Baurecht

Normenkontrollantrag gegen Bebauungsplan: Entfallen des erforderlichen Rechtsschutzbedürfnisses

Aktenzeichen  2 N 20.62

Datum:
15.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2809
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Inanspruchnahme des Gerichts mittels Normenkontrollantrags gegen einen Bebauungsplan erweist sich dann als nutzlos, wenn die erteilte Baugenehmigung bestandskräftig, der Supermarkt gebaut und sogar bereits eröffnet worden ist.  (Rn. 15 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsteller dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan „Lebensmittelmarkt B … Straße“ der Antragsgegnerin.
Der am 24. September 2018 als Satzung beschlossene Bebauungsplan wurde von der Antragsgegnerin am 11. Januar 2019 bekannt gemacht. Der Bebauungsplan setzt ein Sondergebiet mit der Zweckbestimmung großflächiger Lebensmitteleinzelhandel fest.
Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2020 haben die Antragsteller einen Normenkontrollantrag gestellt und beantragt,
Der Bebauungsplan „Lebensmittelmarkt B … Straße“ der Antragsgegnerin, durch Bekanntmachung vom 11. Januar 2019 in Kraft getreten, ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Landratsamt F … erteilte mit Bescheid vom 1. März 2019 eine Teilbaugenehmigung für Erdarbeiten und mit Bescheid vom 13. März 2019 die Baugenehmigung für den Neubau eines SB Marktes mit Backshop.
Die Klage der Antragsteller gegen die Teilbaugenehmigung wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 17. Juli 2020 (Az. B 2 K 19.309) ab. Das Klageverfahren gegen die Baugenehmigung wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 10. März 2020 eingestellt (Az. B 2 K 19.366).
Unstreitig ist der SB Markt zwischenzeitlich gebaut und eröffnet worden.
Die Beteiligten wurden zur Absicht des Senats, durch Beschluss zu entscheiden, angehört.
Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten in den Verfahren Az. B 2 K 19.309 und B 2 K 19.366 sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO ist unzulässig geworden, weil den Antragstellern das nötige allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
1. Der Senat kann nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden, auch wenn die Antragsteller nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO; vgl. BVerwG, B.v. 30.11.2017 – 6 BN 2.17 – NVwZ 2018, 340). Eine Ausnahmesituation, in der von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, liegt insbesondere dann vor, wenn ein Normenkontrollantrag offensichtlich unzulässig ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1999 – 4 CN 9.98 – BVerwGE 110, 203; B.v. 26.2.2008 – 4 BN 51.07 – NVwZ 2008, 696; B.v. 30.11.2017 – 6 BN 2.17 – NVwZ 2018, 340).
Im vorliegenden Fall geht der Senat von der inzwischen eingetretenen Unzulässigkeit des Normenkontrollantrags aus, so dass eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss bereits aus diesem Grund zulässig ist.
2. Der Normenkontrollantrag ist unzulässig geworden, weil das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller zwischenzeitlich entfallen ist. Das Rechtsschutzbedürfnis, das im Normenkontrollverfahren als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung neben die Antragsbefugnis tritt, fehlt dann, wenn sich die Inanspruchnahme des Gerichts als nutzlos erweist, weil der Antragsteller seine Rechtsstellung mit der begehrten Entscheidung (aktuell) nicht verbessern kann (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.1987 – 4 N 3.86 – BVerwGE 78, 85; B.v. 18.7.1989 – 4 N 3.87 – BVerwGE 82, 225; B.v. 25.5.1993 – 4 NB 50.92 – NVwZ 1994, 269; U.v. 23.4.2002 – 4 CN 3.01 – NVwZ 2002, 1126; B.v. 29.1.2019 – 4 BN 15.18 – juris; BayVGH, U.v. 1.6.2015 – 2 N 13.2220 – BayVBl 2015, 864). Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll verhindern, dass Gerichte in eine Normenkontrollprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann. Unnütz wird das Normenkontrollgericht in Anspruch genommen, wenn der Antragsteller unabhängig vom Ausgang des Normenkontrollverfahrens keine reale Chance hat, sein eigentliches Ziel zu erreichen (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2002 – 4 CN 3.01 – NVwZ 2002, 1126). Ist ein Bebauungsplan oder die mit dem Antrag bekämpfte einzelne Festsetzung durch genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahmen vollständig verwirklicht, so wird der Antragsteller in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.1987 – 4 N 3.86 – BVerwGE 78, 85; B.v. 29.1.2019 – 4 BN 15.18 – juris; BayVGH, U.v. 1.6.2015 – 2 N 13.2220 – BayVBl 2015, 864). Zwar kann durch einen Wegfall des Bebauungsplans oder einzelner Festsetzungen die materielle Rechtsgrundlage für eine Baugenehmigung sich nachträglich verändern oder entfallen. Jedoch liegen hieran anknüpfende Ansprüche des Antragstellers, etwa auf ermessensgerechte Entscheidung der Behörde über einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens oder auf Rücknahme einer unanfechtbar erteilten Baugenehmigung bei Beachtung des Vertrauensschutzes des Bauherrn regelmäßig so fern, dass mit ihrer Möglichkeit allein ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag in der Regel nicht begründet werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.1987 – 4 N 3.86 – BVerwGE 78, 85; BayVGH, U.v. 1.6.2015 – 2 N 13.2220 – BayVBl 2015, 864). Wann sich die Inanspruchnahme des Gerichts als unnütz erweist, richtet sich aber im Wesentlichen nach den jeweiligen Verhältnissen im Einzelfall.
Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt den Antragstellern unter Berücksichtigung der Verhältnisse des vorliegenden Einzelfalls inzwischen das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 10. März 2020 (Az. B 2 K 19.366) wurde die Baugenehmigung für den Neubau eines SB-Marktes mit Backshop vom 13. März 2019 bestandskräftig. Die Baugenehmigung füllt den angegriffenen Bebauungsplan vollständig aus. Das Bauvorhaben umfasst das Gebäude des SB-Marktes mit Backshop sowie die erforderlichen Stellplätze. Eine weitere Genehmigung kann nicht erteilt werden. Das Bauvorhaben ist zwischenzeitlich auch vollständig verwirklicht worden. Der SB-Markt wurde eröffnet. Es ist nicht ersichtlich und auch nicht substantiiert vorgetragen worden, inwiefern sich die Rechtsstellung der Antragsteller verbessern könnte, wenn der Bebauungsplan für unwirksam erklärt würde. Der Senat gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die Antragsteller vorliegend keine reale Chance haben, ihre Position in Bezug auf ihr Ziel – die Verhinderung des Bauvorhabens – durch Fortführung des Normenkontrollverfahrens noch zu verbessern.
Soweit die Antragsteller vorbringen, ihre gegen die Baugenehmigung gerichtete Klage vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth sei abgewiesen worden, weil eine entsprechend ausreichende Klagebegründung nicht rechtzeitig ergangen sei, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Antragsteller wurden vom Verwaltungsgericht mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Klagebegründung fehle. Soweit sie nunmehr behaupten, dass ihnen die Verwaltungsakte nicht vollständig zugänglich gemacht worden sei, um entsprechend fundiert begründen zu können, hätten sie dies gegenüber dem Verwaltungsgericht geltend machen müssen. Die Prozessführung vor dem Verwaltungsgericht im Klageverfahren um die Baugenehmigung liegt in ihrem Verantwortungsbereich.
Soweit die Antragsteller vortragen, dass sich zumindest Nachbesserungsrechte aus der rechtlichen Überprüfung der angegriffenen Satzung ergeben könnten, führt dies im vorliegenden Verfahren nicht zu einem Rechtsschutzbedürfnis. Die von ihnen befürchteten Aufstauungen und Vernässungen im Bereich ihrer Grundstücke durch das Bauvorhaben hätten sie ebenfalls im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren vorbringen können. Aus ihrer Aussage, dass es nicht bekannt sei, ob und wie sich das Wasserwirtschaftsamt zur Entwässerungsfrage im Genehmigungsverfahren geäußert habe, wird weiter ersichtlich, dass sie das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht mit dem erforderlichen Nachdruck betrieben haben. Diese unterlassene Aktivität im Klageverfahren kann nicht nach Bestandskraft der Baugenehmigung und vollständiger Errichtung des Bauvorhabens im hier gegenständlichen Normenkontrollverfahren nachgeholt werden. Sollten sich tatsächlich Aufstauungen und Vernässungen durch das Bauvorhaben im Bereich der Grundstücke der Antragsteller ergeben, so können sie sich an die zuständigen Behörden mit ihrer Beschwerde wenden. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung des Normenkontrollverfahrens gegen den Bebauungsplan ergibt sich hieraus jedoch nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 8 GKG.


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