Baurecht

Unzulässige Nutzung einer (Doppel-)Garage als Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt

Aktenzeichen  1 ZB 15.2619

Datum:
4.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 50156
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 2 Abs. 8 S. 2, Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1, Art. 55 Abs. 1, Art. 63 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4 Abs. 3 Nr. 2, § 15 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Garagen sind nach der Legaldefinition des Art. 2 Abs. 8 S. 2 BayBO Gebäude oder Gebäudeteile zum Abstellen von Kraftfahrzeugen. Tritt neben diese von der Rechtsordnung allein vorgesehene Funktion der Garage maßgeblich eine andere (hier: Nutzung als Werkstatt zur Reparatur von Kraftfahrzeugen), liegt eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Nutzung einer (Doppel-)Garage als Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt ohne Einhaltung der Abstandsflächen stellt einen Eingriff in das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis dar. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 K 14.4906 2015-09-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris). Das ist nicht der Fall.
Die Klägerin wendet sich gegen eine baurechtliche Nutzungsuntersagung. Der Beklagte hat die Nutzung der auf ihrem Grundstück unter Erteilung einer Abweichung errichteten Doppelgarage „zu gewerblichen Zwecken bzw. als Kfz-Werkstatt einschließlich Reifenhandel“ untersagt sowie den Ausbau der Hebebühne aus der Doppelgarage unter Androhung von Zwangsgeldern angeordnet. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass aufgrund der ausgesprochenen Nutzungsuntersagung für die Klägerin erkennbar in Zukunft in der Doppelgarage keine Werkstattarbeiten mehr zulässig seien, insbesondere keine Reparatur- und Montagearbeiten und die Klägerin sich auf das Abstellen von Kraftfahrzeugen und solche Tätigkeiten beschränken müsse, die als Begleiterscheinungen zum dauerhaften Abstellen eines Fahrzeugs angesehen werden können. Die Nutzung der Doppelgarage als Werkstätte sei formell rechtswidrig. Da bei einer Nutzung als Werkstätte die erforderlichen Abstandsflächen nicht eingehalten würden, sei die Nutzung auch offensichtlich nicht genehmigungsfähig. Die Beseitigungsanordnung sei rechtmäßig, weil die vorhandene Hebebühne zu einer Fortsetzung der untersagten Nutzung führen würde.
1.1 Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass für die Klägerin erkennbar die Nutzung der abstandsflächenrechtlich grundsätzlich privilegierten Garage als Werkstatt für die Reparatur von Kraftfahrzeugen nicht mehr von der als Doppelgarage genehmigten Nutzung gedeckt wird und damit – obwohl der bauliche Bestand der Garage nicht verändert wurde – die abstandsflächenrechtliche Zulässigkeit neu zu prüfen ist. Garagen sind nach der Legaldefinition des Art. 2 Abs. 8 Satz 2 BayBO Gebäude oder Gebäudeteile zum Abstellen von Kraftfahrzeugen. Tritt neben diese von der Rechtsordnung allein vorgesehene Funktion der Garage maßgeblich eine andere, nämlich die Nutzung als Werkstatt zur Reparatur von Kraftfahrzeugen, liegt auch nach Auffassung des Senats eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung im Sinn von Art. 55 Abs. 1 BayBO vor (vgl. BayVGH, B. v. 27.2.2015 – 15 ZB 13.2384 – juris Rn. 11; OVG NW, B. v. 3.9.2008 – 7 B 917/08 – juris; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 12). Die vorgelegten Unterlagen belegen eine solche abstandflächenrechtlich relevante Nutzungsänderung. Danach wird die Doppelgarage, in der sich ausweislich der vorgelegten Bilder u. a. eine Hebebühne befindet, für Reparaturarbeiten an Kraftfahrzeugen genutzt. Dem steht die relativierende Einlassung der Klägerin, es handle sich lediglich um gelegentliche Kfz-Service-Arbeiten ausschließlich für Familie, Freunde, Bekannte und Nachbarn, somit um eine Nutzung der Garage als Bastel- und Werkraum, nicht entgegen. Vielmehr liegt erkennbar eine über die genehmigte Nutzung der Doppelgarage als privater Abstellraum für Kraftfahrzeuge hinausgehende Nutzung vor. Gegenstand der Zulässigkeitsprüfung ist daher das Gebäude mit der Nutzung, die es durch die Änderung erhält, also als Werkstatt. Die von der Klägerin im Zulassungsverfahren aufgeworfene Frage des Vorliegens eines atypischen „Kleinstwerkstattbetriebs“ stellt sich in diesem Zusammenhang nicht. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zutreffend aufgrund der mittleren Wandhöhe des Gebäudes die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO verneint. Im Übrigen kommt auch eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO im Hinblick auf die Lage der Doppelgarage auf dem Grundstück der Klägerin nicht in Betracht, da eine Abweichung nur zugelassen werden kann, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. So liegt der Fall hier nicht. Da die vorhandenen Hauptgebäude auf den Grundstücken in der näheren Umgebung nach dem vorliegenden Lageplan im Gegensatz zum Werkstattgebäude der Klägerin die erforderlichen Abstandsflächen einhalten und gewichtige Gründe für die Unterschreitung der Abstandsflächentiefe nicht erkennbar sind, kommt eine Abweichung nicht in Betracht. Im Übrigen stellt die Nutzung der Doppelgarage als Werkstatt ohne Einhaltung der Abstandsflächen einen Eingriff in das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis dar (vgl. BayVGH, U. v. 3.4.2014 – 1 ZB 13.2536 – BayVBl 2014, 634).
1.2 Ergänzend ist zum Vortrag der Klägerin in der Zulassungsbegründung auszuführen, dass die Nutzungsänderung der streitgegenständlichen Doppelgarage auch bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Die Umgebungsbebauung des Grundstücks der Klägerin ist nach dem vom Verwaltungsgericht durchgeführten Augenschein, den vorgelegten Unterlagen und auch nach den Ausführungen der Klägerin selbst als faktisches allgemeines Wohngebiet zu qualifizieren (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO). Dieses dient vorwiegend dem Wohnen, ausnahmsweise sind nicht störende Gewerbegetriebe zulässig (§ 34 Abs. 2 BauGB, § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Der Hinweis der Klägerin unter Bezugnahme auf die zu einem Mischgebiet ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 1975 – IV B. 37.75 (BauR 1975, 396), es gebe keinen einheitlichen Begriff der „Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt“, da sich darunter eine Bandbreite von ausnahmslos störungsfreien Tätigkeiten über die auf die Ausführung gewisser Arbeiten beschränkten Ein-Mann-Betriebe bis zu störungsintensiven Großbetrieben fassen ließe, bedarf entgegen ihrer Einlassung keiner weiteren Aufklärung in einem Berufungsverfahren. Denn selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass lediglich eine hobbymäßige Nutzung der Doppelgarage als Werkstatt erfolgt und eine ausnahmsweise Zulässigkeit im Sinn des § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zu bejahen wäre, würde eine Genehmigung nach Auffassung des Senats jedenfalls aufgrund der Lage der Doppelgarage auf dem Grundstück gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht in Betracht kommen. Die genehmigte Doppelgarage befindet sich im hinteren südöstlichen Teil des Grundstücks der Klägerin. Die Zufahrt zur Garage erfolgt zwar auch über die von der K.-straße abzweigende Stichstraße, jedoch im Gegensatz zu der Zufahrt zu der an dem Wohnhaus der Klägerin befindlichen (weiteren) Garage nicht in der Verlängerung der Stichstraße, sondern vorbei an den Grundstücken Fl. Nr. … und … Die Bebauung der Grundstücke in der näheren Umgebung lässt im Wesentlichen ein Haupt- und ein Nebengebäude erkennen, nicht aber eine über Nebengebäude hinausgehende Bebauung der rückwärtigen Grundstücksteile. Insbesondere sind auch die östlich angrenzenden Grundstücke insoweit von Bebauung freigehalten. Damit ist – unabhängig von der Frage des Umfangs der Nutzung der Doppelgarage als Werkstatt – die Nutzung der Doppelgarage als Werkstatt im streitgegenständlichen Fall unzulässig, da diese aufgrund der Lage der Doppelgarage der Eigenart des Baugebiets widerspricht.
1.3 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass auch die Verpflichtung der Klägerin zur Beseitigung der Hebebühne und die Androhung von Zwangsgeld nicht zu beanstanden sind.
2. Ferner ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenüber gestellt werden (vgl. BVerwG, B. v. 11.8.1998 – 2 B 74.98 – NVwZ 1999, 406; B. v. 28.1.2004 – 6 PB 15.03 – NVwZ 2004, 889; B. v. 26.6.1995 – 8 B 44.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO Nr. 2). Das Verwaltungsgericht hat vorliegend bereits keinen Obersatz aufgestellt, der im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.4.1975 – IV B 37.75 – BauR 1975, 396 steht. Insoweit kleidet der Zulassungsantrag seine Kritik an dem angefochtenen Urteil lediglich in das Gewand einer Divergenzrüge. Im Übrigen widerspricht das angefochtene Urteil weder der angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, noch der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10.2.2009 – 15 CS 08.2606 – juris. Diese Entscheidungen betreffen eine Kraftfahrzeug- bzw. Motorradreparaturwerkstatt in einem Misch- bzw. Dorfgebiet, in denen nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe zulässig sind. Die Zweckbestimmungen in § 6 Abs. 1 BauNVO und in § 4 Abs. 1 BauNVO sind nicht identisch. Das allgemeine Wohngebiet – wie vorliegend – soll im Gegensatz zum Mischgebiet in erster Linie ein ungestörtes Wohnen gewährleisten.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben