Baurecht

Nachbarrechtsverstoß durch Unbestimmtheit eines Bauvorbescheides

Aktenzeichen  Au 4 K 16.816, Au 4 K 16.817, Au 4 K 16.818

Datum:
22.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 47 Abs. 2 S. 1, Art. 71
BayVwVfG BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Unbestimmtheit eines Vorbescheids ist nur dann nachbarrechtlich erheblich, wenn infolge des Mangels nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspricht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2016 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Das Gericht konnte die drei anhängigen Streitsachen zur gemeinsamen Entscheidung verbinden (§ 93 VwGO), da streitgegenständlich in allen Verfahren ist, ob die Kläger durch den Vorbescheid der Beklagten vom 2. Mai 2016, der einen Neubau eines katholischen Kinder- und Familienzentrums, den Ersatzneubau einer Kindertagesstätte sowie eines Gebäudes für soziale Einrichtungen, die Errichtung von Stellplätzen sowie die Anlage eines Fußweges betrifft, in sie schützenden Nachbarrechten verletzt sind.
Die Klagen sind zulässig und begründet.
Der streitgegenständliche Vorbescheid ist rechtswidrig und verletzt und die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Ein Rechtsanspruch auf Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung bzw. eines Vorbescheides steht einem Nachbar nicht schon dann zu, wenn der Bauvorbescheid bzw. die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr müssen durch den Rechtsverstoß zugleich nachbarliche Rechte verletzt werden. Das ist dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist, ihr mithin drittschützende Wirkung zukommt. Ein Bauvorbescheid bzw. eine Baugenehmigung ist demnach im Rahmen einer Anfechtungsklage des Nachbarn nur daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtschutz nachsuchenden Nachbarn dienen (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 -, NVwZ 1994, 686; OVG RP, B.v. 8.2.2012 – 8 B 1001/12. OVG -, BauR 2012, 931 f.).
Der streitgegenständliche Vorbescheid (Art. 71 BayBO) verstößt das Gebot inhaltlicher Bestimmtheit des Bauvorbescheids im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, weil derzeit nicht von vorherein ausgeschlossen werden kann, dass das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme (vgl. dazu BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 27 m.w.N.) durch einen möglichen Park- und Parksuchverkehr verletzt wird.
Aufgrund der Bindungswirkung, die ein Vorbescheid entfaltet, muss dieser hinreichend bestimmt sein. Diesem Erfordernis ist genügt, wenn die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und damit einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich ist. Bei einem Vorbescheid muss der Inhalt der vorgezogenen Zulässigkeitsprüfung vollständig, klar und eindeutig zum Ausdruck kommen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt allerdings nur vor, wenn eine Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft (BayVGH vom 18.9.2008 Az: 1 ZB 06.2294 – juris, m.w.N.). Die Unbestimmtheit eines Vorbescheids ist dabei nur dann nachbarrechtlich erheblich, wenn infolge des Mangels nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspricht (BayVGH vom 18.9.2008 a.a.O., m.w.N., vgl. VG München, U.v. 2.7.2012 – M 8 K 11.2932 -, juris Rn. 84).
Der durch ein Vorhaben verursachte und diesem zuzurechnende Fahrzeugverkehr bzw. die mit diesem verbundenen Auswirkungen auf die Nutzung eines Nachbargrundstücks können sich in zweierlei Hinsicht als rücksichtslos darstellen, zum einen im Hinblick auf die Lärmbelastung, zum anderen aber auch dann, wenn insbesondere mangels ausreichender Parkmöglichkeiten (im Bereich der öffentlichen Verkehrsflächen oder auf dem Vorhabensgrundstück) der hierdurch bewirkte Park- oder Parksuchverkehr in der Umgebung den Nachbarn unzumutbar beeinträchtigt oder wenn die bestimmungsgemäße Nutzung des Nachbargrundstücks nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.8.2009 – 1 CS 09.287 – juris Rn. 39 m.w.N.).
Die Kammer ist nach eingehender Prüfung der vorgelegten Plan- und Antragsunterlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass ein derartiger, möglicherweise unzumutbarer Park- und Parksucherverkehr nicht ausgeschlossen werden kann und der Vorbescheid insofern – derzeit – unbestimmt ist. Die Antragsunterlagen, die Betriebsbeschreibung und die vorgelegte Stellplatzberechnung erwähnen eine Überbauung der im Eigentum der Beklagten stehenden Fläche mit der Fl.Nr. * nicht. Blickt man hingegen auf die vorgelegte Planzeichnung (Anlage B4), stellt man fest, dass sich im beginnenden Bereich des Wendehammers in der *straße mindestens sechs Stellplätze teilweise auf dem Grundstück Fl.Nr. * befinden sollen -anders, als noch in der Klageerwiderung der Beigeladenen behauptet. Damit liegt ein Widerspruch zwischen Planzeichnung und Antragsunterlagen vor. Die vorläufige Stellplatzberechnung in der Betriebsbeschreibung – die insoweit mittelbar auf das im Vorbescheid im Hinblick auf die Verkehrsentwicklung geprüfte Gebot der Rücksichtnahme wirkt und wegen eines abschließenden Prüfungsvorbehalts derzeit noch nicht mathematisch zwingend und damit bindend die Zahl der Stellplätze für die spätere Baugenehmigung vorwegnimmt – geht nach den genehmigten Bauunterlagen derzeit von einem Gesamtstellplatzbedarf von 20 Stellplätzen für das Vorhaben aus. Zusätzlich sollen noch vier weitere Stellplätze errichtet werden. Zwar wären die Vorgaben sowohl des Art. 47 Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. § 20 und Nr. 1.2, 8.5 der Anlage zur Garagen- und Stellplatzverordnung (GaStellV) bzw. solche nach der Stellplatzverordnung der Beklagten damit (über-)erfüllt. Dies gilt jedoch dann nicht mehr, wenn sechs Stellplätze aufgrund der derzeit nach Aktenlage nicht beantragten und damit nicht genehmigten teilweisen Überbauung der Fläche Fl.Nr. * wegfallen.
Dieser Widerspruch zwischen Planzeichnung und Antragsunterlagen wirkt sich in der Folge auf den erteilten Vorbescheid aus, der die Überbauung der Fläche mit der Fl.Nr. * nicht erwähnt. Damit ist derzeit aus nachbarrechtlicher Sicht nicht hinreichend klar, ob einige Stellplätze diese Teilfläche tatsächlich in Anspruch nehmen können und damit die Erfüllung der mit der beantragten Nutzung des Sozialzentrums ausgelösten Stellplatznachweispflicht, unabhängig von der letztlich nötigen Anzahl der Stellplätze, möglich ist.
Nicht durchdringen kann der Einwand des Bevollmächtigten der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung, dass die Rechtsnatur des Vorbescheides nicht zu einer abschließenden Bewertung der Stellplatzfrage führe, sondern diese einem nachgelagerten Baugenehmigungsverfahren vorbehalten bleibe. Dies mag im Grunde zwar zutreffen. Jedoch bestehen aufgrund der geplanten, aber nicht genehmigten Lage der Stellplätze Auswirkungen auf das im Bescheid geprüfte Gebot der Rücksichtnahme. Dieser Punkt ist unabhängig von der im späteren Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Zahl der Stellplätze zu sehen, weil der Vorbescheid selbst auch in seinen Gründen auf eine noch abschließend vorzunehmende Berechnung der erforderlichen Stellplatzanzahl abstellt (S.7 des Bescheides), wenn die Größe der Räumlichkeiten genauer bekannt ist. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass der Vorbescheid vorweg und bindend für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren Entscheidungen trifft (vgl. nur Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand August 2016, Art. 71 Rn. 21 m.w.N.). Der Vorbescheid setzt sich nämlich in seiner Begründung mit der Frage des Verkehrsaufkommens (S.4 des Bescheides) und ausreichenden Parkmöglichkeiten (S. 5 des Bescheides) auseinander. So formuliert er etwa auf S. 5: „Das zu erwartende relativ hohe Verkehrsaufkommen morgens (wohl in etwas geringerem Umfang mittags) ist an sich für ein allgemeines Wohngebiet nicht typisch, wäre aber hinnehmbar, da es sich ohne Probleme bewältigen lässt, da insbesondere ausreichende Parkmöglichkeiten geschaffen werden müssen, damit es beim An- und Abfahrtsverkehr nicht zu Behinderungen anderer Verkehrsteilnehmer kommen kann.“ Würde der Vorbescheid nicht aufgehoben werden, bestünde die Gefahr, dass der Bescheid ohne die Fl.Nr. * getreu der Rechtsnatur des Vorbescheids als bindend -auch und gerade bezüglich des im Vorbescheid geprüften Gebotes der Rücksichtnahme – erachtet würde.
Der Einwand, die Beklagte habe dem Vorhaben so bereits zugestimmt, muss ebenfalls zurückgewiesen werden. Sie hat sich zwar mit der grundsätzlichen Lösung über einen vergrößerten Wendehammer an sich und verschiedenen Parkplatzbereichen auseinandergesetzt. Das Vorbescheidsverfahren kann dabei aber keinen laut Planzeichnung nötigen Beschluss der kommunalen Straßenbaubehörde zum Entwidmungsverfahren für die Fläche Fl.Nr. * ersetzen, das wiederum eigene Beschlüsse bzw. Verwaltungsakte der Beklagten notwendig macht sowie Rechtsbehelfe für die Straßenanlieger kennt. Im Stadtrat istwie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, noch nicht entschieden worden, ob öffentlicher Grund hinsichtlich der Fl.Nr. * für Parkplätze zur Verfügung gestellt wird.
Da der Bescheid insoweit unbestimmt ist und ein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme bezüglich der Beurteilung des Park- und Parksuchverkehrs nicht ausgeschlossen werden kann, war der Vorbescheid schon aus diesem Grunde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben. Damit kam es auf die Prüfung weiterer drittschützender Vorschriften nicht mehr an. Da sich die Beigeladene mangels eigener Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, trägt sie ihre außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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