Baurecht

Nachbarschutz durch Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung

Aktenzeichen  AN 9 K 18.01373

Datum:
26.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14722
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BauNVO § 12 Abs. 2, § 15 Abs. 1, § 17 Abs. 1
BayBO Art. 59 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Grundsätzlich sind lediglich Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung nachbarschützend; anderweitige Festsetzungen, insbesondere zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche, haben keine nachbarschützende Wirkung. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch § 12 Abs. 2 BauNVO, wonach in allgemeinen Wohngebieten nur die Stellplätze bzw. Garagen für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind, vermittelt zwar grundsätzlich Nachbarschutz, betrifft aber den Gesamtbedarf im Baugebiet und sieht keine Kontingentierung der Parkplätze für den privaten Bedarf auf einzelnen Baugrundstücken vor. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Stellplätze für den regulären Bedarf sind nachbarverträglich. Der übliche Lärm durch den Anwohnerverkehr ist als sozial adäquat hinzunehmen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. In aller Regel obliegt es dem Bauherrn, in welcher Weise er die Stellplatzpflicht erfüllt und wo die Stellplätze geschaffen werden. Das Gebot der Rücksichtnahme verleiht dem Nachbarn grundsätzlich kein Recht, den Bauherrn auf Alternativen außerhalb oder innerhalb des Baugrundstücks zu verweisen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger haben jeweils die Verfahrenskosten zu tragen.

Gründe

Die Klagen sind zulässig, aber unbegründet.
1. Die angefochtene Baugenehmigung vom 8. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, da das Vorhaben keine im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Abs. 1 BayBO prüfpflichtigen, nachbarschützenden Vorschriften verletzt.
1.1 Vorliegend beurteilt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 4012, der insbesondere Festsetzungen zu der Art der baulichen Nutzung, zum Maß der baulichen Nutzung, zur Bauweise und zu den überbaubaren Grundstückflächen sowie zu den vorgesehenen Flächen für Garagen und Stellplätze trifft. Die streitgegenständliche Baugenehmigung erteilte zu Recht insoweit Befreiungen wegen Überschreitens der Baugrenzen, der festgesetzten Geschossflächenzahl und wegen Nichteinhaltung der Festsetzungen zu Nebenanlagen bei der Errichtung einer Tiefgarage. Ansonsten entspricht das Vorhaben den planerischen Festsetzungen.
Grundsätzlich sind lediglich Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung nachbarschützend – der Nachbar kann gebietsfremde Vorhaben im Wege des sog. Gebietserhaltungsanspruchs abwehren. Anderweitige Festsetzungen, insbesondere zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche haben dagegen grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung, da derartige Festsetzungen in der Regel den Gebietscharakter nicht berühren (BVerwG, U.v. 23.6.1995, 4 B 52.95). Derartige Festsetzungen dienen im Regelfall nur dem öffentlichen Interesse und der städtebaulichen Ordnung. Nachbarschutz besteht daher im Hinblick auf derartige Festsetzungen oder Befreiungen von derartigen Festsetzungen im Regelfall nur durch das Gebot der Rücksichtnahme (BVerwG, B.v. 8.7.1998, 4 B 64.94). Anderweitige Festsetzungen als Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung, insbesondere hinsichtlich des Maßes und der überbaubaren Grundstückflächen sind ausnahmsweise nur dann nachbarschützend, wenn dies dem Willen der Gemeinde als Plangeber entspricht (st. Rspr., zuletzt BVerwG, U.v. 9.8.2018, 4 C 7/17). Bei der Ermittlung des planerischen Willens der Gemeinde kommt es maßgeblich darauf an, ob im Text oder in der Begründung des Bebauungsplans Ausführungen dazu enthalten sind, dass die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksflächen ausnahmsweise nachbarschützend sind (st. Rspr., s. etwa BayVGH, B.v. 21.9.2016 – 9 ZB 14.2715; B.v. 27.6.2018 – 9 ZB 16.1012). Schon bislang hat die obergerichtliche Rechtsprechung es außerdem ausnahmsweise für möglich gehalten, dass sich aus zeichnerischen Festsetzungen Anhaltspunkte dafür ergeben können, dass derartige Festsetzungen ausnahmsweise nicht nur städtebaulich motiviert, sondern auch nachbarschützend sein können (BayVGH a.a.O.). Sie steht daher zu der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in Widerspruch, wonach sich Nachbarschutz aus zeichnerischen Festsetzungen ergeben kann, wenn diese wesentlich für den konzipierten Gebietscharakter sind und daher den Nachbarn wechselseitige, einklagbare baurechtliche Verpflichtungen auferlegen (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17). Der Ausnahmecharakter eines sich aus zeichnerischen Festsetzungen ergebenden Nachbarschutzes wird zudem dadurch unterstrichen, dass die der zuletzt zitierten Entscheidung zugrundeliegende Konstellation singulären Charakter hat, da die Entscheidung die Bewahrung des Charakters einer Sondergebietsfläche für den Wassersport am Wannsee betrifft.
1.2 Nach diesen Grundsätzen sind die einschlägigen Festsetzungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen nicht nachbarschützend. Die Kläger können sich daher über das Gebot der Rücksichtnahme hinaus nicht darauf berufen, dass dem Beigeladenen hinsichtlich der Überschreitung der Baugrenzen nach Osten und Südwesten Befreiung erteilt wurde. In den textlichen Festsetzungen findet sich keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass diese Festsetzungen nicht nur städtebaulichen Charakter haben sollen, sondern auch Nachbarschutz vermitteln sollen. Die Bebauungsplanbegründung, es solle mit der Festsetzung des allgemeinen Wohngebietes ein ruhiges Wohnen am Stadtrand ermöglicht werden, hat nach Überzeugung der Kammer keinen spezifischen Bezug zu den Baugrenzen. Auch aus den zeichnerischen Festsetzungen sind keine Anhaltspunkte für einen Nachbarschutz erkennbar.
1.3 Nach diesen Grundsätzen sind auch die einschlägigen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nicht nachbarschützend. Die Kläger können sich daher über das Gebot der Rücksichtnahme hinaus nicht darauf berufen, dass dem Beigeladenen hinsichtlich der geringfügigen Überschreitung der Geschossflächenzahl eine Befreiung erteilt wurde. In den textlichen Festsetzungen findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass diese Festsetzungen nicht nur städtebaulichen Charakter haben sollen, sondern auch Nachbarschutz vermitteln sollen. Die Bebauungsplanbegründung, es solle mit der Festsetzung des allgemeinen Wohngebietes ein ruhiges Wohnen am Stadtrand ermöglicht werden, hat nach Überzeugung der Kammer keinen spezifischen Bezug zu der festgesetzten Geschossflächenzahl. Auch aus den zeichnerischen Festsetzungen sind keine Anhaltspunkte für einen Nachbarschutz erkennbar.
1.4 Ebensowenig besteht Nachbarschutz hinsichtlich des Gesichtspunktes, dass das Vorhaben zehn statt der nach den Stellplatzvorschriften der Beklagten mindestens erforderlichen neun Stellplätze aufweist. § 12 Abs. 2 BauNVO, wonach in allgemeinen Wohngebieten nur die Stellplätze bzw. Garagen für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind, vermittelt zwar grundsätzlich Nachbarschutz (BVerwG, U.v. 16.9.93, 4 C 28.91). Diese Vorschrift ist jedoch durch das Vorhaben nicht verletzt, da sie den Gesamtbedarf im Baugebiet betrifft und keine Kontingentierung der Parkplätze für den privaten Bedarf auf einzelnen Baugrundstücken vorsieht (BVerwG, U.v. 27.1.1967, IV C 12.65). Das Schaffen eines zusätzlichen, soweit ersichtlich privat genutzten Stellplatzes über die Mindestanzahl hinaus, ist daher unschädlich.
1.5 Ebenso wenig besteht Nachbarschutz hinsichtlich der Lage der Tiefgarage und ihrer Zufahrt außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Flächen. In den textlichen Festsetzungen besteht hierfür kein Anhaltspunkt. Ebenso wenig lässt sich nach Überzeugung der Kammer – ausnahmsweise – aus den zeichnerischen Festsetzungen, zur Situierung der Stellplätze bzw. Garagen Nachbarschutz herleiten. Demnach sind Stellplätze und Garagen teilweise, insbesondere auf dem Vorhabengrundstück und dem Grundstück des Beigeladenen, so anzuordnen, dass sie jeweils grenzständig zwischen zwei Wohnhäusern errichtet werden sollen. Dies zeigt auf, dass die derartigen Festsetzungen städtebaulich motiviert sind, jedoch nicht nachbarschützend, da bei einer derartigen Anordnung die jeweiligen Anwesen unmittelbar Störungen durch die direkt angebauten eigenen und benachbarten Stellplätze und Garagen ausgesetzt sind. Auch hinsichtlich der Nachbaranwesen bzw. der Grundstücksseiten, die von den Flächen für Stellplätze und Garagen abgewandt sind, vermitteln die Festsetzungen keinen Nachbarschutz. Eine derartige, differenzierende Konzeption ist aus den planerischen Festsetzungen nicht erkennbar, da auf vielen Grundstücken keine derartigen von Garagen oder Stellplätzen abgewandten Giebelseiten vorgesehen sind (insbesondere in der … Straße). An anderer Stelle, etwa entlang der … Straße, sind derartige abgewandte Giebelseiten ebenfalls vorhanden, die sich jedoch gerade daraus ergeben, dass, anders als auf den Baugrundstücken, Garagen oder Stellplätze von Nachbarn gerade nicht mit denen der Nachbarn zusammengebaut werden sollen. Mithin ging es dem Satzungsgeber nach Auffassung der Kammer gerade und lediglich darum, nach den Gegebenheiten der Grundstücke die Situierung der Garagen und Stellplätze städtebaulich zu ordnen.
1.6 Eine Verletzung des in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerten Gebotes der gegenseitigen Rücksichtnahme liegt nach Auffassung der Kammer unter Abwägung aller Gesichtspunkte nicht vor. Unzumutbare Belästigungen oder Störungen durch das Bauvorhaben liegen nicht vor.
Insbesondere sind keine unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen durch die vorgesehenen Stellplätze in der Tiefgarage und die zum klägerischen Anwesen hin situierte Tiefgaragenzufahrt zu befürchten. Im Hinblick auf die Vorschrift des § 12 Abs. 2 BauNVO, die Stellplätze in allgemeinen Wohngebieten für den durch die zulässige Nutzung verursachten Bedarf zulässt, sind Stellplätze für den regulären Bedarf nachbarverträglich. Der übliche Lärm durch den Anwohnerverkehr ist als sozial adäquat hinzunehmen (BayVGH, B.v. 20.3.2018, 15 CS 17.2523). Tiefgaragen sind im Vergleich zu oberirdischen Garagen unter dem Gesichtspunkt des Immissionsschutzes zudem als rücksichtsvoller einzustufen (VG Augsburg, B.v. 6.6.2018, Au 5 18.459). Diese Argumentation trifft auch im vorliegenden Fall zu, da die Anzahl der Stellplätze in der Tiefgarage nicht über die Mindestanforderungen hinausgeht und somit den Bedarf nicht überschreitet und insgesamt gering ist. Unübliche Belästigungen sind durch die Benutzung der Tiefgarage daher nicht zu erwarten, zumal angesichts der Neigung der Zufahrt und deren Länge Kraftfahrzeuge nach wenigen Metern des Befahrens der Zufahrt bereits Bodenniveau unterschreiten dürften. Die Einfahrt in die Garage sowie das Betätigen des Tores dürften daher kaum mehr akustisch wahrnehmbar sein. Daher war auch der in der mündlichen Verhandlung klägerseits gestellte Beweisantrag abzulehnen. Das Vorliegen von Stellplätzen bzw. einer Benutzung dieser Stellplätze, die den Rahmen des § 12 Abs. 2 BauNVO verlässt, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
Auch die Situierung der Stellplätze bzw. deren Zufahrt stellt sich nicht als rücksichtlos dar, da es in aller Regel dem Bauherren obliegt, in welcher Weise die Stellplatzpflicht erfüllt wird und wo die Stellplätze geschaffen werden. Das Gebot der Rücksichtnahme verleiht dem Nachbarn grundsätzlich kein Recht, den Bauherren auf Alternativen außerhalb oder innerhalb des Baugrundstücks zu verweisen. Auch das Überschreiten der Mindestzahl der Stellplätze stellt sich nicht als rücksichtlos dar (BVerwG, B.v. 20.3.2003, 4 B 59/02; BayVGH, B.v. 21.2.2005, 2 CS 04.2721). Eine Ausnahmesituation ist vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere war das klägerische Grundstück in Richtung zum Vorhabengrundstück bereits Vorbelastungen durch den bislang auf dem Baugrundstück befindlichen gewerblichen Betrieb des Beigeladenen mit an der Grenze hin zum klägerischen Grundstück errichteten Garage ausgesetzt.
Der oberirdisch geplante weitere Stellplatz sowie dessen Zufahrt können schon wegen der Lage an der Westgrenze des Baugrundstücks das östlich gelegene Anwesen der Kläger nicht unzumutbar belasten.
1.7 Eine Verletzung weiterer prüfpflichtiger Vorschriften ist nicht ersichtlich.
2. Damit waren die Klagen mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Beigeladene trägt eventuelle außergerichtlichen Kosten selbst, da er keinen Antrag gestellt hat und sich daher keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 2 VwGO.


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