Baurecht

Nachbarklage wegen unzureichender Erschließung und Abfluss von Niederschlagswasser auf das Nachbargrundstück

Aktenzeichen  M 9 K 16.925

Datum:
25.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Das Erfordernis einer gesicherten Erschließung des Bauvorhabens dient grundsätzlich nur öffentlichen Interessen und hat keine nachbarschützende Funktion hat. Das öffentliche Baurecht gewährt grundsätzlich keinen Schutz gegen den Abfluss von Wasser auf das Nachbargrundstück; dieser richtet sich nach Privatrecht, vgl. Art. 68 Abs. 4 BayBO. Das Gebot der Rücksichtnahme vermittelt ausnahmsweise dann ein Angriffsrecht, wenn durch die unzureichende Erschließung unmittelbar Nachbargrundstücke gravierend betroffen sind, etwa wenn das Niederschlagswasser auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und es dadurch zu Überschwemmungen auf dem Nachbargrundstück kommt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 3. zu tragen. Die Beigeladenen zu 1. und zu 2. tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die im Wege der objektiven Antragshäufung erhobene Klage bleibt erfolglos.
1. Der Kläger kann keinen Rückbau der Zwerchgiebel verlangen.
Das als Nichtigkeits- bzw. Restitutionsklage, § 153 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 578ff. ZPO, auszulegende Vorbringen des Klägers bleibt unabhängig davon, ob die Sachentscheidungsvoraussetzung der fehlenden Subsidiarität gegeben wäre, erfolglos, da Nichtigkeits- bzw. Restitutionsgründe nicht benannt wurden und auch nicht erkennbar sind. Der in der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2014 erteilte richterliche Hinweis, dass ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften aufgrund des großen Abstands der Gebäude nicht erkennbar ist, eröffnet als Bekanntgabe einer vorläufigen Rechtsauffassung keine Möglichkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu verlangen. Die Baugenehmigung vom 23. Juli 2012 und die Tektur vom 14. Januar 2013 sind bestandskräftig, eine weitere Anfechtungsmöglichkeit ist ausgeschlossen.
Auch eine Auslegung des klägerischen Begehrs dahingehend, dass eine Klage auf Verpflichtung zu bauaufsichtlichem Einschreiten erhoben werden sollte, verhilft dem Vorbringen nicht zum Erfolg. Der Rückbau kann auf Grundlage des Art. 76 Satz 1 BayBO bereits wegen der Legalisierungswirkung der Bau- und Tekturgenehmigungen nicht verlangt werden. Zudem ist kein Abstandsflächenverstoß gegeben, auf den sich der Kläger vorliegend zu berufen scheint: Auf die Inanspruchnahme der Privilegierung des Art. 6 Abs. 8 BayBO kommt es dabei nicht an, da der Abstand des Wohnhauses auf Fl. Nr. 139 zum klägerischen Gebäude an der schmalsten Stelle zwischen den hervortretenden Quergiebeln und dem Klägergrundstück bei einer maximalen Wandhöhe der Quergiebel von 8,00 m noch mehr als 8,50 m beträgt. Damit kommt es nicht mehr darauf an, dass der Kläger vorliegend durch einen etwaigen Verstoß auch keinesfalls in erheblichem Maße in seinen Rechten tangiert wäre (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 25.9.2013 – 14 ZB 12.2033 – juris). Ebenfalls unerheblich ist damit, ob überhaupt ein ausdrücklicher Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten bei der Behörde gestellt wurde. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme, das vorliegend aus § 34 Abs. 1 BauGB oder – bei Vorliegen eines faktischen Dorfgebiets – aus § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO folgt, ist nach alledem ebenfalls ausgeschlossen.
Unabhängig davon, dass es darauf nach Obenstehendem nicht mehr ankommt, wird darauf hingewiesen, dass eine – wie vom Kläger behauptet – fehlende Nachbarbeteiligung die Baugenehmigung nicht rechtswidrig (oder gar: nichtig) machte und dem Kläger auch kein Abwehrrecht vermitteln konnte (statt aller BayVGH, B. v. 12.7.2010 – 14 CS 10.327 – juris).
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vorlage eines Standsicherheitsnachweises für den im Jahr 2010 auf Fl. Nr. 139 durchgeführten Abbruch.
Unabhängig davon, dass der Abbruch keine Kommunmauer tangierte und die Standsicherheit nach Vortrag des Beklagten zu keiner Zeit gefährdet war, hat der Nachbar keinen Anspruch darauf, dass die Bauaufsichtsbehörde nachträglich die Vorlage des im Rahmen des Anzeigeverfahrens zu erbringenden Standsicherheitsnachweises anordnet bzw. vonseiten des Gerichts dazu verpflichtet wird, da Art. 62 BayBO nicht drittschützend ist (VG München, U. v. 9.9.2015 – M 9 K 13.3021 – juris). Dass der im Jahr 2009 angezeigte und 2010 erfolgte Abbruch vonseiten des Beigeladenen zu 3. unter Geltung der alten Rechtslage fälschlicherweise in ein Genehmigungsfreistellungsverfahren eingeordnet wurde, verhilft der Klage ebenso wenig zum Erfolg wie der Verweis auf die Sanierungssatzung des Beigeladenen zu 3.: Nachbarrechte, auf die sich der Kläger berufen könnte, werden damit nicht aufgezeigt. Art. 10 Satz 3 BayBO, der grundsätzlich nachbarschützend ist, betrifft nur das Stadium der Durchführung der Maßnahmen (Molodovsky/Famers, BayBO, Stand 33. Update 11/16, 1.7.2013, Art. 10 Rn. 37) und begründet ebenfalls kein Recht auf nachträgliche Vorlage eines Standsicherheitsnachweises.
Der Vortrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens wegen etwaig entstandener Schäden am klägerischen Gebäude gab keinen Anlass zur Verweisung an das zuständige Zivilgericht, da das Begehr des Klägers von vorn herein vage blieb. Etwaige Ansprüche auf Schadensersatz, die nicht explizit in Rede standen und für die der Beklagte von vorn herein nicht passivlegitimiert wäre, müssten direkt vor dem zuständigen Zivilgericht geltend gemacht werden.
3. Der Kläger hat nach Maßgabe des öffentlichen Rechts keinen Anspruch auf eine Regen- und Oberflächenwasserregulierung.
Der als Anfechtungsklage zu wertende Antrag ist insoweit bereits unzulässig, da die Baugenehmigung vom 23. Juli 2012 und die Tekturgenehmigung vom 14. Januar 2013 bestandskräftig sind; eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, § 113 Abs. 1 VwGO ist verfristet, § 74 Abs. 1 VwGO.
Zudem fehlt es an der Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO, da mit der Frage der Entwässerungssituation bzw. mit der Befürchtung, dass ausreichende Versickerungsmöglichkeiten auf dem Nachbargrundstück fehlen, das Erfordernis einer gesicherten Erschließung des Bauvorhabens angesprochen ist, das grundsätzlich nur öffentlichen Interessen dient und keine nachbarschützende Funktion hat (BayVGH, B. v. 3.2.2014 – 9 CS 13.1916 – juris; VG München, U. v. 18.12.2014 – M 11 K 13.505 – juris). Das öffentliche Baurecht gewährt grundsätzlich keinen Schutz gegen den Abfluss von Wasser auf das Nachbargrundstück (VG München, U. v. 18.12.2014 – M 11 K 13.505 – juris; VG Würzburg, U. v. 6.12.2012 – W 5 K 11.514 – juris); dieser richtet sich nach Privatrecht, vgl. Art. 68 Abs. 4 BayBO. Auch eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zulasten des Klägers ist – unabhängig davon, dass hierzu kein substantiierter Vortrag erfolgte – nicht erkennbar. Das Gebot der Rücksichtnahme vermittelt ausnahmsweise dann ein Angriffsrecht, wenn durch die unzureichende Erschließung unmittelbar Nachbargrundstücke gravierend betroffen sind, etwa wenn das Niederschlagswasser auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und es dadurch zu Überschwemmungen auf dem Nachbargrundstück kommt (BayVGH, B. v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717 – juris; VG Würzburg, U. v. 25.8.2015 – W 4 K 14.1097 – juris). Die im Giebelbereich des Klägers hinsichtlich einer flächenhaften Versickerung maßgebliche gepflasterte Zufahrtsfläche des Nachbargrundstücks beträgt nur rund 55 m²; die hier anfallende Wassermenge ist von vorn herein nicht geeignet, Überschwemmungen oder sonstige gravierende Schäden, die ein subjektiv-öffentliches Abwehrrecht nach Maßgabe des öffentlichen Baurechts begründen könnten, an seinem Gebäude zu verursachen. Der große Hofbereich im rückwärtigen Grundstücksteil dagegen wird, was auch der Kläger anerkennt, über Regenrinnen, die in einen Sickerschacht münden, ordnungsgemäß entwässert.
Wenn der Kläger weiter rügt, es sei eine wasserrechtliche Genehmigung erforderlich gewesen, die nicht erteilt wurde, so begründet allein dieser Umstand – unterstellt, das Vorbringen wäre richtig – ebenfalls keine Klagebefugnis, da sich die Baugenehmigung zu wasserrechtlichen Fragen nicht verhält. Auch materiell-rechtlich ist der klägerische Vortrag unzutreffend: Unabhängig davon, ob bei einem gepflasterten Zufahrtsbereich überhaupt von einem „Sammeln“ von Niederschlagswasser gesprochen werden kann (zweifelnd VG München, U. v. 25.2.2014 – M 2 K 13.2410 – juris), greift vorliegend materiell § 3 Abs. 1 Satz 1 Niederschlagswasserfreistellungsverordnung Bayern – NWFreiV -, da die Gesamtfläche des hinsichtlich einer Versickerung problematischen befestigten Bereichs des Nachbargrundstücks nach Aussage des Beklagten bei 867 m² und damit weit unter 1.000 m² liegt, was eine Messung des Gerichts – unter Nutzung des Tools „Bayern Atlas Plus“ – bestätigt hat. Damit ist § 3 Abs. 1 Satz 2 NWFreiV verwirklicht. Das Wasser im rückwärtigen Grundstücksbereich wird ohnehin über einen Sickerschacht entsorgt, im Zufahrtsbereich wird das Niederschlagswasser über die Pflasterung und die Grünstreifen aufgenommen (vgl. Stellungnahmen des Landratsamtes, Bl. 42ff. des Behördenakts „Zu 804-2012-B“). Eine vonseiten der Beigeladenen zu 1. und zu 2. nach dem Abbruch des grenzständigen Wohnanbaus am Haus des Klägers eingebrachte Noppenfolie verhindert das Entstehen von Vernässungsschäden. Der Vertreter der Fachkundigen Stelle der Wasserwirtschaft bestätigte, dass bei dem Vorhaben keine außerordentlichen wasserwirtschaftlichen Umstände vorlägen, die ein anderes Vorgehen erforderlich machten. Eine (weitere) Beteiligung des Wasserwirtschaftsamtes – Erstellung eines Gutachtens – war nicht notwendig.
Nach alledem bleibt das klägerische Vorbringen auch unter dem Gesichtspunkt einer Leistungsklage zur Durchsetzung eines Folgenbeseitigungsanspruchs analog § 1004, § 12, § 862 BGB (BayVGH, U. v. 11.7.2016 – 13 A 15.1495 – juris), erfolglos.
4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Untersagung der Nutzung des Spitzbodens im Gebäude der Beigeladenen zu 1. und zu 2.
Das Vorbringen des Klägers ist dahingehend zu verstehen, dass er Verpflichtungsklage auf bauaufsichtliches Einschreiten erheben will, Art. 76 Satz 2 BauNVO. Er hat aber nichts vorgetragen, was seine Behauptungen belegen könnte. Zu den Akten gegeben wurde nur ein Auszug aus einem Vermieterportal von Dezember 2013 (Bl. 121 des Gerichtsakts); danach wurde eine Wohnung im Dachgeschoss zwar unzutreffend als Maisonettewohnung angeboten, allerdings zum Erstbezug. Eine im Folgenden angeblich tatsächlich stattfindende Nutzung des Spitzbodens als Aufenthaltsraum ist so nicht nachzuweisen. Auch materiell-rechtlich hat der Kläger keinen Anspruch auf die Verpflichtung des Beklagten, die begehrte Nutzungsuntersagung zu erlassen: Der Widerspruch zu drittschützenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften i. S. d. Art. 76 Satz 2 BayBO könnte sich bestenfalls aus einem Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften, Art. 6 BayBO, ergeben. Unabhängig davon, dass die gerügte Einsichtsmöglichkeit als Aspekt des Wohnfriedens zu betrachten und die Frage, ob der Wohnfrieden als Schutzgut der Abstandsflächen anzuerkennen ist, in Bayern nicht unumstritten ist (vgl. BayVGH, B. v. 19.7.2016 – 9 CS 15.336 – juris), ist eine Beeinträchtigung dann ausgeschlossen, wenn es sich nach Genehmigungslage nicht um einen Aufenthaltsraum handelt (BayVGH, B. v. 15.9.2015 – 2 CS 15.1792 – juris). Weiter ist darauf zu verweisen, dass der Beklagte mehrere Kontrollen durchführte, um den klägerischen Behauptungen nachzugehen, zuletzt am 10. Januar 2017. Dabei wurde festgestellt, dass bestenfalls der östliche Spitzboden abweichend von der Baugenehmigung als Aufenthaltsraum – in dem Fall: als Büro – genutzt wird. Die beiden anderen zur westlichen und zur mittleren Dachgeschosswohnung gehörenden Spitzböden werden nachweislich rein als Stauraum genutzt. Der mittlere Spitzboden, der allein eine Sichtöffnung zum klägerischen Grundstück – in Form zweier kleiner Dachflächenfenster – aufweist, bietet schon aufgrund der anhand der vorgelegten Fotodokumentation des Beklagten (Bl. 191 des Gerichtsakts) erkennbaren beengten Platzverhältnisse und der konkreten Ausgestaltung (tiefe Dachschrägen) keinen Platz für eine Nutzung als Aufenthaltsraum. Unabhängig von alledem sind die Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück eingehalten (vgl. Ziffer 1. der Entscheidungsgründe), weshalb eine auf Art. 6 BayBO gestützte Forderung nach bauaufsichtlichem Einschreiten von vorn herein erfolglos bleiben muss.
5. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Wiedererrichtung der Grenzmauer, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der als Untätigkeitsklage geführte Angriff bleibt erfolglos, da die Grenzmauer abstandsflächenpflichtig ist (a) und für eine damit erforderliche Abweichung, Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO, keine Atypik ersichtlich ist (b).
a) Die Planung verstößt gegen Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BayBO. Die massiv geplante Grenzmauer mit einer Wandhöhe von 4,40 m und einer Länge von 30 m ist eine Anlage i. S. d. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, von der Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen (vgl. BayVGH, B. v. 10.7.2015 – 15 ZB 13.2671 – juris). Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO greift nicht, da sich die geplante Mauer nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht in die Umgebung einfügt; eine 4,40 m hohe Grenzwand widerspricht dem aus den Lageplänen und den vorgelegten Fotos erkennbaren Prinzip, dass in den rückwärtigen Grundstücksbereichen massive Einfriedungen nur bis zu 2 m hoch ausgeführt werden sollen, da ansonsten eine Licht- und Luftdurchlässigkeit nicht mehr gegeben wäre. Auch der Kläger behauptet nicht, dass entsprechende Einfriedungen in der unmittelbaren Umgebung zu finden wären. Die aufgrund der Bauvorlagen in ihren Dimensionen und Wirkungen abschätzbare 4,40 m hohe Mauer verstößt aus den genannten Gründen auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da von ihr eine einengende Wirkung ausgeht (e contrario BayVGH, B. v. 16.4.2009 – 2 ZB 08.3026 – juris). Der Privilegierungstatbestand des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO greift ebenfalls nicht ein, da die dort vorgesehene 2 m-Grenze überschritten wird. Auch Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO ist nicht gegeben, da die ÖGS keine Satzung in diesem Sinne darstellt; gemeint sind hier nur Satzungen nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 BayBO (BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO, Stand 2. Edition, 1.7.2016, Art. 6 Rn. 77). Unabhängig davon ergibt sich nach der ÖGS auch inhaltlich – anders als der Kläger meint – keine Zulässigkeit des Vorhabens: § 7 Abs. 6 Satz 1 und Satz 4 ÖGS regelt nur, dass Einfriedungen entlang der öffentlichen Flächen mindestens 2,0 m hoch sein sollen, um die Geschlossenheit des Straßenraumes zu erhalten. § 7 Abs. 6 Satz 5 ÖGS sieht vor, dass sich Hofmauern im Bereich der L.-straße nach Möglichkeit an den ehemals typischen historischen Vorbildern orientieren sollen, die mindestens 4-5 m hoch waren, große Einfahrten in Rund-, Segment-, meist aber in Korbbogenform besaßen und daneben oft noch zusätzlich einen schmalen Eingang in Türformat hatten. Dass mit „Hofmauern“ hier nicht Grenzmauern im rückwärtigen Grundstücksbereich gemeint sind, ergibt sich erkennbar aus dem systematischen Zusammenhang mit § 7 Abs. 6 Satz 1 bis 4 ÖGS und daraus, dass „Einfahrten“ und „Eingänge“ nur Mauern an Straßenzügen – u. a. „im Bereich der L.-straße“ – aufweisen.
b) Für die vonseiten des Klägers beantragte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften fehlt es an der erforderlichen atypischen Grundstückssituation und damit bereits an einem Tatbestandsmerkmal. Allein der Umstand, dass sich die Unterschreitung der Abstandsflächen auf dem Nachbargrundstück wenig auswirken könnte – direkt an der Mauer liegen nur Kfz-Stellplätze -, genügt nicht zur Rechtfertigung einer Abweichung. Vielmehr müssen weitere Gesichtspunkte hinzukommen, die z. B. in besonderen Verhältnissen auf dem Baugrundstück begründet sind (BayVGH, B. v. 30.8.2011 – 15 CS 11.1640 – juris). Ein besonderer Grundstückszuschnitt o. Ä. ist vorliegend nicht erkennbar. Auch die Lage des Baugrundstücks im innerörtlichen Bereich ist nicht geeignet, eine Atypik zu begründen; der Bau der Mauer stellt gerade keine – in dieser Konstellation eine Verkürzung der Abstandsflächen rechtfertigende – Instandsetzung, Aufwertung oder Erneuerung überalterter Bausubstanz, insbesondere von Wohnraum, dar (vgl. BayVGH, B. v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris). Auch der vormalige Bestand einer Grenzmauer führt zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen ist bereits fraglich, ob eine nachwirkende Prägung von Altbestand in Bezug auf Art. 6 BayBO angenommen werden kann (BayVGH, B. v. 30.8.2011 – 15 CS 11.1640 – juris). Zum anderen lässt sich dem Behördenakt zur Baugenehmigung des abgebrochenen Wohnanbaus (IV/12/B 349/70/Az. 602) entnehmen, dass die alte Grenzmauer nur mit ca. 2,50 m an das abgebrochene Gebäude anschloss; der Kläger selbst gab zwischenzeitlich eine Höhe von maximal 3,00 m an (Behördenakt zur Tektur 43-1646-2012-T, Bl. 14); damit geht das neue Vorhaben in seinem Zuschnitt weit über den Altbestand hinaus. Dem Kläger ist nach alledem eine sinnvolle Ausnutzung seines Grundstücks auch unter Beachtung der Anforderungen des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO ohne weiteres möglich und zumutbar. Unabhängig davon, dass Einsichtsmöglichkeiten gerade im Verhältnis „Wohnen zu Wohnen“ grundsätzlich hinzunehmen sind (BayVGH, B. v. 28.12.2016 – 9 ZB 14.2853 – juris), werden Einblicke „auf Augenhöhe“ auch durch die in Höhe von 2 m bereits wieder errichtete Mauer verhindert. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass eine darüber hinausgehende Abschottung auch durch eine 4,40 m hohe Mauer nicht erreicht werden könnte, da Einblicke aus den im Dachgeschoss gelegenen Wohnungen des Nachbargebäudes trotzdem möglich bleiben werden.
Ohne dass es darauf ankommt, wird darauf verwiesen, dass der genannte Bezugsfall in der Steinmetzstraße (Bl. 15 des Behördenakts 43-408-2014-B) in einem Gewerbegebiet liegt und damit nicht einschlägig ist. Dort sind Einfriedungen nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO auch mit Höhen von über 2 m möglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 25.000 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG -).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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