Baurecht

Nachbarrechtsverstoß wegen Unvollständigkeit der Bauvorlagen

Aktenzeichen  M 8 SN 16.4985

Datum:
7.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 102935
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5
BauGB § 9 Abs. 1
BayBO Art. 6
BayBO Art. 59
BayBO Art. 63 Abs. 1
BayBO Art. 64
BauVorlV § 1, 7

 

Leitsatz

Ein Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht; die Baugenehmigung ist aber dann aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, Beschl. v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der am … September 2016 erhobenen Klage (M 8 K 16.4101) gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 3. August 2016 (Az.: …) für den Neubau eines Wohngebäudes (272 Wohneinheiten) mit Tiefgarage (179 Stellplätze) in der …-Straße auf den Grundstücken Fl.Nr. 430/1, 445/4, 446/10, 452/17, 453/1 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft nach dem Wohnungseigentumsgesetz und begehrt mit ihrer in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage (M 8 K 16.4101) die Aufhebung der der Beigeladenen am 3. August 2016 erteilten Baugenehmigung mit dem Aktenzeichen … für den Neubau eines Wohngebäudes mit 272 Wohneinheiten und einer Tiefgarage mit insgesamt 179 Stellplätzen.
Das Grundstück der Antragstellerin …-Straße …, Fl.Nr. 446/8, liegt westlich der geplanten Wohnanlage und grenzt mit seiner Ostseite unmittelbar an die Vorhabengrundstücke Fl.Nr. 430/1, 445/4, 446/10, 452/17, 453/1 an. Das Grundstück der Antragstellerin ist mit einem Gebäudekomplex bebaut, der aus elf aneinander gebauten, vier- bis sechsgeschossigen Wohnhäusern besteht, die um einen begrünten Innenhof angeordnet sind. Im Nordwesten grenzt das Grundstück der Antragstellerin an die …-Straße, die in diesem Bereich in einer Sackgasse endet. In Verlängerung der …-Straße führt ein 4 m breiter Fußgängerweg in Richtung Osten zu dem Vorhabengrundstück Fl.Nr. 452/17. Westlich des Grundstücks der Antragstellerin befindet sich ein weiteres Grundstück, das mit einer sechsgeschossigen Wohnanlage bebaut ist. Im Süden grenzt das Grundstück der Antragstellerin an eine große unbebaute Fläche – „… Feld“ – an.
Die sechsgeschossigen, 17,02 m (vermasst) hohen Gebäude der Antragstellerin Nr. 26 bis 32 liegen auf einer Länge von ca. 87 m direkt gegenüber der östlichen Grundstücksgrenze und halten einen Abstand von ca. 17,5 bis 18 m zu dieser ein. Das Gebäude Nr. … knickt nach Süden ab und schließt sich unmittelbar an das viergeschossige Eckgebäude Nr. … an. An dieses Eckgebäude schließen sich im Westen drei weitere viergeschossige Gebäude Nr. … bis … an, die parallel zur südlichen Grundstücksgrenze situiert sind. Daran anschließend befinden sich Gebäude Nr. … und …, die ebenfalls über vier Geschosse verfügen und sich von Norden nach Süden orientieren.
Das Grundstück der Antragstellerin liegt im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans Nr. 57ci.
Die Vorhabengrundstücke Fl.Nr. 430/1, 445/4, 446/10, 452/17, 453/1 sowie die nördlich liegenden Grundstücke Fl.Nr. 456/18 und 456/19 sind unbebaut und bilden ein ca. 4 ha großes Areal, das im Nordosten von der …-Straße, im Norden durch die …-Allee, im Westen durch das mit Wohngebäuden bebaute Bebauungsplangebiet des Bebauungsplans Nr. 57ci und im Süden durch landwirtschaftliche Flächen begrenzt ist.
(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht)
Das Areal liegt im Geltungsbereich des seit dem 31. März 2013 rechtskräftigen qualifizierten Bebauungsplans mir Grünordnung Nr. 57cl (1. Teilbereich). Der Bebauungsplan setzt für den Bereich östlich des Grundstücks der Antragstellerin als Art der baulichen Nutzung zwei allgemeine Wohngebiete (WA 1 und WA 2) fest. Innerhalb des Areals sind durch Festsetzung der Baulinien und Baugrenzen zwei Bauräume festgesetzt, durch die die Errichtung eines gebogenen, hufeisenförmigen Baukörpers im südlichen und eines schlangen – bzw. wellenartigen Baukörpers im nördlichen Bereich ermöglicht wird. Als Maß der baulichen Nutzung sind für die südliche Bebauung sechs Vollgeschosse als Höchstmaß, eine maximale Geschossfläche von 17.500 m² sowie eine maximale Grundfläche von 8.800 m² festgesetzt. Um die festgesetzten Bauräume herum ist eine öffentliche Grünfläche festgesetzt.
Nach § 6 Abs. 1 der Satzung – „Höhenentwicklung und Abstandsflächen“ – beziehen sich in den Allgemeinen Wohngebieten WA 1 und WA 2 die Höhenangaben für Baukörper und Freiflächen auf die im Bebauungsplan festgesetzten Höhenbezugspunkte. § 6 Abs. 2 legt fest, dass das Erdgeschossniveau um 1,0 m gegenüber dem im jeweiligen Bauraum festgesetzten Höhenbezugspunkt angehoben werden muss. Weitere Bestimmungen hinsichtlich der Abstandsflächen in den festgesetzten Allgemeinen Wohngebieten enthält der Bebauungsplan nicht.
Am 20. Juli 2015 reichte die Beigeladene bei der Antragsgegnerin die erforderlichen Unterlagen zur Durchführung eines Genehmigungsfreistellungsverfahrens für den Neubau eines sechsgeschossigen Mehrfamilienhauses – entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 57cl – ein. Mit Schreiben vom 30. September 2015 übersandte die Antragsgegnerin die nicht mehr benötigten Bauunterlagen an die Beigeladene zurück und teilte dieser mit, dass ein Baubeginn nach einer positiven Bestätigung der Prüfung des Brandschutzes zulässig sei. Am selben Tag erließ die Antragsgegnerin gegenüber der Beigeladenen einen Bescheid, mit dem u.a. die Bauausführung hinsichtlich der Brandschutzanforderungen freigegeben wurde.
Mit Bauantrag vom 8. April 2016 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Wohngebäudes mit 272 Wohneinheiten und einer Tiefgarage mit 179 Stellplätzen nach Plan-Nr. … in dem festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet WA 2. Geplant ist die Errichtung eines achtgeschossigen Gebäudekomplexes mit Tiefgarage, bestehend aus neun Mehrfamilienhäusern. Der Gebäudekomplex soll innerhalb des für das Allgemeine Wohngebiet WA 2 festgesetzten Bauraums errichtet werden und seine gebogene Form aufnehmen, wobei die Grundstücksgrenzen der Vorhabengrundstücke teilweise quer durch den geplanten Baukörper verlaufen sollen.
Der nordwestliche, dem Grundstück der Antragstellerin direkt gegenüber liegende, auf der Baulinie situierte Gebäudeteil ist sechsgeschossig mit einer Wandhöhe von 18 m (vermasst) und einer Breite von 13,145 m (vermasst). Die Wandhöhe des achtgeschossigen Gebäudeteils im nordwestlichen Bereich liegt bei 23,7 m (vermasst). Der Abstand der auf der nordwestlichen Baulinie situierten Außenwand zu der gemeinsamen Grundstücksgrenze mit der Antragstellerin beträgt ca. 13 m (abgegriffen aus dem Lageplan). Der achtgeschossige Gebäudeteil hat in diesem Bereich einen Grenzabstand von ca. 19 m bzw. 21,5 m (jeweils abgegriffen aus dem Lageplan).
Mit Bescheid vom 3. August 2016 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die begehrte Baugenehmigung für den Neubau einer Wohnanlage im Allgemeinen Wohngebiet WA 2. Mit einem weiteren Bescheid vom 3. August 2016 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine Änderungsgenehmigung zu der Erstgenehmigung vom 16. Oktober 2015 für den Neubau einer Wohnanlage in dem nördlichen Allgemeinen Wohngebiet WA 1. Beide Bescheide wurden im Amtsblatt der Antragsgegnerin am 19. August 2016 öffentlich bekannt gemacht.
Der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid enthält auf Seite 7 zahlreiche Ausnahmen und Befreiungen von den Vorschriften des Baugesetzbuches und der Bayerischen Bauordnung. Unter Ziffer 3 wurde insbesondere eine Abweichung wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen zwischen den sich gegenüber liegenden Gebäuden in den Allgemeinen Wohngebieten WA 1 und WA 2 erteilt. Die Abstandsflächen beider Gebäude überlagerten sich in einem kleinen Teilbereich von 39,3 m². Dies sei durch die amorphe, atypische Form der Gebäude bedingt. Die Abweichung werde erteilt, weil der Abstand zwischen den Gebäuden mit mindestens 43 m ausreichend sei, um die natürliche Belichtung und Belüftung sicherzustellen.
Ferner enthält Ziffer 4 des Bescheids eine Abweichung von Art. 6 BayBO wegen Überschreitung der Mitte der im Bebauungsplan Nr. 57cl festgesetzten öffentlichen Grünfläche. Zur Begründung der Abweichungsentscheidung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Abstandsflächen des Gebäudes – bedingt durch die Aufstockung um zwei Geschosse – dreiseitig über die Mitte der Grünfläche im Süden mit einer Fläche von 438,30 m², im Westen mit einer Fläche von 17,50 m² und im Norden mit 212,85 m² fielen. Die Abweichung werde erteilt, weil die Flächen im Verhältnis zu der Fläche der Grünfläche geringfügig seien und diese hierdurch nicht erheblich verschattet werde. Mit der Nachverdichtung durch Aufstockung werde ein Beitrag zur Realisierung von dringend benötigten, geförderten Wohnungsbau ermöglicht, der im öffentlichen Interesse liege.
Unter Ziffern 6 und 7 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB wegen Überschreitung der in dem Bebauungsplan für WA 2 festgesetzten Geschossfläche und maximalen Geschosszahl von sechs auf acht Geschosse. Die Befreiungen wurden im Wesentlichen damit begründet, dass mit der Nachverdichtung durch die Aufstockung ein Beitrag zur Realisierung von dringend benötigtem, gefördertem Wohnungsbau möglich werde und dies im öffentlichen Interesse stehe. Zudem werde dem Gebot eines schonenden Umgangs mit Grund und Boden Rechnung getragen, weil keine zusätzliche Bodenversiegelung erfolge. Nachbarschützende Belange über das im Bebauungsplan bereits abgewogene Maß hinaus seien nicht verletzt.
Gegen den Genehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 3. August 2016 für den Neubau einer Wohnanlage in dem Allgemeinen Wohngebiet WA 2 (Az.: …) hat die Antragstellerin mit dem am … September 2016 beim Gericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag Klage erheben lassen (M 8 K 16.4101).
Mit Schriftsatz vom … November 2016 stellten die Bevollmächtigten der Antragstellerin den Antrag,
Die aufschiebende Wirkung der am … September 2016 gegen den Baugenehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 3. August 2016, Az.: …, erhobenen Klage (M 8 K 16.4101) wird angeordnet.
Zur Begründung des Antrages führten die Bevollmächtigten der Antragstellerin unter ausführlicher Darstellung des Sachverhalts im Wesentlichen aus, dass das streitgegenständliche Vorhaben in grober Weise gegen die Grundzüge der Planung des Bebauungsplans Nr. 57cl verstoße. Des Weiteren erläuterten die Bevollmächtigten der Antragstellerin ausführlich, welche Festsetzungen des Bebauungsplanes aus ihrer Sicht zu den Grundzügen der Planung zählten und weshalb das streitgegenständliche Vorhaben gegen diese Grundzüge verstoße.
Die Antragstellerin machte ferner geltend, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor und insbesondere seien auch keine Gründe des Wohls der Allgemeinheit für eine Befreiung ersichtlich. Die Abweichungen seien nicht städtebaulich vertretbar bzw. die Durchführung des Bebauungsplans führe nicht zu einer offenbar unbeabsichtigten Härte.
Bei der Erteilung der Befreiungen seien die nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die gewährten Befreiungen seien zu unbestimmt und nicht hinreichend begründet. Es liege mithin ein Ermessensdefizit vor. Es hätte berücksichtigt werden müssen, dass die Aufstockung zu einer Verschlechterung der Sichtachsen und insbesondere zu negativen Auswirkungen im Rahmen der Belichtung und Belüftung führe. Durch die zusätzlichen Geschosse sei keine profilgleiche Gebäudestruktur mehr vorhanden, sondern es würden zusätzlich die Einblickmöglichkeiten auf die Dachterrassen und die darunterliegenden Wohnungen geschaffen. Schließlich sei auch die verkehrliche Erschließung problematisch und wirke sich hier nachbarschützend aus. Es sei zu erwarten, dass die Anwohner mit einem erheblichen Parksuchverkehr belastet würden, nachdem auf der Hauptstraße keine Parkmöglichkeit bestehe und aufgrund des angelegten Fußnetzes die schnellste Verbindung zwischen der …-Straße und dem geplanten Wohnkomplex bestehe.
Des Weiteren rügten die Bevollmächtigten der Antragstellerin einen Verstoß gegen § 17 Abs. 1, 2 BauNVO und setzten sich unter Heranziehung der amtlichen Begründung der Bundesregierung zu der Baunutzungsverordnung (BauNVO) und der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes detailliert mit den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 und 2 BauNVO sowie mit der Bedeutung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift für die Nachbarinteressen auseinander.
Ferner legten die Bevollmächtigten der Antragstellerin ausführlich dar, aus welchen Gesichtspunkten sich aus ihrer Sicht eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch das streitgegenständliche Vorhaben gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin ergebe. Sie erläuterten detailliert und unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung und Kommentarliteratur, aus welchen Gründen die ihrerseits gerügten Verstöße im vorliegenden Einzelfall drittschützenden Rechte der Antragstellerin verletzten. Aufgrund des zügigen Baufortschritts liege auch die notwendige Dringlichkeit und Eilbedürftigkeit für eine Entscheidung im Eilverfahren vor.
Mit Schriftsatz vom 24. November 2016 erwiderten die Bevollmächtigten der Beigeladenen und stellten den Antrag,
die in der Antragsschrift vom … November 2016 gestellten Anträge werden abgelehnt.
Zur Begründung des Abweisungsantrags führten sie zunächst aus, dass ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin nicht gegeben sei. Der derzeitige Baufortschritt begründe als solcher kein Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, denn sie wende sich nicht gegen die Errichtung der Wohnbebauung aufgrund der (bestandskräftigen) Baugenehmigungen, sondern gegen die Aufstockung von sechs auf acht Geschosse.
Ferner stellten die Bevollmächtigen der Beigeladenen ausführlich dar, welche Planungsziele der Antragsgegnerin im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 57cl aus Sicht der Beigeladenen zu den tragenden gehörten. Die Festschreibung einer sechsgeschossigen Bebauung gehöre jedenfalls nicht zum planerischen Konzept der Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin habe sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch mit den Nachbarbelangen auseinander gesetzt, wie der Beschlussvorschlag des Referats für Stadtplanung und Bauordnung der Antragsgegnerin zeige.
Ferner beeinträchtige das streitgegenständliche Vorhaben nicht die Belichtung und Belüftung des Grundstücks der Antragstellerin.
Des Weiteren nahmen die Bevollmächtigten der Beigeladenen ausführlich Stellung zu der seitens der Antragstellerin ins Licht geführten Verkehrs- und Parkplatzproblematik und legten im Einzelnen dar, weshalb sich aus Sicht der Beigeladenen hieraus für die Antragstellerin keine unzumutbare Belastung ergebe.
Unter ausführlicher Darstellung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB wurde seitens der Beigeladenen ferner ausgeführt, dass die erteilten Befreiungen rechtmäßig seien und keine Rechte der Antragstellerin verletzten.
Es handele sich bei den Befreiungen von der festgesetzten Zahl der Vollgeschosse und von der maximal zulässigen Geschossfläche um Befreiungen von nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 57cl.
Weiter führten die Bevollmächtigten der Beigeladenen im Einzelnen aus, weshalb aus ihrer Sicht das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme vorliegend nicht verletzt sei. Das Vorhaben habe keine abriegelnde oder erdrückende Wirkung. Insbesondere spreche bereits die Anordnung der Baukörper gegen eine Riegelwirkung des Vorhabens.
Ferner verletze auch die Überschreitung der Obergrenze des § 17 Abs. 1 BauNVO keine drittschützenden Rechte der Antragstellerin.
Bei der gegebenen Sachlage könne die Antragstellerin weder aus der Anzahl der im Rahmen des Bauvorhabens geplanten Stellplätze, noch aus der behaupteten aktuellen Stellplatzsituation vor Ort einen Drittschutz ableiten.
Im Übrigen würde das Vollzugsinteresse der Beigeladenen und Antragsgegnerin nicht hinter Aussetzungsinteresse der Antragstellerin zurücktreten. Insbesondere sei der Baufortschritt für sich genommen allein nicht geeignet, ein überwiegendes Aussetzungsinteresse zu begründen. Hinzu komme, dass mit einer Fertigstellung der Gebäude über das sechste Stockwerk hinaus und einer Nutzungsaufnahme bis zum dritten Quartal 2018 nicht zu rechnen sei. Demgegenüber sei zu berücksichtigen, dass im Falle eines Baustopps der Beigeladenen erhebliche finanzielle Nachteile drohten. Ebenso entstünden Mietausfälle für die in dem 7. und 8. Obergeschossen liegenden Wohnungen, wenn der Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten wäre, bevor die Beigeladene von den Baugenehmigungen Gebrauch machen könne.
Mit Schreiben vom 22. November 2016 erwiderte die Antragsgegnerin und beantragte den Antrag abzuweisen.
Die erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 57cl verletzten die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Gründe, die für einen unmittelbaren oder nach dem Willen des Plangebers ableitbaren Drittschutz der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung sprechen würden, seien nicht ersichtlich.
Die Vorschrift des § 17 BauNVO habe keinen drittschützenden Charakter, ebenso wie die Festsetzungen der Zahl der Vollgeschosse und der Gebäudehöhe.
Es sei ferner von entscheidender Bedeutung, dass das Grundstück der Antragstellerin nicht im Bebauungsplangebiet des angegriffenen Bauvorhabens (Bebauungsplan Nr. 57cl), sondern in einem eigenständigen Bebauungsplangebiet (Bebauungsplan Nr. 57ci) liege. Dies stehe der Annahme eines unmittelbaren Drittschutzes zusätzlich entgegen.
Des Weiteren erläuterte die Antragsgegnerin unter Heranziehung der Begründung des Bebauungsplans Nr. 57cl, weshalb den oben dargestellten Bebauungsplanfestsetzungen aus ihrer Sicht nach dem Willen des Plangebers der drittschützende Charakter fehle und sich auch aus dem Umfang der erteilten Befreiungen kein Drittschutz ableiten lasse.
Ferner stellte die Antragsgegnerin anhand der einschlägigen Rechtsprechung zu dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme dar, weshalb das streitgegenständliche Bauvorhaben gegenüber dem Anwesen der Antragstellerin nicht rücksichtslos sei.
Schließlich nahm die Antragsgegnerin zu der Problematik des seitens der Antragstellerin gerügten Park- und Suchverkehrs sowie hinsichtlich der – aus Sicht der Antragsgegnerin gegebenen – Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB Stellung. Insbesondere führte sie detailliert aus, aus welchen Gründen aus ihrer Sicht keine Grundzüge der Planung durch die erteilten Befreiungen berührt seien.
Hinsichtlich des Aussetzungsinteresses der Antragstellerin führte die Antragsgegnerin aus, dass das Aussetzungsinteresse vorliegend bereits mangels Eilbedürftigkeit entfalle. Die Beigeladene habe bestandskräftige Baugenehmigungen für zwei sechsgeschossige Gebäude, die sie umsetzen könne. In der vorliegenden Konstellation könnte sich eine Aussetzung daher nur auf die in der streitgegenständlichen Baugenehmigung enthaltene und insoweit strittige und teilbare Aufstockung auf 8 Geschosse beziehen. Da deren Verwirklichung nicht unmittelbar bevorstehe, entfalle bereits der Bedarf der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2016 nahmen die Bevollmächtigten der Antragstellerin zu den Schriftsätzen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin Stellung und gingen im Einzelnen auf die seitens der Beigeladenen vorgetragenen Punkte – insbesondere betreffend die Grundzüge der Planung, die Belichtungssituation sowie den Prüfumfang des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO – ein. Des Weiteren vertieften und ergänzten sie ihre Ausführungen hinsichtlich der Stellplatzproblematik und des Rücksichtnahmegebots.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 äußerten sich die Bevollmächtigten der Beigeladenen zu dem Vorbringen der Antragstellerin in dem Schriftsatz vom … Dezember 2016 und vertieften unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ihre bisherigen Ausführungen hinsichtlich der Verschattungsproblematik, der Parkplatzsituation sowie des Gebots der Rücksichtnahme.
Mit Schreiben vom … Januar 2017 nahmen die Bevollmächtigten der Antragstellerin Stellung zu dem Schriftsatz der Beigeladenen vom 22. Dezember 2016 und insbesondere zu der dort ins Licht geführten Problematik einer Verschlechterung der Belichtungsverhältnisse auf dem Grundstück der Antragstellerin.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage hat auch in der Sache Erfolg, da die angefochtene Baugenehmigung vom 3. August 2016 (Az.: …) bei summarischer Prüfung rechtwidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Der Zulässigkeit des Antrages steht insbesondere der Umstand nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin im Rahmen des Genehmigungsfreistellungsverfahrens am 30. September 2015 die Bauausführung des sechsgeschossigen Gebäudekomplexes auf den Vorhabengrundstücken freigegeben hat, der insbesondere im Hinblick auf die geplante Situierung und die Zahl der Stellplätze mit dem hier streitgegenständlichen Vorhaben identisch ist. Die Antragstellerin wendet sich vorliegend gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 3. August 2016, die ein einheitliches Gesamtvorhaben erfasst und nicht gegen eine bloße „Aufstockung“ des sechsgeschossigen Gebäudes auf acht Geschosse. Dieses Gesamtvorhaben kann – entgegen der Ansicht der Beigeladenen und der Antragsgegnerin – nicht auf einen sechsgeschossigen und einen achtgeschossigen Teil zerlegt werden. Bei dem mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung genehmigten achtgeschossigen Mehrfamilienhaus handelt es sich um ein selbständiges, genehmigungspflichtiges Vorhaben und nicht um eine „Ergänzung“ oder Aufstockung des im Genehmigungsfreistellungsverfahren zur Bauausführung freigegebenen sechsgeschossigen Gebäudes. Allein die Tatsache, dass für beide Vorhaben unterschiedliche Verfahrensarten durchzuführen waren, zeigt, dass sie unabhängig voneinander behandelt werden müssen.
Die Beigeladene hat auf die ihr am 3. August 2016 erteilte Baugenehmigung nicht verzichtet und kann das hier streitgegenständliche Bauvorhaben jederzeit realisieren bzw. hat bereits mit dessen Realisierung begonnen. Allein die Tatsache, dass das genehmigte und freigestellte Vorhaben baulich bis auf zwei zusätzliche Obergeschosse weitgehend identisch sind, sodass eine Realisierung des sechsgeschossigen Gebäudes nach wie vor möglich wäre, lässt das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin nicht entfallen. Anhaltspunkte für einen fehlenden Umsetzungswillen der Beigeladenen hinsichtlich der streitgegenständlichen Baugenehmigung sind nicht ersichtlich.
2. Der Antrag hat nach summarischer Prüfung auch in der Sache Erfolg.
Nach § 212 a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, § 80 Rn. 146; Schmidt in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 71). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Schmidt a.a.O., § 80 Rn. 73 f.).
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 3. August 2016 rechtwidrig ist und drittschützende Rechte der Antragstellerin verletzt. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt gegen das Abstandsflächenrecht der Bayerischen Bauordnung und verletzt die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten.
2.1 Zwar wurde die streitgegenständliche Baugenehmigung in einem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilt, sodass sich der Prüfumfang des Baugenehmigungsverfahrens und damit die Feststellungswirkung der Baugenehmigung grundsätzlich auf die im vereinfachten Verfahren zu prüfenden Vorschriften beschränkt. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den bauplanungsrechtlichen Vorschriften (Nr. 1), die beantragten Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 und 2 Satz 2 BayBO (Nr. 2) sowie die Übereinstimmung des Vorhabens mit anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen, soweit eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften wegen der Baugenehmigung entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung enthält auf Seiten 7 und 8 unter den Ziffern 3 und 4 Abweichungen wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO. Unter Ziffer 3 hat die Antragsgegnerin eine Abweichung wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen zwischen den sich gegenüber liegenden Gebäuden in den Allgemeinen Wohngebieten WA 1 und WA 2 erteilt. Diese Abweichung erfasst damit die nördliche Außenwand des streitgegenständlichen Gebäudes, die der südlichen Außenwand des benachbarten Vorhabens in dem festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet WA 1 gegenüber liegt. Die unter Ziffer 4 erteilte Abweichung von Art. 6 Abs. 2 BayBO wegen Überschreitung der Mitte der festgesetzten öffentlichen Grünfläche auf drei Seiten des Gebäudes erfasst auch die dem Grundstück der Antragstellerin zugewandten, westlichen Außenwände des Vorhabengebäudes. Da durch die ereilte Abweichung auch die dem Grundstück der Antragstellerin zugewandte Gebäudeseiten betroffen sind, ist sie durch die erteilte Abweichung unmittelbar betroffen. Daher sind die Abstandsflächen zumindest insoweit im Prüfprogramm der angefochtenen Baugenehmigung enthalten.
2.2 Nach summarischer Prüfung verstößt das Bauvorhaben gegen das Abstandsflächenrecht. Die unter Ziffer 4 erteilte Abweichung ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, wobei sich die Rechtswidrigkeit der Abweichung aus mehreren rechtlichen Gesichtspunkten ergibt.
Rechtlich bedenklich ist bereits die Tatsache, dass die unter Ziffer 4 der streitgegenständlichen Baugenehmigung erteilte Abweichung eine einheitliche Regelung für drei unterschiedliche Gebäudeseiten trifft. Dies ist insoweit problematisch, als dieser Abweichung eine einheitliche Abwägungsentscheidung auch im Hinblick auf eventuell betroffene Nachbarinteressen zugrunde liegt, obwohl diese Entscheidung je nach Lage der einzelnen Gebäudeseiten unterschiedlich ausfallen kann. Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 BayBO sind gesondert für jede Außenwand zu beantragen, zu prüfen und gegebenenfalls zu erteilen (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2000 – Gr.S. 1/1999 – 14 B 97.2901 – juris). Bereits aus diesem Grund erweist sich die unter Ziffer 4 erteilte Abweichung, die auch die dem Anwesen der Antragstellerin gegenüberliegende Außenwand betrifft, als rechtswidrig und verletzt drittschützende Rechte der Antragstellerin.
2.3 Des Weiteren ist die Antragsgegnerin bei der Erteilung der Abweichung wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen (Ziffer 4) offensichtlich davon ausgegangen, dass ein Abstandsflächenverstoß im vorliegenden Fall darin besteht, dass die Mitte der durch den Bebauungsplan Nr. 57cl festgesetzten öffentlichen Grünfläche auf drei Seiten des Vorhabengebäudes überschritten wird. Tatsächlich liegt hier eine Abstandsflächenüberschreitung zum Grundstück der Antragstellerin hin vor. Die nordwestliche, dem Grundstück der Antragstellerin gegenüber liegende Außenwand des sechsgeschossigen, auf der Baulinie situierten Gebäudeteils ist 18 m hoch. Der Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze beträgt hier lediglich ca. 13 m, sodass die Abstandsfläche vor der nordwestlichen Außenwand nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO mit einer Tiefe von ca. 5 auf dem Grundstück der Antragstellerin zu liegen kommt.
Ausweislich eines sich in den Bauakten befindlichen Abstandsflächenplans des Architektenbüros … … … GmbH (Seite 36) – der allerdings weder mit dem Eingangsnoch Genehmigungsstempel der Antragsgegnerin versehen ist – war der Umfang der tatsächlichen Abstandsflächenüberschreitung der Beigeladenen zwar bewusst. Sie ist jedoch offensichtlich davon ausgegangen, einer Abweichung wegen Abstandsflächenüberschreitung zum Grundstück der Antragstellerin bedürfe es nicht, da diese Überschreitung nach dem Bebauungsplan Nr. 57 cl zulässig sei. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin in der streitgegenständlichen Baugenehmigung keine Abweichung wegen Überschreitung der Abstandsfläche zum Grundstück der Antragstellerin hin erteilt. Damit liegt es nahe, dass die Antragsgegnerin bei der Erteilung von Abweichungen von einer fehlerhaften rechtlichen Bewertung der Abstandsflächensituation ausgegangen war, da eine Abstandsflächenverkürzung bzw. -Suspendierung vorliegend weder dem Gesetz noch den Regelungen des Bebauungsplans Nr. 57cl entnommen werden kann.
2.3.1 Eine Suspendierung von der Pflicht zur Einhaltung der Abstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, da die festgesetzte Baulinie, auf der die nordwestliche Außenwand des streitgegenständlichen Gebäudes situiert werden soll, nicht auf der Grundstücksgrenze verläuft. Damit fallen vor der nordwestlichen Außenwand grundsätzlich die gesetzlich bestimmten Abstandsflächen an.
2.3.2 Eine Verkürzung der Abstandsfläche vor der 13,145 m breiten, nordwestlichen Außenwand auf ½ H gemäß Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO kommt vorliegend bereits wegen des aktuellen Zuschnitts der Vorhabengrundstücke nicht in Betracht, da nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes bei der Inanspruchnahme des 16 m-Privilegs des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO an den übrigen Gebäudeseiten 1 H eingehalten werden muss, wovon keine Abweichung erteilt werden kann (BayVGH, U.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 37). Die Grundstücksgrenzen der Vorhabengrundstücke verlaufen quer durch das geplante Gebäude und „durchschneiden“ den gebogenen Baukörper an mehreren Stellen, sodass die gesetzlichen Abstandsflächen nahezu an allen Gebäudelängsseiten nicht eingehalten werden können. Hinzu kommt noch die Abstandsflächenüberlappung auf der Nordseite, für die in dem streitgegenständlichen Bescheid eine Abweichung erteilt wurde (Ziffer 3).
Unabhängig davon erscheint es äußerst fraglich, ob die gesetzliche Ausnahmeregelung des 16 m-Privilegs bei der vorliegenden Fallgestaltung grundsätzlich zur Anwendung kommen könnte, da das Vorhabengebäude über eine atypische gebogene bzw. wellenartige Form verfügt, für die die Regelungen des Art. 6 Abs. 6 BayBO offensichtlich nicht konzipiert wurden.
2.2.4 Eine Verkürzung der gesetzlichen Abstandsflächen kommt vorliegend auch nicht kraft planerischen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 57cl in Betracht, vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB.
Hinsichtlich der Abstandsflächen sieht der Bebauungsplan eine Regelung in § 6 der Satzung vor, die eine Verkürzung der gesetzlichen Abstandsflächen auf 0,4 H nur für das festgesetzte Kerngebiet MK 2 regelt, vgl. § 6 Abs. 4 der Satzung. Für das betroffene Wohngebiet WA 2 ist eine Abstandsflächenverkürzung in textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 57cl nicht enthalten. § 6 Abs. 1 und 2 der Satzung trifft lediglich Regelungen hinsichtlich der Höhenbezugspunkte des Geländes.
Eine abweichende Abstandsflächenregelung kann vorliegend auch nicht etwa darin gesehen werden, dass der Bebauungsplan Nr. 57cl als Maß der baulichen Nutzung sechs Geschosse in Verbindung mit einer Baulinie, auf der nach § 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO zwingend gebaut werden muss, festsetzt. Die Kombination des festgesetzten Nutzungsmaßes mit der Baulinie, die in einem zu geringen Abstand (13,14 m) zur Nachbargrundstücksgrenze festgesetzt ist, kann bereits deshalb nicht als eine Verkürzung der landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften ausgelegt werden, da hier die Zahl der zulässigen Geschosse nur als Höchstmaß festgesetzt wurde, sodass grundsätzlich auch eine niedrigere Bebauung auf der Baulinie in Betracht käme. Weitere Festsetzungen, die abweichende Maße der Tiefe der gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen anordnen, sind in dem Bebauungsplan Nr. 57cl nicht enthalten. Insoweit ist die Angabe des sich in den Bauakten befindlichen Abstandsflächenplans (Blatt 36), die Abstandsflächenüberschreitung sei nach dem Bebauungsplan in der dargestellten Form zulässig, nicht nachvollziehbar.
2.4 Im Übrigen dürfte es für eine Abweichung wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin an der nach Art. 63 Abs. 1 BayBO erforderlichen atypischen Grundstückssituation fehlen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erfordert die Zulassung einer Abweichung Gründe, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 13.03.2002 – 2 CS 01.1506 – juris; B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris). Soweit ein sinnvolles Vorhaben auch dergestalt verwirklicht werden kann, dass gleichwohl die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten werden, kann eine Atypik nicht mehr angenommen werden. Für die Frage der Atypik ist insbesondere von Bedeutung, ob eine sinnvolle Ausnutzung des Baugrundstücks – auch unter den Anforderungen des Art. 6 Abs. 5 BayBO – möglich und zumutbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2011 – 15 CS 11.1640 – juris).
Es ist vorliegend nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine Bebauung der Grundstücke unter Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin nicht möglich und zumutbar sein soll. Insbesondere besteht die Möglichkeit einer niedrigeren Bebauung auf der festgesetzten Baulinie und einer nach Osten hin zurückgesetzten Erhöhung des Baukörpers.
2.5 Schließlich ist die Kammer der Auffassung, dass die seitens der Beigeladenen im Baugenehmigungsverfahren eingereichten Bauvorlagen unvollständig bzw. fehlerhaft sind und in diesen Mängeln der Bauvorlagen zugleich eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte der Antragstellerin zu sehen ist.
2.5.1 Gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO sind mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Vorhabens und die Bearbeitung des Bauantrages erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen. § 1 Abs. 1 Satz 1 BauVorlV konkretisiert den Begriff der Bauvorlagen als einzureichende Unterlagen, die für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrages erforderlich sind. Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauVorlV muss der eingereichte Lageplan (vgl. § 3 Nr. 1 BauVorlV) die katastermäßigen Flächen, Flurstücknummern und die Flurstückgrenzen des Baugrundstücks und der benachbarten Grundstücke enthalten. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 13 BauVorlV muss der Lageplan, soweit dies zur Beurteilung des Bauvorhabens erforderlich ist, die Abstände der geplanten baulichen Anlage zu anderen baulichen Anlagen auf dem Baugrundstück und auf den benachbarten Grundstücken, zu den Nachbargrenzen sowie die Abstandsflächen der geplanten baulichen Anlagen und der bestehenden Anlagen auf dem Baugrundstück und den Nachbargrundstücken enthalten.
Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen vollständig, richtig und eindeutig sein (vgl. Gaßner in: Simon/Busse, BayBO, Stand: 122. EL Januar 2016, Art. 64 Rn. 75). Stellt sich bei der Prüfung durch die Behörde heraus, dass die Bauvorlagen inhaltlich unrichtige Angaben enthalten bzw. widersprüchlich oder sonst als Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung ungeeignet sind, darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden (vgl. Gaßner, a.a.O. Rn. 80).
Sind die Angaben in den Bauvorlagen in wesentlichen Punkten unrichtig oder unvollständig, so ist eine Baugenehmigung rechtswidrig, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen von der Genehmigungsbehörde nicht zutreffend beurteilt wurden (vgl. Gaßner, a.a.O. Rn. 82). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Nachbar zwar keinen materiellen Anspruch darauf hat, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht, die Baugenehmigung aber dann aufzuheben ist, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775 – juris Rn. 11 m.w.N.). Wenn die Baugenehmigung selbst oder die der Baugenehmigung zu Grunde liegenden Bauvorlagen wegen Ungenauigkeiten keine Entscheidung zulassen, ob die Anforderungen derjenigen Vorschriften gewährleistet sind, die zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehören und die Nachbarschutz vermitteln, kann eine Nachbarrechtsverletzung zur Aufhebung einer Baugenehmigung führen (BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16). Betrifft die Unbestimmtheit oder Unrichtigkeit der Bauvorlagen solche Vorschriften, deren Verletzung im konkreten Fall subjektiv-öffentliche Abwehrrechte der Antragstellerin begründen können, ist eine mögliche Rechtsverletzung der Antragstellerin hierdurch zu bejahen (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16; B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1175 – juris Rn. 11 m.w.N.). Dem folgt auch die übrige obergerichtliche Rechtsprechung.
Das Bestimmtheitsgebot verlangt in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung, dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen muss, dass nur solche Baumaß-nahmen und Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarrechtlicher Vorschriften auszuschließen und – zusätzlich – wenn die insoweit mangelhafte Baugenehmigung aufgrund dessen ein Vorhaben zulässt, von dem der Nachbar konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hat.
Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht (OVG NRW, U.v. 6.6.2014 – 2 A 2757/12 – juris Rn. 73 und OVG Lüneburg, B.v. 26.1.2012 – 1 ME 226/11 – juris Rn. 22).
2.5.2 Die eingereichten Bauvorlagen sind vorliegend insoweit unvollständig bzw. fehlerhaft, als sich in den Behördenakten zwei nicht mit den Eingangs- und Genehmigungsstempeln der Antragsgegnerin versehene Abstandsflächenpläne mit teilweise widersprüchlichen Angaben befinden, die überdies eine fehlerhafte Darstellung der Abstandsflächen des streitgegenständlichen Vorhabens und eine nicht existierende Grundstücksteilung wiedergeben.
Es ist bereits unklar, ob die sich auf Seiten 36 und 38 der Behördenakten befindlichen Abstandsflächenpläne einen Teil der eingereichten und behördlich geprüften Bauvorlagen darstellen. Zwar wurden die Pläne als Anlagen zu den im Baugenehmigungsverfahren gestellten Abweichungsanträgen beigefügt. Jedoch enthalten die Pläne weder die nach Art. 64 Abs. 4 Satz 1 BayBO erforderlichen Unterschriften der Antragstellerin und des Entwurfsverfassers, noch sind sie mit einem Eingangsstempel der Antragsgegnerin versehen.
Selbst wenn diese Abstandsflächenpläne als Bestandteil der eingereichten Bauvorlagen angesehen werden, erweisen sich diese als unrichtig bzw. teilweise widersprüchlich. Zum einen geben die Abstandsflächenpläne auf Seiten 36 und 38 der Behördenakten nicht die tatsächlich bestehende Grundstückssituation – insbesondere hinsichtlich des aktuellen Grundstückszuschnitts – wieder. Die Lagepläne stellen insbesondere nicht die katastermäßigen Flächen mit den aktuellen Flurstücknummern und Grundstücksgrenzen der Baugrundstücke dar (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauVorlV), sondern eine hypothetische Grundstückssituation nach Durchführung einer Grundstücksverschmelzung und Umsetzung sämtlicher Bebauungsplanfestsetzungen. Zudem ist nach den Ausführungen in dem Abstandsflächenplan auf Seite 36 der Behördenakten die Abstandsflächenüberschreitung nach Westen hin zum Grundstück der Antragstellerin nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 57cl zulässig, was nach Rechtsauffassung der Kammer (Ziffer 2.2.4) gerade nicht der Fall ist. Dagegen stellt der Lageplan auf Seite 38 der Behördenakten eine Abstandsflächenüberschreitung zum Grundstück der Antragstellerin zwar dar, lässt jedoch entsprechende Ausführungen hinsichtlich der Zulässigkeit dieser Überschreitung vermissen. Wegen dieser widersprüchlichen Darstellung der Lagepläne bleibt unklar, welcher der beiden Pläne als Grundlage für die bauaufsichtliche Entscheidung diente.
2.5.3 Aus den oben dargelegten Mängeln der Bauvorlagen folgt vorliegend eine Nachbarrechtsverletzung der Antragstellerin, da auf der Basis der fehlerhaften Bauvorlagen keine rechtmäßige Entscheidung hinsichtlich der Abstandsflächenüberschreitung zum Grundstück der Antragstellerin hin möglich ist. Wie bereits oben unter Ziffer 2.1 ausgeführt, gehört eine Prüfung der Abstandsflächenvorschriften vorliegend nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO zum Prüfungsumfang der streitgegenständlichen Baugenehmigung, sodass die auf der Basis von unvollständigen bzw. fehlerhaften und teilweise widersprüchlichen Bauvorlagen erteilte Baugenehmigung vom 3. August 2016 voraussichtlich rechtswidrig ist und gegen drittschützende Rechte der Antragstellerin verstößt.
3. Nach alldem war dem Antrag der Antragstellerin in vollem Umfang stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt hat, konnten ihr gemäß § 154 Abs. 3 VwGO anteilig Kosten des Verfahrens auferlegt werden.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 53 Abs. 1 GKG i.V.m. den Ziffern 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungs-gerichtsbarkeit.

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