Baurecht

Rechtmäßige Nutzungsuntersagung für gewerbliche Nutzung einer landwirtschaftlichen Bergehalle und ohne Genehmigung aufgestellte Container

Aktenzeichen  1 ZB 20.598

Datum:
5.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30395
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 2
VwGO § 114 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 S. 2
BauGB § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Das einer Behörde eingeräumte Eingriffsermessen wird in erster Linie entsprechend dem mit der Befugnisnorm verfolgten Ziel, rechtmäßige Zustände herzustellen, durch Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte bestimmt. Die Bauaufsichtsbehörde muss in einer Weise vorgehen, mit der die ihr obliegende Aufgabe, für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu sorgen, möglichst effektiv erfüllt wird. (Rn. 5) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung vor, muss im Regelfall daher nicht näher begründet werden, weshalb von der Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht wird (sog. intendiertes Ermessen). Allerdings dürfen insbesondere mit Blick auf das Übermaßverbot keine Besonderheiten vorliegen, die ausnahmsweise ein Absehen von der Untersagung erfordern. Eine formell rechtswidrige Nutzung darf daher grundsätzlich nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist bzw. unter Bestandsschutz steht. Auch wäre es unverhältnismäßig, eine offensichtlich materiell rechtmäßige Nutzung zu untersagen, ohne den Bauherrn vorher vergeblich aufgefordert zu haben, einen Bauantrag zu stellen. (Rn. 5) (red. LS Alexander Tauchert)
3. Der Betroffene hat erst dann einen Anspruch auf Aufhebung einer solchen Anordnung, wenn sich die Sach- und Rechtslage tatsächlich mit dem Ergebnis geändert hat, dass das Vorhaben rechtmäßig geworden ist. (Rn. 8) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

M 11 K 17.4164 2019-10-17 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen eine Anordnung, mit der ihm die gewerbliche Nutzung einer Lagerhalle sowie mehrerer Container auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung F., untersagt wurde.
Bei Baukontrollen wurde festgestellt, dass die genehmigte landwirtschaftliche Bergehalle teilweise gewerblich als Lager genutzt wird und zudem vier Container auf dem Grundstück errichtet worden sind. Mit Bescheid vom 31. Juli 2017 untersagte der Beklagte die gewerbliche Nutzung der Lagerhalle und der Container auf dem streitgegenständlichen Grundstück. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 17. Oktober 2019 abgewiesen. Die verfügte Nutzungsuntersagung sei rechtmäßig. Eine gewerbliche Vermietung als Lagerfläche sei nicht von der Baugenehmigung umfasst, die eine landwirtschaftliche Bergehalle zum Gegenstand habe. Für die Errichtung der Container liege keine Genehmigung vor. Das Vorhaben sei nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Auch das laufende Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans für das streitgegenständliche Grundstück könne nicht dazu führen, dass ausnahmsweise von einer Nutzungsuntersagung abgesehen werden müsse oder dass diese unverhältnismäßig wäre.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Bescheid des Beklagten vom 31. Juli 2017 rechtmäßig ist.
Der Kläger wendet sich ohne Erfolg gegen die Überprüfung der Ermessensausübung des Landratsamts durch das Verwaltungsgericht im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO. Das dem Beklagten eingeräumte Eingriffsermessen wird in erster Linie entsprechend dem mit der Befugnisnorm verfolgten Ziel, rechtmäßige Zustände herzustellen, durch Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte bestimmt. Die Bauaufsichtsbehörde muss in einer Weise vorgehen, mit der die ihr obliegende Aufgabe, für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu sorgen, möglichst effektiv erfüllt wird. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung vor, muss im Regelfall daher nicht näher begründet werden, weshalb von der Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht wird (sog. intendiertes Ermessen). Allerdings dürfen insbesondere mit Blick auf das Übermaßverbot keine Besonderheiten vorliegen, die ausnahmsweise ein Absehen von der Untersagung erfordern. Eine formell rechtswidrige Nutzung darf daher grundsätzlich nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist bzw. unter Bestandsschutz steht. Auch wäre es unverhältnismäßig, eine offensichtlich materiell rechtmäßige Nutzung zu untersagen, ohne den Bauherrn vorher vergeblich aufgefordert zu haben, einen Bauantrag zu stellen. Es entspricht zudem gefestigter Erkenntnis, dass die bloße Duldung einer rechtswidrigen baulichen Anlage über längere Zeiträume hinweg im Sinn des schlichten Unterlassens des bauaufsichtlichen Einschreitens auch bei Kenntnis der Bauaufsichtsbehörde den späteren Erlass einer Beseitigungsanordnung nicht ausschließt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Bauaufsichtsbehörde aufgrund des Hinzutretens besonderer Umstände einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 – juris Rn. 35).
Gemessen an diesem Maßstab lässt die Anordnung der Nutzungsuntersagung Ermessensfehler nicht erkennen. Dass das Vorhaben offensichtlich genehmigungsfähig sein soll, macht der Kläger selbst nicht geltend. Auch ein Vertrauenstatbestand ist nicht erkennbar. Aus dem Vortrag des Klägers, die gewerbliche Nutzung sei in der Gemeinde etabliert, kann jedenfalls kein Rückschluss auf einen Vertrauenstatbestand gezogen werden. Denn die vorhandenen gewerblichen Nutzungen haben nicht nur im Fall des Klägers, sondern auch bezüglich weiterer Beteiligter, Anlass für eine gerichtliche Überprüfung gegeben.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils ergeben sich auch nicht deshalb, weil auf andere Weise – insbesondere aufgrund der (noch nicht abgeschlossenen) Überplanung des Gebiets durch die Gemeinde – rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Auch insoweit ist kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erkennbar. Zwar muss eine als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung anzusehende Nutzungsuntersagung einer Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung tragen (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 58 m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt dafür ist mithin bei einer – verhaltens- oder gegenstandsbezogenen – Nutzungsuntersagung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bzw. (im Regelfall eines herkömmlichen Klageverfahrens) der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BayVGH, B.v. 23.7.2018 – 15 ZB 17.1092 – BayVBl 2019, 458 m.w.N.). Die Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes von der behördlichen zur gerichtlichen Entscheidung soll aus materiellen Gründen sicherstellen, dass das Gericht eine realitätsnahe und möglichst abschließende Entscheidung treffen und damit weitere Verfahren vermeiden kann; das Tatsachengericht muss daher im Rahmen seiner Aufklärungspflicht auch neue entscheidungserhebliche Umstände, die nach der behördlichen Entscheidung eingetreten oder bekannt geworden sind, umfassend ermitteln und würdigen. Insoweit ist anerkannt, dass die Bauaufsichtsbehörde die Anordnung bis zu deren Vollzug unter Kontrolle halten und gegebenenfalls bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage, die zur Genehmigungsfähigkeit führt, die Anordnung aktualisieren muss.
Gemessen an diesem Maßstab ist eine etwaige Anpassung der Anordnung auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht veranlasst. Denn nach den übereinstimmenden Ausführungen der Beteiligten wurde im Normaufstellungsverfahren die öffentliche Auslegung nach § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2 BauGB noch nicht durchgeführt. Daher und angesichts des Umstands, dass aufgrund der gewerblichen Nutzung nicht nur für das Grundstück des Klägers ein Bebauungsplan erlassen werden soll, sondern weitere fünf (vorhabenbezogene) Bebauungspläne gemeinsam behandelt werden sollen, kann nicht die Rede von einer Planreife im Sinn des § 33 BauGB sein. Anhaltspunkte dafür, dass eine für den Kläger positive Rechtsänderung konkret bevorsteht, liegen nicht vor und werden auch nicht dargelegt. Die gewerbliche Nutzung der landwirtschaftlichen Bergehalle als Lager sowie der Container ist daher weiterhin bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Betroffene hat jedoch erst dann einen Anspruch auf Aufhebung einer solchen Anordnung, wenn sich die Sach- und Rechtslage tatsächlich mit dem Ergebnis geändert hat, dass das Vorhaben rechtmäßig geworden ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtfertigt nicht die gerichtliche Aufhebung einer von der Behörde rechtmäßig erlassenen Nutzungsuntersagung, wenn eine positive Rechtsänderung lediglich nicht auszuschließen ist (vgl. BVerwG, U.v. 6.12.1985 – 4 C 23.83 u.a. – BauR 1986, 195).
Auch soweit der Kläger geltend macht, dass angesichts der bereits seit längerer Zeit ausgeübten (ungenehmigten) Nutzung eine Übergangsfrist hätte eingeräumt werden müssen, ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Denn das angedrohte Zwangsgeld wird erst einen Monat nach Bestandskraft des Bescheids fällig. Dies ist nach Auffassung des Senats angesichts der langen Zeitdauer der rechtswidrigen gewerblichen Nutzung der landwirtschaftlichen Bergehalle und der ohne Genehmigung aufgestellten Container sowie der damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile nicht zu beanstanden.
2. Besondere tatsächliche oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache liegen nicht vor. Die auftretenden Fragen können anhand der einschlägigen Rechtsprechung beantwortet werden. Auf die Rechtsausführungen im Beschluss wird Bezug genommen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.4 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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