Baurecht

Unzulässige Klage eines Eisenbahnunternehmens gegen die einem Dritten erteilte eisenbahnrechtliche Freistellungsentscheidung

Aktenzeichen  Au 6 K 19.124

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34269
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO $ 42 Abs. 2
AEG § 23

 

Leitsatz

1. § 23 AEG hat weder aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 AEG noch aufgrund der Verfahrensvorschriften des § 23 Abs. 2 und 3 AEG drittschützenden Charakter (Anschluss an BayVGH BeckRS 2013, 54627). (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Eisenbahninfrastruktur umfasst die Betriebsanlagen einer Eisenbahn, worunter nur solche Anlagen zu verstehen sind, die eine Eisenbahnbetriebsbezogenheit aufweisen, d.h. eine Verkehrsfunktion haben und im räumlichen Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb stehen, was sich nach objektiven Kriterien bestimmt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Drittbetroffener kann die Anfechtung einer dem Adressaten erteilten Genehmigung nicht alleine unter Berufung auf Verletzung der Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit verlangen, wenn die Behörde wie bei der Freistellungsentscheidung nach § 23 AEG keine Ermessenserwägungen anzustellen hat. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage erweist sich bereits als unzulässig.
I.
Die Klage ist unzulässig, da der Klägerin die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 1 VwGO fehlt.
Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Anfechtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn die Klägerin geltend macht, durch den Verwaltungsakt in ihren Rechten verletzt zu sein. Vorliegend kann sich die Klägerin weder auf eine gesetzliche Ausnahmeregelung noch darauf berufen, durch die Freistellungsentscheidung der Beklagten möglicherweise in subjektiven Rechten verletzt zu sein.
Die Klägerin ist selbst nicht Adressatin des Freistellungsbescheids vom 2. August 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. November 2018, sondern lediglich als Dritte betroffen. Für die Klagebefugnis ist daher erforderlich, dass die Verletzung einer Vorschrift behauptet wird, die dem Schutz als Dritte zu dienen bestimmt ist, und dass eine Verletzung dieser Norm zumindest möglich erscheint. Die Anfechtungsklage ist in diesem Fall unzulässig, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2014 – 4 C 36.13 – juris Rn. 14; VGH BW, U.v. 11.4.2014 – 5 S 534/13 – juris Rn. 33).
Gemessen an diesen Grundsätzen stehen der Klägerin drittschützende Rechte weder aus § 23 AEG (siehe 1.), aus etwaigen Nutzungsrechten, die sich aus etwaigen Verträgen zwischen ihr und der Deutschen Bundesbahn oder deren Rechtsnachfolgern ergeben (siehe 2.), aus der Infrastrukturgenehmigung vom 6. Juli 2000 (siehe 3.) noch aus einem Verstoß gegen Regelungen über die sachliche Zuständigkeit (siehe 4.) zu.
1. Aus der Rechtsgrundlage der Freistellungsentscheidung des § 23 AEG ergeben sich keine subjektiven Rechte der Klägerin auf Abwehr eines aus ihrer Sicht rechtswidrigen Freistellungsbescheids. § 23 AEG hat weder aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 AEG noch aufgrund der Verfahrensvorschriften des § 23 Abs. 2 und 3 AEG drittschützenden Charakter (vgl. BayVGH, U.v. 9.3.2013 – 22 B 13.475 – juris Rn. 20).
Die Freistellung nach § 23 AEG erfolgt im Allgemeininteresse, d.h. im öffentlichen Interesse an einem attraktiven Verkehrsangebot auf der Schiene i.S.d. § 1 Abs. 1 AEG (Hermes in: Beck’scher AEG Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 23 Rn. 53), und es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass über die Antragsberechtigten nach § 23 Abs. 1 AEG hinaus dieser Vorschrift drittschützender Charakter zukommt (BayVGH, U.v. 9.7.2013 – 22 B 13.475 – juris Rn. 20). Auch aus der Verfahrensvorschrift des § 23 Abs. 2 AEG folgt nichts anderes, da diese Regelung nicht die Wahrung der Rechte der zu Beteiligenden, sondern die Schaffung einer möglichst umfassenden Grundlage für die Beurteilung bezweckt, ob ein Interesse an einer eisenbahnspezifischen Nutzung aktuell fehlt und auch langfristig nicht zu erwarten ist (BayVGH, U.v. 9.7.2013 – 22 B 13.475 – juris Rn. 20; Hermes in: Beck’scher AEG Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 23 Rn. 35; BVerwG, B.v. 21.4.2010 – 7 B 39/09 – juris Rn. 19). Auch die Vorschrift hinsichtlich der Zustellung der Freistellungsentscheidung in § 23 Abs. 3 AEG spricht gegen den drittschützenden Charakter des § 23 AEG, da eine Zustellung an in § 23 Abs. 2 AEG genannte Stellen, die eine Stellungnahme abgegeben haben, nicht vorgesehen ist.
2. Der Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Freistellung des streitgegenständlichen Grundstücks sie in einem Nutzungsrecht, das sich aus einem etwaigen Pachtvertrag zwischen ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin und der Deutschen Bundesbahn ergeben könnte, verletze, da sie nicht darlegen konnte, dass das streitgegenständliche Grundstück überhaupt Bestandteil eines Pachtvertrags gewesen ist.
Im Bescheid der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 8. Juni 1993 wird auf einen Pachtvertrag zwischen der Deutschen Bundesbahn und der Rechtsvorgängerin der Klägerin Bezug genommen, wonach dieser Vertrag Bestandteil der Bau- und Betriebsgenehmigung nach dem BayEBG ist. Da auch auf gerichtliche Nachfrage jedoch dieser angesprochene oder sonstige etwaige Pachtverträge nicht aufgefunden und vorgelegt werden konnten und auch die Klägerin und die Beklagte in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärten, den Pachtvertrag, auf den sich die Genehmigung vom 3. Juli 2000 bezieht, nicht verfügbar zu haben (Protokoll vom 27. November 2019, S. 2), ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass das streitgegenständliche Grundstück Bestandteil eines Pachtvertrages gewesen ist. Auch ist völlig unklar, welchen Datums dieser erwähnte Pachtvertrag sein soll. Da das streitgegenständliche Grundstück schon im Jahr 1989 in private Hände veräußert worden ist, kann das streitgegenständliche Grundstück im Falle der Schließung des Pachtvertrags in einem danach liegenden Zeitpunkt ohnehin nicht Teil des Pachtvertrags sein, da dieser nur über Infrastruktur geschlossen werden kann, bezüglich der der Verpächter die Befugnis zum Abschluss eines solchen Vertrags hat, was vorliegend nicht ersichtlich ist.
3. Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass die angegriffene Freistellung sie in einem Recht zur Nutzung des streitgegenständlichen Grundstücks verletzt, das sich aus der Infrastrukturgenehmigung der Klägerin vom 3. Juli 2000 ableiten lässt. Zunächst ist schon zweifelhaft, ob eine solche Genehmigung überhaupt Nutzungsrechte an Grundstücken begründen kann (so BayVGH, U.v. 9.7.2013 – 22 B 13.475 – juris Rn. 23). Jedenfalls bezieht sich die Genehmigung vom 3. Juli 2000 schon gar nicht auf das streitgegenständliche Grundstück. Die sich auf dem streitgegenständlichen Grundstück befindlichen Anlagen stellen nicht Betriebsanlagen einer Eisenbahn i.S.d. § 2 Abs. 3 AEG a.F. dar und sind nicht von der Infrastrukturgenehmigung vom 3. Juli 2000 erfasst.
Die erfassten Anlagen der Eisenbahninfrastruktur sind in einer Infrastrukturgenehmigung konkret zu bezeichnen (vgl. Wachinger in: Beck’scher AEG Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 6 Rn. 48). Zwar erstreckt sich die Genehmigung zum Betreiben der dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahninfrastruktur im maßgeblichen Abschnitt im Sachumfang des § 2 Abs. 3 AEG a.F. ausweislich ihres Tenors auf die Strecke … – … von, Streckenkm … (Weiche …) bis Anschlussstelle, Streckenkm … und den Gleisabschnitt von Streckenkm … bis Streckenkm … (Weiche …) im Bahnhof … (Ziffer I.), weswegen angenommen werden könnte, dass alle an dem von der Genehmigung erfassten Streckenabschnitt liegenden Betriebsanlagen, also auch die auf dem streitgegenständlichen Grundstück, erfasst sein könnten. Sämtliche sich auf dem streitgegenständlichen Grundstück befindlichen Anlagen, das Bahnhofsgebäude, der Bahnsteig oder Teile von diesem und die Zuwegungen hierzu, sind aber nicht (mehr) Betriebsanlagen einer Eisenbahn und damit nicht von der Genehmigung vom 3. Juli 2000 umfasst. Die Eisenbahninfrastruktur nach § 2 Abs. 3 AEG a.F. umfasst die Betriebsanlagen einer Eisenbahn und unter solche Betriebsanlagen fallen nur Anlagen, welche eine Eisenbahnbetriebsbezogenheit aufweisen, d.h. die eine Verkehrsfunktion haben und im räumlichen Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb stehen, was sich nach objektiven Kriterien bestimmt (vgl. Fehling in: Beck’scher AEG Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 66; Kramer, AEG, 1. Aufl. 2012, § 2 Rn. 5). Es kommt hierbei nicht auf die Interessen des Anlagenbetreibers an.
Vorliegend wurde der Reisezugbetrieb der Hauptbahn … – … im Jahr 1985 eingestellt. Im Jahr 1989 wurde das streitgegenständliche Grundstück in private Hände verkauft sowie 1990 übereignet und der Eigentümer verpflichtet, einen Zaun zu den Gleisanlagen hin zu errichten und zu unterhalten. Dadurch haben sämtliche Anlagen hinter dem Zaun und damit auch die Zuwegungen zu den Bahnsteigen sämtliche Eisenbahnverkehrsfunktion verloren. Sie waren nicht mehr zur Abwicklung oder Absicherung des Eisenbahnverkehrs erforderlich. Durch den Zaun sollte sichergestellt werden, dass keine Zuwegung von der Straße her bzw. von dem hinter dem Zaun liegenden Teil des streitgegenständlichen Grundstücks zu den Gleisanlagen hin möglich ist. Dadurch hat auch der jenseits des Zaun liegende Bahnsteig seine Eisenbahnbetriebsbezogenheit verloren, da er ohne Zuwegung nicht mehr sinnvollerweise genutzt werden konnte. Spätestens ab 1989 stellen daher alle ehemaligen Eisenbahnbetriebsanlagen keine Eisenbahninfrastruktur mehr dar. Es ist nichts vorgetragen oder ersichtlich, dass sich hierdurch bis zur Genehmigungserteilung im Jahr 2000 etwas geändert hat. Vielmehr wird dies durch die Gründe der Genehmigung vom 3. Juli 2000 bestätigt, wonach die DB Netz AG damals beabsichtigt habe, die Infrastruktur der Strecke … – … an die Rechtsvorgängerin der Klägerin abzugeben, die diese weiter als öffentliche Eisenbahninfrastruktur betreiben wird (Genehmigung vom 3. Juli 2000, S. 4). Daraus folgt nichts anderes, als dass von der Infrastrukturgenehmigung vom 3. Juli 2000 nur bestehende Infrastruktur, welche die DB Netz AG noch als Eisenbahninfrastruktur innehatte, umfasst sein soll.
4. Auch ist im Übrigen keine Verletzung drittschützender Rechte erkennbar. Ein möglicher Verstoß gegen Zuständigkeitsvorschriften – hier in Form der von der Klägerin gerügten sachlichen Unzuständigkeit des Eisenbahn-Bundesamts – kann für die Klägerin, die hier lediglich als Dritte durch einen für die Beigeladene begünstigenden Verwaltungsakt betroffen ist, keine Verletzung in eigenen Rechten darstellen. Die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens hat bezüglich der sachlichen Zuständigkeit grundsätzlich objektiv-rechtlichen Charakter und berührt nicht die Rechtsstellung der Klägerin, deren materiell-rechtlichen Abwehransprüche sich nicht danach bestimmen, welche Behörde den Verwaltungsakt erlassen hat. Ein Drittbetroffener kann die Anfechtung einer dem Adressaten erteilten Genehmigung dann nicht alleine unter Berufung auf Verletzung der Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit verlangen, wenn die Behörde keine Ermessenserwägungen anzustellen hat, was vorliegend bei der Freistellungsentscheidung nach § 23 AEG als gebundener Entscheidung (Hermes in: Beck’scher AEG Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 23 Rn. 23) der Fall ist.
II.
Die Klage ist auch unbegründet. Angesichts dessen, dass der Klägerin vorliegend keine drittschützenden Rechte zur Verfügung stehen (siehe oben), liegt auch keine subjektive Rechtsverletzung der Klägerin vor, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt und sich mithin auch dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass die Klägerin als im Verfahren unterlegen die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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