Baurecht

Nutzungsuntersagung für formell illegalen Anbau einer Gaststättenküche

Aktenzeichen  W 5 S 18.1195

Datum:
9.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34573
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5
BayBO Art. 76 S. 2, S. 3

 

Leitsatz

Die bloße formelle Rechtswidrigkeit kann eine Nutzungsuntersagung – aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – nur dann nicht rechtfertigen, wenn die ausgeübte Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist (hier verneint für Anbau einer Küche für eine Gaststätte). Denn es ist im Allgemeinen unverhältnismäßig, eine offensichtlich materiell legale Nutzung zu untersagen, ohne den Bauherrn vorher – vergeblich – aufgefordert zu haben, einen Bauantrag zu stellen (Art. 76 S. 3 BayBO) bzw. ohne über einen bereits gestellten Bauantrag entschieden zu haben. (Rn. 26 – 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung betreffend eines Anbaus an die Küche ihrer Gaststätte.
1. Die Antragsteller betreiben auf dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück Fl.Nr. …6 der Gemarkung … , …straße … in … eine Gaststätte. Das Baugrundstück befindet sich in der Altstadt von … im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Nr. 62 – Altstadt Süd“. Für die Gaststätte wurde mit Bescheid des Landratsamts … vom 2. Februar 2007 die Baugenehmigung erteilt. Das Grundstück Fl.Nr. …6 ist nahezu vollständig bebaut. In östlicher Richtung, im rückwärtigen, von der Straße abgewandten Bereich schließt sich das Grundstück Fl.Nr. …6/2 (Baugrundstück) mit einer Größe von wenigen Quadratmetern an, das ebenfalls im Eigentum der Antragsteller steht.
Aufgrund mehrerer Nachbarbeschwerden wurde dem Landratsamt … bekannt, dass die Antragsteller auf dem Baugrundstück einen Anbau errichtet und hierdurch die Küche der Gaststätte erweitert haben. Anlässlich einer Baukontrolle am 28. Juni 2016 stellte das Landratsamt … u.a. fest, dass ein Anbau an die Gaststätte mit einer Länge zwischen 1,80 m und 2,50 m und einer Breite von 3,50 m vorgenommen worden war. Bei weiteren Ortseinsichten wurde festgestellt, dass ein Fenster sowie eine Dachluke geöffnet waren. In der fachtechnischen Stellungnahme vom 12. Oktober 2017 meldete die Umweltingenieurin des Landratsamts erhebliche Bedenken bzgl. einer Geruchsbelästigung und einer Lärmbelästigung an.
Mit Schreiben vom 12. April 2018 teilte das Landratsamt Würzburg den Antragstellern mit, dass beabsichtigt sei, eine Nutzungsuntersagung auszusprechen; es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30. April 2018 gegeben.
Mit E-Mail vom 26. April 2018 erklärte der von den Antragstellern eingeschaltete Planfertiger, dass ein Bauantrag eingereicht werde, und bat hierzu um Fristverlängerung bis Ende Mai 2018. Nach Ablauf der gewährten Frist und nach weiterer Nachfrage erklärte der Planfertiger, den Bauantrag im Laufe der 30. Kalenderwoche (Ablauf: 29.7.2018) einzureichen.
2. Nachdem in der Folge ein Bauantrag weder beim Landratsamt … noch bei der Stadt … vorgelegt worden war, untersagte das Landratsamt … mit Bescheid vom 28. August 2018 den Antragstellern ab Zustellung des Bescheids die Nutzung des ohne Genehmigung errichteten Anbaus auf dem Baugrundstück (Ziffer 1 des Bescheids). Hinsichtlich der Ziffer 1 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (Ziffer 2). Für den Fall der Nichtbeachtung der Anordnung nach Ziffer 1 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 EUR angedroht (Ziffer 3).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Nutzungsuntersagung ihre Rechtsgrundlage in Art. 76 Satz 2 BayBO finde. Eine Nutzung im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften liege bereits dann vor, wenn der Nutzer nicht im Besitz der erforderlichen Baugenehmigung sei. Der Anbau und die Nutzung seien nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig. Eine Baugenehmigung liege nicht vor. Eine Aussage, ob das Vorhaben überhaupt genehmigungsfähig sei, könne derzeit nicht getroffen werden. Zum einen liege der Anbau außerhalb der festgesetzten Baugrenzen des Bebauungsplans. Ob eine Befreiung zugelassen werden könne, bedürfe einer ausführlichen Prüfung. Weiter bestünden immissionsschutzrechtliche Bedenken gegen das Vorhaben. Auch diese bedürften einer eingehenden Prüfung. Eine Nutzungsuntersagung könne allein wegen formeller Illegalität ausgesprochen werden. Auf die materielle Illegalität komme es insofern nicht an. Das Handeln des Landratsamtes sei opportun. Die angeordneten Maßnahmen seien auch verhältnismäßig. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung beruhe auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO; sie liege hier im öffentlichen Interesse. Die Nutzung des Anbaus als Küche belaste vor allem die Nachbarn in einem nicht hinzunehmenden Maß. Angesichts des öffentlichen Interesses müsse das Individualinteresse des Bauherrn, die Anordnung der Ziffer 1 nicht vor der endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit vollziehen zu können, zurücktreten.
3. Gegen den Bescheid vom 28. August 2018, der den Antragstellern laut Postzustellungsurkunde am 31. August 2018 zugestellt wurde, ließen die Antragsteller am 12. September 2018 Klage erheben (W 5 K 18.1194).
Mit Schriftsatz (ebenfalls) vom 10. September 2018, eingegangen bei Gericht am 12. September 2018, ließen die Antragsteller zudem b e a n t r a g e n,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Antragsteller räumten ein, dass sie im vergangenen Jahr in nicht zulässiger Weise an den rückwärtigen Bereich der Küche einen kleinen Anbau vorgenommen hätten. Zu dem Zweck des Umbaus sei zuvor eine Grenzbereinigung im rückwärtigen Bereich erfolgt. Die Durchführung des Bauvorhabens hätten die Antragsteller – bedauerlicherweise – ohne vorherige Baugenehmigung durchgeführt. Der von den Antragstellern eingeschaltete Architekt sei infolge anderweitiger Arbeitsbelastung bzw. -überlastung nicht dazugekommen, rechtzeitig die Planung für den ungenehmigten Anbau vorzulegen. Dies sei jedoch mittlerweile geschehen. Es wäre für den Sachbearbeiter des Landratsamts zumutbar gewesen, vor Erlass des Bescheids nochmals Rückfrage bei dem bauplanenden Architekten zu nehmen, wo denn der Baugenehmigungsantrag bleibe. Das Landratsamt gehe in seinem Bescheid von unzutreffenden Tatsachen aus. Von dem Anbau bzw. der Nutzung des Anbaus gehe keine erhebliche Geruchsbelästigung aus. Das Fenster, das um 2,50 m nach hinten verlegt worden sei, sei bereits als genehmigtes Fenster vorhanden gewesen. Es sei nun auch eine Verbesserung eingetreten, da die Fensteröffnung geschlossen worden sei. Die Behauptung, die vom technischen Immissionsschutz aufgestellt worden sei, dass man „davon ausgehe“, dass eine Überschreitung der zulässigen Lärmwerte vorliege, sei durch nichts nachgewiesen. Es seien keinerlei Messungen vorgenommen worden. Die Entlüftung erfolge durch die vorhandene Küchenabsaugung und nicht durch das Fenster. Wenn das Landratsamt ausführe, dass die Frage der Genehmigungsfähigkeit einer ausführlichen Prüfung bedürfe, stelle es damit fest, dass der nicht genehmigte Anbau möglicherweise im Nachhinein genehmigt werden könne. Die angeordneten Maßnahmen seien nicht verhältnismäßig.
4. Das Landratsamt … b e a n t r a g t e für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde – teilweise unter Wiederholung der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids – Folgendes vorgetragen: Im vorliegenden Fall zeichne sich bereits deutlich ab, dass die Klage mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben werde, weshalb das öffentliche Interesse das Interesse des Bauherrn, dass es bei dem vom Landratsamt verfügten Entfallen der aufschiebenden Wirkung verbleibe, überwiege. Eine Nutzung im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften i.S.v. Art. 76 Satz 2 BayBO liege bereits dann vor, wenn der Nutzer nicht im Besitz der erforderlichen Baugenehmigung sei. Inzwischen sei beim Landratsamt eine Kopie des Bauantrags eingegangen, der bei der Stadt … am 5. September 2018 eingereicht worden sei. Allerdings stelle das Einreichen des Bauantrags noch nicht die formelle Legalität her. Dies geschehe erst mit Erteilung der Baugenehmigung. Die Nutzung der baulichen Anlage sei auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Eine Aussage, ob das Vorhaben überhaupt genehmigungsfähig sei, könne derzeit nicht getroffen werden. Zum einen liege der Anbau außerhalb der Baugrenze, zum anderen bestünden immissionsschutzrechtliche Bedenken gegen das Vorhaben.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen. Die Verfahrensakten W 5 K 18.1194 wurden beigezogen.
II.
Der Antrag der Antragsteller, der sachgerecht dahingehend auszulegen ist (§ 88 VwGO), die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage W 5 K 18.1194 bezüglich der Verfügung unter Ziffer 1 des Bescheids vom 28. August 2018 wiederherzustellen und gegen Ziffer 3 des Bescheids anzuordnen, kann keinen Erfolg haben.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, soweit die Antragsteller beantragen, die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 28. August 2018 wiederherzustellen. Denn die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die insoweit vom Landratsamt … getroffene Anordnung entfällt, weil dieses in Ziffer 2 des Bescheids die unter Ziffer 1 getroffene Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt hat. In diesem Fall kann das Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen.
Soweit der Antrag gegen die in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Zwangsgeldandrohung gerichtet ist, ist er – als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung – ebenfalls zulässig. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) entfaltet die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung keine aufschiebende Wirkung. Gemäß Art. 21a Satz 2 VwZVG gelten § 80 Abs. 4, 5, 7 und 8 der VwGO entsprechend. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. des Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
2.1. Es bestehen keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Insbesondere hat das Landratsamt … die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Erforderlich ist grundsätzlich eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm bekämpften Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 85).
Diesen Anforderungen wird die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit im Bescheid vom 28. August 2018 gerecht. Durch die Bezugnahme auf den Schutz der Nachbarn des streitgegenständlichen Anwesens lässt die Begründung einzelfallbezogene Elemente erkennen. Ohnehin bedarf es bei der Nutzungsuntersagung keiner eingehenden einzelfallbezogenen Begründung des Sofortvollzugs, da die sofortige Wirksamkeit derselben regelmäßig im besonderen öffentlichen Interesse liegt (vgl. Simon/Busse, BayBO, Stand 129. Erg. Lief. März 2018, Art. 76 Rn. 348).
2.2. Auch inhaltlich liegt kein überwiegendes Aussetzungsinteresse der Antragsteller vor. Die Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 28. August 2018 wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben.
Im Anfechtungsprozess gegen eine Nutzungsuntersagung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts bzw., wenn eine solche nicht stattfindet, der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich, da es sich bei der Nutzungsuntersagung um einen Dauerverwaltungsakt handelt (BayVGH, U. v. 25.1.1988 – 14 B 86.2382 – BayVBl. 1989, 534).
2.2.1.
Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung bestehen nicht. Das Landratsamt … hat die Antragsteller hierzu angehört, nämlich mit Schreiben vom 12. April 2018. In diesem Schreiben wurde den Antragstellern auch mitgeteilt, dass derzeit nicht abgeschätzt werden könne, ob die Baugenehmigung erteilt werden könne und es wurde auch auf die Geruchssowie die Lärmproblematik verwiesen. Entgegen der Meinung der Antragstellerseite hat auch keine irgendwie geartete Verpflichtung des Sachbearbeiters beim Landratsamt bestanden, nochmals Rückfrage beim planenden Architekten zu nehmen, „wo denn der Baugenehmigungsantrag bleibe“. Vielmehr wäre es allein Sache der Antragsteller bzw. des von ihnen eingeschalteten Planfertigers gewesen, eine Fristverlängerung zur Vorlage des Bauantrags zu beantragen. Ein Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist daher nicht ersichtlich.
2.2.2.
In materieller Hinsicht ist die Nutzungsuntersagung ebenfalls nicht zu beanstanden.
Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Nutzung untersagt werden, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Anerkanntermaßen genügt – entgegen der Auffassung der Antragstellerseite – für die Nutzungsuntersagung grundsätzlich die formelle Rechtswidrigkeit der Nutzung (BayVGH, B.v. 8.6.2015 – 2 ZB 15.61 – juris; OVG NW, B.v. 25.6.2015 – 7 B 583/15 – juris; Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 282 m.w.N.). Eine Anlage ist formell rechtswidrig, wenn sie Verfahrensvorschriften widerspricht, insbesondere ohne die erforderliche Baugenehmigung oder Zustimmung oder abweichend von ihr oder ohne das sonst erforderliche bauaufsichtliche Verfahren errichtet oder geändert worden ist (Molodovsky/Famers/Waldmann, Stand 128. Erg.Lief. 2018, Art. 76 Rn. 29 m.w.N.). Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Anders als bei der Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO kommt es nicht darauf an, ob auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Damit ist es grundsätzlich unerheblich, ob die untersagte Nutzung (auch) gegen materielles Recht verstößt.
Die bloße formelle Rechtswidrigkeit kann eine Nutzungsuntersagung – aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – nur dann nicht rechtfertigen, wenn die ausgeübte Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist (BayVGH, B.v. 8.6.2015 – 2 ZB 15.61 – juris; Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 282). Denn es ist im Allgemeinen unverhältnismäßig, eine offensichtlich materiell legale Nutzung zu untersagen, ohne den Bauherrn vorher – vergeblich – aufgefordert zu haben, einen Bauantrag zu stellen (Art. 76 Satz 3 BayBO) bzw. ohne über einen bereits gestellten Bauantrag entschieden zu haben (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2014 – 9 CS 14.451 – juris und U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – BayVBl 2012, 86).
Die Entscheidung über eine Nutzungsuntersagung nach Art. 76 Satz 2 BayBO stellt dabei eine Ermessensentscheidung dar. Allerdings ist zu beachten, dass das öffentliche Interesse grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände im Wege der Nutzungsuntersagung gebietet. Die Behörde macht daher im Regelfall von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie bei rechtswidrig errichteten oder genutzten Anlagen die unzulässige Benutzung untersagt, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann. Dem Ermessen in Art. 76 Satz 2 BayBO ist deshalb die Tendenz eigen, die der Natur der Sache nach gebotene Pflicht zum Einschreiten zu verwirklichen (sog. intendiertes Ermessen, vgl. Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 301).
Nach diesen Maßstäben begegnet die Nutzungsuntersagung rechtlich keinen Bedenken.
Auch von Antragstellerseite wird nicht bestritten, dass die Nutzung des Anbaus als Küche als formell illegal anzusehen ist. Eine Baugenehmigung ist hierfür erforderlich, was zwischen den Verfahrensbeteiligten auch unstreitig ist. Gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung, soweit in Art. 56 bis 58, 72 und 73 nichts anderes bestimmt ist. Die bauliche Erweiterung des (Gaststätten-)Gebäudes stellt sich als genehmigungspflichtige Maßnahme i.S.v. Art. 55 Abs. 1 BayBO dar. Ein Ausnahmetatbestand i.S.v. Art. 56 bis 58, 72 und 73 BayBO ist vorliegend nicht gegeben. Insbesondere liegt kein Fall der Verfahrensfreiheit nach Art. 57 BayBO vor. Damit erweist sich der derzeitige bauliche Zustand und auch die Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudeteils, der nicht durch eine Baugenehmigung und auch nicht durch Bestandsschutz abgedeckt ist, als formell illegal. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Antragsteller zwischenzeitlich bei der Stadt … einen Bauantrag eingereicht haben.
Die nicht genehmigte Nutzung des Anbaus als Küche ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig, so dass offenbleiben kann, ob es hierauf angesichts des Umstandes, dass die Bauaufsichtsbehörde die Antragsteller (jedenfalls zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Anordnung) erfolglos aufgefordert hatte, einen Bauantrag zu stellen, überhaupt noch ankommt. Das Landratsamt …hat mit Schreiben vom 12. April 2018 darauf hingewiesen, dass wegen des Überschreitens der durch den Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze eine umfassende Prüfung durchzuführen sei und die Zulassung dieser Abweichung vom Bebauungsplan nur über die Erteilung einer Befreiung i.S.d. § 31 Abs. 2 BauGB erfolgen könne, was wiederum nur im Einvernehmen mit der Stadt … geschehen könne. Darüber hinaus hat der Antragsgegner darauf aufmerksam gemacht, dass erheblich immissionsschutzfachliche Bedenken gegen die Nutzung des Anbaus als Küche bestünden. Insoweit hat die Umweltingenieurin in ihrer fachlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2017 sowohl auf die Geruchsprobleme als auch auf die Lärmproblematik hingewiesen. Im (zwischenzeitlich eingeleiteten, aber noch nicht beim Landratsamt … anhängigen) Baugenehmigungsverfahren wird zu klären sein, ob das Bauvorhaben der Antragsteller genehmigungsfähig ist. Der bestehende Zustand ist nach allem jedenfalls nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Dabei ist es auch nicht Sache der Bauaufsichtsbehörde – wie die Antragstellerseite wohl meint – in dem Verfahren auf Erlass einer Nutzungsuntersagung nachzuweisen, dass eine Überschreitung der zulässigen Lärmwerte vorliege oder gar Messungen durchzuführen. Ausreichend ist vielmehr, dass hier erhebliche rechtliche Probleme in Bezug auf die Erteilung der Baugenehmigung aufgeworfen wurden und somit von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit nicht gesprochen werden kann.
Anders als die Antragstellerseite meint, ist das Landratsamt in dem streitgegenständlichen Bescheid auch nicht von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen, sondern hat seiner Entscheidung über den Erlass der Nutzungsuntersagung die bei den durchgeführten Ortsterminen gewonnenen Erkenntnisse zugrunde gelegt. Wenn die Antragsteller zwischenzeitlich bauliche Veränderungen vorgenommen haben, die sich auf die Immissionssituation (positiv) auswirken können und diese auch in die Bauantragsunterlagen aufgenommen worden sein sollten, sind diese Umstände im Rahmen des noch durchzuführenden Genehmigungsverfahrens zu überprüfen und gegebenenfalls zu berücksichtigen. Die von den Antragstellern – nach dem Vortrag ihres Bevollmächtigten – vorgenommenen baulichen Veränderungen, führen jedoch nicht dazu, dass nun von der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht gesprochen werden kann, zumal die darüber hinaus zu prüfende Frage der Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB bzgl. der Überschreitung der Baugrenze hierdurch nicht berührt wird.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist die Nutzungsuntersagung entgegen der Meinung der Antragstellerseite auch nicht unverhältnismäßig.
3. Die Androhung des Zwangsgeldes in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides beruht auf Art. 29 ff. VwZVG. Insoweit wurden von Antragstellerseite schon keine Bedenken vorgetragen. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
4. Nach alldem wird die Anfechtungsklage mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben.
Darüber hinaus stehen erhebliche Geruchs- und Lärmbeeinträchtigungen der Nachbarschaft inmitten. Auch nach Einschätzung der erkennenden Kammer überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragsteller.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO abzulehnen, ohne dass es noch auf das sonstige, unerörtert gebliebene Vorbringen der Beteiligten ankommt.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben