Baurecht

Umweltschadensgesetz auf Tätigkeit des Straßenbaulastträgers beim Straßenbau nicht anwendbar (Kramertunnel)

Aktenzeichen  M 9 K 15.3863

Datum:
25.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
USchadG USchadG § 2, § 3 Abs. 1, § 6 Nr. 2, § 7 Abs. 2 Nr. 3, § 8 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, § 10, § 11 Abs. 1
BNatSchG BNatSchG § 19 Abs. 4
WHG WHG § 90 Abs. 2
FStrG FStrG § 4, § 22 Abs. 4
BayStrWG BayStrWG Art. 39, Art. 62a, Art. 72
BGB BGB § 276 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bei der Tätigkeit des Straßenbaulastträgers bei dem Bau einer Bundesfernstraße handelt es sich um keine berufliche Tätigkeit im Sinn des § 3 Abs. 1 USchadG. Gem. Art. 72 BayStrWG handelt es sich um eine Tätigkeit im Bereich der Daseinsvorsorge, die in Ausübung eines öffentlichen Amtes wahrgenommen wird. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die der zuständigen Behörde zustehenden Aufgaben nach dem Umweltschadensgesetz und den Fachgesetzen führen nicht zu einer Erweiterung der Eingriffsbefugnisse, die das nationale Fachrecht nicht vorsieht. (redaktioneller Leitsatz)
3. Der allgemeine zivilrechtliche Grundsatz, dass ein Schuldvorwurf nicht denkbar ist, wenn sich der Handelnde rechtmäßig verhalten hat, gilt auch im Anwendungsbereich des Umweltschadensgesetzes. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage im Haupt- und Hilfsantrag zulässig.
Der Kläger ist als Naturschutzverein gemäß § 3 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) klagebefugt und begehrt unter Aufhebung des Bescheides vom 11. September 2015 über die Einstellung des Verfahrens die Durchsetzung von Sanierungspflichten nach dem Umweltschadensgesetz (§ 10 i.V.m. § 11 Abs. 1, § 7, § 6 Nr. 2 USchadG i.V.m. § 8 USchadG).
Die Klage ist jedoch unbegründet, da der Bescheid vom 11. September 2015 rechtmäßig ist, da das Umweltschadensgesetz nicht anwendbar ist. Unstrittig liegt hier zwar ein Umweltschaden vor (1.). Der Kläger hat aber keinen Anspruch nach dem Umweltschadensgesetz, da hier nach der nationalen Verfahrensordnung die nach dem Umweltschadensgesetz zuständigen Behörden keine Befugnisse haben, den nach dem Umweltschadensgesetz Verantwortlichen zu Sanierungs- und Schadensbegrenzungsmaßnahmen zu verpflichten (2.). Das Gericht nimmt Bezug auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach es sich bei der Tätigkeit des Straßenbaulastträgers bei dem Bau einer Bundesfernstraße nicht um eine berufliche Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Umweltschadensgesetzes (USchadG) handelt (3.). Ein Anspruch nach dem Umweltschadensgesetz besteht auch deshalb nicht, weil es vorliegend an den Voraussetzungen einer Haftung nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1, 2 USchadG fehlt; ein Verschulden im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegt bereits wegen des Fehlens einer rechtswidrigen Handlung nicht vor (4. und 5.).
Ungeachtet dessen kann der Kläger nach § 10 USchadG wegen des hier bestehenden Auswahlermessens bezüglich der geeigneten Maßnahme keine konkreten Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen verlangen, sondern nur ein Tätigwerden (6.).
Nach § 10 USchadG wird die zuständige Behörde von Amts wegen oder auf Antrag einer dazu berechtigten Vereinigung tätig, wenn der Eintritt eines Umweltschadens glaubhaft erscheint. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG kann die zuständige Behörde dem Verantwortlichen aufgeben, die erforderlichen Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen, zu denen der Verantwortliche nach § 6 USchadG im Falle des Eintritts eines Umweltschadens verpflichtet ist. Die zuständige Behörde entscheidet gemäß § 8 Abs. 2 USchadG nach Maßgabe der fachrechtlichen Vorschriften über Art und Umfang der durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen, soweit sie nicht gemäß § 8 Abs. 1 Alt. 2 USchadG selbst bereits die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen ergriffen hat. Die nach § 10 USchadG antragsberechtigten Vereinigungen sind gemäß § 8 Abs. 4 USchadG über die vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen zu unterrichten; ihnen ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben und die rechtzeitig eingehenden Stellungnahmen sind bei der Entscheidung zu berücksichtigen.
Zuständige Behörden für die Wahrnehmung von Aufgaben nach dem Umweltschadensgesetz sind gemäß Art. 3c des Gesetzes über die Zuständigkeiten in der Landesentwicklung und in den Umweltfragen in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juli 1994 (LEntwUmweltZustG – im Folgenden: Zuständigkeitsgesetz) die Regierungen als höhere Naturschutzbehörden im Falle des § 2 Nr. 1a USchadG und die Landratsämter als die für den Vollzug des Wasserrechts zuständigen Behörden im Falle des § 2 Nr. 1b USchadG. § 2 Nr. 1 USchadG definiert den Umweltschaden. Darunter fallen eine Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen nach Maßgabe des § 19 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) (§ 2 Nr. 1a USchadG) und eine Schädigung der Gewässer nach Maßgabe des § 90 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) (§ 2 Nr. 1b USchadG). § 19 Abs. 4 BNatSchG und § 90 Abs. 2 WHG verpflichten die verantwortliche Person nach dem Umweltschadensgesetz dazu, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz zu treffen. Wer Verantwortlicher im Sinne des Umweltschadensgesetzes ist, bestimmt § 2 Nr. 3 USchadG. Danach ist „Verantwortlicher für Umweltschäden“ jede natürliche oder juristische Person, die eine berufliche Tätigkeit ausübt oder bestimmt einschließlich der Inhaber einer Zulassung oder Genehmigung für eine solche Tätigkeit, und die dadurch unmittelbar einen Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens verursacht hat. „Berufliche Tätigkeit“ definiert § 2 Nr. 4 USchadG. Danach fällt darunter jede Tätigkeit, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, einer Geschäftstätigkeit oder eines Unternehmens ausgeübt wird, unabhängig davon, ob sie privat oder öffentlich, mit oder ohne Erwerbscharakter ausgeübt wird. Eine Gefährdungshaltung für bestimmte Tätigkeiten und eine Verschuldenshaftung für sonstige Tätigkeiten ordnen § 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 USchadG an.
1. Unstrittig ist im vorliegenden Fall ein Umweltschaden eingetreten.
Als Folge der Wassereintritte auf 600 m des Baus des Erkundungsstollens zur Realisierung des Kramer Tunnels im Bereich des Hauptdolomits (Bereich „B“) kam es zu einer deutlichen Absenkung des Grundwasserstandes im Berg und zu einer Schädigung von feuchtsensiblen Lebensräumen auf der Oberfläche.
Auf die diesbezüglichen Feststellungen in den Akten wird Bezug genommen.
2. Haupt- und Hilfsantrag haben bereits deshalb keinen Erfolg, weil der Beklagte keine Befugnis zur Durchsetzung von Maßnahmen hat. Da der hier vorliegende Umweltschaden im Zuge des Baus einer Bundesstraße – hier des Kramer Tunnels – eingetreten ist, sind nach dem Umweltschadensgesetz in Verbindung mit dem Zuständigkeitsgesetz die Regierung von Oberbayern als höhere Naturschutzbehörde sowie das Landratsamt Garmisch als Untere Wasserrechtsbehörde zuständige Behörde. Verantwortlicher im Sinne des Umweltschadensgesetzes ist das Staatliche Bauamt Weilheim, das als Vorhabensträger im Vollzug des Bundesfernstraßengesetzes bei der Baumaßnahme gehandelt hat; nach § 4 FStrG hat insoweit der Träger der Straßenbaulast dafür einzustehen, dass der Bau allen Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügt, ohne dass es behördlicher Genehmigungen, Erlaubnisse oder Abnahmen durch andere als die Straßenbaubehörden bedarf.
Daneben und unabhängig von dem Umweltschadensgesetz ist die Regierung von Oberbayern nach Art. 39 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG), Art. 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) die nach dem Bundesfernstraßengesetz zuständige Planfeststellungsbehörde, für das PF-Verfahren das auf Antrag des Staatlichen Bauamtes Weilheim durchgeführt wurde und jetzt im Rahmen des Änderungsverfahrens durchgeführt wird.
Unter Berücksichtigung dieser Zuständigkeitsverteilung nach dem Umweltschadensgesetz, dem Straßenrecht, dem Naturschutz- und Wasserrecht sowie dem Planfeststellungsrecht hat die Regierung von Oberbayern zu Recht als höhere Naturschutzbehörde das Verfahren nach dem Umweltschadensgesetz eingestellt und als Planfeststellungsbehörde für Bundesfernstraßen ein ergänzendes Planfeststellungsverfahren eingeleitet.
Da sich die durchzuführenden fachlichen Maßnahmen zur Schadenssanierung gemäß § 8 Abs. 2 USchadG hinsichtlich Art und Umfang nach den fachrechtlichen Vorschriften richten, ist die Regierung von Oberbayern als Höhere Naturschutzbehörde auf die im Naturschutzrecht zulässigen Maßnahmen und Anordnungen beschränkt. Als Höhere Naturschutzbehörde ist sie nach dem für sie geltenden Fachrecht nicht befugt, entgegen § 4 FStrG Anweisungen zu erteilen oder Maßnahmen anzuordnen. Dies gilt ebenso für das Landratsamt als Untere Wasserrechtsbehörde und seine Befugnisse nach dem Wasserrecht. Das Umweltschadensgesetz enthält kein eigenständiges materiell-rechtliches Sanierungsrecht (Balensiefen, USchadG, 1. Aufl. 2013, § 2 Nr. 12).
Die der zuständigen Behörde zustehenden Aufgaben nach dem Umweltschadensgesetz und den Fachgesetzen führen nicht zu einer Erweiterung der Eingriffsbefugnisse, die das nationale Fachrecht nicht vorsieht. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut des § 8 USchadG, der klar auf die jeweils fachrechtlichen Vorschriften abstellt als auch daraus, dass nach § 1 USchadG die Regelungen des Umweltschadensgesetzes ergänzend neben sonstige Haftungsbestimmungen treten und eng mit ergänzenden Regelungen des Fachrechts verknüpft sind. Für die im Einzelnen vorzunehmenden Sanierungsmaßnahmen gelten deshalb § 90 Abs. 2 WHG bzw. § 19 Abs. 4 BNatSchG mit den Befugnissen nach § 3 Abs. 2 BNatSchG, § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG. Dies folgt zudem aus § 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG, wonach die zuständige Behörde dem Verantwortlichen zwar aufgeben kann, die erforderlichen Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen, jedoch keine Befugnisse zur Durchsetzung hat; es gelten insoweit die Verwaltungsvollstreckungsgesetze (Petersen, USchadG, Komm., § 6 Rn. 84). Dies folgt auch daraus, dass die jeweils zuständige Fachbehörde ihr eigenes fachrechtliches Verwaltungsverfahren hat und das Umweltschadensgesetz nur zur Anordnung von Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG ermächtigt, soweit dies fachrechtlich vorge-sehen ist.
Dies bedeutet, dass die Höhere Naturschutzbehörde und die Untere Wasserrechtsbehörde gegenüber dem Staatlichen Bauamt wegen § 4 FStrG keine verbindlichen Anordnungen mit bindender Wirkung erteilen dürfen. Die Auffassung der Klägerin, das Umweltschadensgesetz gebe der Höheren Naturschutzbehörde eine solche Befugnis gegenüber der Straßenbauverwaltung, verkennt, dass das Umweltschadensrecht trotz seiner europarechtlichen Ausgestaltung Teil der nationalen Rechtsordnung und damit des geltenden Zuständigkeitsgefüges ist. Eine Erweiterung der fachlich möglichen und zulässigen Maßnahmen durch neue Eingriffsbefugnisse ist mit der Aufgabenzuweisung im USchadG nicht verbunden und wäre vom Wortlaut nicht gedeckt. Eine andere Auslegung widerspricht dem im Verwaltungsrecht geltenden Grundsatz der Trennung von Aufgabe und Befugnis (st. Rspr.: BVerwG, U.v. 7.12.1995 – 3 C 23/94 zum Landwirtschaftsrecht; statt aller: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 12 ff.).
Auch § 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG enthält nur die allgemeine Befugnis, erforderliche Sanierungs- und Schadensbegrenzungsmaßnahmen dem Verantwortlichen aufzugeben, jedoch nach Maßgabe des § 8 USchadG, der auf das Fachrecht abstellt. Eine umweltschadensrechtliche Befugnis zur verbindlichen Anordnung von Maßnahmen ist damit bereits nach dem Wortlaut – „aufgeben“ – nicht verbunden.
3. Ungeachtet dessen liegt eine berufliche Tätigkeit des Staatlichen Bauamtes im Sinne von § 2 Nr. 4 USchadG nicht vor.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. April 2015 – 8 CE 15.398 – Bezug genommen.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Die entgegenstehende Entscheidung des OVG Schleswig-Holstein (U.v. 4.2.2016 – 1 LB 2/13) betraf die Tätigkeit eines Verbandes als Betreiber, bei dem es sich ausweislich der Urteilsgründe um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts gehandelt hat.
Im Gegensatz dazu ist hier die Tätigkeit des Staatlichen Bauamtes im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung eine behördliche Tätigkeit im Vollzug des Fernstraßengesetzes sowie im Vollzug des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses. Inhaber der durch den Planfeststellungsbeschluss erteilten Genehmigung ist der Freistaat Bayern. Das Staatliche Bauamt wird als vollziehende Behörde für den Freistaat Bayern tätig.
Nach der hier maßgeblichen Rechtslage handelt es sich bei dieser Tätigkeit nach dem hierfür geltenden Landesrecht gemäß Art. 72 BayStrWG um eine Tätigkeit im Bereich der Daseinsvorsorge, die in Ausübung eines öffentlichen Amtes wahrgenommen wird, wenn das Staatliche Bauamt für Bundesfernstraßen als Straßenbaubehörde gemäß Art. 62a BayStrWG i.V.m. § 22 Abs. 4 FStrG tätig wird.
Auf die Diskussion, ob es sich bei der Tätigkeit des Bauamtes im schlicht hoheitlichen Bereich um die Tätigkeit eines Unternehmens mit wirtschaftlichem oder nichtwirtschaftlichem Charakter, privat oder öffentlich handelt, kommt es deshalb nicht an. Das Umweltschadensgesetz, das zwischen „Verantwortlichem“ und „zuständiger Behörde“ differenziert, lässt nach dieser Rechtslage nicht den Schluss zu, dass eine staatliche Behörde bei Ausübung der Hoheitsverwaltung ein Unternehmen ist, obwohl keinerlei selbständige gefestigte Organisation oder rechtliche Eigenständigkeit gegenüber dem Staat besteht. Es widerspricht auch der Differenzierung im Umweltschadensgesetz, das zwischen „Verantwortlichem“ und „zuständiger Behörde“ unterscheidet, wenn eine Tätigkeit hoheitlicher Art im Vollzug der Fachgesetze durch zwei staatliche Behörden erfolgt. Eine solche Auslegung widerspricht auch dem Begriff des „Verantwortlichen“ im Sinne des § 2 Nr. 3 USchadG, wonach es sich um eine natürliche oder juristische Person einschließlich des Inhabers einer Zulassung oder Genehmigung für eine solche berufliche Tätigkeit handeln muss; das Staatliche Bauamt ist keine juristische Person und nicht Inhaber der Genehmigung, sondern nur Behörde des Freistaates Bayern.
4. Das Umweltschadensgesetz ist auch deshalb nicht anwendbar, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 USchadG fehlen. Danach gilt das Gesetz mit der Folge einer verschuldensunabhängigen Haftung für Umweltschäden, wenn diese durch eine der in Anlage 1 aufgeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht werden. Unerheblich ist, ob das Staatliche Bauamt als staatliche Behörde eine berufliche Tätigkeit überhaupt ausüben kann. Die Aufzählung in Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 USchadG erfasst nicht den Bau von Fernstraßen (Petersen, Fachplanerische Auswirkungen des Umweltschadensgesetzes, NUR 2014, 525). Insbesondere liegt hier keine Entnahme von Wasser im Sinne von Nr. 5 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 USchadG vor, da hier das Wasser ungewollt ausgetreten ist und deshalb keine Benutzung im Sinne von § 9 Abs. 1 WHG vorliegt, für die eine Erlaubnis oder Bewilligung nach § 8 Abs. 1 WHG notwendig ist. Die Benutzung im Sinne von § 9 Abs. 1 WHG setzt voraus, dass ein zielgerichtetes, auf den Gebrauch des Gewässers gerichtetes Verhalten vorliegt. Der Bau eines Tunnels und der sich dabei ergebende Wassereinbruch erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine erlaubnispflichtige Entnahme von Wasser (BayVGH, B.v. 17.4.2015 – 8 CE 15.398; VG München, B.v. 28.1.2015 – M 9 E 14.5005 m.w.N.). Soweit die Klagebegründung eine entsprechende Kausalkette herstellt, erfüllt diese nicht die Anforderungen an ein zielgerichtetes, genehmigungspflichtiges Handeln.
5. Das Umweltschadensgesetz ist auch nicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG wegen einer verschuldensabhängigen Haftung anwendbar. § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG setzt tatbestandlich für den Anwendungsbereich des Umweltschadensgesetzes voraus, dass Schädigungen von Arten und natürlichen Lebensräumen im Sinne des § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG sowie unmittelbare Gefahren solcher Schäden durch andere berufliche Tätigkeiten als die in Anlage 1 aufgeführten verursacht werden, sofern der Verantwortliche vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Schädigungen von Arten und natürlichen Lebensräumen im Sinne des § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG sind Biodiversitätsschäden, die hier unstrittig als Folge des gesunkenen Grundwasserstandes eingetreten sind.
a) Voraussetzung ist jedoch, dass ein schuldhaftes Handeln – gemessen am Schutzgut des § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG – vorliegt. Verschulden erfordert, dass der Verantwortliche vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Die Begriffe „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ richten sich nach dem herkömmlichen Verständnis des Zivilrechts (Petersen, USchadG, Komm., § 3 Rn. 40; Beckmann/Wittmann in: Landmann/Romer, UmwR, USchadG, § 3 Rn. 11). „Vorsätzlich“ handelt nur, wer einen rechtswidrigen Erfolg mit Wissen und Wollen verwirklicht (Grüneberg in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 276 Rn. 10). „Fahrlässig“ handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, wobei die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des pflichtwidrigen Erfolges Voraussetzung für das Vorliegen einer fahrlässigen Handlung ist (statt aller: Grüneberg in: Palandt, 75. Aufl. 2016, § 276 Rn. 12). Bezogen auf das Umweltschadensgesetz bedeutet dies, dass die Gefahr einer Verursachung der Schädigung oder Gefährdung der biologischen Vielfalt für den Verantwortlichen zumindest erkennbar gewesen sein muss (Petersen, USchadG, Komm., § 3 Rn. 40 m.w.N.). Der Schuldvorwurf ist ausgeschlossen, wenn sich der Handelnde völlig rechtmäßig bzw. nicht pflichtwidrig verhalten hat (Grüneberg in: Palandt, 75. Aufl. 2016, § 276 Rn. 8; Petersen, USchadG, Komm., § 2 Rn. 21 ff.; VG Köln, U.v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15). Da Maßstab für eine Haftung nach dem Umweltschadensgesetz die zivilrechtliche Verschuldenshaftung ist, gelten die Grundsätze auch dann, wenn es sich – wie hier – um öffentliches Recht handelt (VG Köln, U.v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15). Dies entspricht dem im gesamten öffentlichen Recht geltenden Grundsatz, dass für Vorsatz und Fahrlässigkeit die zivilrechtlichen Verschuldensbegriffe gelten.
Gemessen an diesen Maßstäben liegt vorliegend keine schuldhafte Verursachung im Sinne eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns vor. Das Staatliche Bauamt hat im Rahmen und in Ausführung des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses und damit in Ausführung einer Genehmigung gehandelt und sich damit weder rechtsnoch pflichtwidrig verhalten. Der Bau des Erkundungsstollens führte zu einer mittelbaren Rechtsgutverletzung.
b) Soweit in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten wird, dass das Umweltschadensgesetz hinsichtlich der Begriffe des „Vorsatzes“ und der „Fahrlässigkeit“ zwar an die zivilrechtlichen Maßstäbe anknüpft, nicht jedoch die Rechtswidrigkeit der Handlung voraussetzt, wird die Rechtstradition anderer Länder fehlinterpretiert (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.2016 – 1 LB 2/13). Die Definitionen und Voraussetzungen für „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ sind bereits im Hinblick auf die Rechtsfolge einer Haftung nicht teilbar.
Es ist vorliegend unerheblich, ob die dem Umweltschadensgesetz zugrunde liegende RL 2004/35/EG die Rechtswidrigkeit einer Handlung als Voraussetzung für ein Verschulden erwähnt oder nicht, da auch § 276 Abs. 2 BGB nach seinem Wortlaut die Pflichtwidrigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Handlung ebenfalls nicht nennt. Eine Prägung der Richtlinie durch Rechtstraditionen anderer Länder kann nicht als überzeugendes Argument für einen Verzicht auf die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit bzw. Pflichtwidrigkeit der Handlung herangezogen werden, wenn im nationalen Recht diese Voraussetzung ebenfalls nicht genannt wird. Da Maßstab für die Auslegung des Begriffs des „Verschuldens“ die jeweilige nationale Rechtstradition ist, kann ohne klare Stütze im Wortlaut nicht auf Rechtsordnungen anderer europäischer Länder zurückgegriffen werden, in denen häufig nicht zwischen Rechtswidrigkeit und Verschulden unterschieden wird.
Im Interesse einer einheitlichen Begriffsbestimmung ist es gesetzestechnisch konsequent, dass § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG ebenfalls nur auf „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ abstellt, ohne die Pflichtwidrigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Verhaltens als Voraussetzung für ein Verschulden ausdrücklich zu nennen. Da der Begriff der „Fahrlässigkeit“ nicht teilbar ist, gehört auch das insoweit ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Rechts- bzw. Pflichtwidrigkeit des Handelns dazu. Ansonsten würde der einheitliche Rechtsbegriff inhaltlich verändert wird mit der Folge, dass ohne plausible Stütze im Gesetz und entgegen dem klaren Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG eine Gefährdungshaftung im Falle des rechtmäßigen Handelns geschaffen würde. Dies widerspricht wiederum der Systematik des § 3 USchadG, der in Nr. 1 eine Gefährdungshaftung und in Nr. 2 eine Verschuldenshaftung vorsieht.
Der allgemeine zivilrechtliche Grundsatz, dass ein Schuldvorwurf nicht denkbar ist, wenn sich der Handelnde völlig rechtmäßig verhalten hat, gilt deshalb auch im Umweltschadensgesetz und ist mit der Umwelthaftungsrichtlinie vereinbar. Dies bedeutet, dass die Rechts- bzw. Pflichtwidrigkeit der Handlung fehlt, wenn eine Legalisierungswirkung durch die Genehmigung – hier den Planfeststellungsbeschluss – vorliegt. Die Genehmigung erlaubt die Tätigkeit und schließt bei einem Handeln, das sich an die Genehmigung hält, „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ aus. Wenn trotz des rechtmäßigen Handelns ein Schaden eintritt, fehlt es danach rechtmäßig am Verschulden. Dies gitl auch, soweit als schuldhafte Handlung das Unterlassen vorbeugender Maßnahmen wie Abdichtung, Minimierung des Wasserzuflusses und fehlenden Einbau eines Präventers vorgetragen wird. Auch das Unterlassen setzt bei einer mittelbare Rechtsgutverletzung Rechts- bzw. Pflichtwidrigkeit voraus.
Etwas anderes kann dann gelten, wenn eine Genehmigung trotz des Schadenseintritts und dessen Erkennbarkeit weiter ausgeschöpft wird. Zum einen können dann die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung nachträglich entfallen und zum anderen kann eine von der Genehmigung unabhängige Verpflichtung zur Unterlassung weiterer Schadensver-ursachung entstanden sein. Im vorliegenden Fall wurden die Arbeiten am Erkundungstunnel beendet, sodass – anders als dem vom OVG Schleswig-Holstein entschiedenen Fall – keine Fortsetzung der genehmigten Tätigkeit trotz Schadenseintritts vorliegt (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.2.2016 – 1 LB 2/13).
c) Ungeachtet dessen, dass die Maßnahme des Vortriebs zum Bau des Erkundungsstollens durch den Planfeststellungsbeschluss erlaubt und damit nicht rechtswidrig war, fehlt es im vorliegenden Fall auch an der Voraussetzung der „Vorhersehbarkeit“ des Schadenseintritts.
Nach Aktenlage und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung haben alle Beteiligten nicht mit einem Wassereinbruch in dieser Größenordnung gerechnet. Soweit die Klägerseite vorträgt, ein Wassereinbruch in diesem Ausmaß sei bereits deshalb vorhergesehen worden, weil der Planfeststellungsbeschluss die Maßnahmen „M 1“ – „M 3“ bei einem Wasseraustritt von mehr als 5 l/Sek. anordnet, ist dies nicht schlüssig und nicht überzeugend. Der Sachverständige des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass ein Wassereinbruch in dieser Größenordnung seitens der Gutachter im Planfeststellungsverfahren und im Verwaltungsprozess nicht prognostiziert oder befürchtet worden sei. Die Erkennbarkeit eines etwaigen Umweltschadens setzt hier zumindest voraus, dass im Rahmen des Planfeststellungs-verfahrens die Problematik eines Wassereinbruchs in dieser Größenordnung und die möglichen Folgen einer Grundwasserabsenkung prognostisch für möglich erachtet, zumindest plausibel dargelegt und erörtert wurde.
Im vorliegenden Fall waren noch zum Zeitpunkt des Eilbeschlusses die Beteiligten von einem Wassereinbruch in dieser Größenordnung überrascht, sodass der jetzige klägerische Vortrag nicht überzeugt und keine Stütze in den Gutachten und Stellungnahmen gefunden hat. Auch aus diesem Grunde fehlt ein Verschulden, da zum Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahme nicht erkennbar war, dass diese den hier eingetretenen Umweltschaden verursacht.
6. Unabhängig davon, dass hier das Umweltschadensgesetz nicht anwendbar ist, hat der Kläger keinen Anspruch auf die beantragten Maßnahmen, da der Beklagte zum einen nicht untätig blieb und zum anderen kein Anspruch auf die Durchführung einer bestimmten Maßnahme besteht. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG i.V.m. § 6 Nr. 2 USchadG hat die zuständige Behörde zwar kein Entschließungsermessen, ob sie erforderliche Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen anordnet, wenn das Umweltschadensgesetz gilt. Hinsichtlich der Art und des Umfanges der Maßnahme besteht jedoch ein Auswahlermessen, da nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG ausdrücklich nur die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen sind.
Etwas anderes gilt nur im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null, die hier nicht vorliegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Beschluss der Kammer vom 28. Januar 2015 (M 9 E 14.5005) Bezug genommen.
Ergänzend dazu wird auf Folgendes hingewiesen:
Auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das behördliche Auswahlermessen dergestalt auf Null reduziert wäre, dass allein die Maßnahme „M 2“ in Betracht kommt.
Nach den verschiedenen fachlichen Stellungnahmen – zum einen der Klägerseite und zum anderen der Beklagtenseite – ist fachlich umstritten, ob die Injektion gemäß der Maßnahme „M 2“ zur Abdichtung geeignet wäre, wenn sie im Zuge des Vortriebes oder später auf der gesamten Länge von 600 m durchgeführt worden wäre.
Wenn bereits fachlich der Erfolg einer Maßnahme umstritten ist, kann diesbezüglich auch keine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten sein.
Der Klageantrag war daher im Hauptantrag Ziff. I abzuweisen.
Soweit hilfsweise in Ziff. II des Antrags die Durchführung geeigneter Maßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz beantragt wurde, war die Klage ebenfalls abzuweisen, da der Beklagte nicht untätig blieb. Es wurde zur Sanierung der Biodiversitätsschäden ein umfangreicher Untersuchungs- und Maßnahmen-katalog erstellt und unabhängig von dem Umweltschadensgesetz ein ergänzendes Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Der Kläger wurde bereits angehört.
Soweit der Hilfsantrag darauf gerichtet ist, dass nach dem Umweltschadensgesetz die Maßnahme gegenüber dem Vorhabensträger durchgesetzt werden soll, hat der Antrag keinen Erfolg, da die Höhere Naturschutzbehörde und die Untere Wasserschutzbehörde keine Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Staatlichen Bauamt im Zusammenhang mit dem Bau von Bundesfernstraßen ergreifen können (§ 4 FStrG).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).


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