Baurecht

Sachbescheidungsinteresse, Bau- und Anpflanzungsverbot, Gebot der Rücksichtnahme, Bauplanungsrechtlicher Außenbereich

Aktenzeichen  M 1 SN 21.4324

Datum:
11.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2297
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 80a Abs. 3 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die vorläufige Vollziehbarkeit einer den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung.
Die Antragsteller sind Miteigentümer des Grundstücks FlNr. 19/4 Gemarkung … … Gemeinde … Die Beigeladenen sind Miteigentümer des unmittelbar südlich angrenzenden Grundstücks FlNr. 16 (Vorhabensgrundstück). Für das Gebiet besteht kein Bebauungsplan.
Mit notariellem Kaufvertrag vom … … 1902 verkaufte der damalige Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 16 und 19 Gem. … … aus diesen zwei amtlich noch nicht vermessene Flächen von insgesamt 2.000 m². In Ziffer 3. des Kaufvertrags ist folgende Regelung getroffen: „Bezüglich der an die Vertragsobjekte angrenzenden Grundstücke des Verkäufers, vermutlich wiederum Pl.Nr. 19 der Steuergemeinde …, und zwar auf eine Entfernung von fünfundzwanzig Meter, im Kreise vom Vertragsobjekt aus gerechnet, räumt Verkäufer dem Käufer das Vorkaufsrecht ein und dürfen auf dem so bezeichneten Grundstücke, bezüglich welchen diese Vorkaufsrecht begründet ist, ohne Genehmigung des Käufers keine Gesträucher, Bäume oder Gebäulichkeiten errichtet werden, wodurch die Aussicht des Käufers von dem verkauften Grundstücke aus beeinträchtigt oder benommen würde.“ Im Rahmen einer notariellen Messungsanerkennung vom 21. Dezember 1903 wurden die aus den FlNrn. 16 und 19 verkauften Parzellen als FlNr. 19 1/3 und 19 1/4 bezeichnet und als mit 0,086 ha für die FlNr. 19 1/3 und mit 0,170 ha für die FlNr. 19 1/4 vermessen anerkannt. In Ziffer 3. der Messungsanerkennung wurde zum Zwecke der Ermöglichung der Eintragung der mit Kaufvertrag vom … … 1902 begründeten Dienstbarkeiten Folgendes festgestellt: „Es besteht zu Gunsten von Plan Nummer 19 1/4 der Steuergemeinde … nun zu Lasten der Grundstücke Plannummer 19 und 16 dieser Steuerflur die Beschränkung, dass auf eine Entfernung von fünfundzwanzig Meter im Umkreise von dem Grundstücke Pl.Nr. 19 1/4 auf den Objekten Pl.Nr. 19 und 16 keine Gebäulichkeiten errichtet und keine Gesträucher oder Bäume gepflanzt oder belassen werden dürfen, wodurch die Aussicht von Pl.Nr. 19 1/4 der Steuergemeinde … beeinträchtigt oder benommen würde“. Das Bau- und Anpflanzungsverbot ist im Grundbuch von … … Blatt 132 im Bestandsverzeichnis laufende Nr. 19 eingetragen.
Unter dem 4. März 2021 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung zum Neubau eines zweistöckigen Geräteschuppens mit Werkstatt, Brennholz- und Heulager für den landwirtschaftlichen Gebrauch im Südwesten des Grundstücks FlNr. 16. Die Gemeinde erteilte mit Beschluss vom 15. März 2021 ihr Einvernehmen zu dem Bauantrag.
Die Fachkundige Stelle für Wasserwirtschaft des Landratsamts kommt in ihrer Stellungnahme vom 29. April 2021 zu dem Ergebnis, dass in flussaufsichtlicher Hinsicht keine Einwände gegen das Vorhaben, das sich im 60m- Bereich des … Bachs, der von der laufenden Nr. 362 „R* … … mit Quell- und Seitenbächen“ der Verordnung über die Genehmigungspflicht für Anlagen in oder an Gewässern dritter Ordnung im Regierungsbezirk Oberbayern vom 13. Februar 2014 erfasst ist, bestünden.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2021, den Antragstellern zugestellt am 10. Juli 2021, erteilte der Antragsgegner den Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung. Das Vorhaben sei gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert. Es stünden keine öffentlichen Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB entgegen. Zudem sei die ausreichende Erschließung gesichert, sodass das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig sei.
Mit am 26. Juli 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz erhob die Antragstellerin zu 1), mit am 10. August 2021 zudem der Antragsteller zu 2) Klage gegen den Bescheid vom 28. Juni 2021, die Gegenstand des Verfahrens M 1 K 21.3964 sind.
Mit am 10. August 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz beantragen die Antragsteller sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen den Bescheid vom 28. Juni 2021 anzuordnen.
Den Beigeladenen fehle schon das Sachbescheidungsinteresse für die Erteilung der Baugenehmigung, da das Vorhaben aufgrund eines zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. 19/4 im Grundbuch eingetragenen Bau- und Anpflanzungsverbots nicht errichtet werden dürfe. Es sei zudem nicht nachgewiesen, dass das errichtete Gebäude einen Abstand von 25 m einhalte. Die Entfernung sei hangabwärts gemessen worden. Bei einer Messung in die Ebene hinein werde der Abstand von 25 m nicht eingehalten. Das Vorhaben sei nicht privilegiert im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, da es sich allenfalls um Landwirtschaft im Nebengewerbe handle. Das genehmigte Vorhaben diene nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Gebäude an der konkreten Stelle errichtet werden müsse. Der Ausblick vom Grundstück der Antragsteller werde erheblich beeinträchtigt. Das Grundstück FlNr. 19/4 stehe auf einem mit Geröll aufgeschütteten Hügel, der erosionsgefährdet sei. Es bestehe die Gefahr, dass es zu einem Hangabrutsch komme, wodurch das Grundstück der Antragsteller erheblich gefährdet sei. Sie seien im Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Ebenfalls seien wasserrechtliche Belange nicht geprüft worden. Ferner habe die Gemeinde angegeben, dass das Bauvorhaben in einer Entfernung von null Metern zu einem Wald liege. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit diesbezüglich Schutzmaßnahmen geprüft worden seien.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das zivilrechtliche Bebauungsverbot berühre gemäß Art. 68 Abs. 5 BayBO nicht die Baugenehmigung. Das Sachbescheidungsinteresse habe bestanden, da der Antragsgegner erst nach Erteilung der Baugenehmigung Kenntnis vom Bebauungsverbot erlangt habe. Das genehmigte Vorhaben habe zudem einen Abstand von ca. 25 m zum Grundstück FlNr. 19/4 und sei deshalb nicht vom Bebauungsverbot betroffen. Das Vorhaben sei gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert, da es einem landwirtschaftlichen Betrieb diene. Auf den Flächen würden während der Vegetationsperiode Pensionsrinder und ganzjährig acht Ziegen gehalten. Es handle sich um einen dauerhaft geführten Betrieb. Der Neubau des Geräteschuppens sei für diesen Betrieb sinnvoll und dienlich. Eine Errichtung im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle auf dem Grundstück FlNr. 13 sei nicht möglich. Im Übrigen sei die Privilegierung eines Betriebs und eines dem Betrieb dienenden Vorhabens nicht nachbarschützend und im Rahmen des Rücksichtnahmegebots außer Betracht zu bleiben. Dem Vorhaben stünde auch der Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB nicht entgegen. Der Ausblick der Antragsteller sei nicht beeinträchtigt und es handle sich dabei nicht um einen nachbarschützenden Tatbestand. Die Fachkundige Stelle für Wasserwirtschaft habe dem Vorhaben am 29. April 2021 zugestimmt, sodass wasserrechtlich relevante Vorgaben berücksichtigt worden seien. Etwaige Schutzmaßnahmen aufgrund der Waldnähe lägen nicht im Prüfungsumfang des Art. 59 BayBO.
Die Beigeladenen äußerten sich nicht im Verfahren.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte, auch im zugehörigen Hauptsacheverfahren M 1 K 21.3964, Bezug genommen.
II.
1. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen der Antragsteller haben keinen Erfolg. Die Anträge sind zwar zulässig, aber unbegründet.
a) Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung darüber, welches der Interessen – das Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts oder das Interesse des Nachbarn an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs – höher zu bewerten ist (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 85 ff.). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Hoppe, a.a.O., § 80 Rn. 85 ff.). Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessensabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (BayVGH, B.v. 26.7.2011, a.a.O.).
b) Im Rahmen von Rechtsbehelfen Dritter können sich diese nur dann erfolgreich gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit zugleich auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
c) Ausgehend davon überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Die Klagen der Antragsteller bleiben nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos, da sie unbegründet sind. Der angefochtene Bescheid vom 28. Juni 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Grundstück der Beigeladenen liegt unstreitig im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB, sodass sich der Nachbarschutz nach den dazu aufgestellten Grundsätzen richtet.
aa) Ob das Vorhaben der Beigeladenen einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und damit gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert ist, kann dahinstehen. Im Außenbereich besteht kein allgemeiner Schutzanspruch des Nachbarn auf Nichtausführung objektiv nicht genehmigungsfähiger Vorhaben (BVerwG, B.v. 3.4.1995 – 4 B 47/95 – juris Rn. 2). Im streitgegenständlichen Nachbarrechtsverfahren ist somit nicht zu klären, ob das Vorhaben objektiv-rechtlich allen Anforderungen des § 35 BauGB entspricht. Nachbarschutz kommt im Außenbereich nach § 35 BauGB demnach grundsätzlich nur bei Verstößen gegen das Gebot der Rücksichtnahme in Betracht (BVerwG, B.v. 28.7.1999 – 4 B 38/99 – juris Rn. 5).
bb) Die Antragsteller können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass den Beigeladenen aufgrund des Bau- und Anpflanzungsverbotes das nötige Sachbescheidungsinteresse fehlt. Das Sachbescheidungsinteresse fehlt, wenn der Antragsteller aus Gründen, die jenseits des Verfahrensgegenstandes liegen, an einer Verwertung der begehrten Genehmigung – aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – gehindert und die Genehmigung deshalb ersichtlich nutzlos ist (BayVGH, U.v. 28.11.2013 – 2 B 13.1587 – juris Rn. 27). Im Übrigen hat die Bauaufsichtsbehörde die zivilrechtliche Realisierbarkeit des Vorhabens nicht zu prüfen (König in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 68 Rn. 52). Schließlich wird die Baugenehmigung gemäß Art. 68 Abs. 5 BayBO unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt. Sie stellt nicht verbindlich fest, dass das Vorhaben auch privatrechtlich zulässig oder privatrechtlich zu dulden ist. Der Dritte wird folglich durch die Baugenehmigung nicht gehindert, dem Vorhaben entgegenstehende private Rechte dinglicher oder obligatorischer Art vor den Zivilgerichten geltend zu machen (Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 144. EL 2021, Art. 68 Rn. 436).
(1) Nach summarischer Prüfung unter Zugrundelegung der Eingabepläne ist den Beigeladenen schon deshalb nicht das Sachbescheidungsinteresse abzusprechen, da das Vorhaben den in dem Bau- und Anpflanzungsverbot vorgegebenen Abstand von 25 m im Umkreis vom Grundstück der Antragsteller einhält. Der geplante Geräteschuppen weist von seiner nördlichen Ecke zur südwestlichen Ecke des Grundstücks FlNr. 19/4 hin – mithin in geringster Entfernung – einen Abstand von 28 m auf, sodass davon auszugehen ist, dass das Bau- und Anpflanzungsverbot nicht verletzt wird.
Dem Vorbringen der Antragsteller, dass die Entfernung hangabwärts gemessen worden sei und bei einer „ebenen Messung“ der Abstand nicht eingehalten würde, ist nicht nachvollziehbar, weil sich der gemessene Abstand aus dem Lageplan, mithin also aus der Draufsicht und nicht „hangabwärts“ ergibt.
Damit kann auch dahinstehen, ob dem Antragsgegner zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Bauantrag das Bau- und Anpflanzungsverbot womöglich nicht bekannt war – der in den Behördenakten befindliche, ergebnislose Suchlauf nach Belastungen des Grundstücks FlNr. 16 legt dies nahe (Bl. 2 d. Behördenakte – BA). Selbst bei Kenntnis des Verbots hätte das Sachbescheidungsinteresse demnach nicht gefehlt.
(2) Ferner können sich die Antragsteller ohnehin nicht auf ein etwaiges fehlendes Sachbescheidungsinteresse der Beigeladenen berufen. Die Ablehnungsbefugnis des Antragsgegners wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses hat keine drittschützende Wirkung (VG Würzburg, U.v. 5.12.2013 – W 5 K 12.866 – juris Rn. 50). Dritte sollen durch das Erfordernis des Sachbescheidungsinteresses nicht geschützt werden (BayVGH, B.v. 8.6.2010 – 2 ZB 09.2987 – juris Rn. 4).
cc) Es liegt kein Verstoß gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, vor.
Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessenabwägung ist ausschlaggebend, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48/12 – juris Rn. 7). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 40). Die Bewertung der Zumutbarkeit richtet sich danach ausschließlich nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit. Diese Umstände müssen im Sinne einer „Güterabwägung“ in eine wertende Gesamtbetrachtung einfließen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O Rn. 7).
Danach verletzt das Vorhaben der Beigeladenen nach summarischer Prüfung nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Der Neubau eines talseitig zweistöckigen Geräteschuppens mit Werkstatt, Brennholz- und Heulager für den landwirtschaftlichen Gebrauch ruft bereits keine weitergehenden schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes hervor. Nach der Betriebsbeschreibung (Bl. 13 d. BA) geht mit dem Vorhaben keine Veränderung des Tierbestands einher. Daher muss nicht entschieden werden, ob das Vorhaben landwirtschaftlich privilegiert ist, damit typischerweise gerade im Außenbereich errichtet wird und bereits deswegen ein hohes Maß an Schutzwürdigkeit genießt. Auch der Einwand der Antragsteller, dass der Ausblick von ihrem Grundstück erheblich beeinträchtigt werde, greift nicht durch. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass von dem in 28 m Entfernung zum Wohngebäude der Antragsteller zu errichtenden Geräteschuppen eine optisch bedrängende Wirkung ausgeht, zumal das Wohngebäude nach Vortrag des Bevollmächtigten der Antragsteller auf einem mit Geröll aufgeschütteten Hügel steht und die Sichtbarkeit des zu errichtenden Geräteschuppens bereits deshalb eingeschränkt ist. Soweit sich die Antragsteller auf die Sicherung des Ausblicks berufen, ist dies ohnehin nicht schützenswert. Der ungeschmälerte Fortbestand einer „freien Aussicht“ stellt grundsätzlich nur eine Chance dar, die keinen abwägungserheblichen Belang darstellt und deshalb nicht dem Schutz durch das Gebot der Rücksichtnahme unterliegt (BayVGH, U.v. 14.7.2006 – 1 N 05.1153 – juris Rn. 28). Ein allgemeines Recht auf einen freien Ausblick besteht nicht.
Soweit die Antragsteller schließlich monieren, dass aufgrund der Hanglage die Gefahr bestehe, dass das Wohngebäude der Antragsteller im Falle eines Hangabrutsches aufgrund Starkregens erheblich gefährdet werde, führt dies ebenfalls nicht zu einem Erfolg des Antrags. Es ist bereits nicht ersichtlich, inwiefern ein Vorhaben, das am unteren Ende des Hanges errichtet werden soll, das höher gelegene und ca. 50 m entfernte Wohngebäude der Antragsteller zu beeinträchtigen vermag. Zudem wird ausweislich der Schnittdarstellung in den Planzeichnungen in das Urgelände nicht erheblich eingeschnitten.
dd) Ferner führt auch der Einwand der Antragsteller, dass Belange des Wasserrechts nicht umfassend geprüft worden seien, zu keinem anderen Ergebnis.
Die fachkundige Stelle für Wasserwirtschaft des Landratsamts hat die Beeinträchtigung wasserrechtlicher Belange geprüft und das Ergebnis der Baugenehmigungsbehörde mit Schreiben vom 29. April 2021 vorgelegt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass in flussaufsichtlicher Hinsicht keine Einwände gegen das Vorhaben bestünden. Inwieweit diese Prüfung unzureichend sein soll, substantiieren die Antragsteller nicht.
Darüber hinaus sind durch die in der Baugenehmigung enthaltene Genehmigung nach Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 BayWG keine die Antragsteller schützenden Rechte betroffen. Die Genehmigung nach Art. 20 BayWG hat eine rein ordnungsrechtliche Funktion und dient ausschließlich der Verhinderung nachteiliger Wirkungen von Anlagen auf die Strömungs- und Abflussverhältnisse eines oberirdischen Gewässers; ein Nachbarschutz ist somit gerade nicht zu begründen (BayVGH, B.v. 11.6.2013 – 8 ZB 12.725 – juris Rn. 9).
ee) Die Antragsteller werden schließlich nicht mit ihrem Vortrag gehört, dass das Bauvorhaben direkt an einem Wald liege und nicht ersichtlich sei, inwiefern die Baugenehmigungsbehörde Schutzmaßnahmen geprüft habe. Die Normen des Bundesnaturschutzgesetzes, des Bayerischen Naturschutzgesetzes, des Waldschutzgesetzes und des Klimaschutzgesetzes entfalten keine nachbarschützende Wirkung. Die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind dem öffentlichen Interesse zuzuordnen. Durch das Naturschutzrecht werden nur die Interessen der Allgemeinheit geschützt und es ist nicht dazu bestimmt, dem Schutz Dritter zu dienen (VG München, B.v. 3.11.2005 – M 9 E 05.3590 – juris Rn. 32)
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, im Hinblick auf die Personenmehrheit auf Antragstellerseite zudem aus § 159 Satz 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffern 9.7.1, 1.5 des Streitwertkatalogs. Es erscheint angemessen, den für die Hauptsache anzunehmenden Streitwert von EUR 7.500,00 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.


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