Baurecht

Nachbarklage, isolierte Befreiungen, Stützmauer und Gartenhaus, Gebot der Rücksichtnahme

Aktenzeichen  15 ZB 22.908

Datum:
24.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13360
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 63 Abs. 2
BauGB § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 6 K 19.2165 2022-02-15 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen zwei dem Beigeladenen von der Beklagten erteilte isolierte Befreiungen für ein Gartenhaus sowie eine Stützmauer.
Mit Bescheid vom 18. September 2019 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen eine Befreiung von den Festsetzungen ihres Bebauungsplans „Schmiedacker“ hinsichtlich der festgesetzten Baugrenzen für die Errichtung eines Gartenhauses im nordöstlichen Teil des Grundstücks FlNr. … Gemarkung N. Mit weiterem Bescheid vom 21. Oktober 2019 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen eine Befreiung vom festgesetzten Verbot der Errichtung von Stützmauern für eine Stützwand ca. 4 m von der nördlichen Grundstücksgrenze auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung N. Gegen beide Genehmigungen erhob die Klägerin, Eigentümerin des östlich des Baugrundstücks gelegenen Grundstücks FlNr. … Gemarkung N., Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg, die diese mit Urteil vom 15. Februar 2022 abwies. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen die Befreiungen erteilt wurden, nicht drittschützend seien und die genehmigten Anlagen gegenüber der Klägerin nicht rücksichtslos seien. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin als Rechtsmittelführerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
1. Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschrift des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO bzw. den im Zeitpunkt der Genehmigung geltenden Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO a.F. geltend macht, bleibt der Antrag erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften im Rahmen der hier gegenständlichen und angefochtenen isolierten Befreiungen nicht zum Prüfprogramm gehören (UA S. 9). Dies ist nicht ernstlich zweifelhaft (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 30 ff.). Dementsprechend kommt auch eine – konkludent erteilte – Abweichungszulassung von den Abstandsflächenvorschriften nicht in Betracht. Zu der vom Verwaltungsgericht verneinten drittschützenden Wirkung der Festsetzungen des Bebauungsplans zu den Baugrenzen und dem Verbot der Errichtung von Stützmauern, von denen befreit wurde, verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht.
2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich auch nicht aus dem von der Klägerin angeführten Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot.
Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 33; BVerwG, U.v. 20.12.2012 – 4 C 1.04 – juris Rn. 22). Aus dem Vorbringen, die Abwägung der Interessen falle wegen unzumutbarer Beeinträchtigungen der Klägerin zu ihren Gunsten aus, weil insbesondere die tatsächlichen Auswirkungen der Aufschüttungen und der Blick auf eine Betonmauer mit hinterfüllter Terrasse und anschließendem Gartenhaus nicht hinweggedacht werden dürften, ergibt sich ein solcher Verstoß jedoch nicht.
a) Gegenstand der isolierten Befreiung vom 21. Oktober 2019 ist eine Stützmauer, die mit einer Höhe von 0,3 m bis 1,0 m im nördlichen Grundstücksbereich im Abstand von ca. 4 m zur nördlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks des Beigeladenen FlNr. … Gemarkung N. in West-Ost-Richtung verläuft und im Osten – nahezu – im rechten Winkel auf die Grenze zum Grundstück der Klägerin FlNr. … Gemarkung N. trifft. Unabhängig davon, dass das Verwaltungsgericht diese Stützmauer im Rahmen der Bewertung des Rücksichtnahmegebots als abstandsflächenrechtlich privilegiert ansieht (UA S. 10), was vom Zulassungsvorbringen nicht angegriffen wird, ist aufgrund dieses Verlaufs der Stützmauer ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot weder ersichtlich noch dargelegt. Hinzu kommt, dass Auffüllungen und eine Terrassennutzung – worauf das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend hinweist (UA S. 10) – sowie die an der gemeinsamen Grundstücksgrenze entlang verlaufende Stützmauer nicht Gegenstand der isolierten Befreiung vom 21. Oktober 2021 sind und damit nicht an deren Regelungs- und Feststellungswirkung teilnehmen können (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 31).
b) Hinsichtlich des Gartenhauses, für das mit Bescheid vom 18. September 2019 eine Befreiung von den festgesetzten Baugrenzen erteilt wurde, stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, dass das Rücksichtnahmegebot auch unter dem Aspekt eines etwaigen geringfügigen Abstandsflächenverstoßes nicht verletzt sei (UA S. 9). Hiergegen ist ebenfalls nichts zu erinnern, zumal allein aus einer (unterstellten) Verletzung von Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO a.F. (jetzt: Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO) nicht automatisch auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots geschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 34; B.v. 28.4.2000 – 9 ZB 18.1493 – juris Rn. 22 m.w.N.). Vielmehr ist auf die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls abzustellen (vgl. BayVGH, U.v. 24.4.2006 – 14 B 04.2707 – juris Rn. 19), wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist. Es hat hierbei auf die Geringfügigkeit des Verstoßes sowie die Lage und Größe der Grundstücke samt deren Bebauung abgestellt (UA S. 10) und ist im Rahmen dieser Würdigung zu dem Ergebnis gekommen, dass das Gebot der Rücksichtnahme durch die erteilten Befreiungen nicht verletzt werde. Dem setzt das Zulassungsvorbringen nichts substantiiert entgegen. Allein die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und die Klägerin genügt für die Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ebenso wenig wie die schlichte Darstellung der eigenen, entgegengesetzten Rechtsauffassung (vgl. BayVGH, B.v. 10.02.2022 – 15 ZB 21.2428 – juris Rn. 18), zumal die Regelungswirkung der erteilten Befreiungen – wie oben ausgeführt – begrenzt ist.
c) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine „erdrückende“ oder „einmauernde“ Wirkung berufen. Eine solche kommt nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 25.5.2021 – 15 ZB 20.2128 – juris Rn. 16), was hier schon weder hinsichtlich des Gartenhauses noch hinsichtlich der genehmigten Stützmauer substantiiert dargelegt wird. Die von der Klägerin insoweit angeführten Auffüllungen, die Terrassennutzung sowie die an der gemeinsamen Grundstücksgrenze entlang verlaufende Stützmauer sind nicht Gegenstand der hier angefochtenen isolierten Befreiungen vom 18. September und 21. Oktober 2019.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da der Beigeladene im Zulassungsverfahren einen rechtlich die Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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