Baurecht

Prüfungsmaßstab für einen Tekturantrag im Hinblick auf eine geänderte Dachneigung

Aktenzeichen  M 9 K 18.1003

Datum:
17.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26505
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 81 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Ein baurechtlich relevanter Unterschied zwischen dem ursprünglichen und dem abgewandelten Bauvorhaben ist immer (schon) dann anzunehmen, wenn sich für das abgewandelte Bauvorhaben die Frage der Genehmigungsfähigkeit wegen geänderter tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen neu stellt, d.h. diese geänderten Voraussetzungen eine erneute Überprüfung der materiellen Zulässigkeitskriterien erfordern (vgl. NdsOVG BeckRS 2014, 53226; OVG NRW BeckRS 2013, 50412). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO.
Das Vorhaben beurteilt sich nach der Satzung über die Gestaltung baulicher Anlagen (örtliche Gestaltungssatzung – ÖGS) des Beigeladenen in der im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – mündliche Verhandlung – vorliegenden Fassung vom 25. Juli 2016 (1.). Bei der über das Dach als solches hinausgehenden notwendigen Gesamtbetrachtung (2.) widerspricht das Vorhaben § 5 Abs. 13 ÖGS (3.). Damit kommt es nicht darauf an, dass bereits die Bauvorlagen unklar sind (4.).
1. Das Vorhaben ist nach der ÖGS in der Fassung vom 25. Juli 2016 (i.F.: ÖGS n.F.) zu beurteilen.
Dies folgt bereits ohne weiteres daraus, dass bei Verpflichtungsklagen die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Sach- und Rechtslage anzuwenden ist.
Dass auf Basis der alten Rechtslage mit Bescheid vom 17. Mai 2016 u.a. ein Quergiebel mit einer Dachneigung von 23° genehmigt wurde, an den der Tekturantrag nun anknüpfen soll, steht dem ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass sich die Anforderungen an Quergiebel durch die Satzungsänderung verschärft haben (die ÖGS vom 2. Juli 2001, geändert durch ÖGS vom 18. Juli 2002, erlaubte nur eine maximale Dachneigung von 23°, stellte aber an Quergiebel andererseits überhaupt keine weiteren Anforderungen, was Dimensionierung etc. angeht). Eine sog. Salamitaktik bedingt nicht, dass stets die alte Rechtslage zugrunde zu legen wäre, auf deren Basis mit den früheren, bereits verbeschiedenen Bauanträgen „begonnen“ wurde. Bei einer Änderung der Rechtslage zwischen ursprünglicher Baugenehmigung und Tekturgenehmigung ist Letzterer die zum Zeitpunkt der Tekturgenehmigung geltende Rechtslage zugrunde zu legen, auch wenn sie für den Bauwerber (partiell) ungünstiger ist (vgl. für die Änderung einer Stellplatzsatzung VG München, U.v. 27.1.1999 – M 23 K 98.2778 – juris).
2. Bei Beurteilung des streitgegenständlichen Vorhabens – Änderung der Dachneigung auf 26° – sind nicht nur isoliert die Dächer des Hauptgebäudes und des Quergiebels zu bewerten.
Bei einer Tekturgenehmigung ist grundsätzlich stets das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Gestalt Gegenstand der Betrachtung (vgl. BVerwG, B.v. 4.2.2000 – 4 B 106/99 – juris). Das bedeutet zwar nicht, dass eine zuvor erteilte Baugenehmigung ohne weiteres gegenstandslos geworden sein muss, weil teilweise abweichend von ihr gebaut wurde, und dass eine die Änderung gestattende Genehmigung – bzw. eine darauf gerichtete Prüfung – sich stets auf alle bebauungsrechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit des Gesamtvorhabens erstrecken müsste. Sie muss sich nur auf die Voraussetzungen erstrecken, die durch sie berührt werden. Welches Prüfprogramm bei der Entscheidung über eine Änderungsgenehmigung abzuarbeiten ist, wird durch den Genehmigungsgegenstand bestimmt; sind für ihn nur einzelne bebauungsrechtliche Anforderungen einschlägig, so ist die Prüfung darauf zu beschränken. Ob bei dieser – gegebenenfalls auf einzelne Anforderungen beschränkten – Prüfung die Gesamtanlage oder nur die Änderung in den Blick zu nehmen ist, hängt davon ab, ob die Änderung einer isolierten bebauungsrechtlichen Beurteilung überhaupt zugänglich ist (BVerwG, a.a.O.).
Vorliegend ist bei der Änderung der Dachneigung demnach bspw. nicht (erneut) zu prüfen, ob sich das Bauvorhaben der Art der baulichen Nutzung nach einfügt; auf dieses Zulassungskriterium wirkt sich die Änderung der Dachneigung nicht aus. Anders als der Kläger meint, ist die Übereinstimmung des Vorhabens mit der ÖGS n.F. dagegen durch die Änderung der Dachneigung, u.a. auch bezogen auf einen massiven Quergiebel, unmittelbar berührt – vgl. § 5 Abs. 9 i.V.m. Abs. 13 ÖGS n.F. – und nicht isoliert nur für die Dächer, sondern für das Gebäude insgesamt, nämlich so, wie es errichtet worden ist, zu beurteilen. Denn die Genehmigungsfähigkeit des gesamten Bauvorhabens, v.a. die Ausführung der Südwestseite, an der der massive Quergiebel angebaut wurde, steht nach ÖGS n.F. zur Disposition, es dürfte sich mittlerweile um ein „aliud“ zum mit Bescheid vom 17. Mai 2016 genehmigten Bauvorhaben handeln. Die ÖGS n.F. beinhaltet nach alledem öffentlich-rechtliche Anforderungen, hinsichtlich derer die Genehmigungsfrage durch die Tektur neu aufgeworfen wird; dies gilt unabhängig davon, ob die baurechtliche Zulässigkeit des abgewandelten Vorhabens als solche im Ergebnis anders zu beurteilen ist. Ein baurechtlich relevanter Unterschied zwischen dem ursprünglichen und dem abgewandelten Bauvorhaben ist immer (schon) dann anzunehmen, wenn sich für das abgewandelte Bauvorhaben die Frage der Genehmigungsfähigkeit wegen geänderter tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen neu stellt, d. h. diese geänderten Voraussetzungen eine erneute Überprüfung der materiellen Zulässigkeitskriterien erfordern (statt aller OVG SH, B.v. 16.6.2014 – 1 ME 70/14 – juris; OVG NW, B.v. 22.4.2013 – 2 A 1891/12 – juris).
Selbst wenn man das Bauvorhaben „zerlegen“ wollte – wie es wohl der klägerischen Rechtsansicht entspricht -, so müsste man jedenfalls das Bauteil „Quergiebel“ als Einheit bewerten. Dieses noch weiter zu untergliedern in „Dach des Quergiebels“, „Seitenwand des Quergiebels“ etc. wird der Sachlage nicht gerecht und ist nicht möglich, da die Änderung bereits bautechnisch keiner isolierten baurechtlichen Beurteilung zugänglich ist (vgl. bspw. OVG NW, B.v. 22.11.2001 – 10 B 1378/01 – juris m.w.N.; Kerkmann/Sattler, BauR 1/2005, 47, 49).
All das hat nichts damit zu tun, dass das Gericht über den gestellten Sachantrag hinausginge. Es legt nur den richtigen Prüfungsmaßstab für den Bau- und den darauf aufsetzenden Verpflichtungsantrag fest.
3. Das Bauvorhaben ist nach § 5 Abs. 13 ÖGS n.F. nicht genehmigungsfähig. § 5 Abs. 9 ÖGS n.F. ist nicht isoliert anzuwenden, wenn die Dachneigung eines Quergiebels geändert werden soll, sondern im Zusammenhang mit § 5 Abs. 13 ÖGS n.F. zu lesen.
§ 5 Abs. 9 ÖGS n.F. lautet:
Die Dächer sind als Satteldächer mit mittigem First und beidseitig gleicher Dachneigung von 18° bis 26° auszubilden; dabei muss die Firstrichtung parallel zur Längsseite des Gebäudes verlaufen. Bei Hanggrundstücken kann vom mittigen First abgewichen werden.
§ 5 Abs. 13 ÖGS n.F. lautet:
Dachaufbauten (auch Aufzugsaufbauten), Dachgauben und Dacheinschnitte (negative Dachgauben) sind unzulässig.
Quergiebel sind rechtwinklig zum Hauptgebäude angesetzte, vor die Hauptfassade vortretende Gebäudeteile. Sie sind mit folgenden Einschränkungen zulässig:
1. Die Länge des Gebäudes muss mindestens 15 m betragen.
2. Die Traufe des Hauptgebäudes und des Quergiebels müssen auf einer Höhe liegen.
3. Der Quergiebel darf maximal 1/3 der Gebäudelänge in Anspruch nehmen.
4. Der Abstand von den Gebäudeecken muss mindestens 3,0 m betragen.
5. Der räumliche Gebäudevorsprung vor die Außenwand des Hauptgebäudes darf maximal 3,0 m betragen.
6. Die Dachneigung muss angepasst an das Hauptdach ausgeführt werden.
7. Das Erscheinungsbild muss sich dem Hauptbaukörper deutliche unterordnen. Quergiebel müssen in Dacheindeckung und Wandverkleidung dem Material und der Farbe des Gebäudes entsprechen.
8. Wintergärten sind an Quergiebeln unzulässig.
9. Pro Hauptgebäude ist nur ein Quergiebel zulässig.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung besteht damit eine Regelungslage, nach der der Quergiebel in der beantragten Form in vielerlei Hinsicht unzulässig ist. Weder beträgt die Länge des Hauptbaukörpers mehr als 15 m, noch liegen die Traufen des Hauptgebäudes und des Quergiebels auf einer Höhe. Der Quergiebel nimmt weit mehr als 1/3 der Gebäudelänge in Anspruch, hält keinen Abstand von 3,0 m zu den Gebäudeecken ein und ordnet sich auch nicht deutlich unter. Der Hauptbaukörper ist dabei allein aufgrund des Versatzes (Höhe und Breite) unabhängig vom Anbau im Osten zu betrachten.
Der mit Bescheid vom 17. Mai 2016 genehmigte Quergiebel – mit einer Dachneigung von 23° – wäre nach jetziger Rechtslage in seinen Dimensionen nicht mehr ansatzweise genehmigungsfähig. Seine Genehmigung wurde nur dadurch möglich, dass die ÖGS in der Fassung von 2000 bzw. 2001 zu Quergiebeln überhaupt keine Regelung enthielt, weswegen sich ihre Zulässigkeit allein nach § 34 BauGB richtete. Eine Änderung des Quergiebels aber wirft die Genehmigungsfrage aus den unter Ziff. 2 genannten Gründen neu auf, jedenfalls insoweit, als es um die Bewertung der Übereinstimmung mit örtlichen Bauvorschriften, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO, geht.
Dass ein untergeordneter Quergiebel, der auch den sonstigen Anforderungen des § 5 Abs. 13 ÖGS n.F. entspricht, nach § 5 Abs. 9 ÖGS n.F. mit einer Dachneigung von 26° ausgeführt werden könnte, wird dabei nicht in Abrede gestellt, ebenso wenig, dass die Dachneigung des Quergiebels bei einer Änderung der Dachneigung des Hauptdaches angepasst werden müsste (oder: dürfte). Aber nur einzelne, genehme Bestimmungen der neuen ÖGS anwenden zu wollen (§ 5 Abs. 13 Nr. 6 ÖGS i.V.m. § 5 Abs. 9 ÖGS), ist nicht möglich.
Auch der Umstand, dass die Dachneigung des Hauptdaches nach § 5 Abs. 9 ÖGS n.F. isoliert wohl auf 26° angehoben werden könnte, spielt für das hiesige Verfahren keine Rolle. Beantragt ist (wohl) die Veränderung der Dachneigung aller Dachflächen (siehe aber auch unten, Ziff. 4), also – gesichert – auch der auf dem Quergiebel liegenden Dachflächen. Diese hängen bereits baukonstruktiv mit dem Hauptdach zusammen, sodass auch keine – rechtliche – Aufteilung des Bauantrags in Betracht kommt (dazu BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 2 B 16.1574 – juris m.w.N.), unabhängig davon, dass dies ohnehin nicht dem nachdrücklich geäußerten Willen des Klägers entsprechen würde, der auch und gerade den Quergiebel mit 26° Dachneigung ausführen möchte – und bereits ausgeführt hat.
4. Damit kann dahinstehen, dass die Bauvorlagen (Ansichten) nur die Änderung der Dachneigung des Quergiebels gelb darstellen, nicht aber die Änderung der Dachneigung des Hauptgebäudes kenntlich machen. Dass aber auch die Änderung der Dachneigung des Hauptgebäudes gewünscht ist, geht bspw. aus der klägerischen Stellungnahme vom 9. August 2017, Bl. 338f. d. BA: „die beiden Satteldächer sollen mit einer Dachneigung von 26° anstatt 23° gebaut werden“.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene hat sich mangels Sachantrags nicht in ein Kostenrisiko begeben, weswegen seine außergerichtlichen Kosten billigerweise nicht dem Kläger aufzuerlegen waren, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.


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