Baurecht

Rechtmäßigkeit einer Baueinstellung bei Abweichung von genehmigten Bauvorlagen

Aktenzeichen  2 CS 18.2677

Datum:
13.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2266
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a
VwGO § 146

 

Leitsatz

Liegt eine formelle Rechtswidrigkeit vor, ist das für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Baueinstellung ausreichend. (Rn. 4) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

M 9 E 18.5234 2018-12-05 Ent VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 VwGO) hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben.
Der Senat sieht nach einer einem Eilverfahren wie diesem angemessenen summarischen Prüfung (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2000 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 582) im Ergebnis keine Notwendigkeit für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Anfechtungsklage gegen den Baueinstellungsbescheid des Antragsgegners vom 18. Oktober 2018 (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Anfechtungsklage wird aller Voraussicht nach erfolglos bleiben.
1. Die mit Bescheid vom 18. Oktober 2018 verfügte Baueinstellung verletzt den Kläger voraussichtlich nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a) BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Bauarbeiten einstellen, wenn bei der Bauausführung eines genehmigungspflichtigen Vorhabens von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen wird. Für ein Tätigwerden der Bauaufsichtsbehörde genügt bereits die formelle Rechtswidrigkeit des Vorhabens (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.2001 – 20 ZB 01.2648 – juris; B.v. 20.1.2009 – 15 CS 08.1638 – juris; B.v. 18.9.2013 – 2 CS 13.1610 – n.v.). Sichergestellt werden soll, dass eine Prüfung und Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens aufgrund ordnungsgemäßer und gegebenenfalls geänderter Bauvorlagen in dem dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren erfolgt und bis dahin keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.2001 – 20 ZB 01.2648 – juris). Insoweit genügt der durch Tatsachen belegte „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2013 – 9 CS 13.1407- juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen wird die Baueinstellung rechtlich nicht zu beanstanden sein. Strittig ist die Anhebung des Hauptdachs sowie des Dachs des „Quergiebels“ von den in der Baugenehmigung vom 17. Mai 2016 genehmigten 23 Grad auf 26 Grad. Der Antragsteller hat diese Änderung zwar mit Tektur-Antrag vom 12. Juni 2017 beantragt. Der Bauantrag wurde jedoch mit Bescheid vom 1. Februar 2018 abgelehnt. Das erstinstanzliche Verfahren gegen die Ablehnung der Baugenehmigung blieb erfolglos (vgl. VG München, U.v. 17.10.2018 – M 9 K 18.1003). Gegen das Urteil wurde ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, über den der Senat noch nicht entschieden hat (Az. 2 ZB 18.2493). Die Klage des Antragstellers gegen den Baueinstellungsbescheid vom 18. Oktober 2018 (Az. M 9 K 18.5471) wurde mit Gerichtsbescheid vom 14. Januar 2019 abgewiesen. Auch dagegen wurde ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt (Az. 2 ZB 19.250), über den der Senat noch nicht entschieden hat. Damit liegt derzeit keine Baugenehmigung für die vorgenommene Änderung der Dachneigung und deren weitere Folgen vor. Vielmehr ist eine Abweichung von der Baugenehmigung vom 17. Mai 2016 gegeben, da die Dachneigung von 23 Grad auf 26 Grad angehoben wurde. Damit liegt eine formelle Rechtswidrigkeit vor, welche für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Baueinstellung ausreichend ist. Das Vorliegen der formellen Illegalität wird vom Antragsteller zudem nicht bestritten.
Der Senat kann zudem keine Fehler in der Ermessensausübung erkennen. Auch aus Sicht des Senats ist die Änderung der Dachneigung jedenfalls nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
Mit dem Erstgericht geht der Senat davon aus, dass die veränderte Bauausführung so erheblich ist, dass die Genehmigungsfrage erneut aufgeworfen wird (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2016 – 9 ZB 14.2684 – juris). Die Anhebung der Dachneigung von Hauptdach und „Quergiebel“ kann – entgegen der Auffassung des Antragstellers – nicht isoliert betrachtet werden. Die Veränderung der Dachneigung führt zu einer Vergrößerung der Giebelflächen beim Hauptgebäude (Westseite und Ostseite der Aufstockung) und auch beim „Quergiebel“. Sie verändert somit auch die Außenfassade selbst. Gleichzeitig wird die Firsthöhe erhöht. Im Dachgeschoss führt die Anhebung der Dächer zudem dazu, dass sich die anrechenbare Wohnfläche durch Verschiebung der sogenannten 2 m-Linie im „Wohn-Schlafraum“ von 51,56 m² auf 56,83 m² erhöht. Im Übrigen lassen sich auf den anlässlich des gerichtlichen Augenscheinstermins des Erstgerichts am 17. Oktober 2018 von der Antragsgegnerin gefertigten Lichtbildern auch andere Veränderungen in der Bauausführung erkennen. So sind zwei freistehende Kellerfenster an der Südfassade des Anbaus sichtbar, die in den Eingabeplänen mit Kellerschächten versehen sind. Angesichts der dort bereits sichtbaren Außendämmung, die sich von der von unterirdischen Bauteilen deutlich unterscheidet, lässt sich erkennen, dass von dem in den genehmigten Bauplänen (Baugenehmigung vom 17. Mai 2016) eingezeichneten Geländeverlauf deutlich abgewichen wird. Genehmigt wurde in dieser Baugenehmigung im Übrigen nur eine Wohneinheit – wie bisher vorhanden. Der Antragsteller spricht nunmehr davon abweichend in seiner Beschwerdebegründung vom 14. Januar 2019, dass sich auf jeder Ebene des Westflügels (EG, OG, DG) eigenständig nutzbare Wohnbereiche mit eigener Erschließung über das Treppenhaus des Haupthauses und der dort befindlichen Installationszentrale befänden. Zudem habe jeder Wohnbereich/Geschoss ein eigenes Bad, eine Kochnische sowie einen eigenen Heizkreis für eine Fußbodenheizung aus einer gemeinsamen Heizzentrale im Haupthaus mit eigener, getrennter Abrechnungsmöglichkeit. Ebenso sehe die Elektroinstallation eigenständige Verteilungen je Geschoss vor mit der Möglichkeit, dass jeder Wohnbereich seinen eigenen Stromzähler erhalten könne. Dazu legt der Antragsteller als Anlage K11 einen Grundrissplan des Obergeschosses vor, der als „unverändert“ markiert ist, aber deutlich von den mit Baugenehmigung vom 17. Mai 2016 genehmigten Plänen abweicht. So ist im Westen nunmehr eine massive Wandausführung im Bereich des Bads zu erkennen, die nach Süden fortgeführt wird und dann schräg zurückspringt. Hier ist handschriftlich das Wort „Küche“ vermerkt. Die bisherige Tür auf den Balkon ist nach Süden versetzt und soll offensichtlich eine über die genehmigte Außentreppe zugängliche Eingangstür für eine separate Wohneinheit im Obergeschoss darstellen, da hier dieser Bereich im Plan als „Windfang/Gard.“ bezeichnet wird. Dagegen bleibt auch in diesem Plan die Zimmerbezeichnung mit „Kind 1 bis 3“ gleich. Der Senat weist darauf hin, dass bislang nur die Erweiterung der bestehenden, einen Wohneinheit genehmigt worden ist, nicht aber die Errichtung von mindestens zwei weiteren Wohneinheiten. Auch dies stellt, da sie die Frage nach der Zahl der benötigten Stellplätze neu aufwirft, eine genehmigungspflichtige Änderung dar. Ob und inwieweit die aktuelle Bauausführung diese Änderungen des als Anlage K11 vorgelegten Plans bereits umgesetzt hat, muss der Antragsgegner überprüfen.
Der Senat kann keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit erkennen. Nach § 5 Abs. 13 der Satzung über die Gestaltung baulicher Anlagen im Gebiet des Beigeladenen vom 25. Juli 2016 (örtliche Gestaltungssatzung) sind Quergiebel nur unter bestimmten Einschränkungen zulässig. Dabei definiert die Satzung die Quergiebel als „rechtwinklig zum Hauptgebäude angesetzte, vor die Hauptfassade vortretende Gebäudeteile“. Solche sind unter anderem nur zulässig, wenn die Länge des Gebäudes mindestens 15 m beträgt (Nr. 1), die Traufe des Hauptgebäudes und des Quergiebels auf einer Höhe liegen (Nr. 2), der Quergiebel maximal 1/3 der Gebäudelänge in Anspruch nimmt (Nr. 3), der Abstand von den Gebäudeecken mindestens 3,0 m beträgt (Nr. 4) und sich das Erscheinungsbild dem Hauptbaukörper deutlich unterordnet (Nr. 7). Schon allein die Tatsache, dass der Antragsteller das Vorliegen eines Quergiebels bei dem aus der südlichen Fassade vorspringenden Bauteil bestreitet und damit insoweit eine Anwendung der Satzung für ihn ausscheiden soll, lässt erkennen, dass eine Offensichtlichkeit im obigen Sinn nicht vorliegt.
Ein Quergiebel oder Zwerchgiebel (auch Zwerchhaus) steht zwerch, also quer bzw. rechtwinklig, zum Hauptgiebel. Er unterscheidet sich von der Dachgaube dadurch, dass der Zwerchgiebel in der Verlängerung der Traufseite der Fassade durchläuft oder vor diese vorspringt, wohingegen die Dachgaube sich nur in der Dachfläche befindet und von der Dachfläche vierseitig umschlossen ist (vgl. auch Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: Oktober 2018, Art. 8 Rn. 140; Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Stand: Oktober 2018, Art. 6 Rn. 141a; Kleines Wörterbuch der Architektur, Reclam, 8. Auflage 2002, zum Zwerchhaus). Der Zwechgiebel ist ein zusätzlicher Giebel quer zur Hauptdachrichtung. Kragt er über die Traufseite aus (springt also hervor vor die Außenwand) wird er auch Mittelrisalit oder Frontispitz genannt, in Süddeutschland auch Widerkehrgiebel – einfacher: hervorstehender Quergiebel.
Das Anwesen des Antragstellers besteht aus einem westlichen sowie einem tiefer liegenden östlichen Bauteil, das mit einem Satteldach mit Firstrichtung Ost-West überbaut war. Mit der Baugenehmigung vom 8. Juni 2010 wurde für den östlichen Teil ein zweigeschossiger Wintergartenanbau genehmigt. Ebenfalls genehmigt wurde die Aufstockung des westlichen Bauteils um ein Geschoss samt einem Anbau nach Süden über die Bestandsgarage hinweg. Diese Aufstockung sollte unter Verschiebung des Firsts nach Süden wieder ein Satteldach mit Firstrichtung Ost-West erhalten. Damit wäre der Anbau im bisherigen westlichen Hauptgebäude integriert gewesen und als separater Anbau optisch nicht in Erscheinung getreten. Diese Aufstockung mit Anbau wurde in dieser Form jedoch nicht ausgeführt. Es kann dahinstehen, ob die Baugenehmigung durch Zeitablauf insoweit erloschen ist (Art. 69 Abs. 1 BayBO). Die sogenannte Tektur-Genehmigung vom 17. Mai 2016 sieht zwar ebenfalls eine Aufstockung des westlichen Bauteils des Hauptgebäudes vor. Der Anbau nach Süden wird jedoch um gut 2 m nach Westen verschoben und erhält zudem einen Quergiebel. Damit handelt es sich um ein vollständig anderes Bauvorhaben als in der Ausgangsbaugenehmigung vom 8. Juni 2010 und nicht lediglich um eine Tektur. Auch bei der Baugenehmigung vom 17. Mai 2016 wird der ursprüngliche First nach Süden verschoben und mittig über dem bisherigen westlichen Bauteil und dem südlichen Anbau platziert. Damit wird der Anbau sowohl bautechnisch als auch optisch in das bisherige westliche Hauptgebäude integriert. Von Westen her erscheint die Giebelseite als einheitliches Gebäude. Die südliche Fassade des südlichen Anbaus stellt nunmehr die Traufseite des westlichen Bauteils dar. Mit der Ostwand des westlichen Bauteils springt der westliche Baukörper zurück und es schließt sich der östliche Baukörper mit eigenem Satteldach in Ost-West Richtung an. Vor die neue südliche Fassade wird im rechten Winkel mit einem Abstand von jeweils ca. 2,10 m von der westlichen und östlichen Hauswand des Anbaus entfernt ein um ca. 1 m vor die Fassade ragender Quergiebel gesetzt, der sowohl der Definition in § 5 Abs. 13 der örtlichen Gestaltungssatzung entspricht als auch der allgemeinen Definition eines Zwerchgiebels oder Quergiebels in der Architektur. Selbst wenn den von Antragstellerseite vorgelegten fachlichen Stellungnahmen des Architekten K bzw. des Bauingenieurs T zu folgen wäre und es sich um einen Querbau handeln würde, so würde der Quergiebel nicht die südliche Fassade dieses Querbaus darstellen. Der Quergiebel überspannt gerade nicht den gesamten Anbau, sondern bleibt beidseits um ca. 2 m zurück. Es handelt sich somit nicht um ein in Nord-Süd-Richtung verlaufendes Satteldach eines Querbaus. Vielmehr erstreckt sich das Satteldach des westlichen Bauteils auch über den angeblichen Querbau und bildet die Traufseite dieses westlichen Bauteils. Es liegt also ein klassischer, hervorstehender Quergiebel (in der Variante eines Standgiebels) vor.
Da die Länge des westlichen Bauteils nur 11,24 m beträgt und damit unter 15 m liegt (§ 5 Abs. 13 Nr. 1 der örtlichen Gestaltungssatzung), die Traufe des Quergiebels und des Hauptdachs nicht auf einer Höhe liegen (§ 5 Abs. 13 Nr. 2 der örtlichen Gestaltungssatzung), der Quergiebel mehr als 1/3 der Gebäudelänge in Anspruch nimmt (§ 5 Abs. 13 Nr. 3 der örtlichen Gestaltungssatzung), der Abstand von den Gebäudeecken nur ca. 2,10 m statt mindestens 3,00 m beträgt (§ 5 Abs. 13 Nr. 5 der örtlichen Gestaltungssatzung) sowie sich das Erscheinungsbild dem Hauptbaukörper nicht deutlich unterordnet (§ 5 Abs. 3 Nr. 7 der örtlichen Gestaltungssatzung), liegt insoweit keine Genehmigungsfähigkeit vor.
Es stellt sich auch nicht als ermessensfehlerhaft dar, dass der Antragsgegner die Bauarbeiten insgesamt eingestellt hat. Eine bloße Baueinstellung betreffend das Dach am Hauptgebäude (westlicher Bauteil) und den Quergiebel würde wohl ins Leere gehen, da die Dacharbeiten im Wesentlichen abgeschlossen sind. Zudem muss der Antragsgegner – wie oben dargelegt – auch die Umsetzung der Baugenehmigung vom 17. Mai 2016 in ihrer Gänze überprüfen, da voraussichtlich noch mehr Abweichungen vorliegen als lediglich die geänderte Dachneigung und die damit verbundenen Folgen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 47 GKG.


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