Baurecht

Nachbarklage: Wegfall der Doppelhaus-Bindung bei Verletzung des wechselseitigen Austauschverhältnisses durch Kläger

Aktenzeichen  15 CS 17.2549

Datum:
14.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2018, 378
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauNVO § 22 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein Nachbar kann sich dann nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf den Nachbarschutz aus der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten „Doppelhaus-Rechtsprechung“ berufen, wenn er selbst in erheblichem Umfang aus dem diesbezüglichen wechselseitigen Austauschverhältnis ausgebrochen ist. (Rn. 4)
2. Soweit die auf den benachbarten Grundstücken durch Bauleitplanung festgesetzten Bauräume sehr groß sind, spricht Vieles dafür, dass der kommunale Plangeber mit zunehmendem Abstand von der gemeinsamen Grenze dem jeweiligen Eigentümer auch eine zunehmende Gestaltungsfreiheit im Sinne einer Lockerung von der Doppelhausbindung zuerkennen wollte. (Rn. 11)

Verfahrensgang

Au 5 S 17.1617 2017-12-06 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Dezember 2017 wird in Ziffer I. und II. abgeändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine der Beigeladenen mit Datum vom 19. September 2017 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines zweigeschossigen Wohnhauses mit ausgebautem Dachgeschoss unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze. Sie haben gegen den ihnen am 26. September 2017 zugestellten Bescheid am 12. Oktober 2017 Klage erhoben (Au 5 K 17.1558). Ihrem am 25. Oktober 2017 gestellten Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. Dezember 2017 stattgegeben. Gegen die ihr am 11. Dezember 2017 zugestellte erstinstanzliche Entscheidung hat die Beigeladene am 20. Dezember 2017 Beschwerde eingelegt und diese mit einem am 10. Januar 2018 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet. Am 5. Februar 2018 hat die Landesanwaltschaft Bayern für den Beklagten eine Stellungnahme des Landratsamts Augsburg vom 30. Januar 2018 vorgelegt; ein Antrag wird seitens des Antragsgegners im Rechtsmittelverfahren nicht gestellt, der Antragsgegner ist allerdings der Ansicht, dass das Rechtsmittel begründet ist. Die Antragsteller haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Antrag der Nachbarn, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Baugenehmigung des Antragsgegners vom 19. September 2017 anzuordnen, ist unbegründet. Das Rechtsmittel in der Hauptsache ist voraussichtlich erfolglos, weil die Baugenehmigung keine subjektiv-öffentlichen Rechte der Antragsteller verletzt, die im präventiven bauaufsichtlichen Verfahren geprüft werden.
Den von ihnen behaupteten Verstoß der Baugenehmigung gegen Anforderungen, die sich hinsichtlich des unmittelbaren Grenzanbaus aus § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO in Verbindung mit dem am 7. April 1977 bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. 16 a der Stadt Gersthofen ergeben sollen, können die Antragsteller nicht mit Erfolg rügen (dazu 1.). Die Baugenehmigung ist aus der Sicht des Senats auch nicht rücksichtslos (siehe 2.).
1. Nach einer Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 24.02.2000 – 4 C 12/98 – BVerwGE 110, 355 = juris Ls 2 und Rn. 27; vgl. ferner OVG Rh-Pf, B.v. 28.2.2016 – 8 B 11203/15 – ZfBR 2016, 491 = juris Rn. 19) ist die Doppelhausfestsetzung in der offenen Bauweise gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO nachbarschützend. Dies ergibt sich aus dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses: Weil und soweit der einzelne Eigentümer gemeinsam mit anderen – benachbarten – Eigentümern in der Ausnutzung seines Grundstücks öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er grundsätzlich deren Beachtung auch im Verhältnis zu anderen Eigentümern verlangen. Das gilt unabhängig davon, ob der Plangeber einen Willen zur drittschützenden Wirkung ausdrücklich zu erkennen gegeben hat. Ein Nachbar kann sich jedoch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) dann nicht auf den Nachbarschutz aus der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten „Doppelhausrechtsprechung“ berufen, wenn er selbst in erheblichem Umfang aus dem diesbezüglichen wechselseitigen Austauschverhältnis ausgebrochen ist (zur vergleichbaren Einschränkung des Nachbarschutzes aus Art. 6 BayBO, wenn der Nachbar seinerseits den Anforderungen an das aktuelle Abstandsflächenrecht nicht genügt: BayVGH, B.v. 27.7.2017 – 1 CS 17.918 – juris Rn. 10 m.w.N.). Wer sich zur Abwehr eines Vorhabens auf dem Nachbargrundstück auf ein nachbarliches Austauschverhältnis beruft, muss – selbstverständlich – auch seinerseits den Anforderungen genügen, die sich daraus für sein eigenes Grundstück ergeben. Das ist bei den Antragstellern jedoch nicht der Fall.
Den Antragstellern wurde mit Bescheid vom 12. Mai 2016 die Beibehaltung eines im Grundriss seit den 1950´er Jahren vorhandenen, im Norden unmittelbar an ihr Haupt-Wohnhaus angebauten und zu dauernden Aufenthaltszwecken genutzten und so auch weiterhin nutzbaren eingeschossigen Gebäudes mit einem neu zu errichtenden Flachdach genehmigt (nachträgliche Genehmigung eines Grenzgebäudes, Az.: 2-478-2016-BA). Dessen geschlossene, 0,24 m breite und 12,96 m lange Ostwand steht komplett auf dem Baugrundstück der Beigeladenen, sie ist dort effektiv circa 3,40 m hoch. Dieses Gebäude ist im nördlichen Drittel teilunterkellert; es ist ganz überwiegend 4,40 m breit, verfügt über einen Außenkamin sowie einen abgeteilten WC-Raum mit einer angegebenen Nutzfläche von 4,67m². Das Gebäude befindet sich vollständig außerhalb der durch den Bebauungsplan Nr. 16 a festgesetzten Baugrenzen.
Angesichts dieser Sachlage scheidet eine in wechselseitig verträglicher Weise auf den Baubestand auf dem Antragstellergrundstück abgestimmte Ergänzung auf dem Baugrundstück von vorneherein aus. Die Antragsteller, die diese Fakten einseitig vorgegeben haben, können in Anbetracht ihres eigenen Ausbrechens aus dem von den Baugrenzen für zulässig erklärten bauplanungsrechtlichen Rahmen mit einem zu Wohnzwecken geeigneten, grenzständigen Gebäude von der Beigeladenen nicht fordern, dass diese mit ihrem Wohnhausneubau, der sich innerhalb der Baugrenzen befindet, darüber hinaus strikt die von der Doppelhausrechtsprechung für einen grenzständigen Anbau entwickelten besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt. Ein Vorhaben, das – wie hier – auf dem Baugrundstück innerhalb der Baugrenzen geplant wird, verfehlt im vorliegenden Fall zwangsläufig die besonderen Anforderungen, die die planerische Festsetzung der Doppelhausbauweise regelmäßig mit sich bringt. Ein aus § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO abgeleitetes Abwehrrecht scheidet aus. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts können die Antragsteller damit auch nicht geltend machen, das streitige Vorhaben sei ihnen gegenüber deshalb rücksichtslos, weil es – da der Rahmen wechselseitig verträglicher Abstimmung insgesamt verlassen worden sei – die infolgedessen bauordnungsrechtlich notwendig gewordenen seitlichen Grenzabstände nicht einhalte.
2. Jenseits dessen sind für den Senat keine individuellen Gesichtspunkte hervorgetreten, die das Vorhaben den Antragstellern gegenüber ausnahmsweise als rücksichtslos erscheinen lassen könnten (zum bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme erstmals ausführlich zusammenfassend: BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52, 122 = juris Ls 2 bis 4 und Rn. 21 ff.; zum Rücksichtnahmegebot im Zusammenhang mit der Erteilung einer Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB: BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – BayVBl 1999, 26 = juris Ls und Rn. 5, 6). Die Bewertung der noch übrig bleibenden Interessen der Antragsteller an der Verhinderung des konkreten Vorhabens einerseits und jener der Bauherrin an der Verwirklichung ihres geplanten Wohngebäudes andererseits hat zum Ergebnis, dass das Vorhaben den Antragstellern gegenüber zumutbar ist. Dafür sprechen folgende Überlegungen:
Das geplante Wohnhaus hält mit allen wesentlichen Teilen die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 16 a zur Lage von Hauptanlagen und dem Maß der baulichen Nutzung derselben ein. Sämtliche ausdrücklich erteilten Befreiungen betreffen im Übrigen nur Festsetzungen, die ihrerseits als nicht nachbarschützend zu qualifizieren sind. Die wegen der Überschreitung der östlichen Baugrenze mit einem 0,755 m tiefen und 4,87 m breiten „Erker“ – Vorbau im Erd- und Obergeschoss, hier hätte auch eine Anwendung von § 23 Abs. 2 Satz 2 BauNVO (oder § 13 der Satzung) in Betracht gezogen werden können, die entsprechende Außenwand ist 17,52 m lang – und für die Errichtung einer Tiefgarageneinhausung außerhalb der Baugrenzen erteilten Befreiungen von der Einhaltung der Baugrenzen berühren die Antragsteller darüber hinaus schon wegen ihrer Lage im Osten des Baugrundstücks nicht. Vergleichbares gilt für die Zulassung eines Dachaufbaus unter Befreiung von § 6 Nr. 3 der Satzung; die auf ihren Seiten geschlossene, bis zur Vorderkante des Dachs gezogene Gaube („Zwerchgiebel“) in der Dachgeschossebene beginnt erst in rund 9,70 m Entfernung von der seitlichen Grenze zum Grundstück der Antragsteller (vergleiche die Ansicht Süd auf der genehmigten Bauvorlage). Die Erlaubnis, den Bauraum mit zwei 1,50 m tiefen Balkonen auf der Südseite des Obergeschosses zu überschreiten, erweist sich den Nachbarn gegenüber auch nicht als rücksichtslos; nach Westen hin treten diese Bauteile nur mit der Schmalseite des grenznäheren Balkons in Erscheinung, dieser wiederum hält einen Abstand von knapp vier Meter von der Grenze zum Grundstück der Antragsteller ein.
Der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass der Umstand, dass in der Baugenehmigung vom 19. September 2017 von der Gestaltungsvorschrift des § 6 Nr. 1 des Bebauungsplans, wonach für die Hauptgebäude nur Satteldächer mit einer Neigung von 28 bis 33 Grad zulässig sind, nicht ausdrücklich befreit wurde, auf das Ergebnis keinen Einfluss hat. Hiervon betroffen ist der zweigeschossige Teil des Wohnhauses, der in 3,94 m Entfernung von der westlichen Grenze um 4,62 m nach Süden vorspringt und nach oben hin durch die der Wohnung im Dachgeschoss zugeordnete Dachterrasse abgeschlossen wird. Die Begründung zur Baugenehmigung hält diese Regelung nach ihrem Wortlaut schon gar nicht auf den vorliegenden Fall für anwendbar (a.a.O unter II. 1.1.2), da dieses „Flachdach“ auf einem Nebengebäude und untergeordneten Gebäudeteil errichtet werden solle. Das ist im Ergebnis richtig. Ausschlaggebend dürfte sein, dass den in § 6 des Bebauungsplans enthaltenen Gestaltungsvorschriften kein Verbot von Dachterrassen zu entnehmen ist. Eine in das Dach eingezogene Terrassenfläche („Negativgaube“) ist – da sie nicht als „Aufbau“ aus dem regelhaft vorgeschriebenen Satteldach heraustritt – fraglos zulässig. Ebenso wenig verbietet der Bebauungsplan beispielsweise die Anordnung einer dem Gesamterscheinungsbild untergeordneten Dachterrasse in seitlicher Verlängerung des sattelbedachten Teils eines Hauptgebäudes. Nach dem Gesagten hätte ein solches Verbot einer ausdrücklichen Erwähnung im Text der Satzung bedurft. In der vorliegenden Fallgestaltung kann nichts anderes gelten: der mit einem Satteldach versehene Teil des Wohnhauses misst im Grundriss unter Einschluss des ostseitigen Vorbaus 12,90 m x 14,75 m = 190,28 m², der „Terrassenteil“ ist 4,62 m x 10,05 m = 46,42 m² groß und, da er weniger als ein Viertel der größeren Fläche einnimmt, ohne weiteres als untergeordnet anzusehen.
Bei den gegebenen Größen- und Lageverhältnissen ist schließlich nicht zu erkennen, dass durch die Anordnung und Ausgestaltung des Neubaus einschließlich seiner Terrassen und Balkone Möglichkeiten für unzumutbare Einblicke in entsprechend schützenswerte Wohnraumbereiche auf dem Grundstück der Antragsteller geschaffen werden. Ein Anspruch darauf, vor Einblicken auf das eigene Grundstück oder eine Wohngebäude generell verschont zu bleiben, ist in dieser Allgemeinheit ohnedies nicht anzuerkennen (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2015 – 15 CS 14.2612 – BayVBl 2016, 598 = juris Rn. 15 m.w.N.). Ein entsprechendes Abwehrrecht kann nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Erwägung gezogen werden (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.2015 – 15 B 13.2414 – juris Rn. 24, 26: bauplanungsrechtliche Rahmensetzung durch zwingend vorgegebene eingeschossige Flachdachbauweise; B.v. 18.2.2008 – 1 CS 07.2192 – juris Rn. 35 bis 37: Einzelbaugenehmigung, die zugrunde liegende Konzeption – auch hier eingeschossige Flachdachbauweise – führte für einen Teil zu einem vor Einblicken völlig geschützten Bereich). Selbst für die auf der Dachgeschossebene des Vorhabens projektierte Terrasse ergeben sich in Richtung des in seitlicher Verlängerung stehenden Hauses der Antragsteller, das im Obergeschoss grenznah über eine die halbe Hausbreite einnehmende Loggia verfügt, nur derart spitze Blickwinkel, dass direkte Einblicke in die Tiefe der benachbarten Räume von vorneherein nicht möglich sind. Abgesehen davon, dass die teilweise vorgesetzte und erhöht errichtete Terrasse auf dem Grundstück der Antragsteller durch ein durchgängiges Glasdach mit einer darüber angebrachten („aufgeständerten“, vgl. Foto vom 19.10.2017) deutlich reflektierenden, weißen Folie (Solaranlage?) bedeckt ist, wodurch bereits ein wirksamer Schutz vor Einblicken gegeben ist, wäre eine weitere „architektonische Selbsthilfe“ gegen sonstige Einblicke in unmittelbarer Grenznähe auf ihrer Seite beispielsweise auch dadurch möglich, dass entsprechende Bepflanzungen vorgenommen werden.
3. Auch wenn es auf der Grundlage der hier vertretenen Meinung nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, sei ergänzt, dass Überwiegendes für die Richtigkeit der Auffassung des Antragsgegners spricht, wonach das Vorhaben im grenznahen Bereich auch bei einer allein auf das Haupthaus der Antragsteller zurückgeführten Bewertung die von der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an ein Doppelhaus gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 BauNVO erfüllen würde. Ein „wechselseitiges Austauschverhältnis“ ist – dem Grundgedanken dieser besonderen Form der Bauweise folgend – nur für den unmittelbar grenzständigen und zusätzlich einen gewissen, nicht abstrakt bestimmbaren grenznahen Bereich auf den benachbarten Baugrundstücken zu fordern. Hier dürfen die Abweichungen der aneinandergebauten Baukörper regelmäßig eine noch als „verträglich“ anzusehende Größenordnung nicht übersteigen. Solange sich aber ein Vorhaben in dem so abgesteckten Rahmen bewegt, kann ein Nachbar, auf dessen Grundstück zuerst eine „Hälfte“ errichtet wurde, die Genehmigung für die „zweite Hälfte“ nicht mit dem Argument erfolgreich abwehren, der Neubau stimme in grenzfernen Teilbereichen nicht hinlänglich mit den aus seinem Bestand angeblich auch dafür abzuleitenden Vorgaben überein, sei deswegen kein Doppelhaus und verletzte ihn aufgrund dessen in eigenen subjektiv-öffentlichen Rechten. Das muss jedenfalls gelten, wenn – wie hier – die aufgrund planerischer Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen die Bauräume auf den benachbarten Grundstücken sehr groß sind, sodass davon auszugehen ist, dass der kommunale Plangeber dem jeweiligen Eigentümer eine zunehmende Gestaltungsfreiheit im Sinne einer Lockerung von der Doppelhausbindung zuerkannt hat.
Alleine durch den Zusatz, dass in einem bestimmten Bereich nur Doppelhäuser zulässig sein sollen, können die übrigen Festsetzungen eines Bebauungsplans, die auf den benachbarten Grundstücken jeweils ein deutlich umfangreicheres Baurecht einräumen, nicht weitgehend leerlaufen. Dafür besteht weder ein Bedürfnis und erst recht fehlt die Berechtigung, die grundsätzlich gegebene Bebaubarkeit auf dem als zweites bebauten Grundstück derart umfangreich einzuschränken.
Der vorliegende Fall liefert ein plastisches Beispiel: Die Doppelhausbauweise ist zwingend vorgeschrieben. Die im Übrigen gleich großen Bauräume sind an der gemeinsamen Grenze (abgegriffen) 17 m tief. Das Haus der Antragsteller nutzt zwar mit seiner Breite von rund 13,50 m das Baufenster aus, bleibt in seiner Tiefe von nur circa 10 m aber deutlich hinter dem vom Bebauungsplan zugelassenen Maß zurück. Der Neubau soll an der Grenze 12,90 m tief werden, die Rückseiten der Häuser werden auf einer Linie verlaufen; die Differenz tritt daher allein auf der Vorderseite der Häuser in Erscheinung. Eine Abweichung in der Tiefe von hier deutlich weniger als einem Drittel bewegt sich – isoliert betrachtet – auch aus der Sicht des Senats ohne weiteres noch im Rahmen „wechselseitiger Verträglichkeit“. Auf der Ebene des Hochparterres des Wohnhauses der Antragsteller nutzt eine fest überdachte, rund 3,40 m hohe Terrasse, die bis an die Grenze reicht, den dort vorhandenen Bauraum auch in der Tiefe vollständig aus. Die straßenseitige Traufe des Neubaus ist knapp 0,30 m höher als jene auf dem Grundstück der Antragsteller; auf der Rückseite der Häuser ist der Unterschied wesentlich geringer, hier liegen die Traufen fast auf einer Höhe. Der First des mittig auf den Neubau gesetzten Satteldachs wird rund 1,20 m höher als der des Bestands auf dem Nachbargrundstück, die Neigungen der Dächer sind identisch. Nicht zuletzt die um 2,90 m größere Tiefe des Neubaus führt zu einem seitlichen Versatz dessen Firsts um rund 1,85 m. In einem Steifen von etwa dieser Breite überragt auch die freistehende Giebelfläche das Dach des Nachbarhauses. Alles in allem entsteht, wie der Antragsgegner bereits in der Begründung zur Baugenehmigung ermittelt hat (unter II. 2.2.2), an der gemeinsamen Grundstücksgrenze ein im Profil erkennbarer Größenunterschied von geringfügig weniger als 22 m²; im Verhältnis zur Fläche von knapp 90 m², die der Bestand auf dem Grundstück der Antragsteller an der Grenze aufweist, ist das weniger als ein Viertel. Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände liegt damit eine wechselseitig verträgliche Grenzbebauung vor.
Dieser Befund kann nicht etwa dadurch in Frage gestellt werden, dass die Pläne der Beigeladenen in einem Abstand von 3,94 m von der seitlichen Grundstücksgrenze einen zweigeschossigen Vorbau an dem unmittelbar grenzständigen Bauteil vorsehen. Die Ausnutzung des im Übrigen von den einschlägigen planungsrechtlichen Vorschriften, hier dem Bebauungsplan Nr. 16 a, gegebenen Rahmens durch die Bauherrin kann nicht alleine dadurch, dass auf dem Nachbargrundstück ein Gebäude vorhanden ist, das diese Vorgaben in einem fühlbaren Umfang unterschreitet, zur Gänze auf ein dementsprechendes Maß reduziert werden. Eine Betrachtung des gesamten Neubauvorhabens unter dem Blickwinkel vollständiger „Parallelität“ würde die Anforderungen an ein in Doppelhausbauweise zu errichtendes Vorhaben überspannen. Die Ausnutzbarkeit der an sich gegebenen baurechtlichen Möglichkeiten wäre je nach Lage der Dinge aus der Sicht des Bauwerbers beliebigen und von ihm nicht beeinflussbaren Zufälligkeiten ausgesetzt. Befindet sich auf dem Nachbargrundstück noch kein Gebäude, ist er in der Ausnutzung der gegebenen Möglichkeiten frei. Dasselbe gilt, wenn bereits ein ebenfalls den entsprechenden Rahmen ausschöpfendes benachbartes Bauwerk existiert. In den zwischen diesen Extremen liegenden Fällen wird vom Bauwerber grundsätzlich verlangt, dass er im Gegenzug zur Erlaubnis, sein Doppelhaus einseitig an die Grenze setzen zu dürfen, oder – wie hier – zu müssen, seine Planung in diesem Bereich wechselseitig verträglich abstimmt. Ein triftiger Grund für die Forderung, dass sich die Planung eines entsprechenden Vorhabens auch noch über denjenigen Abstand von der gemeinsamen Grenze, der die Anforderungen des Gebots der Rücksichtnahme sowie bauordnungsrechtlicher Abstandsvorschriften beachtet, hinaus mehr oder minder strikt an dem auf dem Nachbargrundstück Vorhandenen ausrichten muss, ist nicht ersichtlich. Wie gezeigt, wären dann häufig zahlreiche übrige planungsrechtliche Vorgaben gleichsam gegenstandslos, möglicherweise wesentlich weitergehendes Baurecht würde alleine durch die Bestimmung, dass nur Doppelhäuser zulässig sein sollen, praktisch wieder einkassiert. Diese Folge dürfte – in ihrer Absolutheit zu Ende gedacht – wohl auch kaum jemals dem Willen derer entsprechen, die Bauleitpläne mit derartigen Inhalten aufgestellt haben.
4. Die Antragsteller tragen als Unterlegene die Kosten des Verfahrens, § 154 Abs. 1 VwGO, einschließlich der Kosten der Beigeladenen, deren Rechtsmittel im Übrigen erfolgreich war, § 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO. Streitwert: § 47, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57), wie Verwaltungsgericht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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