Baurecht

Nichtzulassung der Berufung

Aktenzeichen  1 ZB 18.149

Datum:
15.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28954
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Art. 45 Abs. 2
BauGB § 35 Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, § 124a Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

Baumreihen oder Hecken stellen kein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen Innen- und Außenbereich dar. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.5547 2017-10-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin wendet sich gegen eine an sie gerichtete Duldungsanordnung hinsichtlich der Beseitigung von drei Nebengebäuden auf dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück FlNr. …, Gemarkung M …
Das Grundstück liegt am östlichen Ortsrand von A … Südlich und östlich befinden sich landwirtschaftliche Grünflächen. Nördlich und westlich schließt sich Wohnbebauung an. Auf dem ca. 2.600 m² großen Grundstück befindet sich ein Wohngebäude sowie im südwestlichen Bereich eine Garage. Im Südosten des Grundstücks stehen grenznah drei Holzhütten, wovon jedenfalls in der Vergangenheit die mittlere Hütte als Büro genutzt wurde. Entlang der Süd- und Ostgrenze stehen auf dem Grundstück hohe, mehrere hundert Jahre alte Eichenbäume sowie ein Bergahorn. Die Reihe der Bäume setzt sich über die Grundstücksgrenze nach Norden hin fort.
Das Landratsamt hat für die Nebengebäude im südöstlichen Bereich des Grundstücks gegenüber dem Ehemann der Klägerin mit Bescheid vom 7. September 2011 eine bestandskräftige Beseitigungsanordnung erlassen. Mit Bescheid vom 31. Oktober 2016 hat das Landratsamt die Klägerin als Grundstückseigentümerin verpflichtet, die Beseitigung dieser Nebengebäude zu dulden.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. Oktober 2017 abgewiesen. Die Duldungsanordnung sei rechtmäßig ergangen. Die ursprünglich unterbliebene Anhörung sei im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geheilt worden. Die zu beseitigenden Nebengebäude befänden sich im Außenbereich und beeinträchtigten als sonstige Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit zutreffenden Gründen, auf die verwiesen wird (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), abgewiesen. Im Hinblick auf die Antragsbegründung wird ergänzend ausgeführt:
1.1 Die Richtigkeit des angegriffenen Urteils ist nicht deshalb ernstlich zweifelhaft, weil das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die unterbliebene Anhörung zur Duldungsanordnung im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens zwischenzeitlich ordnungsgemäß nachgeholt wurde. Ein Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG kann nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG durch Nachholung der Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geheilt werden. Eine Heilung tritt ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 7 C 5.14 – BVerwGE 153, 367). Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass im Rahmen der Klageerwiderung mit Schriftsatz des Beklagten vom 29. März 2017 eine Heilung erfolgt ist. Die hiergegen gerichteten Einwände im Zulassungsvorbringen greifen nicht durch. Der Beklagte hat im Rahmen der Klageerwiderung die Argumente der Klägerin für eine abweichende Entscheidung in Erwägung gezogen und ist abschließend zu der Auffassung gekommen, dass eine Änderung der getroffenen Entscheidung nicht veranlasst ist. Damit sind die materiellen Anforderungen an die Nachholung einer zunächst unterbliebenen Anhörung gewahrt. Aus dem Umstand, dass der Beklagte an seiner Auffassung mit deutlichen Worten festgehalten hat, kann – zumal bei einer bauplanungsrechtlichen Situation, die zum Großteil bereits obergerichtlich geklärt wurde – nichts Gegenteiliges gefolgert werden. Weder Art. 28 Ab. 1 BayVwVfG noch Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG gebieten, dass den vorgetragenen Argumenten tatsächlich gefolgt wird.
1.2 Weiter ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die nichtprivilegierten Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig sind.
Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage einer Ortseinsicht zu Recht angenommen, dass sich die Nebengebäude im Außenbereich befinden und die sich im Osten und Süden des Grundstücks befindlichen Bäume kein taugliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich darstellen. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass Baumreihen oder Hecken, selbst wenn sie optisch markant in Erscheinung treten und/oder ihr Bestand dauerhaft gesichert sein sollte, nicht geeignet sind, den Eindruck der Geschlossenheit und Zugehörigkeit einer Fläche zum Bebauungszusammenhang zu erzeugen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – juris Rn. 7). Denn bei solchen Bewüchsen handelt es sich um typische Bestandteile der freien Landschaft. Zudem weisen auch Bäume nur eine begrenzte Lebensdauer auf und können aufgrund natürlicher Einflüsse, wie z.B. Stürme oder Schädlinge, auch vorzeitig absterben (BayVGH, U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 21). Aus diesen in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Gründen folgt, dass Baumreihen oder Hecken kein taugliches Abgrenzungskriterium darstellen. Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage dieser Rechtsprechung zutreffend darauf abgestellt, dass es nicht darauf ankommt, ob die Baumreihe frei in der Landschaft gewachsen ist oder gepflanzt wurde. Besondere Gründe, die hier ein Abweichen vom Regelfall gebieten, bestehen nicht. Das Verwaltungsgericht hat hierzu lediglich ergänzend ausgeführt, dass die Baumreihe nicht als künstliche Pflanzung erkennbar sei und sich auch der Charakter als Teil eines Schlossgartens nicht erkennen lasse.
1.3 Soweit die Klägerin vorträgt, dass das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Privilegierung der Nebengebäude als landwirtschaftlich genutzte Gebäude in unzutreffender Weise angenommen habe, dass es sich lediglich um eine hypothetische oder vorgeschobene Nutzungsmöglichkeit handelt, sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit nicht dargelegt.
Es kann dahinstehen, wie rechtserhebliche Änderungen nach Erlass einer Beseitigungsanordnung zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.1992 – 4 B 161.92 – NVwZ 1993, 476; offengelassen in BVerwG, U.v. 12.12.2013 – 4 C 15.12 – NVwZ 2014, 454). Voraussetzung ist jedenfalls, dass sich die Sach- und Rechtslage tatsächlich mit dem Ergebnis geändert hat, dass das Vorhaben rechtmäßig geworden ist. Darüber hinaus ist die Baugenehmigungsbehörde nicht verpflichtet, denkbare Möglichkeiten der Abhilfe zu untersuchen (vgl. BayVGH, B.v. 27.9.2006 – 1 ZB 06.61 – juris Rn. 24), sondern nur wenn sich eine bestimmte, weniger einschneidende Anordnung als milderes Mittel aufdrängt. Hiervon ausgehend bestand weder für das Landratsamt noch für das Verwaltungsgericht Anlass, einer etwaigen privilegierten Nutzungsmöglichkeit weiter nachzugehen. Unabhängig davon, dass bereits erhebliche Zweifel an einer möglichen privilegierten Nutzung der Nebengebäude bestehen, fehlen hierzu konkrete Angaben der Klägerin.
1.4 Hinsichtlich der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, das nach § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB zu beurteilende Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, bestehen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel. Die Bebauung stellt sich als eine siedlungsstrukturell zu missbilligende, nicht geordnete Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich dar (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Die bauaufsichtlich beanstandeten Nebengebäude lassen befürchten, dass weitere Bauwünsche im näheren Umfeld des Baugrundstücks oder auf dem Baugrundstück selbst aufkommen.
Soweit das Zulassungsvorbringen hiergegen anführt, dass die Nebengebäude nur untergeordnet seien und ein Ausufern eines Ortsteils aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht möglich sei, lässt es unberücksichtigt, dass bereits die Nebengebäude selbst eine zu missbilligende Ausweitung eines Bebauungszusammenhangs in den Außenbereich darstellen. Angesichts der großzügigen Grundstücksverhältnisse im südöstlichen Bereich, die durch das Kartenmaterial und die Lichtbilder in den Behördenakten dokumentiert sind, ergeben sich sowohl auf dem Grundstück selbst, als auch auf den südlich liegenden Grundstücken ausreichend Standorte für eine anknüpfende Bebauung. Da die Nebengebäude konkret geeignet sind, eine Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen, stellen sie einen Vorgang der siedlungsstrukturell unerwünschten Zersiedelung dar. In einem solchen Fall erfordern es die öffentlichen Belange, den ersten Ansätzen entgegen zu treten (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – ZfBR 1985, 141). Auf die optische Wahrnehmbarkeit der Nebengebäude kommt es ausgehend von der Zielsetzung des § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB nicht an.
Da bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171), kommt es nicht darauf an, ob die Nebengebäude auch im Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) stehen bzw. die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB).
1.5. Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und einen Ermessensfehler darin sieht, dass das Landratsamt nicht gegen vergleichbare Nebengebäude in der Nachbarschaft vorgeht, fehlt es dem Zulassungsvorbringen an einer konkreten Darlegung vergleichbarer Sachverhalte. Hinsichtlich der Ausführungen der Klägerin im Zulassungsvorbringen, wonach es unverständlich sowie rechtswidrig sei, dass ihr Ehemann als Handlungsstörer für die Beseitigungsanordnung in Anspruch genommen worden sei, wird nicht dargelegt, dass die Klägerin hierdurch in eigenen Rechten verletzt wird.
2. Auch ein von der Klägerin behaupteter Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt.
Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO erfordert u.a. die Darlegung, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7; B.v. 25.1.2005 – 9 B 38.04 – NVwZ 2005, 447; BayVGH, B.v. 7.3.2017 – 8 ZB 15.1005 – juris Rn. 10). Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat (§ 86 Abs. 2 VwGO). Die Klägerin hat ausweislich der Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts zu dem gerügten Aufklärungsdefizit keinen Beweisantrag gestellt. Die Aufklärungsrüge dient aber nicht dazu, Versäumnisse Beteiligter, insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2015 a.a.O.; B.v. 18.12.2006 – 4 BN 30.06 – NVwZ-RR 2007). Dass sich dem Gericht auch ohne Beweisantrag weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen, ist nicht dargelegt.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen‚ da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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