Baurecht

Nutzungsänderung eines Druckereigebäudes zu Technologieentwicklungsunternehmen – Stellplatznachweis

Aktenzeichen  Au 5 K 20.2694

Datum:
10.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22888
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5
BayBO Art. 47 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 Nr. 2, Art. 55 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Stellplatzfragen werden im Rahmen der Baugenehmigung nur geprüft, wenn die Gemeinde eine entsprechende Stellplatzsatzung als örtliche Bauvorschrift nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO erlassen hat. Fehlt eine entsprechende örtliche Bauvorschrift, wird die Erfüllung der Stellplatzpflicht im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht geprüft. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Löst eine Änderung oder Nutzungsänderung einen – rechnerisch ermittelten – Mehrbedarf an Stellplätzen aus, so ist dieser nachzuweisen. Ist dies nicht der Fall, sind keine zusätzlichen Stellplätze nachzuweisen. Die Baurechtsbehörde darf einen Bauantrag, der keine den Stellplatzbedarf berührenden Änderungen des bereits genehmigten Vorhabens zum Gegenstand hat, nicht zum Anlass nehmen, eine neue Stellplatzberechnung zu verlangen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Fehlen für die bisher bestehende oder genutzte bauliche Anlage von Anfang an oder auf Grund der heutigen Anforderungen Stellplätze, so müssen diese im Falle der Änderung oder Nutzungsänderung nicht nachträglich geschaffen werden, da sie nicht änderungsbedingt sind. Die Nichterfüllung der aus der früher genehmigten Nutzung ausgelösten Stellplatzpflicht bleibt unbeachtlich. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. In ihrem Bestand geschützt sind (nur) solche Nutzungen, die formell oder zumindest materiell rechtmäßig ausgeübt werden oder wurden. Die für die bisherige Nutzung erforderlichen Stellplätze können also nur „angerechnet“ werden bzw. zur Anwendung des Art. 47 Abs. 1 S. 2 BayBO führen, wenn die bisherige Nutzung formell und/oder materiell rechtmäßig ist. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
5. Soweit vom Grundsatz abgewichen wird, Stellplätze auf dem eigenen Grundstück zu schaffen und die Stellplätze stattdessen in der Nähe des Grundstücks herzustellen, ist deren Benutzung als Stellplatz öffentlich-rechtlich zu sichern. Als öffentlich-rechtliche Sicherung wird die Einräumung einer beschränkt-persönlichen Dienstbarkeit zugunsten des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde für üblich und erforderlich erachtet. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die als Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage zum Baugenehmigungsantrag vom 21. Juni 2019 (…), eingegangen beim Beklagten am 23. Juli 2019, statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung für die Nutzungsänderung „Umnutzung eines Druckereigebäudes zu einem Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik“, § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -. Das genehmigungspflichtige Vorhaben ist mangels Erfüllung des Stellplatznachweises nicht genehmigungsfähig.
1. Die von der Klägerin beabsichtigte Nutzungsänderung ist baugenehmigungspflichtig nach Art. 55 Abs. 1 BayBO.
Mit der Nutzungsaufgabe der Liegenschaft zu Zwecken der Druckerei soll das streitgegenständliche Gebäude bei Realisierung des klägerischen Vorhabens eine andere Zweckbestimmung erhalten. Von dieser Zweckbestimmung als Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik gehen andere öffentlich-rechtliche Anforderungen aus und es werden von der neuen Nutzung aus dem Blickwinkel der maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften andere Aspekte berührt (Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 141. EL März 2021, Art. 55 Rn. 28), so beispielsweise im Bereich des Brandschutzes und des Lärms. Vorliegend ist hierzu auch nichts anderes nach Art. 55 Abs. 1 BayBO i.V.m. Art. 56 – 58, 72 und 73 bestimmt.
2. Die Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Baugenehmigung nach Art. 68 der Bayerischen Bauordnung – BayBO – i.V.m. Art. 59 Satz 1 BayBO liegen nicht vor. Insbesondere sind die nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 c) i.V.m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO nach der Stellplatzsatzung der Beigeladenen als örtliche Bauvorschrift erforderlichen Stellplätze nicht nachgewiesen.
a) Stellplatzfragen werden im Rahmen der Baugenehmigung gem. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 c) BayBO nur geprüft, wenn die Gemeinde eine entsprechende Stellplatzsatzung als örtliche Bauvorschrift nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO – und sei es auch integriert in einen Bebauungsplan, vgl. Art. 81 Abs. 2 i.V. m. § 30 BauGB – erlassen hat. Fehlt eine entsprechende örtliche Bauvorschrift, dann wird die Erfüllung der Stellplatzpflicht im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht geprüft (Decker in Busse/Kraus, Art. 81 Rn. 171 und Wolf in Busse/Kraus, Art. 59 Rn. 66). Solche Stellplatzsatzungen konkretisieren, was in Art. 47 BayBO dem Grunde nach zur Herstellungspflicht von Stellplätzen bei der Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von Anlagen (Art. 2 Abs. 1 Satz 4 BayBO) geregelt ist. Die Gemeinden können die dort genannten Parameter – benannt mit Zahl, Größe und Beschaffenheit – nach ihren Vorstellungen regeln, nicht hingegen den sich aus Art. 47 BayBO grundsätzlich ergebenden Bedarf an Stellplätzen. Auch enthält die Norm des Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO keine Kompetenz zur Regelung der Situierung und Anordnung von Stellplätzen auf einem Baugrundstück, also über die Lage der Stellplätze (Grünewald in BeckOK BauordnungsR Bayern, 17. Ed. 1.11.2019, BayBO Art. 81 Rn. 122; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 81 Rn. 164 f.).
Hier hat die beigeladene Stadt … gerade eine solche rechtskonforme Stellplatzsatzung auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO erlassen, die nach § 1 der Stellplatzsatzung das gesamte Stadtgebiet und damit auch das Vorhabensgrundstück umfasst. Abweichende Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans „GE nördlich der …-Straße, I. Planungsabschnitt“, die nach § 1 Abs. 2 Stellplatzsatzung unverändert fortgälten, gibt es nicht, ebenso keine Anhaltspunkte für eine Unwirksamheit der Satzung. Nach § 3 Abs. 1 der Stellplatzsatzung ist die Klägerin somit verpflichtet, mit dem Bau- bzw. Freistellungsantrag durch die Bauvorlagen nachzuweisen, dass die erforderlichen Stellplätze vorhanden sind bzw. hergestellt werden. Die sich aus § 2 Abs. 1 der Stellplatzsatzung i.V.m. den im Anhang Nr. 1 festgelegten Richtwerten ergebende Anzahl an benötigten Stellplätzen (u.a. 54 KfZ-Stellplätze) ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
b) Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO entbindet vorliegend die Klägerin nicht davon, die notwendigen Stellplätze herzustellen.
aa) Entsprechend der eingeschränkten Satzungskompetenz der Gemeinde entfaltet Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO grundsätzlich auch bei Vorliegen einer Stellplatzsatzung weiterhin Rechtswirksamkeit.
bb) Nach Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO sind bei Änderungen oder Nutzungsänderungen von Anlagen Stellplätze in solcher Zahl und Größe herzustellen, dass die Stellplätze die durch die Änderung zusätzlich zu erwartenden Kraftfahrzeuge aufnehmen können.
Dabei ist zu ermitteln, ob die Änderung/Nutzungsänderung einen Mehrbedarf an Stellplätzen hervorruft und wenn ja, in welcher Höhe. Der Bestand bleibt dabei außer Betracht. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Bestand Bestandsschutz genießt, dass in diesen Bestand also grundsätzlich – abgesehen von Art. 54 Abs. 4 BayBO – nicht eingegriffen werden kann. Ermittelt wird der Mehrbedarf durch einen rechnerischen Vergleich zwischen dem Stellplatzbedarf der geänderten Anlage und dem Stellplatzbedarf des Altbestandes. Rein rechnerisch wird der Stellplatzbedarf des Altbestandes ermittelt und von dem – ebenfalls rein rechnerisch – ermittelten Sollbestand abgezogen. Löst eine Änderung oder Nutzungsänderung einen – rechnerisch ermittelten – Mehrbedarf aus, so ist dieser nachzuweisen; ist dies nicht der Fall, sind keine sind keine zusätzlichen Stellplätze nachzuweisen. Die Baurechtsbehörde darf also einen Bauantrag, der keine den Stellplatzbedarf berührenden Änderungen des bereits genehmigten Vorhabens zum Gegenstand hat, nicht zum Anlass nehmen, eine neue Stellplatzberechnung zu verlangen (vgl. zum Ganzen: Würfel in Busse/Kraus, BayBO, Art. 47 Rn. 62 ff. unter Hinweis auf VGH Mannheim Urt. v. 14. 3. 2001 – 8 S 2257/00, BauR 2002, 69; BayVGH, U.v. 8.10.2020 – 2 B 20.301 – juris Rn. 45; BayVGH, U.v. 14.8.2008 – 2 BV 06.540 – juris; Jäde, PdK Bayern F 3: BayBO, 6. Fassung 2017, Art. 47 BayBO Rn. 3.2).
Fehlen für die bisher bestehende oder genutzte bauliche Anlage von Anfang an oder auf Grund der heutigen Anforderungen Stellplätze, so müssen diese im Falle der Änderung oder Nutzungsänderung nicht nachträglich noch geschaffen werden, da sie nicht änderungsbedingt sind. Die Nichterfüllung der aus der früher genehmigten Nutzung ausgelösten Stellplatzpflicht bliebe unbeachtlich (BayVGH, B.v. 22. 4. 2004 – 20 B 03.2531 – juris; BayVGH, U.v. 8.10.2015 – 1 BV 14.1795 – BeckRS 2015, 56147, Rn.28; OVG Hamburg U.v. 10. 4. 2003 – 2 Bf 432/99, ZfIR 2004, 295). Diese Rechtslage folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO, der ausdrücklich nur die Herstellung von Stellplätzen für die durch die Änderung zusätzlich zu erwartenden Kraftfahrzeuge vorschreibt. Es wäre nicht sachgerecht, diese Vorschrift entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut extensiv auszulegen. Denn nur die Erhöhung des Stellplatzbedarfs durch die bauliche Änderung oder Nutzungsänderung, nicht aber ein bereits bei der bisherigen rechtmäßigen Nutzung bestehender Stellplatzmangel, ist ein sachlich gerechtfertigter Grund dafür, von einem Bauherrn im Zusammenhang mit der Änderung die Herstellung von Stellplätzen zu verlangen (BayVGH, U.v. 17. 11. 1978 – 333 II 73 – juris Rn. 37).
Vorliegend war zuletzt mit Baugenehmigung vom 8. Juni 2006 (…) ein Stellplatzbedarf von 63 KfZ-Stellplätzen für die damalige Nutzung als Druckereigebäude angenommen worden. Der nun für die geplante Nutzung als Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik ermittelte Stellplatzbedarf an 54 KfZ-Stellplätzen liegt rechnerisch darunter.
cc) Der „Altbestand“ aus der Baugenehmigung vom 8. Juni 2006 (Gz. …) entfaltet vorliegend keinen Bestandsschutz vermittelnde Wirkung, da die dortige aufschiebende Bedingung in Ziffer 2 des Bescheids, dass die dingliche Sicherung (Grunddienstbarkeit) der auf dem Grundstück Fl.Nr. … nachgewiesenen Stellplätze vorgelegt werde, nicht erfüllt ist. Im Bestand geschützt sind aber nur formell und/oder materiell legale Nutzungen.
– Wie soeben unter 2. b) bb) ausgeführt, ist die sich aus Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO ergebende Anrechnung von tatsächlich vorhandenen oder auch nur fiktiven Stellplätzen, die auf die bisherige Nutzung entfallen, Folge des Bestandsschutzes, den die bisherigen Nutzungen genießen. In ihrem Bestand geschützt sind dabei aber, wie auch sonst, (nur) solche Nutzungen, die formell oder zumindest materiell rechtmäßig ausgeübt werden oder wurden (BayVGH, B.v. 22. 4. 2004 – 20 B 03.2531 – juris, Rn. 19). Die für die bisherige Nutzung erforderlichen Stellplätze können also nur „angerechnet“ werden bzw. zur Anwendung des Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO führen, wenn die bisherige Nutzung formell und/oder materiell rechtmäßig ist (BayVGH, U.v. 8.10.2015 – 1 BV 14.1795 – BeckRS 2015, 56147, Rn. 28; BayVGH, B.v. 11.11. 2002 – 2 ZB 02.2472 – juris Rn. 3 für formell und materiell rechtswidrige vorherige Nutzung; Würfel in Busse/Kraus, BayBO, Art.47 Rn. 69; Jäde, PdK Bayern F 3: BayBO, Art. 47 Rn. 3.2).
– Die im Jahr 2006 vorgelegte Grunddienstbarkeit genügt nicht zur Erfüllung der Nebenbestimmung (aufschiebender Bedingung) aus Ziffer 2 der Baugenehmigung vom 8. Juni 2006 (Gz. …), da sie den Anforderungen des Art. 47 Abs. 3 Satz 2 BayBO nicht entspricht. Sie ist nicht geeignet, Bestandsschutz zu vermitteln.
Entsprechend der eingeschränkten Satzungskompetenz der Gemeinde entfaltet auch Art. 47 Abs. 3 Nr. 2 BayBO grundsätzlich weiterhin Rechtswirksamkeit. Nach Art. 47 Abs. 3 BayBO stehen dem Bauherrn verschiedene Möglichkeiten offen, die Stellplatzpflicht zu erfüllen: auf dem Baugrundstück (Art. 47 Abs. 3 Nr.1 BayBO), durch Ablösevertrag (Art. 47 Abs. 3 Nr. 3 BayBO) oder durch Herstellung der notwendigen Stellplätze auf einem geeigneten Grundstück in der Nähe des Baugrundstücks, wenn dessen Benutzung für diesen Zweck gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde rechtlich gesichert ist (Art. 47 Abs. 3 Nr. 2 BayBO). In der Gesetzesbegründung zum Entwurf der Bayerischen Bauordnung 1961 (Landtags-Drs. 04/ III 260 – 1, S. 48, zu Art. 62 BayBO (1962)) ist ausgeführt, dass die Verpflichtung zur Schaffung von privaten Stellplätzen oder Garagen bereits geltendes Recht und in der Reichsgaragenverordnung enthalten sei. Die Verpflichtung zur Schaffung privater Stellplätze finde ihre Begründung darin, dass es bei dem ständig steigenden Kraftfahrzeugverkehr nicht vertretbar sei, dass der Eigentümer eines Grundstücks die öffentlichen Verkehrsflächen mit dem Abstellen von Kraftfahrzeugen für Bewohner oder die ständigen Benutzer oder Besucher seines Grundstücks belaste. Aus Gründen der Gefahrenabwehr müsse ihm die Verpflichtung auferlegt werden, die notwendigen Stellplätze selbst zur Verfügung zu stellen. Soweit vom Grundsatz abgewichen werde, Stellplätze auf dem eigenen Grundstück zu schaffen und die Stellplätze stattdessen in der Nähe des Grundstücks herzustellen, sei deren Benutzung als Stellplatz öffentlich-rechtlich zu sichern. Als solch öffentlich-rechtliche Sicherung wird nach h.M. gleichermaßen üblich wie erforderlich erachtet die Einräumung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit zugunsten des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde (Würfel in Busse/Kraus, BayBO, Art. 47 Rn. 152 mit Hinweis auf Formulierungsvorschlag der Landesnotarkammer; Hensel in Spannowsky/Manssen: BeckOK Bauordnungsrecht in Bayern, 18. Ed. Stand 1.11.2019, Art. 47 Rn. 91). Nur damit kann im Verhältnis zur Bauaufsichtsbehörde nachgewiesen und abgesichert werden, dass die Grundstückseigentümer des dienenden und des herrschenden Grundstücks (unabhängig von der vom Klägerbevollmächtigten thematisierten Frage, ob hier Personengleichheit besteht oder nicht) die Nutzung des dienenden Grundstücks für Stellplätze nicht bilateral verändern. Das Erfordernis der Bestellung zugunsten des Trägers der Bauaufsicht folgt aus dem Gesetzeswortlaut.
Die vorliegend in Bezug genommene Grunddienstbarkeit aus der Urkunde … vom 30. Mai 2006 des Notars Dr., … genügt diesen Anforderungen nicht.
Der Rechtsvorgänger der Klägerin hatte im Genehmigungsverfahren Gz. … den Stellplatznachweis über die (teilweise) Situierung der Stellplätze auf dem in der Nähe gelegenen Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … gewählt und hierzu dem Beklagten die Grunddienstbarkeit aus der Urkunde … vom 30. Mai 2006 des Notars Dr.,, vorgelegt. Darin räumte der Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … (dienendes Grundstück) für sich und seine Rechtsnachfolger im Eigentum 1. dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … (herrschendes Grundstück) sowie 2. der Stadt, das Recht ein, die auf dem dienenden Grundstück befindlichen Stellplätze unentgeltlich auf Dauer mitzubenutzen und zu diesem Zwecke das dienende Grundstück jederzeit, ungehindert und unentgeltlich, jedoch auf eigene Gefahr, zu betreten und mit Fahrzeugen aller Art zu befahren. Der Ausübungsbereich dieser Dienstbarkeit ist in dem einen Bestandteil dieser Vereinbarung bildenden Lageplan rot eingezeichnet und ein Auszug aus dem Katasterkartenwerk zu Fl.Nr. … beigefügt. Weder ist damit aber die Grunddienstbarkeit zugunsten des Trägers der Bauaufsicht, nämlich dem Landratsamt …, als sachlich und örtlich zuständiger unterer Kreisverwaltungsbehörde (Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayBO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LKrO und Art. 3 Abs. 1 Nr. 1a BayVwVfG) eingetragen – die beigeladene Stadt … hat die Aufgabe der Bauaufsicht gerade nicht inne, noch ist die Kammer der Auffassung, dass das in der Grunddienstbarkeit eingeräumte Mitbenutzungsrecht an den sich auf dem Grundstück Fl.Nr. …befindlichen Parkplätzen ausreichend ist, dem Gesetzeszweck der Entlastung des öffentlichen Straßenraums Rechnung zu tragen. Zwar ist zutreffend, dass mit Baugenehmigung vom 20. Juni 2006 (Gz. …) auf Fl.Nr. … die Errichtung von 67 Parkplätzen genehmigt wurde und damit eine Anzahl von Parkplätzen, die über die zugunsten Fl.Nr. … gesicherten 53 Parkplätze hinausgeht. Es ist aber unbekannt und rechtlich nicht bestimmt, welchen einzelnen oder ggf. mehreren Bauvorhaben die übrigen, sich auf dem „Parkplatzgrundstück“ Fl.Nr. … befindlichen Parkplätze zugeordnet sind und welcher absolute Stellplatzbedarf im Ganzen mittels dieses Grundstücks abgedeckt werden soll. In diesem Kontext, der gerade keine klare Zuordnung einzelner Parkplätze zum Bauvorhaben Gz.: … bestimmt, vermag ein allgemeines Mitbenutzungsrecht an vorhandenen Stellplätzen dem Telos der rechtlichen Sicherung im Interesse der Vermeidung der Belastung des öffentlichen Straßenraums nicht zu genügen. Dies wird vorliegend gerade durch die aktuelle Situation, in der die ehemals im Rahmen des Druckereibetriebs einheitlich genutzten Grundstücke aufgrund Insolvenz an nun unterschiedliche Grundstückseigentümer veräußert wurden, umso relevanter. Diese Auffassung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Vertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung erklärt, nach seiner Kenntnis gebe es im Bereich des Straßenraums der streitgegenständlichen Grundstücke aktuell keine Probleme in Bezug auf parkende Kraftfahrzeuge.
c) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, der Beklagte habe seit der Kenntnisnahme der Grunddienstbarkeit im Jahr 2006 hiergegen keine Einwände erhoben, insbesondere deren Fehlerhaftigkeit im Hinblick auf die Bedingung in Ziffer 2 der Baugenehmigung vom 8. Juni 2006 nicht gerügt. Einen nach außen wirkenden Vertrauenstatbestand hat der Beklagte nicht gesetzt.
Es kann dahinstehen, ob die damalige Situation, wie die Beklagtenvertretern in der mündlichen Verhandlung vermuteten, möglicherweise nicht beanstandet worden war, weil die betroffenen Grundstücke sämtlich dem Druckereibetrieb zugeordnet werden konnten und man von einer Koordination der Stellplatznutzung durch die Betriebsleitung habe ausgehen können. Weder aber im Verhältnis zum Rechtsvorgänger der Klägerin noch dieser gegenüber hat der Beklagte positiv zu erkennen gegeben, er habe keine Einwände gegen die Grunddienstbarkeit. Dies hätte ein nach außen gerichtetes, aktives Tun erfordert; das bloße Abzeichnen der Grunddienstbarkeit mit dem Vermerk „Kg“ (Kenntnis genommen) und die Verfügung zum Vorgang genügt dafür nach Auffassung der Kammer nicht. Für die Schaffung eines besonderen Vertrauenstatbestandes seitens des Landratsamtes haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Auch der große Zeitraum von 2006 bis 2019 ändert an dieser Einschätzung nach Auffassung der Kammer nichts. Denn es bestand erst mit der Einreichung des klägerischen Bauantrags im Jahr 2019 für den Beklagten als Bauaufsichtsbehörde der Anlass, die Stellplatzfrage (erneut) zu prüfen. Auch könnte durch eine faktische behördliche Duldung, also ein Nichteinschreiten trotz behördlicher Kenntnis, selbst wenn sie über längere Zeit erfolgt ist, eine illegale bauliche Anlage bzw. deren Nutzung nicht legal werden bzw. ein bestehender Widerspruch einer Nutzung zum öffentlichen Recht nicht aufgelöst werden (BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 – juris Rn. 33). Die Befugnis, die Nutzung einer formell und materiell illegalen baulichen Anlage zu untersagen bzw. sich vorliegend auf die Nichterfüllung der Bedingung zu berufen, kann im Übrigen auch nicht verwirkt werden. Das folgt schon daraus, dass nur Rechte, nicht aber Pflichten, hier die behördliche Pflicht für rechtmäßige Zustände zu sorgen, verwirkt werden können (BayVGH, B.v. 15.9.2006 – 15 ZB 06.2065 – juris Rn. 5 m.w.N.).
3. Ohne dass es entscheidend darauf ankäme, sind auch weitere Genehmigungsvoraussetzungen des Vorhabens nach Art. 68 BayBO i.V.m. Art. 59 Satz 1 BayBO nicht erfüllt.
aa) Zwar entspricht das Vorhaben allen bauplanungsrechtlichen Festsetzungen des vorliegend nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 a) BayBO i.V.m. § 30 Abs. 1 BauGB maßgeblichen Bebauungsplans „…, I. Planungsabschnitt“.
bb) Eine Entscheidungsreife nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO hinsichtlich der Genehmigungsvoraussetzung des Art. 59 Satz 1 Nr. 1 b) i.V.m. Art. 6 BayBO bzw. nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO in Bezug auf Abstandsflächen bzw. die auf Bl. 16 der Behördenakten mit dem Bauantrag beantragte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO von Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO liegt jedoch zum für die erhobene Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vor. Eine Entscheidung des Beklagten über die begehrte Abstandsflächen-Abweichung im Bereich des Technikraums neu an der südwestlichen Gebäudeecke, die nach Erlass einer Abstandsflächentiefensatzung durch die Beigeladene (Satzung über abweichende Maße der Abstandsflächentiefe gem. Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 a BayBO der Stadt … vom 27. Januar 2021, in Kraft seit 1. Februar 2021) zwingend im Einvernehmen mit der Beigeladenen (Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO) zu erfolgen hat, ist (noch) nicht getroffen worden.
Im Ergebnis war die Klage somit abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung folgt § 154 Abs. 1 VwGO. Mangels Antragstellung im Verfahren nimmt die Beigeladene nicht am Kostenrisiko teil, so dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat, § 154 Abs. 3 VwGO.
5. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO, § 711 ZPO.


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