1 und 1.3 bis 1.10 der „Auflagen aus Sicht des Immissionsschutzes“), wie z.B. das Geschlossenhalten der Hallentore der Annahmehalle und ggf. sonstiger Öffnungen während des Verladens des Getreides sowie des Betriebs lärmerzeugender Anlagen. Die Immissionsschutzbehörde ist – nachdem sie eine umfassende Plausibilitätsprüfung der schalltechnischen Prognose der B. L. G. mangels Ein- und Ausgabedaten sowie mangels genereller Informationen zum Rechenprogramm nicht durchführen konnte – auf Grundlage einer eigenen Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass durch die vorgesehenen Maßnahmen (u.a. Einbau von Schalldämpfern) sowie die vollständige Einhausung des Verladebereichs für Getreide bei Beachtung der vorgeschlagenen Auflagen der ausreichende Schutz für die nächste schutzbedürftige Bebauung sicherstellen lässt (vgl. Bl. …, … der Behördenakte). Da die Klägerseite dem nichts Substantielles entgegengehalten hat, ist für die Kammer unter Zugrundelegung der Bauvorlagen einschließlich der Betriebsbeschreibung nicht zu erkennen, weshalb die entsprechend dieser fachtechnischen Einschätzung in den Bescheid vom 29. Juni 2021 aufgenommenen Nebenbestimmungen – im Falle ihrer Umsetzung – nicht geeignet sein könnten, nachbarrechtsverträgliche Zustände herzustellen.
5.2. Auch unter Berücksichtigung von zu erwartenden Luftschadstoffemissionen („Staubemissionen“) kann hier nicht von einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zulasten des Klägers ausgegangen werden.
Das Landratsamt … hat im angegriffenen Genehmigungsbescheid auf Grundlage der immissionsschutzrechtlichen Stellungnahmen vom 6. Mai 2021 und vom 15. Juni 2021 zahlreiche Nebenbestimmungen zur Luftreinhaltung aufgenommen (Ziffern 2.1 bis 2.14 der „Auflagenvorschläge“). Die Immissionsschutzbehörde ist im Rahmen ihrer Stellungnahmen – wie bei den Lärmimmissionen – zu dem Ergebnis gelangt, dass durch die vorgesehenen Maßnahmen (u.a. Einbau von Absaugungen und Abluftfilteranlagen) sowie die vollständige Einhausung des Verladebereichs für Getreide bei Beachtung der vorgeschlagenen Auflagen der ausreichende Schutz für die nächste schutzbedürftige Bebauung sicherstellen lässt (vgl. Bl. …, … der Behördenakte). Die Immissionsschutzbehörde hat sich dabei mit zahlreichen Einzelfragen befasst und diese in Nebenbestimmungen 2.1 bis 2.14 näher geregelt (z.B. Ausführung und Betrieb der Schüttgosse, Ausführung und Betrieb der Entstaubungsanlagen, Lagerung und Transport des abgeschiedenen Staubs, Ausführung des Abluftkamins, Befüllvorgänge der Silos, Verladevorgänge, Fahrgeschwindigkeitsbegrenzung von 10 km/h, Ausführung der Fahrwege und Betriebsflächen). Die Kammer hegt keine Zweifel an der vorgenommenen fachlichen Bewertung der Immissionsschutzbehörde, zumal das Klägervorbringen sich mit den Nebenbestimmungen im Einzelnen nicht näher auseinandergesetzt hat. Es ist – auch unter Berücksichtigung der Entfernungen und Gebäudesituierungen – nicht ersichtlich und von Klägerseite her nicht substantiiert aufgezeigt worden, dass der Anlagenbetrieb der Beigeladenen trotz dieser umfangreichen Nebenbestimmungen erwarten lässt, eine für den Kläger unzumutbare Staubbelastung hervorzurufen.
5.3. Die Argumentation der Klägerseite, wonach die Anlage ein erhebliches Gefährdungspotential aufweise, da mit den Düngemitteln explosive Chemikalien gelagert würden und der Getreidestaub eine Explosion verursachen könne, führt ebenfalls nicht zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite sind an das Vorhaben keine störfallrechtlichen Anforderungen, insbesondere zu prüfende Regelungen der Störfall-Verordnung (12. BlmSchV), zu stellen. Bei dem umstrittenen Agrarstandort der Beigeladenen handelt es sich nicht um einen dem Anwendungsbereich der Störfall-Verordnung unterfallenden Betriebsbereich (vgl. § 1 Abs. 1 12. BImSchV). Für die im Agrarstandort der Beigeladenen gelagerten Düngemittel ergibt sich dies unmittelbar aus dem Genehmigungsbescheid, da unter Ziffer 2.12 der Nebenbestimmungen eindeutig bestimmt wurde, dass lediglich die Lagerung von Düngemitteln der Gruppe C nach Anhang I Nr. 5 der Gefahrstoffverordnung bzw. von Düngemitteln, welche nicht der Störfallverordnung (12. BImSchV) unterliegen, zulässig sind. Es ist auch nicht erkennbar und von der Klägerseite auch nicht aufgezeigt worden, unter welche Stoffkategorie des Anhangs I der 12. BImSchV der zu erwartende Getreidestaub fallen soll. Die in den fachlichen Stellungnahmen des Immissionsschutzes vom 6. Mai und 15. Juni 2021 getroffene Einschätzung, wonach Getreidestäube nicht in die 12. BImSchV eingeordnet werden können (vgl. Bl. … und … der Behördenakte), ist klägerseits nicht substanziell entkräftet worden.
Auch im Übrigen ist die Annahme einer vom Vorhaben der Beigeladenen ausgehenden Explosions- bzw. Brandgefahr mit Auswirkungen auf das klägerische Nachbargrundstück lediglich unsubstantiiert dargestellt worden. Es findet insbesondere keine tiefergehende Auseinandersetzung mit den konkreten baulichen Gegebenheiten und mit den Betriebsabläufen sowie mit dem Brandschutzkonzept der B. L. G. & … vom 20. November 2020 (Bl. … ff. der Behördenakte) statt, in dem die brand- und explosionsschutztechnischen Gesichtspunkte in den Blick genommen wurden und betont wurde, dass allen technischen und organisatorischen Schutzkonzepten die Verhinderung der Bildung explosionsfähiger Atmosphäre (= primärer Explosionsschutz) vorangestellt sei. Es wird auch lediglich behauptet, aber nicht näher dargestellt, inwieweit die genehmigte Anlage und deren Betriebsabläufe gegen den von Verbänden der Getreide und Futtermittelwirtschaft erstellten Leitfaden „Explosionsschutz in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft“ (Stand: 9. November 2020) verstoßen sollte. Dass dem Schutz vor Explosionssicherheit im hiesigen Einzelfall nicht hinreichend Rechnung getragen wurde, ist somit nicht aufgezeigt worden.
Die seitens des Klägerbevollmächtigten aufgezeigten Zweifel an der Lagerung allein der von der Genehmigung gestatteten Düngemittel lassen sich nicht im Rahmen der hier erhobenen Drittanfechtungsklage gegen die Baugenehmigung vom 29. Juni 2021, sondern allenfalls im Rahmen eines gegebenenfalls einzuleitenden, behördlichen Verfahrens auf bauaufsichtliches Einschreiten bzw. eines immissionsschutzrechtlichen Verfahrens beurteilen.
5.4. Die geltend gemachten immissionsschutzrechtlichen Beeinträchtigungen ziehen damit im Ergebnis weder in der Einzel- noch in der Gesamtbetrachtung eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme nach sich.
6. Weitere Rechtsverletzungen – insbesondere in bauordnungsrechtlicher Hinsicht – sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
7. Nach alldem erweist sich die Klage als unbegründet und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Da sich die Beigeladene durch eigene Antragsstellung am Prozessrisiko beteiligt hat, entsprach es der Billigkeit, die ihr entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen dem Kläger aufzuerlegen, § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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