Baurecht

Unzulässiger Normenkontrollantrag einer Nachbargemeinde gegen Teilflächennutzungsplan zur Steuerung der Windkraft

Aktenzeichen  1 N 15.1910

Datum:
8.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24970
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 1
BauGB § 35 Abs. 3 S. 3
BayBO Art. 82 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Möglicher Gegenstand einer statthaften Normenkontrolle gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog ist allein die in den Darstellungen des Flächennutzungsplans zum Ausdruck kommende planerische Entscheidung der Gemeinde, mit der Ausweisung von Flächen für privilegierte Nutzungen nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB an Standorten außerhalb der ausgewiesenen Flächen eintreten zu lassen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB sind indes nicht nur Rechtfertigung, sondern auch Grenze des Analogieschlusses. Die Darstellung von Konzentrationsflächen ist für sich genommen wegen des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke kein möglicher Gegenstand der Normenkontrolle gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine analoge Anwendung von § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist auch nicht aufgrund der Regelung des Art. 82 Abs. 1 und Abs. 4 BayBO gerechtfertigt. Zwar kann die Darstellung einer Konzentrationsfläche für Windkraft, die die Voraussetzungen des Art. 82 Abs. 4 BayBO erfüllt, zur Folge haben, dass die zum Erhalt der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB von Windkraftanlagen nach Art. 82 Abs. 1 BayBO geforderten Abstände nicht einzuhalten sind. Diese Wirkung setzt die Darstellung im Flächennutzungsplan der Festsetzung eines Bebauungsplans jedoch nicht gleich.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich als Nachbargemeinde der Antragsgegnerin gegen den sachlichen Teilflächennutzungsplan zur Steuerung der Windkraft auf dem Gebiet der Antragsgegnerin sowie der Gemeinden R … und V … vom 29. Oktober 2014, bekannt gemacht am 30. Oktober 2014 (im Folgenden: Flächennutzungsplan).
Der Flächennutzungsplan sieht eine Konzentrationszone für die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin vor. Dieser Bereich umfasst eine Fläche von ca. 434 ha und liegt im Südwesten des Gemeindegebiets der Antragsgegnerin. Die Konzentrationsfläche grenzt unmittelbar an das Gemeindegebiet des Antragstellers an. Nach der Begründung des Flächennutzungsplans ergibt sich eine Ausschlussfläche in den betroffenen Gemeinden von rund 8570 ha, so dass 11,1% der Bezugsfläche (Geltungsbereich nach Abzug der harten Tabuzonen) der Windkraft zur Verfügung stehen. Im Bereich der Konzentrationsfläche bestehen mittlerweile vier Windkraftanlagen, die seit Mitte 2016 in Betrieb sind.
Der Antragsteller erhob am 27. August 2015 Normenkontrollklage. Er beantragt,
Der sachliche Teilflächennutzungsplan der Antragsgegnerin zur Steuerung der Windkraft auf dem Gebiet der Gemeinden F …, R … und V …, in Kraft getreten durch Bekanntmachung der Genehmigung des Landratsamts L … … … vom 29. Oktober 2014 am 30. Oktober 2014, ist unwirksam.
Die Normenkontrollklage sei zulässig und begründet. Art. 82 Abs. 4 Nr. 3 BayBO vermittle einer Nachbargemeinde einen individuellen Interessenschutz. Nach dieser Vorschrift setze der Ausschluss der Anwendung von Art. 82 Abs. 1 BayBO im Fall einer bereits bestehenden Darstellung im Flächennutzungsplan voraus, dass die Nachbargemeinde der Fortgeltung dieser Darstellung nicht widerspreche. Es handle sich um ein Widerspruchsrecht, das dem Schutz der Nachbargemeinde diene. Es bestehe eine unmittelbare Auswirkung der positiven Konzentrationswirkung der Teilflächennutzungsplanung auch auf die Nachbargemeinde. Die aus Art. 82 Abs. 1 BayBO folgende 10-H-Regel werde nur suspendiert, wenn eine Konzentrationsfläche für Windkraft vorhanden sei. Deshalb könne, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Zusammenhang mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, von einer unmittelbaren Auswirkung der Darstellung im Flächennutzungsplan ausgegangen werden. Es mache für die Auswirkungen auf das Gebiet der Nachbargemeinde einen entscheidenden Unterschied, ob eine Anlage innerhalb der Konzentrationsfläche das Zehnfache ihrer Höhe zur maßgeblichen Bebauung einhalten müsse oder nicht. Der Normenkontrollantrag sei auch begründet, da die Planung abwägungsfehlerhaft zwischen harten und weichen Tabukriterien unterscheide, die Bewertung der Tabuzonen unzutreffend vorgenommen worden sei, die artenschutzrechtliche Prüfung unzureichend sei, der Windenergienutzung kein substantieller Raum bleibe und das interkommunale Abstimmungsgebot verletzt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2016 beantragt die Antragsgegnerin:
Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
Der Normenkontrollantrag sei unzulässig, da Nachbargemeinden generell nicht im Wege der Normenkontrolle gegen Teilflächennutzungspläne, die die Wirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB begründen sollen, vorgehen könnten. Eine Verletzung der Rechte des Antragstellers aus Art. 82 Abs. 4 Nr. 3 BayBO stehe nicht im Raum. Der Antragsteller habe sein Widerspruchsrecht ausgeübt. Dies habe keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Teilflächennutzungsplans. Sofern der Antragsteller der Auffassung sein sollte, der Widerspruch beseitige den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, könne hierzu im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorgetragen werden.
Das Gericht hat die Parteien mit Schreiben vom 6. Juli 2018 zu einer möglichen Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung angehört. Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2018 hat die Antragsgegnerin und mit Schriftsatz vom 23. August 2018 der Antragsteller einer solchen Entscheidung zugestimmt.
Ergänzend wird auf die beigezogenen Verfahrensakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Über den Normenkontrollantrag kann nach Anhörung der Parteien durch Beschluss entschieden werden (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Antrag auf Normenkontrolle ist nicht statthaft.
Die Darstellungen eines Flächennutzungsplanes sind grundsätzlich kein statthafter Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens gemäß § 47 Abs. 1 VwGO, da es sich weder um eine Satzung nach dem BauGB gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO noch um eine Norm im Sinn von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO handelt (vgl. grundlegend: BVerwG, B.v. 20.7.1990 – 4 N 3.88 – BayVBl 1991, 24). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO im Wege der Analogie ausnahmsweise auf Darstellungen des Flächennutzungsplans mit den Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu erstrecken. In diesem Fall hat der Gesetzgeber der Darstellung im Flächennutzungsplan nach materiell-rechtlichem Gehalt und Regelungsanspruch Rechtswirkungen beigelegt, die der Bindungskraft von Festsetzungen des Bebauungsplans gleichkommen (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2007 – 4 CN 3.06 – BVerwGE 128, 382). Möglicher Gegenstand einer statthaften Normenkontrolle gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog ist allein die in den Darstellungen des Flächennutzungsplans zum Ausdruck kommende planerische Entscheidung der Gemeinde, mit der Ausweisung von Flächen für privilegierte Nutzungen nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB an Standorten außerhalb der ausgewiesenen Flächen eintreten zu lassen. Die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB sind indes nicht nur Rechtfertigung, sondern auch Grenze des Analogieschlusses (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 4 CN 1.12 – BVerwGE 146, 40). Die Darstellung von Konzentrationsflächen ist für sich genommen wegen des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke kein möglicher Gegenstand der Normenkontrolle gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog (vgl. BayVGH, U.v. 10.3.2015 – 1 N 13.354 u.a. – BayVBl 2016, 98).
Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der ausdrücklich als Antrag auf Normenkontrolle bezeichnete Rechtsbehelf des Antragstellers nicht statthaft. Eine Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO im Wege der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits anerkannten Analogie ist im vorliegenden Fall nicht möglich. Der Antragsteller wendet sich nicht als Vorhabenträger gegen den Flächennutzungsplan, um die Ausschlusswirkung der Konzentrationsfläche für die Zulassung von Windkraftanlagen gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu beseitigen und die Möglichkeit der Zulassung von Windkraftanlagen außerhalb der Konzentrationsfläche zu erhalten. Vielmehr wendet er sich als Nachbargemeinde mit der Normenkontrolle gegen die Darstellung der Konzentrationsfläche an sich. Die Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB können wegen der gebietsbezogenen Planungshoheit im Bereich einer von der Planung nicht berührten Nachbargemeinde nicht auftreten (vgl. BayVGH, U.v. 10.3.2015, a.a.O.).
Eine analoge Anwendung von § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist auch nicht aufgrund der Regelung des Art. 82 Abs. 1 und Abs. 4 BayBO gerechtfertigt (vgl. BayVGH, U.v. 10.3.2015 a.a.O.). Sie lässt sich nicht schon durch die Betroffenheit von Interessen des Antragstellers rechtfertigen. Eine Ausweitung der gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO vorgesehenen Rechtsbehelfe im Wege der Analogie als Form der richterlichen Rechtsfortbildung setzt zunächst eine Gesetzeslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. BVerfG, U.v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07 u.a. – BVerfGE 132, 99; BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 5 C 18.12 – NJW 2013, 2457). Eine solche Gesetzeslücke kann angenommen werden, wenn der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013 a.a.O. Rn. 22). Wie oben ausgeführt kann die Darstellung in einem Flächennutzungsplan diese Voraussetzungen allenfalls dann erfüllen, wenn der Gesetzgeber der Darstellung nach ihrem materiell-rechtlichen Inhalt und ihrem Regelungsanspruch Rechtswirkungen beilegt, die der Bindungskraft eines Bebauungsplans gleichkommen (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2007 a.a.O. Rn. 19). Eine solche Situation besteht auch bei der Berücksichtigung der Wirkungen des Art. 82 BayBO nicht. Art. 82 Abs. 1 BayBO schließt die Anwendung der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB aus, wenn das Vorhaben einen dort näher definierten Mindestabstand nicht einhält. Nach Art. 82 Abs. 4 BayBO findet diese einschränkende Regelung keine Anwendung, wenn vor dem 21. November 2014 im Flächennutzungsplan eine Darstellung für die Zwecke des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erfolgt ist (Art. 82 Abs. 4 Nr. 1 BayBO), die Gemeinde der Fortgeltung dieser Darstellung nicht bis zum 21. Mai 2015 widerspricht (Art. 82 Abs. 4 Nr. 2 BayBO) und die von der Konzentrationsfläche betroffene Nachbargemeinde der Fortgeltung der Darstellung nicht widerspricht (Art. 82 Abs. 4 Nr. 3 BayBO).
Die durch Art. 82 BayBO dabei an die Darstellung im Flächennutzungsplan geknüpften Folgen verleihen ihr keine Regelungswirkung, die eine vergleichbare Rechtsschutzmöglichkeit wie bei Bebauungsplänen gebieten könnte. Zwar kann die Darstellung einer Konzentrationsfläche für Windkraft, die die Voraussetzungen des Art. 82 Abs. 4 BayBO erfüllt, zur Folge haben, dass die zum Erhalt der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB von Windkraftanlagen nach Art. 82 Abs. 1 BayBO geforderten Abstände nicht einzuhalten sind. Diese Wirkung setzt die Darstellung im Flächennutzungsplan der Festsetzung eines Bebauungsplans jedoch nicht gleich. Das Gesetz knüpft lediglich die an eine Anlage zu stellenden Anforderungen zur Abstandsfläche und die Entscheidung, ob ein sonstiges Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB vorliegt, an eine bestimmte Darstellung im Flächennutzungsplan. Im Flächennutzungsplan selbst werden aber, anders als beim Bebauungsplan, keine gebietsbezogenen Regelungen zur Zulässigkeit bestimmter Anlagen getroffen. Folgen der Flächennutzungsplanung, wie sie sich etwa auch aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB ergeben, reichen nicht aus, um eine einem Rechtssatz vergleichbare Wirkung anzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 20.7.1990 – 4 N 3.88 – BayVBl 1991, 24; OVG RhPf, U.v. 18.10.2007 – 1 C 10138.07 – juris Rn. 30). Für eine analoge Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO fehlt es zudem an einer den Satzungen nach dem BauGB vergleichbaren Planungsentscheidung der Gemeinde. Anders als beim Bebauungsplan und der Sondersituation des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB knüpft die Rechtswirkung des Art. 82 Abs. 4 BayBO nicht an eine Planungsentscheidung der Gemeinde an, die diese Wirkung bezweckt. Die Vorschrift sichert vielmehr nur Planungen, die bei Inkrafttreten der Vorschrift bereits bestanden. Art. 82 BayBO führt daher nicht zu einer verstärkten Regelungswirkung der Darstellung im Flächennutzungsplan, sondern erhält nur deren planerische Funktion, die durch die Einführung des Mindestabstands in Art. 82 Abs. 1 BayBO in Frage gestellt wurde.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 709 Satz 2 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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