Baurecht

Nutzungsuntersagung wegen formeller Illegalität

Aktenzeichen  2 CS 18.960

Datum:
14.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14536
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 76 S. 2
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4

 

Leitsatz

Die Nutzungsuntersagung hat in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen. Deshalb muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine wegen eines Verstoßes gegen die Vorschrift über die Genehmigungspflicht formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist.  (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 8 S 18.1183 2018-04-10 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO). Der Senat sieht nach einer einem Eilverfahren wie diesem angemessenen summarischen Prüfung (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581) im Rahmen der von ihm eigenständig zu treffenden Ermessensentscheidung keine Notwendigkeit für die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, liegt ein Rechtsverstoß im Sinn von Art. 76 Satz 2 BayBO, der den Erlass einer Nutzungsuntersagung rechtfertigt, bei einem genehmigungspflichtigen Vorhaben grundsätzlich schon dann vor, wenn das Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird. Da die Nutzungsuntersagung – insofern der Baueinstellung (Art. 75 Abs. 1 BayBO) entsprechend – in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine wegen eines Verstoßes gegen die Vorschrift über die Genehmigungspflicht formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist. Nach diesem Maßstab durfte die Antragsgegnerin gegen die Nutzung der nicht genehmigten Freischankfläche einschreiten, ohne den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verletzen, weil die untersagte Nutzung formell illegal (s. 1) und in materiell-rechtlicher Hinsicht jedenfalls nicht offensichtlich zulässig ist (s. 2). Es liegen auch keine Ermessensfehler vor (s. 3).
1. Es steht außer Zweifel, dass die untersagte Nutzung formell illegal ist, weil für sie eine Baugenehmigung erforderlich ist, die nicht vorliegt. Die Baugenehmigungen vom 15. Juli 1971 (Plan-Nr. 71/22940) und vom 23. August 1979 (Plan-Nr. 79/ 05078/05) beinhalten weder die vom Antragsteller betriebene Freischankflächennutzung auf der Süd-Ost-Seite des Erdgeschosses der C* …straße 3 – im rückwärtigen Gartenbereich – noch bauliche Maßnahmen zu einer erweiterten Terrassennutzung.
2. Die ausgeübte Nutzung ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Das Verwaltungsgericht hat nicht ausgeschlossen, dass sich die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO richtet. Die nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zulässigen Schank- und Speisewirtschaften müssten der Gebietsversorgung dienen, was vorliegend aufgrund der Äußerung des Antragstellers im Schriftsatz vom 10. März 2018, dass das griechische Lokal mit Freischankfläche 10.000 Anwohnern im Umfeld der C* …straße 3 diene, wohl nicht mehr gegeben sei. Jedenfalls dürfte die Zulässigkeit des Vorhabens in der jetzigen Ausprägung an § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO scheitern. Die Unzumutbarkeit dürfte aufgrund des Umstands, dass allein in der Zeit vom 1. Juli 2017 bis zum 23. Oktober 2017 22 Einsätze der Polizei durchgeführt worden seien, feststehen.
Soweit der Antragsteller argumentiert, es sei aufgrund eines Umkehrschlusses davon auszugehen, dass ab 8. Oktober 2017 keine Störungen mehr vorgelegen hätten, wird dies zum einen durch die am 1. Dezember 2017 durchgeführte Schallpegelmessung durch das Referat für Gesundheit und Umwelt, die eine erhebliche Überschreitung der zulässigen Lärmwerte festgestellt hat, widerlegt. Zum anderen hat die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren eine Dokumentation vorgelegt, nach der es auch seit Oktober 2017 gehäuft Lärmbeschwerden gab. Dem hat der Antragsteller nicht mehr widersprochen.
Hilfsweise hat das Erstgericht erwogen, dass, selbst wenn die maßgebliche Umgebung nicht als ein faktisches Wohngebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO zu bewerten sei, die streitgegenständliche Nutzung gegen das Rücksichtnahmegebot verstieße. Dies ergebe sich bereits zweifellos aus der Bewertung des Referats für Gesundheit und Umwelt, zusammengefasst im Protokoll vom 15. Januar 2018, wonach die Immissionswerte für allgemeine Wohngebiete von nachts (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) 40 dB(A) mit Beurteilungspegeln von 55,9 dB(A) und 54,9 dB(A) massiv überschritten würden. Diese deutliche Überschreitung wäre auch bei einer Bewertung der maßgeblichen Umgebung als Mischgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO) gegeben, da der hier einzuhaltende Richtwert 45 dB(A) betrage. Auch für die Innengeräuschübertragungen habe das Referat für Gesundheit und Umwelt für die Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) deutliche Überschreitungen des Richtwerts von nachts 25 dB(A) mit Werten von 29,4 dB(A) sowie des zulässigen Spitzenpegelwerts von nachts 35 dB(A) durch 41 einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen von bis 50,1 dB(A) festgestellt. Die Feststellungen der Polizeiinspektion 15 zu einer Vielzahl von Einsätzen, die sich auch seit Anfang des Jahres 2018 fortgesetzt hätten, bestätigten diese Feststellungen eindrucksvoll.
Dem setzt der Antragsteller nichts von Substanz entgegen. Soweit er vorträgt, dass in der maßgeblichen Umgebung 129 Wohneinheiten und ca. 10 Gewerbebetriebe zu finden seien, dürfte dies einer Gemengelage mit hohem Wohnanteil entsprechen. Es wäre jedoch selbst bei Vorliegen eines Mischgebiets wohl eine deutliche Überschreitung der Richtwerte gegeben. Mithin kann keine Rede davon sein, dass das Vorhaben offensichtlich genehmigungsfähig ist.
3. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsgegnerin das durch Art. 76 Satz 2 BayBO eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (Art. 40 BayVwVfG). Dass die Behörde einschreitet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen, bedarf keiner besonderen Rechtfertigung. Es ist schon deswegen nicht anzunehmen, dass eine schutzwürdige Vertrauensposition des Antragstellers nicht ausreichend berücksichtigt worden ist, weil ihm eine solche Position wohl nicht zustand. Soweit er sich auf eine Duldung des Vorhabens beruft, hat die Antragsgegnerin dargelegt, dass es sich um ein zeitliches Entgegenkommen gehandelt habe, weil mit der Verfügung der Nutzungsuntersagung abgewartet worden sei, bis über den Bauantrag entschieden worden sei, obwohl die Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig gewesen sei. Der Antragsteller hat das Genehmigungsverfahren zu seinem Bauantrag vom 14. April 2016 nicht weiter betrieben. Damit trat die Rücknahmefiktion des Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO nach Ablauf der bis zum 17. Januar 2018 gesetzten Frist ein. Die Nutzungsuntersagung erging am 9. Februar 2018 nach Beendigung des Bauantragsverfahrens. Dies ist nicht zu beanstanden.
Im Übrigen zeigt gerade das vom Antragsteller zitierte Schreiben der Antragsgegnerin vom 9. November 2017, dass er kein Vertrauen in die Duldung der rechtswidrigen Zustände haben durfte. Denn die Antragsgegnerin bringt deutlich zum Ausdruck, dass sie die Nutzung der Freischankfläche untersagen wird, wenn die Betreiber nicht in der Lage sind, die Bewirtung ohne Beeinträchtigung der umgebenden Wohnnutzung durchzuführen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.


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