Baurecht

Privilegierung eines landwirtschaftlichen Betriebes

Aktenzeichen  1 ZB 19.61

Datum:
19.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9407
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 86 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

Ein im Außenbereich privilegierter land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb ist gekennzeichnet durch eine spezifisch betriebliche Organisation, er erfordert eine Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung und es muss sich bei dem Betrieb um ein auf Dauer gedachtes und auf Dauer lebensfähiges Unternehmen handeln. Zu den Merkmalen zur Bestimmung der Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, denen indizielle Bedeutung zukommt, zählt auch die Möglichkeit der Gewinnerzielung. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 K 17.687 2018-07-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer land- und forstwirtschaftlichen Berge- und Maschinenhalle mit einer Grundfläche von ca. 800 m² auf dem im Außenbereich gelegenen Grundstück FlNr. …, Gemarkung G …
Das Landratsamt lehnte mit Bescheid vom 17. Januar 2017 die Erteilung der Baugenehmigung ab. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Juli 2018 abgewiesen. Das Vorhaben diene nicht einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb. Der Kläger betreibe einen forstwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb, für den nur eine Halle mit einer Größe von 200 m² erforderlich sei. Mangels landwirtschaftlicher Betriebsstätte bestehe bislang kein landwirtschaftlicher Betrieb, so dass insoweit von einer Neugründung auszugehen sei. Ein vernünftiger Landwirt würde das Vorhaben nicht ausführen, weil der erzielbare Gewinn nicht ausreiche, um ein angemessenes Entgelt für die einzusetzende Arbeit und das zu investierende Kapital zu erzielen. Dies gelte auch dann, wenn die Nebenerwerbsforstwirtschaft und Nebenerwerbslandwirtschaft zusammen betrachtet würden. Das sonstige Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtige öffentliche Belange.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das geplante Vorhaben nicht privilegiert im Sinn des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist.
Die Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB setzt voraus, dass dem Eingriff in den Außenbereich ein auf Dauer angelegter Betrieb gegenübersteht, dem das geplante Vorhaben zu dienen bestimmt ist. Ein derartiger land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb ist gekennzeichnet durch eine spezifisch betriebliche Organisation, er erfordert eine Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung und es muss sich bei dem Betrieb um ein auf Dauer gedachtes und auf Dauer lebensfähiges Unternehmen handeln (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 4 C 9.11 – BayVBl 2013, 173; BayVGH, U.v. 29.1.2019 – 1 BV 16.232 – BayVBl 2019, 562), Ob sich ein Betrieb auf Dauer als lebensfähig erweist, ist im Wege einer Prognose zu beantworten. Notwendig ist eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Zu den Merkmalen zur Bestimmung der Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, denen indizielle Bedeutung zukommt, zählt auch die Möglichkeit der Gewinnerzielung. Der nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegierte Betrieb muss nach Art und Umfang grundsätzlich geeignet sein, wirtschaftlich, d.h. mit Gewinnerzielungsabsicht‚ geführt zu werden. Dabei kommt der Gewinnerzielung bei einer Neugründung eines Nebenerwerbsbetriebs eine größere Bedeutung zu als bei der Erweiterung eines bereits seit etlichen Jahren bestehenden landwirtschaftlichen Betriebs mit niedriger Rentabilität (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 aaO.; BayVGH, B.v. 9.2.2021 – 9 ZB 19.1397 – juris Rn. 8). Fehlt es an dem Nachweis eines Gewinns, können durchaus andere Indizien für die Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung und damit für die Betriebseigenschaft im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sprechen.
Gemessen an diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht die Privilegierung des Vorhabens zu Recht verneint. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass das beantragte Vorhaben, das zum überwiegenden Teil einem landwirtschaftlichen Betrieb dienen soll, weder aufgrund einer auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten landwirtschaftlichen Tätigkeit gerechtfertigt ist noch im Zusammenhang mit der forstwirtschaftlichen Nebenerwerbsstelle. Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht nicht allein auf die fehlende Gewinnerzielungsabsicht abgestellt, sondern zutreffend ausgeführt, dass die Gewinnerzielungsabsicht ein gewichtiges, aber nicht das einzige Indiz für die Nachhaltigkeitsbeurteilung sei. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung tragend auf die Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 29. Oktober 2015 gestützt, der eine Gesamtbetrachtung des geplanten Betriebs und Betriebskonzepts zugrunde lag, und diese Stellungnahme für schlüssig und nachvollziehbar erachtet (UA S. 8). Das Zulassungsvorbringen erschöpft sich zudem in der Kritik, dass das Verwaltungsgericht allein auf die fehlende Gewinnerzielungsabsicht abgestellt hat, es zeigt aber selbst keine Umstände auf, die trotz fehlender Gewinnerzielung für die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung und damit für die Betriebseigenschaft im Sinn des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sprechen. Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht der Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen der Gesamtbetrachtung das erforderliche Gewicht beigemessen. Nichts anderes ergibt sich aus der vom Kläger angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 16.5.1991 – 4 C 2.89 – NVwZ-RR 1992, 400), wonach unterschiedliche Betriebsformen im Hinblick auf die Frage der Privilegierung zusammengefasst betrachtet werden können, denn diese Gesamtbetrachtung hat das Verwaltungsgericht ausweislich der Ausführungen auf S. 12 des angegriffenen Urteils vorgenommen. Soweit das Zulassungsvorbringen weiter rügt, das Verwaltungsgericht gehe vom Erfordernis einer Umsatzrendite wie bei einem gewerblichen Unternehmen aus und berücksichtige nicht, dass gerade land- und forstwirtschaftliche Betriebe häufig mit einer Gewinnerzielung für eine bestimmte Maßnahme erst in der nächsten oder übernächsten Generation rechneten, zeigt es keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils auf. Es steht nicht die Frage der Gewinnerzielung für eine bestimmte Maßnahme im Raum, sondern die Rentabilität des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs insgesamt. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht nicht die vom Kläger vorgelegte Umsatz- und Ertragsvorschau berücksichtigt, geht fehl. Das Verwaltungsgericht hat zu der Umsatz- und Ertragsvorschau ausgeführt, dass dieser eine unrealistische, zu niedrige Investitionssumme für das Bauvorhaben zu Grunde gelegt worden ist. Den detaillierten Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den voraussichtlichen Investitionskosten tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen, sondern es beschränkt sich darauf zu bemängeln, dass das Verwaltungsgericht dem Kläger einen Hinweis zur Substantiierung der Eigenleistungen und der damit verbundenen Reduzierung der Investitionskosten hätte erteilen müssen. Damit werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht dargelegt, sondern Verfahrensfehler nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend gemacht.
2. Die Berufung ist nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden, abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht (vgl. BVerwG, B.v. 20.4.2017 – 8 B 56.16 – juris Rn. 5; B.v. 18.5.1993 – 4 B 65.93 – NVwZ 1993, 1101).
Es werden mit dem Zulassungsantrag keine abstrakten Rechtssätze herausgearbeitet, die in Widerspruch zueinander stehen. Zudem hat das Verwaltungsgericht – wie bereits dargestellt – nicht alleine auf die fehlende Gewinnerzielungsabsicht abgestellt, sondern die vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgenommene Gesamtbetrachtung aufgegriffen, seiner Entscheidung zu Grunde gelegt und zudem eine Gesamtbetrachtung der forst- und landwirtschaftlichen Tätigkeit vorgenommen.
3. Auch die vom Kläger behaupteten Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
Das Zulassungsvorbringen rügt, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht dem Beweisangebot zur Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Investitionssumme nicht nachgegangen ist. In der Sache wird damit eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend gemacht.
Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO erfordert u.a. die Darlegung, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7; B.v. 25.1.2005 – 9 B 38.04 – NVwZ 2005, 447; BayVGH, B.v. 7.3.2017 – 8 ZB 15.1005 – juris Rn. 10). Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat (§ 86 Abs. 2 VwGO). Der Kläger hat ausweislich der Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts zu dem gerügten Aufklärungsdefizit keinen Beweisantrag gestellt. Die Aufklärungsrüge dient aber nicht dazu, Versäumnisse Beteiligter, insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2015 a.a.O.; B.v. 18.12.2006 – 4 BN 30.06 – NVwZ-RR 2007). Dass sich dem Gericht auch ohne Beweisantrag weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen, ist nicht dargelegt.
Ohne Erfolg macht das Zulassungsvorbringen weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen die richterliche Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen, indem es nicht darauf hingewiesen habe, dass es den Vortrag zu den Eigenleistungen des Klägers für nicht hinreichend substantiiert halte.
Die Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2010 – 5 B 21.09 – juris Rn. 18). Ein hiergegen verstoßendes Verhalten des Gerichts läge aber nur vor, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hätte, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Ansonsten besteht im Grundsatz keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten seine Auffassung jeweils vor dem Ergehen einer Entscheidung zu offenbaren (vgl. BVerfG, B.v. 5.11.1986 – 1 BvR 706/85 – BVerfGE 74, 1), weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2010 a.a.O. m.w.N.; BayVGH, B.v. 15.2.2021 – 3 ZB 20.774 juris Rn. 38). Die Zulassungsbegründung hat weder dargelegt noch ist ersichtlich, dass das Erstgericht seine Entscheidung auf einen bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung nicht mit den Beteiligten erörterten und für sie erkennbaren rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt hat, mit dem sie nicht rechnen mussten. Vielmehr wurde ausweislich der Sitzungsniederschrift die Frage der Kosten für die Errichtung des beantragten Vorhabens in der mündlichen Verhandlung thematisiert.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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