Baurecht

Prozessrechtliche Präklusionsvorschriften

Aktenzeichen  20 U 1332/16

Datum:
10.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 16063
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 531 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Prozessrechtliche Präklusionsvorschriften sollen die Partei anhalten einen bereits vorliegenden Tatsachenstoff rechtzeitig vorzutragen und dienen nicht dazu, auf eine beschleunigte Schaffung der materiell rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken (BGH NJW-RR 2005, 1687). (redaktioneller Leitsatz)
2 Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ist dann zu verneinen, wenn ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung entstanden ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

14 O 3033/15 2016-03-10 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München II vom 10.03.2016, Az. 14 O 3033/15, aufgehoben.
II.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.332,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.04.2016 zu bezahlen.
III.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, nach vollständiger Reparatur auch die angefallene Mehrwertsteuer in Höhe von 1.203,11 € zu bezahlen.
IV.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
V.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und die Kosten der Nebenintervention im Berufungsverfahren. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte; die übrigen Kosten der Nebenintervention trägt die Nebenintervenientin.
VI.
Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
VII.
Die Revision wird nicht zugelassen.
VIII.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.294,65 € festgesetzt.

Gründe

I. Der Darstellung eines Tatbestandes bedarf es nicht, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist (§ 313a Abs. 1 Satz 1, § 540 Abs. 2 ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO).
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist ganz überwiegend begründet. Der Kläger kann nach wirksamer Fristsetzung zur Nacherfüllung mit Schreiben vom 22.03.2016 nunmehr von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe von 6.332,16 € gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 BGB verlangen. Nach Durchführung der Reparatur ist der Beklagte außerdem verpflichtet, die angefallene Mehrwertsteuer in Höhe von 1.203,11 € zu erstatten (§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB), so dass sich auch der entsprechende Feststellungsantrag als begründet erweist. Nur bezüglich eines Teils der geltend gemachten Zinsen war im Übrigen die Klage abzuweisen und die Berufung zurückzuweisen.
1. Der Senat schließt sich der Auffassung des Landgerichts an, dass der Schadensersatzanspruch des Klägers wegen mangelhafter Werkleistung in erster Instanz ausschließlich an der (bis dahin) fehlenden Nachfristsetzung gescheitert ist.
a) Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts zur Mangelhaftigkeit der seitens der Beklagten veranlassten Reparaturarbeiten am Motor des Traktors, die sich insbesondere auf die nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen stützen und für den Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich bindend sind, liegen nicht vor.
b) In Übereinstimmung mit dem Landgericht ist festzuhalten, dass dem Beklagten durch den Kläger in den Jahren 2013 und 2014 keine wirksame Frist zur Nachbesserung der mangelhaften Reparaturarbeiten am Motor des Traktors gesetzt und insbesondere keine hinreichende Gelegenheit zur Untersuchung der Sache zur Überprüfung der erhobenen Mängelrügen gegeben wurde. So hat der Bundesgerichtshof zuletzt im Falle eines Kaufvertrages ausdrücklich festgestellt, dass ein Verkäufer nicht verpflichtet sei, sich auf ein Nacherfüllungsverlangen des Käufers einzulassen, bevor dieser ihm nicht Gelegenheit zu einer Untersuchung der Kaufsache gegeben habe. Erst aufgrund einer solchen Untersuchung könne er beurteilen, ob die gerügten Mängel bestehen und bei Gefahrübergang vorgelegen hätten, so dass er nur unter diesen Voraussetzungen überhaupt zur Nacherfüllung verpflichtet sei (BGH NJW 2015, 3455, juris Rn.30 f.). Gleiches muss für die werkvertragliche Gewährleistung gelten, die ebenso wie die kaufvertraglichen Gewährleistungsvorschriften vom Vorrang der Nacherfüllung ausgeht und auf die allgemeinen Vorschriften der §§ 323, 280, 281 BGB Bezug nimmt.
Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung war auch nicht gemäß §§ 636, 281 Abs. 2 BGB entbehrlich. Auf die Ausführungen des Landgerichts, denen sich der Senat vollumfänglich anschließt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Weder kann eine ernsthafte und endgültige Verweigerung der Nacherfüllung durch den Beklagten, an die strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH NJW 2015, 3455, juris Rn.33) angenommen werden noch ist eine Unzumutbarkeit der Nachfristsetzung und Erschütterung des Vertrauensverhältnisses im Hinblick auf das vom Kläger behauptete abredewidrige Starten des Motors ersichtlich. Diesbezüglich ist ergänzend noch darauf hinzuweisen, dass auch der Sachverständige ausweislich des Gutachtens bei der Untersuchung zunächst den Motor gestartet hat (S. 4 und 8 des Gutachtens vom 13.12.2014, Bl. 35 und 39 d. A. im Verfahren 14 OH 4831/13) und der Schaden in Form eines Bruchs des Ausgleichswellenlagerbocks nach den Feststellungen des Sachverständigen bereits vor dem Verbringen des Traktors zurück auf den Hof des Klägers und damit auch vor der Untersuchung bzw. dem Starten des Motors durch den Beklagten eingetreten war (S. 8 des Gutachtens vom 13.12.2014, Bl. 39 d. A. im Verfahren 14 OH 4831/13).
c) Eine wirksame Fristsetzung zur Nacherfüllung ist nunmehr mit Schreiben des Klägervertreters vom 22.03.2016 an den Beklagtenvertreter (s. Anlage zur Berufungsbegründung vom 14.04.2016; Bl. 72/75 d. A.) erfolgt. Innerhalb der gesetzten Frist bis zum 11.04.2016 wurde eine Nachbesserung nicht vorgenommen.
Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Fristsetzung grundsätzlich nachholbar. Dem steht auch nicht § 531 Abs. 2 ZPO entgegen. Denn Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ist grundsätzlich zu verneinen, wenn ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung entstanden ist (Zöller/Heßler, ZPO, 31. Auflage 2015, § 531 Rn. 29 f.; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, 4. Auflage 2012, § 531 Rn. 25; Musielak/Voit, ZPO, 13. Auflage 2016, § 531 Rn. 19). Dies beruht auf der Erwägung, dass die prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften die Partei anhalten sollen, zu einem bereits vorliegenden Tatsachenstoff rechtzeitig vorzutragen, hingegen nicht den Zweck verfolgen, auf eine beschleunigte Schaffung der materiell rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 1687).
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Ausschluss neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsrechtszug jedenfalls nicht für unstreitige Tatsachen gilt. Dies hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich auch für den Fall einer erst im Laufe des Berufungsverfahrens erfolgten unstreitigen Fristsetzung zur Nacherfüllung im Sinne von § 323 Abs. 1, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB entschieden (BGH, NJW 2009, 2532, juris Rn. 15 f.). So liegt der Fall auch hier: Der Beklagte hat die nochmalige Aufforderung zur Nacherfüllung vom 22.03.2016 unter Fristsetzung zum 11.04.2016 in der Berufungserwiderung vom 11.05.2016 (Bl. 80 d. A.) nicht bestritten. Diese ist daher als unstreitig zugrunde zu legen (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Auch inhaltlich ist das Nachbesserungsverlangen infolge der Bezugnahme auf das beiden Parteien vorliegende und bezüglich des Mangels und der bestehenden Nachbesserungsmöglichkeit eindeutige Sachverständigengutachten als ausreichend anzusehen.
Entgegen der von der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2016 vertretenen Auffassung ist das Nachbesserungsverlangen auch nicht deshalb unwirksam, weil es unter die Bedingung gestellt wurde, dass der Beklagte den Traktor abholt, wozu er nicht verpflichtet gewesen sei. Bei Fehlen anderweitiger Absprachen ist bei einem Werkvertrag im Zweifel die Nachbesserung dort zu erbringen, wo sich das nachzubessernde Werk vertragsgemäß befindet. Dies war bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 anerkannt. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes hat sich hieran nichts geändert (vgl. BGH, Urteil vom 08.01.2008, X ZR 97/05, juris Rn. 13 m. w. N.; OLG München, Urteil vom 14.10.2009, 20 U 2948/09, juris Rn. 33). Der Beklagte kann sich daher nicht auf den Standpunkt stellen, dass der Traktor zu ihm in die Werkstatt hätte gebracht werden müssen. In dem Schreiben vom 22.03.2016 wurde dem Beklagten der genaue Standort des Traktors bei der Firma S. und die Möglichkeit der Abholung von dort mitgeteilt. Hierauf hätte der Beklagte angesichts des bisherigen Verhaltens im Prozess, in dessen Rahmen weiterhin die Mangelhaftigkeit der durchgeführten Reparaturarbeiten bestritten wurde, jedenfalls nach Treu und Glauben reagieren müssen, falls er – was bislang aber gar nicht behauptet wurde – zu einer Reparatur zwar nicht von der Firma S. aus, aber von dem (ca. 5 km näher gelegenen) Wohnsitz des Beklagten aus bereit gewesen wäre.
d) Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht verjährt. Die zweijährige Verjährungsfrist (§ 634a Abs. 1 Nr. 1 BGB) begann mit Abnahme bzw. Abholung des Traktors im Dezember 2011 zu laufen (§ 634a Abs. 2 BGB) und wurde jedenfalls durch den Antrag vom 24.10.2013 auf Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens, dem Beklagtenvertreter zugestellt am 05.11.2013, rechtzeitig gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB, § 167 ZPO). Ebenso wie im Fall einer Klage ist es aus Sicht des Senats unschädlich, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Anspruchsvoraussetzungen vorlagen (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Auflage 2016, § 204 Rn. 5).
2. Zinsen kann der Kläger erst nach Fristablauf ab 12.04.2016 ersetzt verlangen, da der zuvor bereits rechtshängig gemachte Anspruch erst ab diesem Zeitpunkt fällig war (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB). Der Zinssatz beträgt 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ein Anspruch des Klägers auf den geltend gemachten Zinssatz in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 288 Abs. 2 BGB besteht nicht, da vorliegend keine Entgeltforderung betroffen ist.
3. Der zulässige Feststellungsantrag auf Ersatz der Mehrwertsteuer nach vollständiger Reparatur erweist sich im Hinblick auf § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ebenfalls als begründet.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 2, § 101 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die Kosten der Nebenintervention im Berufungsverfahren sind dem Kläger aufzuerlegen, da dieser aufgrund eines neuen Vorbringens obsiegt hat, das er im ersten Rechtszug geltend zu machen imstande gewesen ist, § 97 Abs. 2, § 101 Abs. 1 ZPO. Ohne das neue Vorbringen wäre die Berufung des Klägers – wie oben dargelegt – nicht erfolgreich gewesen. Eine nochmalige Nachfristsetzung war ferner möglich und veranlasst, nachdem aus dem Hinweis des Landgerichts vom 12.11.2015 (Bl. 32 f. d. A.) bereits ersichtlich war, dass die Notwendigkeit einer Fristsetzung zur Nachbesserung nach Ansicht des Gerichts nicht entfallen war und es entscheidend auf diese Frage ankommen würde. Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Bundesgerichtshof im Jahr 1954 die Vorschrift des § 97 Abs. 2 ZPO für unanwendbar gehalten hat, wenn der Berufungskläger erst im 2. Rechtszug eine materielle Voraussetzung für sein Obsiegen schafft, etwa eine behördliche Genehmigung zu einem Rechtsgeschäft erwirkt (BGH, Urteil vom 07.05.1954, V ZR 98/53). In Übereinstimmung mit der zwischenzeitlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und der vorherrschenden Auffassung in der Literatur ist aus Sicht des Senats jedoch von einer Kostentragungspflicht der obsiegenden Partei entsprechend den Grundsätzen des § 97 Abs. 2 ZPO jedenfalls dann auszugehen, wenn es eine Partei – wie vorliegend der Kläger – alleine in der Hand hat, durch eine eigene Erklärung ihrer Klage schon im ersten Rechtszug zum Erfolg zu verhelfen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.02.2013, 1 U 168/12; OLG Hamm, Urteil vom 04.12.1989, 31 U 156/89; OLG Koblenz, Urteil vom 06.05.1988, 2 U 240/87; Zöller/Herget, ZPO, 31. Auflage 2015, § 97 Rn. 14; BeckOK-ZPO Vorwerk/Wolf, Stand 01.03.2016, § 97 Rn. 26).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichts.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 GKG, § 3 ZPO. Für den Feststellungsantrag wurde ein 20%-iger Abschlag vorgenommen.


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