Baurecht

Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu einem Kanalherstellungsbeitrag

Aktenzeichen  RO 8 K 15.499

Datum:
15.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 124927
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Art. 5 KAG
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG
§ 9 Abs. 1 Satz 1 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS-EWS) der Stadt …

 

Leitsatz

1 Der Maßstab “Grundstücksfläche und zulässige Geschossfläche” ist ein grundsätzlich zulässiger Herstellungsbeitragsmaßstab. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist zulässig, den Maßstab von tatsächlich vorhandener Geschossfläche hin zu zulässiger Geschossfläche zu ändern. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Vorteilsempfänger muss in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen können, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4 Der Eintritt der Vorteilslage ist unabhängig von den rechtlichen Entstehungsvoraussetzungen des Beitrags. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 7.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung … vom 24.2.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Nacherhebung eines Kanalherstellungsbeitrags ist Art. 5 KAG i.V.m. §§ 9 und 5 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Stadt … vom 28.7.2009, geändert durch Satzung vom 22.12.2009 (BGS/EWS 2009). Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS 2009 wird Beitrag nach der Grundstücksfläche und der zulässigen Geschossfläche berechnet (Beitragsmaßstab). Nach der Übergangsregelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS 2009 ist bei einem bebauten Grundstück, für welches aufgrund einer früheren (auch nichtigen) Satzung eine Anschlussgebühr / ein Beitrag erhoben worden ist, eine Beitragsnachberechnung aus der Differenz der vor dieser Erhebung vorhandenen Geschossfläche zur zulässigen Geschossfläche vorzunehmen, wenn eine Veränderung der baulichen Ausnutzung vorgenommen wird.
Im vorliegenden Fall wurde aus Anlass des Bauvorhabens „Ausbau des Dachgeschosses und Einbau einer Schleppgaube in das bestehende Wohnhaus“, für das der Klägerin mit Bescheid der Stadt … vom 2.6.2010 eine Baugenehmigung erteilt wurde und das im Jahre 2011 abgeschlossen wurde, auf der Grundlage einer Beitragsnachberechnung nach § 9 Abs. 1 BGS/EWS 2009 ein Kanalherstellungsbeitrag von 3.218,40 € nacherhoben, nachdem bereits mit Abgabebescheid vom 13.5.1969 entsprechend dem damals satzungsrechtlich vorgesehenen Frontmetermaßstab (Anliegerlänge) für das bereits damals mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück eine Anliegergebühr von 1.749 DM abgerechnet worden war. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden:
1. Bei dem in § 5 BGS/EWS 2009 verankerten Beitragsmaßstab „Grundstücksfläche und zulässige Geschossfläche“ handelt es sich um einen grundsätzlich zulässigen Beitragsmaßstab (vgl. nur Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Teil IV, Art. 5 Frage 10 Nr. 2.1). Auch ist es grundsätzlich zulässig, einen Maßstabswechsel vorzunehmen. Insbesondere ist es zulässig den Maßstab von tatsächlich vorhandener Geschossfläche hin zu zulässiger Geschossfläche zu ändern. Dies verstößt weder gegen das Gleichbehandlungsgebot, noch stellt es seine unzulässige echte Rückwirkung oder eine unzulässige unechte Rückwirkung dar (vgl. Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Teil IV, Art. 5 Frage 24, Nr. 5.1, S. 7).
Beim Übergang von der tatsächlichen auf die zulässige Geschossfläche wird der Nacherhebungstatbestand hinsichtlich der Differenz zwischen der tatsächlichen Geschossfläche und der zulässigen Geschossfläche mit dem Inkrafttreten des neuen Beitragsmaßstabs verwirklicht. Dadurch wird lediglich derjenige Tatbestand der zulässigen Bebauung, der bisher nicht oder noch nicht zur Gänze durch einen (Teil-)Beitrag abgegolten war, für die Zukunft zeitlich „vorgezogen“. Der Tatbestand der Verwirklichung der zulässigen Geschossfläche ist bisher noch nicht abgeschlossen gewesen, eine Beitragspflicht insoweit also noch nicht entstanden, geschweige denn abgegolten (vgl. Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Teil IV Art. 5 Frage 24, Nr. 5.1, S. 8 m.w.N.). Dabei ist es möglich, die Differenz zwischen dem bereits erhobenen Beitragsanteil vorhandene Geschossfläche zur zulässigen Geschossfläche sofort mit Satzungserlass fällig zu stellen. Es ist aber auch möglich, das Entstehen des Beitrags von einer weiteren Bebauung abhängig zu machen. Bei „Altanschließern“ entsteht dann aufgrund einer entsprechenden Übergangsregelung erst dann die weitere Beitragsschuld, wenn ein unbebautes Grundstück bebaut oder bei einem bebauten Grundstück die Geschossfläche vergrößert wird. Die Nacherhebung beschränkt sich dann auf die Differenz zwischen zulässiger Geschossfläche und bereits abgegoltener tatsächlicher Geschossfläche (vgl. BayVerfGH, Entscheidung v. 8.1.2002 – Vf. 6-VII-00 – juris Rn. 65 u. 66). Dabei handelt es sich um eine altanschließerfreundliche Regelung, denn Neuanschließer werden unmittelbar in Anspruch genommen.
Vor diesem Hintergrund begegnet auch die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz BGS/EWS 2009 und ihre Anwendung im vorliegenden Fall keinen Bedenken.
Der zum Zeitpunkt der Beitragserhebung 1969 geltenden Satzungsregelung lag zwar nicht der Beitragsmaßstab der Grundstücksfläche und der tatsächlichen Geschossfläche zugrunde. Vielmehr wurde in der maßgeblichen Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Stadt … vom 19.4.1967 (Entwässerungsatzung 1967) in § 32 allein auf die Grundstücksstraßenfront (Länge der die kanalisierte Straße berührenden Grundstücksgrenze) abgestellt (= sog. Frontmetermaßstab). Der reine Frontmetermaßstab ohne Kombination mit Geschossfläche ist aber ungeeignet, die durch die Anschlussmöglichkeit erlangten Vorteile sachgerecht zu bewerten und abzugelten (vgl. BayVGH, U.v. 8.8.1986 – 23 B 85 A.1358; BayVGH, U.v. vom 18.12.1987 – 23 B 86.2535; BayVGH, U.v. 4.8.1989 – 23 B 87.04065; BayVGH, U.v. vom 1.12.1989 – 23 B 88.03603). Damit war die der Beitragserhebung 1969 zugrundliegende Entwässerungssatzung 1967 (im Gebührenteil) nichtig.
Erstmals mit der Satzung zur Änderung der Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Stadt … vom 26.7.1972 (Entwässerungssatzung 1972) wurde dann auf den bis heute geltenden Beitragsmaßstab Grundstücksfläche und zulässige Geschossfläche umgestellt. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die vorherige Beitragssatzung – wegen Mängel des Beitragsmaßstabs – nichtig war. Deshalb liegt auch kein abgeschlossener Beitragstatbestand vor. Ein Maßstabswechsel kommt in erster Linie dann in Betracht, wenn von der Unwirksamkeit des bestehenden Satzungsrechts auszugehen ist. Diese Situation gibt dem Einrichtungsträger die Möglichkeit, erstmals gültiges Satzungsrecht neu zu schaffen und der Beitragsbemessung dabei einen anderen Beitragsmaßstab als in den vorherigen – unwirksamen Satzungen verankert, zu Grunde zu legen (vgl. IMS vom 21.4.2010 – IB4-1521.1-166 – GKBay 2010, Rn. 125).
Es ist nach Auffassung der Kammer rechtlich unbedenklich, die Grundsätze, die für einen Maßstabswechsel von der tatsächlichen Geschossfläche hin zur zulässigen Geschossfläche von der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellt wurden, auch in der vorliegenden Fallkonstellation anzuwenden. Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass auch nach § 9 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS 2009 eine Beitragsnachberechnung erst durch einen sog. Baufall (Veränderung der baulichen Ausnutzung) ausgelöst wird und dann die Berechnung des nachzuerhebenden Beitrags aus der Differenz der vor der (erstmaligen) Erhebung tatsächlich vorhandenen Geschossfläche zur zulässigen Geschossfläche erfolgt.
2. Gegen die auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS 2009 erfolgte Berechnung der Höhe des nacherhobenen Beitrags wurden Einwendungen weder erhoben (vielmehr wurde in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass gegen die Beitragsberechnung als solche keine Einwände bestünden) noch sind solche sonst ersichtlich. Die vor der Erhebung 1969 (tatsächlich) vorhandene Geschossfläche wurde nach § 9 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 6, Abs. 9 Satz 2 und 3 BGS/EWS 2009 berechnet. Danach war das Erdgeschoss mit einer Fläche von 97,22 m² (69,3 + 27,92 m²) und das Dachgeschoss mit einer ausgebauten bzw. bewohnbaren Fläche von 52,87 m² zu berücksichtigen (insgesamt 150,09 m² = 150 m²). Die zulässige Geschossfläche bestimmt sich gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 BGS/EWS 2009 grundsätzlich aus der Multiplikation der Geschossflächenzahl (= 0,75) mit der Grundstücksfläche (1.496 m²) und beträgt 1.122 m². Unter Berücksichtigung von Baugrenzen usw. ergibt sich aber nach § 5 Abs. 3 Satz 4 BGS/EWS 2009 eine erreichbare zulässige Geschossfläche von nur 690 m². Zieht man von dieser die vor der Erhebung vorhandene Geschossfläche von 150 m² ab, verbleibt eine Differenzfläche von 540 m². Der Beitrag beträgt nach § 6 BGS/EWS 2009 5,96 € pro m² Geschossfläche, so dass sich ein Nacherhebungsbeitrag von (540 m² x 5,96 € =) 3.218,40 € ergibt.
3. Auch steht der Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS auf den vorliegenden Fall nicht die Ausschlussfristregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b), bb) 1. Spiegelstrich KAG entgegen.
Nach dieser zum 1.4.2014 in Kraft getretenen Regelung ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig. Die Regelung trägt nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs den in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.3.2013 (Az. 1 BvR 2457/08) dargelegten Anforderungen, insbesondere dem Erfordernis, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen können muss, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss, hinreichend Rechnung (vgl. BayVGH, U.v.12.03.2015 – 20 B 14.1441; vgl. dazu auch den Beschluss des BVerwG vom 3.9.2015 – 9 B 39/15, mit dem die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil zurückgewiesen wurde). Nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 2 KAG gilt diese Regelung für Beiträge, die vor dem 1.4.2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt wurden sind, – wie hier – mit der Maßgabe, dass die Frist 30 Jahre beträgt.
Für den Beginn der 20- bzw. 30-Jahre-Frist ist maßgeblich der Eintritt der Vorteilslage. Denn der Eintritt der Vorteilslage ist für den Beitragsschuldner erkennbar, so dass er auch selbst feststellen kann, bis zu welchem Zeitpunkt er damit rechnen kann, noch zu einem Beitrag herangezogen zu werden (vgl. BVerfG B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08). Der Begriff der Vorteilslage knüpft damit nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts an für den Bürger ohne weiteres bestimmbare rein tatsächliche Gegebenheiten an und lässt rechtliche Entstehensvoraussetzungen für die Beitragsschuld, wie etwa den vollständigen Grunderwerb, die formelle Widmung oder auch die Wirksamkeit der Beitragssatzung außen vor (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Staatsregierung zur Neufassung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG, LT-Drs 17/370 S. 13).
Der Eintritt der Vorteilslage ist also unabhängig von den rechtlichen Entstehensvoraussetzungen des Beitrags. Es genügt grundsätzlich, wenn die Anlage insgesamt betriebsfertig ist und der Allgemeinheit zur Verfügung steht und zumindest eine Anschlussmöglichkeit besteht. Außerdem ist wohl eine Bebauung oder zumindest Bebaubarkeit des Grundstücks Voraussetzung, denn nur dann wird dem Grundstückseigentümer ein Vorteil im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG durch die Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Einrichtung vermittelt (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 20 ZB 14.1723 – juris Rn. 5, 6). Im vorliegenden Fall wurde das klägerische Grundstück bereits in den 1960iger Jahren mit der zu dieser Zeit bereits verwirklichten Bebauung (Wohnhaus) an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen. Für diese Vorteilslage wurde mit Bescheid vom 13.5.1969 nach dem zu dieser Zeit angewandten Beitragsmaßstab (Entwässerungssatzung 1967) eine Gebühr erhoben.
Aus dem Begriff Vorteilslage ist jedenfalls (auch) abzuleiten, dass auf den jeweils durch die Einrichtung vermittelten Vorteil für das Grundstück abzustellen ist. Anerkannte Maßstäbe zur Abbildung des Vorteils, den eine öffentliche Einrichtung einem Grundstück vermittelt, sind Grund- und Geschossfläche. Der Vorteil, den ein bebautes Grundstück durch eine öffentliche Einrichtung hat, ist ein anderer – geringerer – Vorteil, als ein bebautes Grundstück vermittelt bekommt. Daher kann im Laufe der Zeit durch Veränderungen am Grundstück eine neue – andere – Vorteilslage eintreten, etwa wenn ein bisher unbebautes Grundstück bebaut wird oder wenn ein bebautes Grundstück eine bauliche Erweiterung erfährt (denkbar sind auch Veränderungen bei der Grundstücksgröße). Derartige tatsächliche Entwicklungen, die nach Art. 5 Abs. 2 a Satz 1 KAG Auswirkungen auf den Vorteil und damit auf die Beitragsbemessung haben, bewirken auch eine neue Vorteilslage. Der Eintritt der neuen Vorteilslage setzt aber hinsichtlich des neu hinzugekommen Vorteils (z. B. hinsichtlich der zusätzlichen, durch die Erweiterung entstandenen Geschossfläche) die Ausschlussfrist gesondert in Gang (vgl. zum Ganzen Begründung des Gesetzentwurfs der Staatsregierung zur Neufassung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG, LT-Drs 17/370 S. 13). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht jedenfalls bei Ergänzungsbeiträgen für die Verwirklichung zusätzlicher Geschossflächen davon aus, dass man für den Beginn der Ausschlussfrist nicht auf den erstmaligen Anschluss an die öffentliche Einrichtung abstellen darf, sondern der (zusätzliche) Vorteil, den die öffentliche Einrichtung vermittelt, erst mit der tatsächlichen Fertigstellung der betreffenden Geschossfläche vermittelt wird (vgl. BayVGH U.v. 12.3.2015 – 20 B 14.1441 – juris Rn. 26; vgl. auch BayVGH, B.v. 25.3.2015 – 20 CS 15.300).
Vorliegend wird durch die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS 2009 eine Beitragsnachberechnung (zur zulässigen Geschossfläche) abhängig gemacht von einer Veränderung der baulichen Ausnutzung. Dem entsprechend wurde mit Bescheid vom 7.11.2013 eine Nacherhebung durchgeführt, weil durch den Dachgeschossausbau im Jahre 2011 nicht nur eine neue Vorteilslage im Sinne der obigen Ausführungen eingetreten ist, sondern mit dieser Veränderung der baulichen Ausnutzung im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS 2009 die Voraussetzung für eine Nacherhebung, beschränkt auf die Differenz zwischen erreichbarer zulässiger Geschossfläche und der vor der Erhebung vorhandenen tatsächlichen Geschossfläche, eingetreten ist und eine entsprechende Beitragsschuld entsteht. Wenn der Einrichtungsträger den Vollzug des Maßstabswechsels an eine aktuelle Grundstücksmehrung anknüpfen darf, liegt das beitragsauslösende Ereignis aber nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart (vgl. Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Teil IV, Art. 13 Frage 8, Nr. 10.7, S. 17). Dem entsprechend wird in der Gesetzesbegründung zur Neufassung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG klargestellt, dass satzungsrechtliche Übergangsregelungen, die einen Maßstabswechsel hin zum Maßstab der zulässigen Geschossfläche zum Gegenstand haben und hinsichtlich des Entstehens der Beitragsschuld auf die Vornahme baulicher Veränderungen durch den Beitragsschuldner abstellen, unberührt bleiben, da sie als rein rechtliche Aspekte den Eintritt der Vorteilslage nicht beeinflussen. Zudem – so die Gesetzesbegründung weiter – wirken derartige satzungsrechtliche Übergangsvorschriften nicht auf in der Vergangenheit abgeschlossene Beitragstatbestände ein, sondern haben lediglich die künftige bauliche Ausnutzbarkeit des Grundstücks im Blick. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit, schützt aber (nur) davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge (zeitlich) unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08). Dem folgend wird auch in der Kommentarliteratur davon ausgegangen, dass satzungsrechtliche Übergangsregelungen von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unberührt bleiben (vgl. Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Teil IV, Art. 13 Frage 8, Nr. 10.7, S. 17).
Damit kann einer Anwendbarkeit der Übergangsregelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS 2009 im vorliegenden Fall nicht die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) 1. Spiegelstrich KAG normierte 20- bzw. (Art. 19 Abs. 2 KAG) 30-jährige Ausschlussfrist entgegenstehen. Etwas anderes wäre allenfalls dann zu erwägen, wenn nach dem mit der Änderungssatzung der Stadt … vom 26.7.1972 (Entwässerungssatzung 1972) vollzogenen Maßstabswechsel hin zum Beitragsmaßstab Grundstücksfläche und zulässige Geschossfläche (vgl. dort § 32 Abs. 1) über einen Zeitraum von 20 bzw. 30 Jahren hinaus satzungsrechtlich keine Übergangsregelung (im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS 2009) normiert worden wäre, die den „Vollzug“ des Maßstabswechsels bis zum Eintritt des sog. Baufalls hinausschiebt. Für diesen Fall würde sich nämlich dann die Frage stellen, ob der Vorteilsempfänger nicht geltend machen könnte, dass ab 26.7.1972 eine Veranlagung nach dem geänderten Maßstab (sofort) hätte erfolgen können und daher nach Ablauf der entsprechenden Fristen des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) 1. Spiegelstrich KAG eine Beitragsnacherhebung ausgeschlossen sein müsste. Dies kann aber letztlich dahinstehen, denn eine Übergangsregelung findet sich bereits in § 34 Abs. 3 der Entwässerungssatzung 1972 und entsprechende Übergangsvorschriften finden sich dann durchgehend in allen nachfolgenden Satzungen, vgl. § 8 der Satzung zur Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die öffentliche Entwässerungseinrichtung vom 14.1.1980, § 8 der Satzung zur Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die öffentliche Entwässerungseinrichtung vom 1.10.1985, § 8 der Änderungssatzung vom 17.11.1987, § 8 der Änderungssatzung vom 22.10.1998, § 8 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18.12.2001; § 5 Abs. 13 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18.12.2007.
4. Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 117 Abs. 5 VwGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und den Gründen des Widerspruchsbescheids der Regierung … vom 24.2.2015 (unter II. 4.) gefolgt.
Nach allem war daher die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung im Kostenpunkt war gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 VwGO).


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