Baurecht

Normenkontrollverfahren

Aktenzeichen  15 N 18.2671

Datum:
27.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20649
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47, § 132 Abs. 2
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, § 214 Abs. 3 S. 1
RDGEG § 3, § 5
BayStrWG Art. 53 Nr. 3

 

Leitsatz

Die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB bezieht sich nicht auf die vorangehende frühzeitige Unterrichtung der Öffentlichkeit nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 BauGB. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere fehlt es den Antragstellerinnen nicht an der Antragsbefugnis.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch den Bebauungsplan oder dessen Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Die Antragstellerinnen können als Eigentümerinnen eines Grundstücks im Plangebiet insbesondere geltend machen, durch den Bebauungsplan, der (u.a.) eine Teilfläche ihres Grundstücks als öffentliche Verkehrsfläche (VBB = Verkehrsberuhigter Bereich) festsetzt, in ihren Rechten verletzt zu sein. Zwar hat der bisherige Bebauungsplan AM 8A „Am Galgenberg“ vom 4. Juli 1970 (in Gestalt seiner 1. Änderung vom 28.11.1986) diese Fläche ebenfalls bereits als öffentliche Verkehrsfläche (O.-straße) festgesetzt. Allerdings hat die Antragsgegnerin in der Vergangenheit diese Festsetzung nicht verwirklicht, sondern ist davon ausgegangen, dass die Erschließung des Grundstücks der Antragstellerinnen (sowie der weiteren bereits bebauten Anliegergrundstücke westlich des B.-wegs) durch die Widmung des von den Anliegern selbst hergestellten B.-wegs als E.-weg (= sonstige öffentliche Straße gemäß Art. 53 Nr. 3 BayStrWG) hinreichend gesichert sei. Die Antragsgegnerin hat an dieser Ansicht jedoch nicht mehr festhalten können, als das Verwaltungsgericht Regensburg im Dezember 2011 in seiner – den Beteiligten bekannten – Entscheidung (Urt. v. 1.12.2011 – RO 2 K 11.1204 – n.v.) rechtskräftig feststellte, dass das Grundstück (jedenfalls) einer Anliegerin westlich des B.-wegs tatsächlich nicht als öffentlicher Weg (E.-weg) gewidmet worden ist. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist für die Antragsgegnerin danach Anlass gewesen, die ursprüngliche und im bisherigen Bebauungsplan auch entsprechend festgesetzte Planung des B.-wegs als eine in die Straßenbaulast der Antragsgegnerin fallende öffentliche Straße erneut aufzugreifen und den B.-weg als öffentliche Verkehrsfläche – mit einigen Änderungen im streitgegenständlichen Bebauungsplan gegenüber der ursprünglichen Planung – erneut festzusetzen. Ob die Antragsgegnerin im Rahmen der von ihr in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Abwägung der betroffenen privaten und öffentlichen Belange dabei die Interessen der Antragstellerinnen hinreichend gewürdigt hat, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Normenkontrollantrags.
2. Der Normenkontrollantrag ist nicht begründet. Der streitgegenständliche Bebauungsplan leidet weder an formellen noch an materiellen Fehlern, die zu seiner Unwirksamkeit führen könnten.
a) Entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen leidet der Bebauungsplan nicht deshalb an einem Verfahrensfehler, weil die frühzeitige Unterrichtung der Öffentlichkeit von den Planungsabsichten (ab 18.12.2015) nicht eine Woche vorher bekannt gemacht worden ist. Die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB, wonach Ort und Dauer der öffentlichen Auslegung des Bebauungsplans im Verfahren der Beteiligung der Öffentlichkeit (§ 3 Abs. 2 BauGB) mindestens eine Woche vor Beginn der Auslegung ortsüblich bekannt zu machen ist, bezieht sich nicht auf die vorangehende frühzeitige Unterrichtung der Öffentlichkeit nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 BauGB. Sonstige formelle Fehler des Bebauungsplans sind im Übrigen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
b) Ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot ist ebenfalls nicht gegeben. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen ihrer Abwägung der vom Bebauungsplan betroffenen privaten und öffentlichen Belange die Belange der Antragstellerinnen ebenso hinreichend berücksichtigt wie die von den Antragstellerinnen angesprochenen Belange des Natur- und Landschaftsschutzes.
Das Abwägungsgebot verpflichtet die Gemeinde, die für die Planung bedeutsamen öffentlichen und privaten Belange (Abwägungsmaterial) zu ermitteln und zu bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB) sowie sie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB). Insgesamt unterliegt die Abwägung allerdings nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Gegen das rechtsstaatlich fundierte Gebot gerechter Abwägung wird verstoßen, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung dieser Belange verkannt wird (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität). Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen entscheidet. Das Vorziehen und Zurücksetzen bestimmter Belange innerhalb des vorgegebenen Rahmens ist die „elementare planerische Entschließung“ der Gemeinde über die städtebauliche Entwicklung und Ordnung und kein aufsichtlich oder gerichtlich nachvollziehbarer Vorgang (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 24.6.2020 – 15 N 19.442 – juris Rn. 35 m.w.N.). Für die Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan maßgebend (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB).
aa) Die Festsetzung des B.-wegs als öffentliche Verkehrsfläche, die in die Straßenbaulast der Antragsgegnerin fällt, ist entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen notwendig, weil sonst die Erschließung des Baugebiets insgesamt nicht gesichert ist. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die östlich des B.-wegs gelegenen und bisher noch nicht bebauten – jedoch schon nach Maßgabe des bisherigen Bebauungsplans bebaubaren – Anliegergrundstücke, sondern auch im Hinblick auf die bereits bebauten Grundstücke westlich des B.-wegs, die nicht mehr über einen durchgängig befahrbaren (und als solchen gewidmeten) E.-weg erschlossen sind. Auch wenn die bereits bebauten Anliegergrundstücke westlich des B.-wegs jeweils wechselseitig über privatrechtlich durch Grunddienstbarkeiten gesicherte Geh- und Fahrtrechte verfügen, fehlt es ihnen bisher an der erforderlichen Anbindung an eine öffentliche Straße. Die zu erwartenden (notwendigen) Erschließungskosten sind insoweit auch nicht unverhältnismäßig. Die Antragsgegnerin hat im Übrigen die Erschließungsmaßnahme im streitgegenständlichen Bebauungsplan gegenüber der bisherigen Planung deutlich reduziert. Während der frühere Bebauungsplan noch einen Ausbau des B.-wegs in einer Breite von 7 m vorgesehen hatte, sieht der streitgegenständliche Bebauungsplan nunmehr (lediglich) eine „Regelbreite von 4,75 m“ vor (vgl. Beschlussvorlage der Verwaltung vom 17.10.2017 zum Planungsanlass und zum Planungskonzept für die Sitzung des Bauausschusses am 8.11.2017 und des Stadtrates am 20.11.2017). Den Umstand, dass die Anlieger westlich des B.-wegs in der Vergangenheit (zum Teil erhebliche) Investitionen (etwa durch den Bau einer Hofanlage im Bereich der für den B.-weg vorgesehenen Grundstücksfläche) vorgenommen haben und der geplante B.-weg als öffentliche Verkehrsfläche somit (teilweise) in „bereits errichtete Anlagen“ (etwa Böschungen, Betonmauern, Pflasterung, Zaun, Tor und Stützmauer sowie in einen in der Grundstücksfläche des B.-wegs liegenden Öltank) eingreift, hat die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Abwägung hinreichend gewürdigt. Der Antragsgegnerin ist dabei bewusst gewesen, dass sie die für die Anlage des B.-wegs als öffentliche Verkehrsfläche erforderlichen Grundstücksflächen erst noch freihändig von den Grundstückseigentümern und – im Falle der Nichteinigung – notfalls im Wege der Durchführung eines Enteignungsverfahrens erwerben muss. Sie war nicht verpflichtet, die diesbezüglich erforderlichen weiteren Schritte bereits im Detail während des Bebauungsplanverfahrens zu unternehmen, sondern konnte diese auf den Zeitraum nach (rechtskräftigem) Abschluss des Bebauungsplanverfahrens verlagern, ohne damit Zweifel an der Realisierbarkeit des Bebauungsplans zu begründen.
bb) Die Antragsgegnerin hat sich im Rahmen ihrer Abwägung ebenfalls mit den vorgebrachten Bedenken hinsichtlich eines „Abrutschens“ des östlich des B.-wegs ansteigenden Hanges und der Problematik der Ableitung des Hangwassers befasst. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass – insbesondere auch nach Abstimmung mit den Fachbehörden – insoweit keine nachteiligen Folgen für die Anlieger westlich des B.-wegs zu befürchten sind, haben die Antragstellerinnen im Normenkontrollverfahren nicht substantiiert in Zweifel ziehen können. Ebenso bestehen im Hinblick auf das Ergebnis der von der Antragsgegnerin eingeholten speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung vom 30. November 2016 und der im Rahmen des Umweltberichts vorgenommenen Bestandsaufnahme und Bewertung der Umweltauswirkungen keine Zweifel daran, dass der Bebauungsplan entgegen der nicht näher substantiierten Ansicht der Antragstellerinnen keine „große negative Auswirkung auf die Flora und Fauna“ haben wird. Gerichtlich zu beanstandende Fehler in der Abwägung sind auch sonst nicht erkennbar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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