Baurecht

Straßenbaubeitrag für Erneuerung der Ortsstraße

Aktenzeichen  6 CS 19.987

Datum:
10.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15175
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 3 , Abs. 5

 

Leitsatz

1 Ist eine (Stich-)Straße weit länger als 100 m und deshalb bei natürlicher Betrachtungsweise kein bloßes Anhängsel der Straße, von der sie abzweigt, stellt sie beitragsrechtlich eine eigene selbstständige Einrichtung dar.  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Erstreckt sich eine Baumaßnahme nicht auf die Ortsstraße in ihrer gesamten Länge, sondern mangels weitergehenden Erneuerungs- oder Verbesserungsbedarfs lediglich auf eine Teilstrecke, liegt eine beitragsfähige Erneuerung oder Verbesserung in der Regel nur dann vor, wenn die ausgebaute Teilstrecke mindestens ein Viertel der gesamten Straßenlänge umfasst. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 S 19.680 u.a. 2019-04-17 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 17. April 2019 – AN 3 S 19.680, 681, 682, 683 – wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 25.203,40 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin zog die Antragstellerin mit Bescheiden vom 25. Oktober 2017 für vier Grundstücke jeweils zu einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag für die Erneuerung der Industriestraße in Höhe von insgesamt 100.813,57 Euro heran (FlNr. 211/5: 942,56 Euro; FlNr. 217: 173,51 Euro; FlNr. 201: 79.667,03 Euro; FlNr. 164: 20.030,47 Euro). Bei der Verteilung des – voraussichtlichen – Aufwands auf die bevorteilten Grundstücke ging sie davon aus, dass der Straßenzug Industriestraße (östlicher Ast) / Hofstettener Hauptstraße zwischen dem Altstadtring im Osten und dem Kreisverkehr im Westen die maßgebliche Ortsstraße bildet. Die Antragstellerin hat hiergegen jeweils Widerspruch einlegt und bei der Antragsgegnerin ohne Erfolg die Aussetzung der Vollziehung beantragt.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 17. April 2019 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche abgelehnt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, der die Antragsgegnerin entgegentritt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe, die den Prüfungsrahmen im Beschwerdeverfahren bilden (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen nicht zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass – bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung – keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Vorauszahlungsbescheide bestehen.
Durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 26. Juni 2018 (GVBl S. 449) wurde rückwirkend zum 1. Januar 2018 die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen verboten (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG n.F.). Allerdings verbleibt es für Beiträge und für Vorauszahlungen, die – wie hier – bis zum 31. Dezember 2017 durch Bescheid festgesetzt worden sind, nach Maßgabe der Übergangsvorschriften in Art. 19 Abs. 7 und 8 KAG bei der früheren, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage (KAG a.F.), die sich aus dem Kommunalabgabengesetz selbst und aus dem auf seiner Grundlage wirksam erlassenen gemeindlichen Satzungsrecht ergibt. Auf dieser Rechtsgrundlage hat der Senat mit dem Verwaltungsgericht weder dem Grunde noch der Höhe nach ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Vorauszahlungsbescheide. Ob die Antragsgegnerin diese Vorauszahlungen endgültig behalten darf, bestimmt sich nach der Übergangsregelung des Art. 19 Abs. 8 KAG und ist nicht Prüfungsgegenstand in diesem Verfahren.
Die Antragsgegnerin durfte die Antragstellerin nach Art. 5 Abs. 5 KAG a.F. zu Vorauszahlungen auf den Straßenausbaubeitrag für den Ausbau der Industriestraße (östlicher Ast) / Hofstettener Hauptstraße heranziehen. Diese Straße stellt die beitragsrechtlich maßgebliche Einrichtung dar (1.). Auch wenn sich die abzurechnende Straßenbaumaßnahme auf die Industriestraße (östlicher Ast) beschränkt, handelt es sich nach den Grundsätzen des Teilstreckenausbaus um eine beitragsfähige Erneuerung und Verbesserung dieser Straße (2.), für die die Antragsgegnerin auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG a.F. in Verbindung mit ihrer Ausbaubeitragssatzung (ABS) vom 9. März 2017 Beiträge von denjenigen Grundstückseigentümern erheben durfte (und musste), denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Straße besondere Vorteile bietet. Die vier Grundstücke der Antragstellerin gehören zum Kreis der beitrags- und damit vorauszahlungspflichtigen Grundstücke (3.), nicht aber die Grundstücke, die am westlichen Ast der Industriestraße liegen (4.).
1. Bei der Industriestraße (östlicher Ast) / Hofstettener Hauptstraße handelt es sich, wovon die Antragsgegnerin zutreffend ausgegangen ist, um die beitragsrechtlich maßgebliche Einrichtung.
Gegenstand einer beitragsfähigen Erneuerung oder Verbesserung ist grundsätzlich die einzelne Ortsstraße als öffentliche Einrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG. Für die Feststellung der räumlichen Ausdehnung dieser Einrichtung ist ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise und ungeachtet einer etwa wechselnden Straßenbezeichnung abzustellen auf den Gesamteindruck, den das Erscheinungsbild eines Straßenzugs (z.B. die Straßenführung, Straßenbreite und -länge, Straßenausstattung) und seine Verkehrsfunktion einem unbefangenen Beobachter vermitteln (ständige Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 6 ZB 17.1580 – juris Rn. 5 m.w.N.). Zugrunde zu legen ist dabei der Zustand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten, also nach Durchführung der Ausbaumaßnahme. Bei der – hier in Streit stehenden – Erhebung von Vorauszahlungen, die begrifflich immer vor dem Entstehen der endgültigen sachlichen Beitragspflichten erfolgt, ist prognostisch nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung zu bewerten, wie die Ortsstraße sich nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms darstellen wird (BayVGH, B.v. 13.8.2014 – 6 ZB 12.1119 – juris Rn. 8).
Gemessen an diesem Maßstab stellt der Straßenzug Industriestraße (östlicher Ast) / Hofstettener Hauptstraße – nach Durchführung der abzurechnenden Baumaßnahme – von der Einmündung in den Altstadtring im Osten bis zum Kreisverkehr im Westen trotz der unterschiedlichen Bezeichnung eine einzige durchgehende Ortsstraße mit einer Länge von ca. 1.175 m als die beitragsrechtlich maßgebliche Einrichtung dar. Diese Einrichtung beginnt – bei natürlicher Betrachtungsweise unzweifelhaft – am Altstadtring, von dem der Straßenzug Industriestraße (östlicher Ast) / Hofstettener Hauptstraße nach Westen abzweigt. Sie verläuft ohne größere Verschwenkung in Richtung Südwesten und endet erst nach etwa 1.175 m am Kreisverkehr. Dieser teilt wegen seiner Größe und Ausgestaltung mit begrünter Mittelinsel den geradeaus weiterverlaufenden Straßenzug in zwei selbständige Einrichtungen und dürfte wohl als weitere – dritte – eigenständige Einrichtung zu bewerten sein (vgl. BayVGH, B.v. 25.8.2016 – 6 ZB 16.410 – juris Rn. 6). Die Abzweigung (Aufgabelung) des westlichen Astes der Industriestraße, bildet hingegen keine derartige augenfällige Zäsur, die den einheitlichen Straßenzug aus Industriestraße (östlicher Ast) und Hofstettener Hauptstraße aufspalten könnte.
Der westliche Ast der Industriestraße kann entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht als unselbstständiger Teil des Straßenzugs Industriestraße (östlicher Ast) / Hofstettener Hauptstraße angesehen werden, auch wenn er als Stichstraße keine Weiterfahrmöglichkeit bieten sollte. Zum einen ist diese (Stich-)Straße weit länger als 100 m und deshalb bei natürlicher Betrachtungsweise kein bloßes Anhängsel der Straße, von der sie abzweigt, sondern beitragsrechtlich eine eigene selbstständige Einrichtung (zur Abgrenzung etwa BayVGH, U.v. 25.9.2018 – 6 B 18.342 – juris Rn. 17 m.w.N.). Zum anderen stünden der Annahme, der westliche Ast der Industriestraße sei unselbstständiger Teil der abzurechnenden Straße zwingende rechtliche Hindernisse entgegen. Wie das Verwaltungsgericht – unwidersprochen – ausgeführt hat, handelt es sich bei der Industriestraße (östlicher Ast) / Hofstettener Hauptstraße um eine Hauptverkehrsstraße, während der westliche Ast der Industriestraße als Anliegerstraße einzustufen ist. Bereits aufgrund dieser unterschiedlichen Verkehrsfunktionen, die gemäß der Ausbaubeitragssatzung zu unterschiedlichen Gemeindeanteilen führen, kann schon aus rechtlichen Gründen, d.h. unabhängig von der natürlichen Betrachtungsweise, eine einheitlich abzurechnende Einrichtung nicht angenommen werden (BayVGH, B.v. 4.12.2014 – 6 ZB 13.431 – juris Rn. 7 m.w.N.).
2. Auch wenn die Straßenbaumaßnahme auf eine Teilstrecke, nämlich die Industriestraße (östlicher Ast), beschränkt ist, handelt es sich um eine nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. beitragsfähige Erneuerung und Verbesserung der gesamten Einrichtung, nicht um eine bloße Instandhaltungsmaßnahme.
Erstreckt sich eine Baumaßnahme nicht auf die Ortsstraße in ihrer gesamten Länge, sondern – wie hier – mangels weitergehenden Erneuerungs- oder Verbesserungsbedarfs lediglich auf eine Teilstrecke, geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine beitragsfähige Erneuerung oder Verbesserung in der Regel nur dann angenommen werden kann, wenn die ausgebaute Teilstrecke mindestens ein Viertel der gesamten Straßenlänge umfasst. Denn unterhalb dieser Schwelle ist regelmäßig nur ein unerheblicher Teil betroffen, dessen Erneuerung oder Verbesserung nicht auf die gesamte Einrichtung durchschlägt (BayVGH, U.v. 18.5.2017 – 6 BV 16.2345 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Danach ist von einem beitragsfähigen Ausbau auszugehen. Die Gesamtlänge der Einrichtung Industriestraße (östlicher Ast) / Hofstettener Hauptstraße beträgt ca. 1.175 m. Die Ausbaumaßnahme erstreckt sich nach dem vom Stadtrat der Antragsgegnerin am 1. Juli 2017 beschlossenen Ausbauprogramm „von der Kreuzung Altstadtring bis zur Gabelung Hofstettener Hauptstraße“. Der Ausbau erfasst demnach eine Strecke von etwa 302 m, mithin ca. 25,7% der Gesamtlänge. Dass im Einmündungsbereich noch keine Bauarbeiten durchgeführt worden sind, ist entgegen der Ansicht der Beschwerde unbeachtlich. Maßgeblich ist allein das aktuelle Bauprogramm, das den Rahmen für die beitragsrechtliche Beurteilung vorgibt. Demnach ist die Schwelle von einem Viertel der Gesamtlänge überschritten. Außergewöhnliche Umstände, die eine Abweichung hiervon rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
3. Die vier Grundstücke der Antragstellerin gehören zum Kreis der bevorteilten und damit beitragssowie vorauszahlungspflichtigen Grundstücke, auch wenn die Straßenausbaumaßnahme nicht bis auf ihre Höhe durchgeführt wird. Da sich eine beitragsfähige Erneuerung oder Verbesserung auf die jeweilige Einrichtung insgesamt bezieht, ist der umlagefähige Aufwand gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG a.F. – vorbehaltlich einer wirksamen Abschnittsbildung – auf sämtliche Grundstücke zu verteilen, die eine beitragsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit „dieser Einrichtung“ haben. Es ist ohne Belang, dass ein Grundstück nicht an die erneuerten oder verbesserten Straßenteile angrenzt (vgl. BayVGH, U.v. 22.4.2010 – 6 B 08.1483 – juris Rn. 16; B.v. 18.7.2017 – juris – Rn. 13; ständige Rechtsprechung).
4. An der Aufwandsverteilung dürfen die am westlichen Ast der Industriestraße gelegenen Grundstücke entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht beteiligt werden. Es spielt keine Rolle, dass es sich um eine Stichstraße handelt und allein der Straßenzug Industriestraße (östlicher Ast) / Hofstettener Hauptstraße die Anbindung an das weiterführende Straßennetz vermittelt. Bei dem westlichen Ast der Industriestraße handelt es sich, wie oben ausgeführt, um eine beitragsrechtlich selbstständige Einrichtung. Damit koppelt sie die nur an ihr gelegenen Grundstücke ab und schließt eine Beitragspflicht für die Straße, von der sie abzweigt, aus. Denn einem Grundstück wird im Straßenausbaubeitragsrecht eine vorteilsrelevante Inanspruchnahme grundsätzlich durch die nächste von ihm aus erreichbare selbständige Verkehrseinrichtung vermittelt und nicht durch die übernächste (BayVGH, B.v. 4.12.2014 – 6 ZB 13.431 – juris Rn. 8; U.v. 30.6.2016 – 6 B 16.515 – juris Rn. 17).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat in Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in ständiger Rechtsprechung ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts ansetzt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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