Baurecht

Unzulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage auf Änderung der Darstellung in einem Flächennutzungsplan

Aktenzeichen  2 L 5/22

Datum:
15.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 2. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0215.2L5.22.00
Normen:
§ 1 Abs 2 S 2 BauGB
§ 5 BauGB
§ 35 Abs 2 S 3 BauGB
Spruchkörper:
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Leitsatz

Unmittelbarer Rechtsschutz von Individualklägern gegen einen Flächennutzungsplan oder einzelne Darstellungen eines Flächennutzungsplans ist grundsätzlich nicht zulässig, und zwar weder in einem Normenkontrollverfahren noch im Wege einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO oder einer allgemeinen Leistungsklage.(Rn.7)

Verfahrensgang

vorgehend VG Halle (Saale), 7. Dezember 2021, 2 A 72/19 HAL, Urteil

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle – 2. Kammer – vom 7. Dezember 2021 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.
Der Streitwert für das Rechtsmittelverfahren wird auf 12.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger erwarb im Jahr 2004 von der Beklagten zum Preis von 20.000 € das Grundstück „Kegelbahn W.“, Flur …, Flurstücke … und …, Gemarkung …. Das Grundstück war mit einem sanierungsbedürftigen Gebäude, bestehend aus Kegelbahn und einer ungenutzten Gaststätte bebaut. Es liegt auf einer Fläche, die in dem seinerzeit geltenden Teilflächennutzungsplan aus dem Jahr 1998 mit „W“ (Wohnbauflächen) dargestellt war. Im Jahr 2013 änderte die Beklagte die Darstellung und wies die Fläche als Gemeinbedarfsfläche mit Gebäuden und Einrichtungen für sportliche und soziale Zwecke aus. Einen Antrag des Klägers, ihm einen positiven Bauvorbescheid für die Errichtung von zwei Doppelhäusern für Wohnzwecke auf dem Grundstück zu erteilen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Februar 2015 ab. Den Widerspruch des Klägers wies das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit der Begründung ab, bei dem Vorhaben handele es sich um ein nicht privilegiertes Vorhaben im Außenbereich, das gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 3 und 7 BauGB öffentliche Belange beeinträchtige. Daraufhin versuchte der Kläger ohne Erfolg, das Grundstück zu verkaufen.
Mit seiner am 19. März 2019 erhobenen Klage beim Verwaltungsgericht begehrt der Kläger, die Festsetzung des Flächennutzungsplans zu ändern und die Fläche als Wohnbaufläche zu kennzeichnen, sowie festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Ersatz der durch die Änderung bzw. Nichtänderung des Flächennutzungsplans entstandenen und entstehenden Schäden zu leisten. Eine parallel beim Landgericht Halle erhobene Schadensersatzklage hat das Landgericht abgewiesen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. Dezember 2021 im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen: Soweit die Klage darauf gerichtet sei, die Festsetzungen des Flächennutzungsplans zu ändern, sei die Klage unzulässig. Hierfür gebe es keine geeignete Klageart. Ob ein Normenkontrollantrag zulässig sei, könne dahinstehen. Jedenfalls habe der Antragsteller klargestellt, dass er einen solchen Antrag nicht stelle. Es gehe auch nicht um eine Inzidentprüfung des Flächennutzungsplans, etwa im Rahmen einer Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung. Auch eine allgemeine Leistungsklage stehe dem Kläger nicht offen. Der Flächennutzungsplan sei ein Verwaltungsinternum ohne Außenwirkung. Ein klagbarer Anspruch des Bürgers auf eine bestimmte Festsetzung für ein bestimmtes Grundstück im Flächennutzungsplan bestehe nicht. Eine Änderung des Flächennutzungsplans stehe dem Kläger auch nicht im Wege der Folgenbeseitigung zu. Daneben fehle es auch an der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Eine Rechtsverletzung durch die Festsetzung eines Flächennutzungsplans sei angesichts der fehlenden Außenwirkung nicht möglich. Schon der damalige Flächennutzungsplan habe dem Kläger kein Baurecht verschafft. Im Übrigen ergebe sich aus dem Verwaltungsvorgang nicht, dass für den Bereich des Grundstücks die Absicht der Ausweisung für die Wohnbebauung bestanden habe. Dementsprechend habe das damals für den Kaufvertrag herangezogene Verkehrswertgutachten den Verkehrswert nicht anhand des Kaufwerts als Bau(erwartungs)land, sondern maßgeblich aus dem Ertragswert der Kegelhalle ermittelt. Auch der Kläger habe seinerzeit auf die Fortführung der Kegelsporthalle und Gastronomie abgezielt. Ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankomme, habe die Beklagte allein das Interesse an dieser Nutzung, und nicht das Interesse an der Nutzung für eine Wohnbebauung in die damalige Abwägung über den Flächennutzungsplan einbeziehen müssen. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf die Feststellung zu, dass die Beklagte zum Schadensersatz verpflichtet sei. Für Ansprüche auf Schadensersatz aus rechtswidrigem Verwaltungshandeln oder „Enteignung“ sei der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet. Der Kläger habe bereits ein zivilrechtliches Klageverfahren geführt; für einen darüber hinausgehenden nicht näher präzisierten Schadensersatzanspruch bestehe daher kein Raum. Es fehle aber auch an einem Schadensersatz begründenden fehlerhaften Verhalten der Beklagten.
II.
1. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil hat keinen Erfolg.
Der Kläger trägt vor: Die Leistungsklage sei die richtige Klageart für die geltend gemachten Ansprüche. Die Ansprüche ergäben sich aus dem Umstand, dass die Beklagte das fragliche Grundstück mit bestimmten – wertbeeinflussenden – Eigenschaften nachträglich geändert habe. Die geänderten Festsetzungen hätten eine „Wertminderung“ zur Folge; das Grundstück sei nunmehr praktisch wertlos. Die Beklagte habe den vor der Änderung des Flächennutzungsplans bestehenden Zustand im Wege eines Folgenbeseitigungsanspruchs analog §§ 1004, 862, 12 BGB wiederherzustellen. Er, der Kläger, mache – anders als das Verwaltungsgericht meine – keinen Anspruch auf „Planänderung“ geltend, sondern einen Anspruch auf Beseitigung der Folgen rechtswidrigen Verwaltungshandelns. Nach der „Zuordnungstheorie“ könne allein die Beklagte den „rechtmäßigen“ Zustand wiederherstellen.
Der Kläger benennt keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO. Anhand der Begründung des Zulassungsantrags ist davon auszugehen, dass der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht. Solche Zweifel liegen nur dann vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2013 – 1 BvR 3057/11 – juris Rn. 36, m.w.N.). Das ist vorliegend nicht der Fall.
a) Der Kläger begehrt mit seinem ersten Klageantrag die Änderung der Darstellung einer Fläche in einem Flächennutzungsplan. Unmittelbarer Rechtsschutz von Individualklägern gegen einen Flächennutzungsplan oder einzelne Darstellungen ist grundsätzlich nicht zulässig, und zwar weder in einem Normenkontrollverfahren noch im Wege einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO oder einer allgemeinen Leistungsklage. Der Flächennutzungsplan hat keine verbindliche Außenwirkung. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens kann nicht unmittelbar aus den Darstellungen des Flächennutzungsplanes (beispielsweise einer Wohnbaufläche) hergeleitet oder damit begründet werden. Der Flächennutzungsplan verleiht kein individuelles Baurecht (vgl. Jeromin, in: Kröninger/Aschke/Jeromin, BauGB 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 3 und 5; Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang, 15. Aufl. 2022, BauGB § 5 Rn. 46b; VGH BW, Urteil vom 20. November 2013 – 5 S 3074/11 – juris Rn. 15). Ausnahmsweise unterliegt ein Flächennutzungsplan in entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der (prinzipalen) Normenkontrolle beim Oberverwaltungsgericht, wenn er die Ausweisung von Konzentrationsflächen für privilegierte Außenbereichsvorhaben mit der Folge der Ausschlusswirkung für alle übrigen Flächen i.S. des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB enthält (BVerwG, Urteil vom 26. April 2007 – 4 CN 3.06 – juris). Rechtliche Wirkung erhält der Flächennutzungsplan als vorbereitender Bauleitplan außerhalb der speziellen Regelungen in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nur dadurch, dass aus seinen auf Grundzüge beschränkten Darstellungen der Bebauungsplan als eigenständige planerische Aussage der Gemeinde entwickelt wird (Mitschang, a.a.O.). Im Übrigen kann der Grundstückseigentümer, dem der Flächennutzungsplan als öffentlicher Belang nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB einem privilegierten Bauvorhaben entgegengehalten wird, die Wirksamkeit einzelner Darstellungen bzw. des Flächennutzungsplanes insgesamt im Wege der Inzidentkontrolle etwa bei einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung überprüfen lassen (vgl. Jeromin, Baugesetzbuch, a.a.O. Rn. 5; Mitschang, a.a.O. Rn. 46c).
Der Kläger wendet sich nicht gegen eine Ausschlusswirkung i.S. des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB aufgrund der Ausweisung einer Konzentrationsfläche, sondern gegen die Darstellung der Fläche, auf dem sein Grundstück liegt, als Gemeinbedarfsfläche. Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen demnach nur im Wege einer Inzidentkontrolle. Will der Kläger etwa ein Wohnbauvorhaben verwirklichen und wird ihm – wie dies bereits im (ablehnenden) Bauvorbescheid vom 9. Februar 2015 erfolgt ist – die Darstellung der Fläche im Flächennutzungsplan vorgehalten, so kann er im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf Erteilung des Bauvorbescheides oder der Baugenehmigung die Rechtswidrigkeit der Darstellung im Flächennutzungsplan geltend machen.
Ist schon eine Klage, die sich auf die Feststellung der Unwirksamkeit eines Flächennutzungsplans oder einzelner Darstellungen des Plans richten, grundsätzlich unzulässig, gilt dies erst recht für eine Klage, die darauf gerichtet ist, eine Fläche im Flächennutzungsplan – unter Aufhebung bzw. Änderung der bisherigen Darstellung – in bestimmter Weise (hier: als Wohnbaufläche) auszuweisen. Im Übrigen schließt auch § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB einen Anspruch auf Änderung der Darstellung einer Fläche in einem Flächennutzungsplan aus. Nach dieser Regelung besteht kein Anspruch auf die Aufstellung von Bauleitplänen. Die Regelung stellt klar, dass ein Anspruch auf die Aufstellung, Änderung oder Aufhebungen von Bauleitplänen auch nicht durch einen Vertrag begründet werden kann. Auch eine einseitige Erklärung der Gemeinde, einen Bauleitplan aufzustellen oder zu ändern, ist unzulässig (Wahlhäuser, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 5 Rn. 57). Vor diesem Hintergrund kann der Kläger sein Begehren, die Fläche seines Grundstücks als Wohnbaufläche auszuweisen, auch nicht darauf stützen, dass die Beklagte mit der Darstellung der fraglichen Fläche als solche für den Gemeinbedarf ihre vertraglichen Pflichten aus dem Kaufvertrag vom 30. April 2004 verletzt habe. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf die mit der Änderung des Flächennutzungsplans verbundene Wertminderung berufen. Bei solchen faktischen Auswirkungen des Flächennutzungsplans (vgl. hierzu auch Mitschang, a.a.O. Rn. 47) handelt es sich nicht um einen Eingriff in die Rechtsstellung des betroffenen Grundstückseigentümers, die es gebietet, unmittelbaren Rechtsschutz gegen den Flächennutzungsplan zuzulassen.
Eine Klage unmittelbar auf Änderung des Flächennutzungsplans kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil der Kläger sein Begehren auf einen Folgenbeseitigungsanspruch stützt. Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen eines Folgenbeseitigungsanspruchs aufgrund von (rechtswidrigen) Darstellungen im Flächennutzungsplan erfüllt sein können, ergäbe sich nicht die Rechtsfolge, dass der Flächennutzungsplan zu ändern ist. Der Folgenbeseitigungsanspruch verpflichtet zur Beseitigung der durch den rechtswidrigen Eingriff entstandenen Folgen grundsätzlich in der Weise, dass der ursprüngliche rechtmäßige Zustand hergestellt und gerade dadurch die Fortdauer des rechtswidrigen Zustandes beendet wird. Als Ziel des Anspruchs gilt zwar die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände, gleichwohl ist sein Inhalt darauf begrenzt, den Eingriff in die subjektive Rechtsstellung zu beseitigen. Die Pflicht zur Beseitigung wird durch Art und Umfang der Beeinträchtigung begrenzt (BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 – 4 C 24.91 – juris Rn. 63). Die Folgenbeseitigung richtet sich also auf die Beseitigung der eingetretenen Störung, was nicht notwendig die Aufhebung der zugrunde liegenden Maßnahme voraussetzt. Grundsätzlich ist es Sache des anspruchsverpflichteten Hoheitsträgers, selbst darüber zu entscheiden, mit welchen Mitteln er den früheren rechtmäßigen Zustand wiederherstellen will (BVerwG, a.a.O. Rn. 67 f.). Die Darstellung einer Fläche im Flächennutzungsplan beeinträchtigt die Rechtsstellung des betroffenen Grundstückseigentümers nicht unmittelbar. Wie bereits ausgeführt, verleiht der Flächennutzungsplan kein individuelles Baurecht. Führt eine rechtswidrige Darstellung im Flächennutzungsplan mittelbar zu einer Rechtsbeeinträchtigung, bedarf es zur Folgenbeseitigung nicht der Aufhebung oder Änderung des Flächennutzungsplans. Soweit die Genehmigung eines Bauvorhabens unter Berufung auf § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB abgelehnt wird, kann der Bauherr eine etwaige Rechtswidrigkeit der Darstellung des Flächennutzungsplans im Rahmen einer Inzidentprüfung geltend machen und – falls das Vorhaben im Übrigen zulässig ist – auf diese Weise ein etwaiges Baurecht durchsetzen. Sollte ein Ausgleich etwaiger Wertbeeinträchtigungen in Betracht kommen, erfordert auch dies keine Änderung des Flächennutzungsplans.
b) Hinsichtlich des zweiten Klageantrags, mit dem der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche Schäden zu ersetzen, die durch die Änderung bzw. Nichtänderung der Festsetzung des Flächennutzungsplans hinsichtlich seiner Grundstücke entstanden sind, hat der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung dargelegt. Einwände gegen die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts hat der Kläger insoweit nicht vorgetragen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat folgt der erstinstanzlichen Entscheidung.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).


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