Baurecht

Trading-Down-Effekt bei Zulassung eines Wettbüros

Aktenzeichen  AN 3 K 17.00971

Datum:
2.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14718
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 9 Abs. 2 lit. b, § 15
BayAGGlüStV Art. 7 Abs. 1 S. 1, S. 3
BauNVO § 1 Abs. 5, § 15 Abs. 1
VwGO § 47
BayBO Art. 76 S. 2

 

Leitsatz

1. § 9 Abs. 2 b BauGB gibt den Gemeinden eine zusätzliche städtebauliche Steuerungsmöglichkeit zur wirksamen Bewältigung der vielfach mit Vergnügungsstätten im Zusammenhang stehenden Probleme (z. B. Verdrängung hochwertiger Nutzungen, Trading-Down-Effekt, „umkippen“ eines Gebietes etc.) an die Hand.  (Rn. 81 – 85) (redaktioneller Leitsatz)
2. Passiver Bestandsschutz umfasst grundsätzlich nicht Bestands- oder Funktionsänderungen.  (Rn. 106) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Verfahrenskosten.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Streitgegenstand der vorliegenden Klage ist zum einen das Begehren des Klägers, die Beklagte zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Ladens in ein Wettbüro zu verpflichten, sowie die Aufhebung der mit Bescheid der Beklagten vom 25. April 2017 erlassenen Nutzungsuntersagung.
A)
Die Verpflichtungsklage ist unbegründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nicht zu; er wird demgemäß durch den Versagungsbescheid nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das Gericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug und folgt dessen zutreffender Begründung, § 117 Abs. 5 VwGO.
I.
Bei der vorliegend vorgenommenen Umnutzung von einem Laden in ein Wettbüro handelt es sich um eine im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB genehmigungspflichtige, jedoch nicht genehmigungsfähige Nutzungsänderung (Art. 55 Abs. 1 BayBO).
Die Annahme einer planungsrechtlich relevanten Nutzungsänderung setzt eine bodenrechtlich beachtliche Änderung der Nutzungsweise voraus, die geeignet ist, die in § 1 Abs. 6 BauGB gennannten Belange zu berühren und die dadurch die Genehmigungsfrage neu aufwirft.
Unter den Begriff der Nutzungsänderung im Sinn des § 29 BauGB fallen solche Änderungen, mit denen die jeder Nutzung eigene Variationsbreite verlassen wird. Dies kann sowohl dann der Fall sein, wenn die Zulässigkeitsfrage der neuen Nutzung weitergehenden Vorschriften unterfällt als dies für die bisherige Nutzung gegolten hat, als auch dann, wenn sich die neue Nutzung zwar weiterhin nach denselben Vorschriften wie die alte bestimmt, jedoch anders zu beurteilen ist als die bisherige Nutzung (vgl. z. B. BVerwG vom 27. August 1998, 4 C 5.98 – juris).
Hiernach liegt bezüglich der streitgegenständlichen Umnutzung von Laden in Wettbüro zweifelsohne eine nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor, denn der hier beabsichtigte (und schon vorgenommene) Nutzungswechsel führt bereits im Hinblick auf unterschiedliche Öffnungszeiten sowie die mögliche planungsrechtliche Relevanz der mit Vergnügungsstätten erfahrungsgemäß einhergehenden typischen Beeinträchtigungen (vgl. BayVGH vom 23. April 2015, 15 Z B 13.2377 – juris) zwangsläufig zu einer Neubewertung der planungsrechtlichen Auswirkungen auf die nähere Umgebung des Bauvorhabens.
II.
Die hier inmitten stehende Nutzungsänderung erweist sich jedoch als nicht genehmigungsfähig.
Im für die vorliegende Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht dem klägerseits geltend gemachten Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung der einfache Bebauungsplan Nr. 306 A – Teile der nördlichen Altstadt und … Neustadt – entgegen.
Die in Ansehung der gegen die Wirksamkeit des einschlägigen Bebauungsplanes vorgebrachten Gründe hier vorzunehmende Inzidentkontrolle ist nach – vorliegend erfolgtem – Ablauf der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB beschränkt auf die von dieser Vorschrift nicht erfassten Mängel („Ewigkeitsmängel“).
Der Umfang der Inzidentprüfung ist eingeschränkt auf die nicht von der in § 215 Abs. 1 BauGB normierten Rügepflicht erfassten, dort abschließend genannten Fälle der stets beachtlichen Mängel, insbesondere des Verstoßes gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz nach § 1 Abs. 3 BauGB, und des Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, auf das Fehlen oder die Überschreitung der Rechtsgrundlage oder auf den Fall eines fehlerhaften Abwägungsergebnisses, § 1 Abs. 7 BauGB.
Diese im Normenkontrollverfahren zu beachtende Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle gilt auch bei der im Rahmen eines Verpflichtungs- oder Anfechtungsbegehrens vorzunehmenden Inzidentprüfung, denn die Gemeinde soll nach Ablauf der Rügefrist im einen wie im anderen Falle sicher sein, dass nur noch die nicht von § 215 Abs. 1 BauGB erfassten Mängel gerügt werden können (vgl. zum Ganzen BayVGH vom 19. Oktober 2018, 9 Z B 16.1987 – juris; vom 22. September 2015, 1 B 14.1652 – juris – m.w.N.).
1. § 9 Abs. 2 b BauGB stellt nach Auffassung des Gerichtes für den Erlass des Bebauungsplanes Nr. 306 A eine tragfähige Rechtsgrundlage dar.
Diese Vorschrift ermöglicht den Ausschluss von Vergnügungsstätten, worunter auch das streitgegenständliche Wettbüro fällt (vgl. z.B. BayVGH vom 18. März 2019, 15 ZB 18.690 – juris).
Durch die Einfügung des § 9 Abs. 2 b BauGB soll nach dem Willen des Gesetzgebers den Gemeinden eine zusätzliche städtebauliche Steuerungsmöglichkeit zur wirksamen Bewältigung der vielfach mit Vergnügungsstätten im Zusammenhang stehenden Probleme (z. B. Verdrängung hochwertiger Nutzungen, Trading-Down-Effekt, „umkippen“ eines Gebietes etc.), an die Hand gegeben werden, vgl. z. B. BayVGH vom 29. Januar 2015, 9 N 15.213 – juris m.w.N..
§ 9 Abs. 2 b BauGB ermächtigt die Gemeinde, für den unbeplanten Innenbereich, zum Schutze anderer Nutzungen und städtebaulicher Funktionen eines Gebietes, die Ansiedlung von Vergnügungsstätten mittels eines Bebauungsplanes zu steuern und dadurch bestimmte städtebaulich als negativ beurteilte Entwicklungen zu verhindern.
Der BayVGH hat zum Fall einer einen Bebauungsplan nach § 9 Abs. 2 b BauGB sichernden Veränderungssperre (auch auf den insoweit vergleichbaren vorliegenden Fall, bei welchem es zwar nicht um eine Veränderungssperre, sondern um die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplanes Nr. … geht, anwendbar) im Beschluss vom 18. April 2017, 9 ZB 15.1846 – juris, folgendes ausgeführt:
„Hier hat die Beklagte als Ziel der Bauleitplanung für den Erlass eines Vergnügungsstättenbebauungsplanes im Beschluss vom 16. Januar 2014 (vgl. Bl. 27 der Behördenakte) angegeben, dass die planungsrechtlichen)
Voraussetzungen geschaffen werden sollen, um die Beeinträchtigung der sich aus der vorhandenen Nutzung ergebenden städtebaulichen Funktion des Gebiets zu verhindern. Es habe sich gezeigt, dass die Ansiedlung von Vergnügungsstätten in benachbarten, städtebaulich ähnlich strukturierten Innenstadtrandlagen zu einem „TradingDown-Prozess“ geführt habe und kerngebietstypische Nutzungen zugunsten einer Häufung von Spielhallen verschwunden seien. Es gelte daher, im Planungsgebiet Nutzungskonflikte zum Schutze bestehender Gewerbebetriebe bzw. des Bodenpreisgefüges zukünftig zu vermeiden. Hieraus wird deutlich, dass sich die Beklagte – entgegen dem Zulassungsvorbringen der Klägerin – nicht bloß auf allgemeine politische Erwägungen beruft, sondern auf eine konkrete städtebauliche Konfliktlage abstellt (vgl. Spieß in Jäde-Dirnberger, BauGB, 8. Auflage 2017, § 9 Rn. 98). Sie hat – wie auch die Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Augenscheinstermin vom 1. Juli 2015 im Verfahren Az. AN 9 K 14.01140 zeigen – die konkret vorhandenen Nutzungen des Gebietes berücksichtigt und auf die planerisch beabsichtige Entwicklungsstruktur abgestellt. Die angeführte Zweckbestimmung stellt damit einen tragenden städtebaulichen Grund für die Aufstellung des Bebauungsplanes dar (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2016, § 9 Rn. 243 a). Die Festsetzungen dienen ausweislich des Beschlusses der Beklagten dem Ziel, Beeinträchtigungen im Sinne von § 9 Abs. 2 b Nr. 1 oder Nr. 2 BauGB zu steuern bzw. zu verhindern. Derartige Beeinträchtigungen müssen jedoch nicht bereits vorliegen; vielmehr kann die Beklagte auch schon im Vorfeld vorsorgend einen Bebauungsplan aufstellen, um derartige Auswirkungen erst gar nicht entstehen zu lassen (vgl. Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 9 Rn. 191, 194; Söfke in Ernst/Zinkahn/Bielenberg /Krautzberger, a.a.O., § 9 Rn. 243 a; vgl. Spieß in Jäde-Dirnberger, a.a.O., § 9 Rn. 97). Im Hinblick darauf, dass sich eine solche Konfliktlage auch bereits aus der erstmaligen Ansiedlung einer Vergnügungsstätte ergeben kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. September 2008 – 4 B N 9.98 – juris Rn. 8; Gierke in Brügelmann, BauGB, Stand November 2016, § 9 Rn. 515 bq), ist auch die Prognose gerechtfertigt, dass durch die Planungsentscheidung die entsprechende Gebietsfunktion wahrscheinlich gewahrt bzw. das eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung vermieden werden kann (vgl. Spannowsky in Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2. Auflage 2014, § 9 Rn. 137; Gierke in Brügelmann, a.a.O., § 9 Rn. 515 bo.“
Im Beschluss vom 29. Juni 2017, 9 C S 17.962 – juris, führt der BayVGH folgendes aus:
„Hier hat die Beigeladene als Ziel der Bauleitplanung für den Erlass eines Vergnügungsstättenbebauungsplanes nach § 9 Abs. 2 b BauGB im Aufstellungsbeschluss vom 13. Juli 2016 angegeben, dass städtebauliche Fehlentwicklungen vermieden werden sollen, eine nachhaltige Sicherung der Sanierungsmaßnahmen und der Erhalt historisch gewachsener Bau- und funktionaler Strukturen erfolgen sollen. Des Weiteren sei ein städtebauliches Entwicklungskonzept gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB aufgestellt worden, dessen Ziele für den Altstadtbereich im Aufstellungsbeschluss wiedergegeben werden. Sie umfassen unter anderem die Sicherung und Weiterentwicklung der historischen Altstadt und deren Potenziale als Versorgungs- und Wohnstandort, die Attraktivierung der Innenstadt für Einzelhandel, Gemeinbedarf, Gastronomie, Dienstleistung, Kultur und Wohnen, die Sicherung und Stärkung der bestehenden Funktionen, Nutzungen und Versorgungseinrichtungen, die Sicherung der bestehenden Fachgeschäfte sowie flankierend die Aufwertung des … zur Stabilisierung und Attraktivierung der angrenzenden Wohn- und Geschäftsbereiche. Aufgrund von Anfragen zur Ansiedlung von Spielhallen im Stadtzentrum, deren äußere Präsentation und möglicher negativer Auswirkungen auf die Umgebung solle die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten im Altstadtbereich bauplanungsrechtlich geregelt werden. Im Bereich der Altstadt solle die vorhandene Wohnnutzung vor möglichen Beeinträchtigungen geschützt werden und es befänden sich dort auch andere schutzbedürftige Anlagen wie kirchliche und kulturelle Nutzungen. Hieraus wird deutlich, dass sich die Beigeladene nicht bloß auf allgemeine politische Erwägungen beruft, sondern auf eine konkrete städtebauliche Konfliktlage abstellt (vgl. Spieß in Jäde-Dirnberger, BauGB, 8. Auflage 2017, § 9 Rn. 98). Sie hat die vorhandenen Nutzungen des Gebietes berücksichtigt und auf die planerisch beabsichtigte Entwicklungsstruktur abgestellt. Die angeführte Zweckbestimmung stellt damit einen tragenden städtebaulichen Grund für die Aufstellung des Bebauungsplanes dar (vgl. Söfker in Ernst/Zinkhan/Bielenberger/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2016, § 9 Rn. 43 a).
Die Festsetzungen dienen ausweislich des Aufstellungsbeschlusses der Beigeladenen dem Ziel, Beeinträchtigungen im Sinne von § 9 Abs. 2 b Nr. 1 und Nr. 2 BauGB zu verhindern. Derartige Beeinträchtigungen müssen nicht bereits vorliegen; vielmehr kann die Beigeladene auch schon im Vorfeld vorsorgend einen Bebauungsplan aufstellen, um derartige Auswirkungen erst gar nicht entstehen zu lassen (BayVGH Beschluss vom 18. April 2017 – 9 Z B 15.1846 – juris Rn. 10 m.w.N.). Der Begründung eines „konkreten städtebaulichen Problems“ speziell im Hinblick auf die Ansiedlung dieser einen Vergnügungsstätte bedarf es darüber hinaus nicht. Ein Vergnügungsstättenbebauungsplan nach § 9 Abs. 2 b BauGB stellt gerade einen ausdrücklich zulässigen Ausschlussbebauungsplan für spezielle Nutzungsarten dar (BayVGH, Beschluss vom 18. April 2017 – 9 Z B 15.1846 – juris Rn. 12).“
Unter Berücksichtigung der sich aus der Bebauungsplanbegründung ergebenden Zielsetzung des Plangebers in Verbindung mit dem Vergnügungsstättenkonzept der Beklagten ergeben sich insoweit keine Zweifel an der – vom Umfang her im vorliegenden Verfahren überhaupt überprüfbaren – Rechtmäßigkeit des Bebauungsplanes.
Anzumerken ist an dieser Stelle, dass das Gericht die klägerseits geäußerten Bedenken hinsichtlich einer wirksamen Beschlussfassung über das Vergnügungsstättenkonzept/das Vorliegen eines wirksamen Vergnügungsstättenkonzeptes, welches nach Ziff. 4.1.3 der Bebauungsplanbegründung die gemeindlichen Planung maßgeblich beeinflusst hat und zusammen mit dem gesamtstädtischen Standortkonzept die Grundlage der planerischen Festsetzung des Bebauungsplanes Nr. 306 A liefert, nicht teilt.
Ausweislich der Beschlussvorlage 611/062/2015 lag dem Umwelt-, Verkehrs- und Planungsausschuss nach Auftragsvergabe an das Planungsbüro … unter anderem der vom Planungsbüro erstellte Zwischenbericht zur Erarbeitung eines Vergnügungsstättenkonzeptes sowie ein Gutachten zur Sitzung vom 21. Juli 2015 vor.
Dem beschließenden Stadtrat der Beklagten wurden die vom Planungsbüro unter Einbeziehung des Umwelt-, Verkehrs- und Planungsausschusses im Rahmen der Erstellung des Vergnügungsstättenkonzeptes erarbeitenden Leitlinien des Vergnügungsstättenkonzeptes vorgelegt und erläutert. Ein zur Unwirksamkeit des Beschlusses/des Vergnügungsstättenkonzeptes führendes Verhalten vermag in dieser – innerhalb einer Gemeinde in der Größenordnung der Beklagten völlig üblichen – Vorgehensweise nicht gesehen zu werden mit der Folge, dass auch insoweit keine Auswirkungen auf den Bebauungsplanes Nr. … und dessen Wirksamkeit anzunehmen sind.
2. Auch Abwägungsfehler durch die Nichtberücksichtigung des vom Kläger schon seit 2011 betriebenen Wettbüros bei Erlass des Bebauungsplanes Nr. … liegen nicht vor.
Das streitgegenständliche Wettbüro war bereits 2011 genehmigungspflichtig (vgl. dazu die Eingangs unter A I. gemachten Ausführungen zur Genehmigungspflicht), eine Baugenehmigung lag jedoch zur keiner Zeit vor.
Eine nicht genehmigte und auch nicht offensichtlich genehmigungsfähige, aber ausgeübte Nutzung stellt kein im Rahmen des § 1 Abs. 7 BauGB zu berücksichtigendes Abwägungsmaterial dar (BayVGH vom 10. Oktober 2018, 2 N 16.1285 – juris).
Von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit des streitgegenständlichen Wettbüros war auch vor Inkrafttreten des Bebauungsplanes Nr. … nicht auszugehen.
Von einer solchen könnte gegebenenfalls dann die Rede sein, wenn sich die Übereinstimmung der ausgeübten Nutzung mit den anzuwendenden materiellrechtlichen Vorschriften ohne weitere Ermittlungen derart aufdrängen würde, dass eine etwaige Prüfung im Genehmigungsverfahren als entbehrlich erscheinen würde (vgl. z. B. OVG Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2018, OVG 2 S 39.18 – juris), was vorliegend schon deshalb nicht der Fall ist, weil selbst bei unterstellter grundsätzlicher planungsrechtlicher Zulässigkeit nach § 34 BauGB wegen der möglichen umweltbezogenen Wechselwirkungen eines Wettbüros mit Blick auf § 15 Abs. 1 BauNVO weitere Ermittlungen nötig gewesen wären (z. B. im Hinblick auf eventuelle störanfällige Wohnnutzung oder wegen des möglichen Eintretens eines Trading-Down-Effektes oder einer nicht hinzunehmenden Häufung von Vergnügungsstätten etc.), so das von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit nicht ausgegangen werden kann.
In seiner Entscheidung vom 18. April 2017, 9 ZB 15.1846 – juris, führt der BayVGH unter anderem aus, das sich die durch den Bebauungsplan nach § 9 Abs. 2 b BauGB zu schützende städtebauliche Funktion aus der vorhandenen Bebauung ergibt, die Maßstab für die Vorhabenszulässigkeit im Sinn des § 34 BauGB ist. Jedoch – so der BayVGH in jener Entscheidung -, sei das ohne Genehmigung betriebene Wettbüro nicht zu berücksichtigen, da „insbesondere durch den Erlass der angegriffenen Nutzungsuntersagungsverfügung weder in zeitlicher noch tatsächlicher Hinsicht Zweifel daran bestehen, dass sich der Beklagte mit dem Vorhandensein der Nutzung nicht abgefunden hat (BayVGH vom 29. Januar 2016, 15 ZB 13.1759)“; vgl. auch BVerwG vom 23. November 1998, 4 B 29.98 – juris.
Auch im vorliegenden Fall kann unter Berücksichtigung der 2014 erfolgten Zurückstellung des damaligen Antrags auf Genehmigung der Nutzungsänderung und der zeitlichen Abfolge, insbesondere auch bezüglich der mehrfach erörterten Nichtgenehmigungsfähigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens (erstmals mit Schreiben der Beklagten vom 16. Oktober 2012) nicht davon ausgegangen werden, dass das ungenehmigt betriebene Wettbüro als umgebungsprägend im Sinne des § 34 BauGB zu berücksichtigten ist noch, dass darin eine Nichtberücksichtigung von relevantem Abwägungsmaterial zu sehen wäre mit der Folge eines die Wirksamkeit des Bebauungsplanes tangierenden Abwägungsfehlers.
Da weitere im vorliegenden Verfahren berücksichtigungsfähige Fehler des Bebauungsplans Nr. 306 A nicht erkennbar sind, ist nach all dem festzustellen, dass dem Kläger wegen des im Bebauungsplan Nr. 306 A wirksam getroffenen Ausschlusses von Vergnügungsstätten der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nicht zusteht, die Verpflichtungsklage somit abzuweisen war.
B)
Auch die gegen die Nutzungsuntersagung gerichtete Anfechtungsklage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Auch diesbezüglich wird auf den streitgegenständlichen Bescheid und dessen zutreffende Begründung Bezug genommen, § 117 Abs. 5 VwGO.
I.
Das genehmigungspflichtige Vorhaben (vgl. oben A I.) erweist sich mangels Baugenehmigung für die derzeitige Nutzung als Wettbüro bereits formell als rechtswidrig.
Für die Rechtmäßigkeit einer Nutzungsuntersagung (Art. 76 Satz 2 BayBO) genügt in der Regel, dass die genehmigungspflichtige, aber ohne rechtliche Genehmigung betriebene Tätigkeit formell illegal ist, wenn diese illegal aufgenommene Nutzung nicht offenkundig genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH vom 29. Mai 2015, 9 ZB 14.2580 – juris).
Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit ist nicht gegeben, vielmehr steht der Bebauungsplan Nr. 306 A einer Genehmigung der vorliegend vorgenommen Nutzungsänderung entgegen, siehe oben A.
II.
Dem rechtmäßigen Erlass einer Nutzungsuntersagung kann auch nicht – wie klägerseits angeführt – erfolgreich das Bestehen (passiven) Bestandsschutzes eingewendet werden.
1. Mittels des sogenannten passiven Bestandsschutzes wird allein dem genehmigten bzw. nicht genehmigungsbedürftigen und materiell rechtmäßigen Vorhaben Bestandschutz gewährt, welcher auf der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG beruht (vgl. BVerfGE vom 15. Dezember 1995, 1 BvR 1713.92 – juris).
Von ihm gedeckt ist nur die nach Art und Umfang unveränderte Nutzung. Wird das Bauwerk für andere Zwecke genutzt, so erlischt der dem Gebäude zukommende Bestandschutz (BVerwG vom 9. September 2002, 4 B 52.02 – juris).
Bestandsschutz kann eine bauliche Anlage nur in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion genießen. Er ist somit auf die Sicherung der durch diese Eigentumsausübung geschaffenen Lage und damit auf das Gebäude in seinem Bestand gerichtet, nicht aber auf eine geänderte Gebäudenutzung (BVerwG a.a.O.). Passiver Bestandsschutz umfasst grundsätzlich nicht Bestands- oder Funktionsänderungen (BayVGH vom 13. März 2012, 9 ZB 11.769 – juris).
Derartiger Bestandsschutz ermöglicht vielmehr nur die Fortführung eines genehmigten Betriebes, nicht aber die Aufnahme einer neuen Nutzung.
2. Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung, z. B. vom 23. November 1998, 4 B 29.98 – juris, davon aus, dass eine nicht genehmigte Bebauung nur dann bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung zu berücksichtigten ist, wenn sie in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die zuständige Behörde mit dem Vorhandensein der Bebauung abgefunden hat.
Die Anwendung des darin zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens auf einen klägerseits angenommenen Bestandsschutz führt in Ansehung der bereits oben A II. erörterten zeitlichen Abfolge und des Verhaltens der Beklagten zu dem Ergebnis, dass diese zu keinem Zeitpunkt Anlass für die Annahme geboten hat, sie hätte sich mit dem Vorhaben abgefunden, sie dulde das Vorhaben. Für die Annahme eines Bestandsschutzes bleibt deshalb auch unter diesem Blickwinkel kein Raum.
III.
Die streitgegenständliche Nutzungsuntersagung erweist sich auch als ermessensfehlerfrei, § 114 VwGO.
Die Untersagung einer genehmigungspflichtigen, nicht genehmigten und auch nicht offensichtlich genehmigungsfähigen Nutzung erfolgt in der Regel in einer dem Zweck des Art. 76 Satz 2 BayBO entsprechenden Weise (Art. 40 bei BayVwVfG), weil nur auf diese Art die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann.
Liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzunguntersagung vor, wie dies vorliegend der Fall ist, ist der Ausspruch eines Nutzungsverbotes grundsätzlich eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde (BayVGH vom 13. März 2012, 9 ZB 11.769 – juris).
Besondere Umstände, die trotz des hier zu bejahenden Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO ausnahmsweise ein Absehen vom Erlass der Nutzungsuntersagung gebieten würden, sind nicht gegeben.
IV.
Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Zwangsgeldandrohung erweist sich als rechtmäßig, insbesondere bestehen keine Bedanken bezüglich der Höhe (Art. 29, 31 Abs. 1, 36 Abs. 1 VwZVG) und der gesetzten Frist (Art. 36 Abs. 1 Satz 2, 31 Abs. 2 VwZVG).
Nach alldem war die Klage auch hinsichtlich des Anfechtungsbegehrens abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

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