Baurecht

Unterschutzstellung eines Silberahorns als geschützter Landschaftsbestandteil

Aktenzeichen  M 11 K 16.833

Datum:
19.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143295
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BNatSchG § 29 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
BayNatSchG Art. 18 Abs. 1

 

Leitsatz

Das Naturschutzrecht ist auch im Innenbereich nicht darauf beschränkt, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nachzuzeichnen, denn der Objektschutz des § 29 BNatSchG stellt ausdrücklich auf das Ortsbild als Schutzzweck ab, zielt von vornherein auf eine Beschränkung des Grundeigentums auch in bauplanungsrechtlich bebaubaren Innenbereichslagen ab und ergänzt insofern das Bauplanungsrecht. Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Grundeigentums durch die Unterschutzstellung eines geschützten Landschaftsbestandteils liegt damit in der Regel erst bei einem entschädigungslosen vollständigen oder weitgehenden Entzug von Baurecht vor. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung oder erneute Verbescheidung seines Bauantrags. Der Bescheid des Landratsamtes vom 21. Januar 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dem Vorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Dabei kann die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens, die sich nach § 34 Abs. 1 BauGB beurteilt, dahinstehen (1), da dem Vorhaben jedenfalls die LB-Verordnung entgegensteht, gegen deren Wirksamkeit keine Bedenken bestehen (2).
(1) Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens scheitert nach Auffassung der Kammer jedenfalls nicht an einer Abweichung von den Baugrenzen des bestehenden Baulinienplans nach Maßgabe von § 30 Abs. 3 i.V.m. § 233 Abs. 3 BauGB, § 173 Abs. 3 BBauG). Die entsprechenden Festsetzungen des Baulinienplans sind jedenfalls im Umgriff des streitgegenständlichen Vorhabens infolge zahlreicher Abweichungen von den Baugrenzen gegenstandslos geworden.
Dagegen erscheint zweifelhaft, ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfügt.
Maßgebend für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine konkrete, am tatsächlich Vorhandenen ausgerichtete Betrachtung. Dabei ist in erster Linie auf solche Maße abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung setzen lassen. Ihre (absolute) Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur umgebenden Freifläche, prägen das Bild der maßgebenden Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung an (BVerwG, B.v. 3.4.2014 – 4 B 12/14 – juris Rn. 3; BVerwG, U.v. 23.3.1994 – BVerwG 4 C 18.92 – juris Rn. 12).
Nähere Umgebung ist der Bereich, auf den sich das geplante Vorhaben städtebaulich prägend auswirken wird und von dem aus die vorhandene Bebauung das Baugrundstück prägt. Wie weit diese gegenseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls.
Die Bebauung auf den Grundstücken westlich und südlich des Vorhabens entlang der …straße weist einen geringen Verdichtungsgrad auf und ist durch verhältnismäßig große Freiflächen im Verhältnis zu den Baukörpern geprägt. Das gilt im Wesentlichen auch für die Bebauung östlich und nördlich des Grundstücks entlang der …straße. Allerdings besteht dort teilweise auch verdichtete Bebauung – insbesondere die in Sichtbeziehung zu dem Vorhaben stehende Reihenhausbebauung auf den Grundstücken FlNr. 366/87, 366/88, 366/89, 366/90. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hängt damit im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung maßgeblich davon ab, ob ausschließlich die überwiegend vorhandene aufgelockerte Bebauung prägend ist oder auch verdichtete Bebauung miteinzubeziehen ist. Eine Entscheidung hierzu ist aber aufgrund der hiervon unabhängigen Unzulässigkeit des Vorhabens infolge naturschutzrechtlicher Regelungen nicht veranlasst.
(2) Das Vorhaben soll im Bereich des durch die LB-Verordnung geschützten Silberahorn errichtet werden, befindet sich im Kronenbereich und würde voraussichtlich zur Beseitigung, jedenfalls aber zu einer erheblichen Beschädigung des Baums führen. Für das Vorhaben wäre daher eine Befreiung von der LB-Verordnung erforderlich.
Der entsprechende Befreiungsantrag kann auch konkludent gestellt werden. Maßgeblich ist, dass der entsprechende Wille, alle für den jeweiligen Eingriff erforderlichen Zulassungen zu erhalten, erkennbar ist (Lau in Frenz/Müggenborg, Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), 2. Auflage 2016, § 67 Rn. 8). Der Befreiungsantrag ist vorliegend im Hinblick auf die mit der Verwirklichung des Vorhabens unvermeidlich verbundene Beschädigung des Silberahorn im Bauantrag zu sehen.
Die Befreiung wird nach Art. 18 Abs. 1 Halbsatz 1 BayNatSchG durch eine nach anderen Vorschriften erforderliche behördliche Gestattung ersetzt. Nach Halbsatz 2 darf diese Gestattung nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der nach der Schutzverordnung erforderlichen Gestattung vorliegen und die nach Naturschutzrecht zuständige Behörde ihr Einvernehmen erklärt. Bei baugenehmigungspflichtigen Vorhaben sind dementsprechend die naturschutzrechtlichen Befreiungsvoraussetzungen gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO als aufgedrängtes Sonderrecht im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen.
Gegen die Wirksamkeit der LB-Verordnung bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Anhaltspunkte für formelle Fehler bestehen nicht, materiell entspricht die Verordnung den Anforderungen nach § 29 Abs. 1 BNatSchG und lässt keine Verstöße gegen höherrangiges Recht, insbesondere Art. 14 GG erkennen.
Die Verordnung zum Schutz des Silberahorn als geschützter Landschaftsbestandteil ist nach Maßgabe von § 29 Abs. 1 BNatSchG erforderlich, der unter Schutz gestellte Baum ist schutzwürdig und schutzbedürftig.
Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG ist eine Unterschutzstellung von Teilen von Natur und Landschaft als geschützter Landschaftsbestandteil möglich, wenn deren besonderer Schutz zur Belebung, Gliederung oder Pflege des Orts- oder Landschaftsbildes erforderlich ist. Hierbei erfasst der Begriff des Ortsbildes den (un-)bebauten Innenbereich und das Landschaftsbild den Außenbereich (Lau in Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 29 Rn. 15 m.w.N.). Der Pflege dienen vor allem solche Natur- und Landschaftsbestandteile, die das Orts- und Landschaftsbild verschönern (Lau in Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 29 Rn. 17 m.w.N.)
Die Unterschutzstellung des Silberahorn ist damit jedenfalls im Hinblick auf die Pflege des Ortsbildes gerechtfertigt. Der augenscheinlich gesunde Baum weist eine beachtliche Größe hinsichtlich Kronen- und Stammumfang auf und stellt für das Ortsbild ein prägendes Element von erheblichem ästhetischen Wert dar.
Auch an der Schutzbedürftigkeit bestehen keine Zweifel. Vor dem Hintergrund des bereits seitens des Voreigentümers geltend gemachten Bauinteresses für den betreffenden Bereich des Grundstücks durfte das Landratsamt von einer Gefährdung des Baums ausgehen.
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine Unvereinbarkeit der LB-Verordnung mit Verfassungsrecht. Die Verordnung zeichnet mit den darin enthaltenen Verboten nach Maßgabe von § 29 Abs. 1 BNatSchG lediglich situationsbedingte Beschränkungen des betroffenen Grundstücks nach und stellt eine verfassungsrechtlich zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Zwar hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums der Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Rechnung zu tragen und darf den Kernbereich der Eigentumsgarantie nicht aushöhlen. Aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Grundeigentums lässt sich jedoch kein Anspruch auf Einräumung gerade derjenigen Nutzungsmöglichkeiten herleiten, die dem Eigentümer den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Als unzumutbare Beschränkung der Eigentümerbefugnisse erweisen sich Bestimmungen nur dann, wenn nicht genügend Raum mehr für einen privatnützigen Gebrauch des Eigentums oder für eine Verfügung über den Eigentumsgegenstand verbleibt oder wenn eine Nutzung, die bisher ausgeübt worden ist oder die sich nach Lage der Dinge objektiv anbietet, ohne jeglichen Ausgleich unterbunden wird (BVerwG, B.v. 17.1.2000 – 6 BN 2/99 – juris Rn. 11; B.v. 18.7.1997 – 4 BN 5/97 – juris Rn. 16 m.w.N.). Das Naturschutzrecht ist dabei auch im Innenbereich nicht darauf beschränkt, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nachzuzeichnen, was sich bereits aus § 29 Abs. 2 BauGB ergibt. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass der Objektschutz des § 29 BNatSchG ausdrücklich auf das Ortsbild als Schutzzweck abstellt, von vornherein auf eine Beschränkung des Grundeigentums auch in bauplanungsrechtlich bebaubaren Innenbereichslagen abzielt und insofern das Bauplanungsrecht ergänzt. Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Grundeigentums durch die Unterschutzstellung eines geschützten Landschaftsbestandteils liegt damit in der Regel erst bei einem entschädigungslosen vollständigen oder weitgehenden Entzug von Baurecht vor.
Entsprechend diesem Maßstab liegt keine unzumutbare Beeinträchtigung des Grundeigentums vor. Das gegenständliche Grundstück ist im nördlichen Bereich bereits mit einem Mehrfamilienhaus bebaut. Dort wäre im Rahmen des bauplanungsrechtlich zulässigen auch eine bauliche Erweiterung denkbar. Der Umstand, dass von der Unterschutzstellung ausschließlich das klägerische Grundstück betroffen ist, erklärt sich situationsbedingt durch die Lage des Silberhorn – nach Art und Größe vergleichbare Bäume existieren in der näheren Umgebung nicht.
Befreiungsgründe nach Maßgabe von § 4 LB-Verordnung i.V.m. § 67 BNatSchG sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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