Baurecht

Unzulässigkeit einer Werbeanlage wegen Beeinträchtigung des Ortsbildes

Aktenzeichen  M 1 K 17.3685

Datum:
19.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41593
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 68, Art. 81 Abs. 1 Nr. 2
BauGB § 34 Abs. 1 S. 2
BayGO Art. 26 Abs. 2
VwGO § 68

 

Leitsatz

1. Besteht eine Satzung aus einem Textteil und einer oder mehreren zeichnerischen Darstellungen, müssen diese entweder körperlich untrennbar miteinander verbunden sein, oder es sind grundsätzlich alle Teile gesondert auszufertigen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein generalisierender Ausschluss von Fremdwerbung durch eine Norm des Baugestaltungsrechts ist nur zulässig, um eine Beeinträchtigung des Charakters eines Baugebiets durch bestimmte, in diesem Baugebiet funktionswidrige Werbeanlagen zu verhindern oder sonst in Bereichen, in denen dies aus ortsgestalterischen Gründen erforderlich ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Beurteilung, ob das Ortsbild beeinträchtigt ist, kommt es darauf an, ob ein Gesamtbild, das durch unterschiedliche Elemente geprägt sein kann, gestört wird. Das ist nach dem ästhetischen Empfinden eines für Fragen der Ortsbildgestaltung aufgeschlossenen Betrachters zu beurteilen, das nicht verletzt sein darf. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Grundsatz, dass vor Klageerhebung erfolglos ein Verwaltungsverfahren durchgeführt werden muss, gilt aus Gründen der Verfahrensökonomie nicht uneingeschränkt. Im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz ist allerdings zu fordern, dass dabei der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt. Ferner sind die Besonderheiten des Baurechts zu berücksichtigen. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat weder im Haupt-, noch im Hilfsantrag Erfolg.
1. Die Verpflichtungsklage hat im Hauptantrag in der Sache keinen Erfolg.
Die Klage ist unbegründet, weil der Ablehnungsbescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Errichtung der doppelseitigen Werbeanlage auf dem Grundstück FlNr. 10/7 (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Baugenehmigung für die Errichtung der Werbeanlage stehen zwar keine örtlichen Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 BayBO entgegen, die im hier zutreffend gewählten vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) BayBO zu prüfen sind. Der Baugenehmigung steht jedoch § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB entgegen, wonach ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nicht das Ortsbild beeinträchtigen darf.
a) Örtliche Bauvorschriften stehen dem Vorhaben nicht entgehen.
aa) Im Hinblick auf die Werbeanlagensatzung der Beigeladenen vom 5. Dezember 2018 folgt dies daraus, dass das Vorhaben nicht im maßgeblichen Geltungsbereich der Altstadt liegt.
bb) Die „Satzung als örtliche Bauvorschriften über das Verbot der Errichtung von großflächigen Plakatanschlagtafel im Bereich des Stadtgebietes … … … gem. Art. 91 Abs. 1 Nr. 2 BayBO“ vom 1. Dezember 1998 in der Fassung der Änderungssatzungen vom 10. August 2000 und 4. Juli 2001 steht dem Vorhaben ebensowenig entgegen. Zwar handelt es sich bei dem Vorhaben um großflächige Werbeanlagen im Sinne von § 2 Abs. 1 der Satzung, die nur an den in der Satzung i.V.m. der Anlage zugelassenen Standorten zulässig sind (§ 4 Abs. 1 der Satzung) und zu denen das hier in Rede stehende Baugrundstück nicht gehört. Die Satzung ist jedoch formell und materiell rechtswidrig und damit nichtig. Sie kann für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens daher nicht herangezogen werden.
(1) Die Satzung, die auf der Grundlage von Art. 91 Abs. 1 Nr. 2 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. August 1997 beschlossen wurde, ist wegen eines Ausfertigungsmangels nichtig. Die Unterschrift des Bürgermeisters nur unter dem Satzungstext und nicht auch unter der Anlage genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ausfertigung. Es liegen keine sonstigen Umstände vor, die jeden Zweifel an der Zugehörigkeit der Anlage zu der beschlossenen Satzung ausschließen; auch ist keine Heilung des Ausfertigungsmangels eingetreten.
Gemäß Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO sind Satzungen und damit auch örtliche Bauvorschriften auszufertigen. Die Ausfertigung ist dabei ein Teil des Rechtsetzungsverfahrens und hat eine doppelte Funktion: Zum einen soll sie mit öffentlich-rechtlicher Wirkung bezeugen, dass die zeichnerische und die textliche Fassung der Rechtsvorschrift mit dem Willen des Rechtsetzungsberechtigten übereinstimmt („Authentizität“); durch die Ausfertigung entsteht die Originalurkunde. Zum anderen soll sie die Einhaltung des für die Normgebung gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens („Legalität“) bezeugen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 25.2.2014 – 1 ZB 12.353 – juris Rn. 4; B.v. 4.7.2017 – 2 NE 17.989 – juris Rn. 17). Zu diesem Zweck hat das dafür zuständige Organ den beschlossenen Normtext unter Angabe des Datums handschriftlich zu unterschreiben. Nur durch die so geschaffene Originalurkunde wird erreicht, dass die Rechtswirkungen mit der nachfolgenden Bekanntmachung eintreten können (Decker in Simon/Busse/Decker, 135. EL Dezember 2019, BayBO Art. 81 Rn. 55 ff.).
Besteht eine Satzung aus einem Textteil und einer oder mehreren zeichnerischen Darstellungen, müssen diese entweder körperlich untrennbar miteinander verbunden sein, oder es sind grundsätzlich alle Teile gesondert auszufertigen. Die Ausfertigung allein des Textteils oder allein der zeichnerischen Darstellungen genügt nur dann, wenn durch eindeutige Angaben oder auf andere Weise jeder Zweifel an der Zugehörigkeit aller Planteile zu der beschlossenen Satzung ausgeschlossen wird. Die Rechtsprechung fordert bei Bebauungsplänen, dass Textteil und zeichnerische Darstellungen für eine ordnungsgemäße Ausfertigung am Maßstab von Art. 26 Abs. 2 GO durch eine Art „gedanklicher Schnur“ untereinander derart verknüpft sein müssen, dass Zweifel vorgenannter Art ausgeschlossen sind (vgl. etwa BayVGH, B.v. 28.2.2008 – 1 NE 07.2946 – juris Rn. 36; U.v. 5.2.2009 – 1 N 07.2713 u. a. – juris Rn. 37; U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 38 m. w. N.). Diese Grundsätze gelten auch allgemein, wenn eine Satzung – wie hier – aus mehreren Teilen besteht, die nicht auf einem Blatt zusammengefasst sind (vgl. Decker in Simon/Busse/Decker, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 81 Rn. 57).
Diesen Anforderungen wird die Satzung nicht gerecht. Dies ergibt sich aus dem – teilweise nur noch in Kopie erhaltenden – Normaufstellungsakt der Beigeladenen. Die Unterschrift des Bürgermeisters befindet sich ausschließlich auf dem Textteil der Satzung. Die Anlage mit dem Verzeichnis der zugelassenen Standorte für Werbeanlagen, die wesentlicher Bestandteil der Satzung ist (vgl. § 4 Abs. 1 Satzung), ist nicht unterschrieben. Die Satzung ist mit der Anlage weder körperlich verbunden, noch ist im ausgefertigten Teil mit hinreichender Bestimmtheit auf die Einzelblätter der Anlage Bezug genommen oder auf andere Weise jeder Zweifel an der Zugehörigkeit der nicht gesondert ausgefertigten Teile zur Satzung ausgeschlossen. Vielmehr fehlt es bereits an einer einheitlichen Terminologie. In § 4 Abs. 1 der Satzung ist die Rede von einer „Liste“. Das gesonderte Blatt, auf dem die Standorte aufgezählt werden, ist als „Anlage“ bezeichnet. Auch wird auf diesem Blatt die Satzung nicht erwähnt.
Zwar kann auch die Unterzeichnung des für die Ausfertigung zuständigen Gemeindeorgans auf dem Auszug aus der Sitzungsniederschrift über den Satzungsbeschluss ausreichen, sofern in der Niederschrift die Bestandteile der Satzung in einer Weise bezeichnet sind, dass Zweifel an der Identität der Satzung nicht gegeben sind (vgl. BayVGH, U. v. 22.10.2007 – 26 N 06.2031 – juris Rn. 21); jedoch liegen auch diese Voraussetzungen nicht vor. Ebensowenig ist eine Heilung durch die Ausfertigungen der nachfolgenden Änderungssatzungen eingetreten. Durch die nachfolgenden Änderungen wurden neue Standorte geschaffen und insoweit die Anlage zur Satzung geändert. Jedoch liegt diesen Änderungssatzungen keine konsolidierte Fassung der Anlage mit allen Standorten, also unter Einschluss der alten Standorte vor, die ausgefertigt worden wäre.
(2) Die Satzung leidet ferner an materiellen Mängeln, die zu ihrer Unwirksamkeit führen.
Die Satzung gilt für das gesamte Stadtgebiet einschließlich aller nicht bebaubarer Grundstücke und Außenbereichsflächen (vgl. § 1 Satzung). Sie gilt sowohl für Eigen- als auch Fremdwerbung (§ 2 Abs. 1 Satzung) und sieht ein grundsätzliches Verbot für großflächige Werbung vor (§ 4 Abs. 1 Satzung). Nur an den in der Anlage genannten Standorten ist Werbung zulässig.
Ein generalisierender Ausschluss von Fremdwerbung durch eine Norm des Baugestaltungsrechts ist nur zulässig, um eine Beeinträchtigung des Charakters eines Baugebiets durch bestimmte, in diesem Baugebiet funktionswidrige Werbeanlagen zu verhindern (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 28.4.1972 – 4 C 11.69 – BayVBl 1973, 471) oder sonst in Bereichen, in denen dies aus ortsgestalterischen Gründen erforderlich ist (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.1.2012 – Vf. 18-VII-09 – VerfGH 65, 1 – juris Rn. 105). Nach der o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verstößt ein generelles Verbot in einer Ortssatzung, durch das die Werbung mit Großflächenwerbetafeln in Mischgebieten verboten wird, gegen Art. 14 GG. Das generalisierende Verbot bestimmter Werbeanlagen in bestimmten Baugebieten muss hiernach seine Entsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters finden. Fehlt es, wie beim Mischgebiet, voraussetzungsgemäß an einer einheitlichen Funktion und damit auch an einer einheitlichen Eigentumssituation der Bauflächen, lasse sich unter dem Gesichtspunkt besonderer gestalterischer Anforderungen keine einheitliche Beantwortung der Frage erreichen, ob sich bestimmte Werbeanlagen ihrer Umgebung funktionsgerecht anpassen. Örtliche Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO bzw. Art. 91 Abs. 1 Nr. 2 BayBO 1997 könnten demgemäß auch Mischgebiete erfassen, es müssten aber „ortsgestalterische Gründe“ gegeben sein, die eine Beschränkung rechtfertigen können. Im Hinblick auf die von Art. 14 GG und Art. 103 BV umfasste Baufreiheit müssten diese Gründe ein bestimmtes Gewicht haben. Nach der oben genannten Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 23. Januar 2012 werden Regelungen, die die Zulässigkeit von bestimmten Werbeanlagen oder Werbeanlagen überhaupt im Hinblick auf die besondere Schutzwürdigkeit der Erhaltung des Orts- oder Landschaftsbildes von der Art des Baugebiets abhängig machen, als vertretbar angesehen. Voraussetzung ist jedoch hiernach, dass je nach den Gegebenheiten des jeweiligen Gemeindebereichs und dem damit verbundenen Schutzzweck unterschiedliche Anforderungen an die Zulässigkeit von Werbeanlagen gestellt werden und nach diesen Schutzmaßstäben abgestuft wird. Eine generalisierende Regelung für Werbeanlagen setzt die Homogenität des zu schützenden Bereichs voraus, was bedeutet, dass grundsätzlich bei Erlass einer Werbeanlagensatzung die Schutzbedürftigkeit des betroffenen Gebiets durch den Satzungsgeber sorgfältig abzuwägen ist und im Zweifel nach Baugebieten, Bauquartieren und unter Umständen noch weitergehend, etwa nach Straßenzügen, abzustufen ist.
Diesen Anforderungen entspricht die Satzung der Beigeladenen nicht. Sie beschränkt sich auf die reine Aufzählung zulässiger Standorte, gegliedert nach den die Werbung aufstellenden Firmen. Dies legt den Schluss nahe, dass die Satzung lediglich den Bestand festschreibt, jedenfalls differenziert sie in keiner Weise im Sinne der o.g. Rechtsprechung etwa zwischen Gebietsprägungen und nach schützenswerten Bereichen im großräumigen und als heterogen einzuschätzenden Stadtgebiet.
b) Das Vorhaben ist jedoch bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es das Ortsbild i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB beeinträchtigt.
Gemäß Art. 59 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO hat die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB zu prüfen.
aa) Planungsrechtlich ist die Werbeanlage hier nach § 34 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BauGB zu beurteilen, da der Vorhabenstandort im unbeplanten Innenbereich liegt. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die nähere Umgebung einfügt und wenn die Erschließung gesichert ist. Vorliegend gehen die Beteiligten aufgrund der sich in der näheren Umgebung befindlichen landwirtschaftlichen Betriebe übereinstimmend von einem faktischen Dorfgebiet i.S.d. § 5 BauNVO, § 34 Abs. 2 BauGB aus. In einem Dorfgebiet sind Werbeanlagen (als sonstige Gewerbebetriebe i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO) ihrer Art nach allgemein zulässig. Die Werbeanlage dürfte sich auch nach dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BauGB) einfügen. Diese Frage ist nicht nur danach zu beurteilen, ob es in der „näheren Umgebung“ schon vergleichbare Werbeanlagen gibt. Beurteilungsmaßstab sind vielmehr alle dort anzutreffenden baulichen Anlagen, vor allem auch Gebäude. Der Fremdwerbung dienende Anlagen der Außenwerbung fügen sich nach dem Maß der baulichen Nutzung dann ein, wenn sie die bei den vorhandenen Gebäuden üblichen Maße einhalten und wenn sich ihre Flächengröße im Rahmen der Flächengröße der in der näheren Umgebung vorhandenen Bauteile anderer Anlagen hält (vgl. BVerwG, U.v. 16.03.1995 – 4 C 3/94 – NVwZ 1995, 899, juris Rn. 18; U.v. 15.12.1994 – 4 C 19/93 – BauR 1995, 1167, juris Rn. 17). Mit einer geplanten Höhe von 4,42 m und einer Grundfläche von 10,37 m2 hält sich die Werbeanlage hinsichtlich Höhe und Fläche von Gebäudeteilen im Rahmen der Bebauung in der näheren Umgebung. Dies gilt auch in Bezug auf die überbaubare Grundstücksfläche, da in unmittelbarer Nähe zum geplanten Vorhaben auf den FlNr. 29, 29/2 und 12 ebenfalls eine Bebauung bis zur straßenseitigen Grundstücksgrenze vorhanden ist.
bb) Die beantragte Werbeanlage würde jedoch das Ortsbild i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB beeinträchtigen.
Auch ein Vorhaben, das sich gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, kann gleichwohl bauplanungsrechtlich unzulässig sein, wenn es das Ortsbild beeinträchtigt (vgl. BVerwG, B.v 16.7.1990 – 4 B 106.90 – NVwZ-RR 1991, 59, juris Ls.). Dabei sind nur solche Beeinträchtigungen des Ortsbildes beachtlich, die städtebauliche Qualität besitzen. Dies ergibt sich aus der Zugehörigkeit des § 34 BauGB zum Bauplanungsrecht. § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB als städtebauliche Gestaltungsvorschrift ist zu unterscheiden von den gestalterischen Vorschriften des Bauordnungsrechts. Durch sie soll nicht nur vermieden werden, dass das Bauwerk selbst verunstaltend wirkt, sondern auch, dass es sich negativ auf seine Umgebung auswirkt. Beim Maßstab des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB kommt es auf das „Orts“-Bild, also auf das Erscheinungsbild zumindest eines größeren Bereichs der Gemeinde an. Entscheidend ist, ob sich das Vorhaben in diese weite Umgebung einpasst. Dagegen ist die Gestaltung des Bauwerks selbst nicht wichtig; auch ein „schönes“ Bauwerk kann das Ortsbild beeinträchtigen.
Für die Beurteilung, ob das Ortsbild beeinträchtigt ist, kommt es nicht – wie beim Einfügensgebot – auf (fehlende) Übereinstimmung in den einzelnen Merkmalen der Bebauung (z.B. bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung, der überbauten Grundfläche usw.) an, sondern darauf, ob ein Gesamtbild, das durch unterschiedliche Elemente geprägt sein kann, gestört wird. Das ist nach dem ästhetischen Empfinden eines für Fragen der Ortsbildgestaltung aufgeschlossenen Betrachters zu beurteilen, das nicht verletzt sein darf (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.1983 – 4 C 18/81 – BVerwGE 67, 23, juris Rn. 26). Entscheidend für die Beurteilung der Beeinträchtigung des Ortsbildes ist die konkrete Situation der Umgebung (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.1990 – 4 B 106/90 – NVwZ-RR 1991, 59, juris Rn. 6). Zu beachten ist, dass nicht jedes Ortsbild schützenswert ist, nur weil es durch eine gewisse Einheitlichkeit oder Gleichartigkeit der Bebauung oder einzelner Elemente der Bebauung geprägt ist. Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums muss für Einschränkungen seines Gebrauchs (hier: der Baufreiheit) hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange auf ihrer Seite haben. Sie darf nicht darauf hinauslaufen, dass im unbeplanten Innenbereich das Vorhandene in jeder Beziehung das Maß des Zulässigen bestimmt, nur weil es schon vorhanden ist. Das Ortsbild muss, um schützenswert zu sein und die Bau(gestaltungs) freiheit des Eigentümers einschränken zu können, eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit haben. Dies ist nicht das Ortsbild, wie es überall anzutreffen sein könnte. Es muss einen besonderen Charakter, eine gewisse Eigenheit haben, die dem Ort oder dem Ortsteil eine aus dem Üblichen herausragende Prägung verleiht (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 – NVwZ 2000, 1169, juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 8.5.2008 – 2 B 08.212 – BayVBl. 2009, 248, juris Rn. 19). Das Ortsbild kann auch durch Anlagen der Außenwerbung beeinträchtigt werden (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1992 – 4 C 27/91 – BVerwGE 91, 234, juris Rn. 18). So kann etwa eine großflächige Werbeanlage an exponierter Stelle ein durch einen denkmalgeschützten Kirchturm und eine dörfliche Prägung des Ortes geprägtes Ortsbild beeinträchtigen (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2014 – 1 ZB 12.1837 – juris Rn. 4).
Gemessen an diesen Grundsätzen beeinträchtigt die beantragte doppelseitige Werbeanlage das Ortsbild i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB.
Das Vorhaben soll auf dem Grundstück FlNr. 10/7 an der nordwestlichen Grundstücksgrenze unmittelbar am Fußgängerweg der H.-Straße errichtet werden. Westlich des Vorhabenstandorts befindet sich in etwa 100 m Entfernung auf dem Grundstück FlNr. 30 die Katholische Pfarrkirche … …, die ebenfalls südlich der H.-Straße liegt. Bei der Kirche handelt es sich um ein Baudenkmal i.S.d. Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayDSchG. Sie stammt, wie das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in der Denkmalschutzliste hierzu vermerkt, aus dem 15. Jahrhundert, damit aus vergangener Zeit. Neben baulichen Veränderungen in den Jahren 1725, 1751 und 1767/1768 erfolgte nach den Angaben des Vertreters der unteren Denkmalschutzbehörde in der mündlichen Verhandlung in den 1970er/1980er Jahren eine Renovierung, bei der die Kirche unter anderem ein neues Dach bekam. Weitere Renovierungsarbeiten sind zudem wegen eines Brandes in der Kirche vor fünf bis zehn Jahren beabsichtigt. Die Kirche weist nach den Erkenntnissen des Gerichts beim Augenschein insgesamt einen guten baulichen Zustand auf. Ihre Erhaltung liegt wegen ihrer (bau-)geschichtlichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit. Die H.-Straße verläuft ab ihrem Beginn (Kreuzung zur O.-Straße) nahezu gerade und knickt erst nach der Pfarrkirche Richtung Süden ab. Bereits ab Beginn der H.-Straße sind der Vorhabenstandort sowie der Kirchturm der denkmalgeschützten Kirche sichtbar, sodass im Falle einer Errichtung der Werbeanlage von Westen aus ein unmittelbarer Sichtbezug zwischen Kirchturm und Werbeanlage bestünde. Die beantragte Werbeanlage würde im Falle ihrer Errichtung die einzige großflächige Fremdwerbeanlage an der H.-Straße darstellen. Bei den übrigen Werbeanlagen handelt es sich mit Ausnahme der kleinflächigen Werbung am Zaun des Grundstücks FlNr. 66/2 an der Kreuzung O.-Straße/H.-Straße um Eigenwerbung an der Stätte der Leistung (FlNr. 12 und 8/1), wobei lediglich die Eigenwerbung auf dem Grundstück FlNr. 8/1 mit einer Größe von 1,5 m x 1,5 m auf einer Höhe von 1,5 m freistehend angebracht wurde. Im Unterschied zur beantragten Fremdwerbeanlage wurde die Eigenwerbung auf dem Grundstück FlNr. 8/1 jedoch nicht direkt an der straßenseitigen Grundstücksgrenze, sondern davon ca. 2 m nach Süden abgerückt angebracht. In der unmittelbaren Nähe des Vorhabenstandorts sind auf den Grundstücken FlNr. 19 und 60 noch aktive landwirtschaftliche Betriebe ansässig. Der Ortsteil selbst ist – was sich auch anhand der noch vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe zeigt – dörflich geprägt und wurde erst im Zuge der Gemeindegebietsreform am 1. Januar 1972 eingemeindet. Er ist auch heute noch vom übrigen großflächigen Stadtgebiet der Beigeladenen durch Ackerflächen getrennt.
Das Gericht geht – trotz der bereits vorhandenen Werbung entlang des Straßenzugs an der H.-Straße – aufgrund der dörflichen Prägung des Ortes sowie der in der Ortsmitte gelegenen denkmalgeschützten Pfarrkirche davon aus, dass es sich hier um ein schützenswertes Ortsbild handelt, das eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit hat. Nach den Erkenntnissen des vom Gericht durchgeführten Augenscheins verleiht insbesondere die Pfarrkirche auf dem Grundstück FlNr. 30 dem Ortsbild einen besonderen Charakter und eine gewisse Eigenheit, die sich von dem normalerweise Üblichen abhebt und dem Ort bzw. Ortsteil eine besondere Prägung gibt. Die Errichtung der beantragten großflächigen Werbeanlage würde dieses Ortsbild beeinträchtigen. Das liegt zum einen am beabsichtigten Standort der Werbeanlage; denn das Vorhaben soll direkt an der straßenseitigen Grundstücksgrenze errichtet werden, sodass es wegen der nahezu geradlinigen Straßenführung eine beherrschende Stellung einnähme und selbst aus größerer Entfernung von Westen sichtbar wäre. Zudem bestünde im Falle der Errichtung bereits ab der Kreuzung O.-Straße/H.-Straße für die aus Westen kommenden Verkehrsteilnehmer eine unmittelbare Blickbeziehung zwischen der großflächigen Werbeanlage und dem Kirchturm der Pfarrkirche … … Zum Teil würde der Kirchturm in direkter Flucht zur Werbeanlage stehen und hinter der Werbeanlage „hervorragen“. Daher würde die großflächige Fremdwerbeanlage, die zumindest in dieser Form bisher an der H.-Straße ohne Beispiel ist, jedenfalls in Beziehung auf die Pfarrkirche als Fremdkörper wirken und das schützenswerte Ortsbild beeinträchtigen.
2. Die Klage hat auch im Hilfsantrag keinen Erfolg, weil die Klage diesbezüglich unzulässig ist.
Voraussetzung für die Erhebung einer Verpflichtungsklage ist grundsätzlich die erfolglose Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens. Dieses in § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO und §§ 68 Abs. 2, 75 Satz 1 VwGO („Antrag auf Vornahme des/eines Verwaltungsakts“) zum Ausdruck kommende Erfordernis dient der Verwirklichung des in Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG verankerten Grundsatzes der Gewaltenteilung, wonach die Verwaltungsgerichte dazu berufen sind, behördliche Entscheidungen über Bauanträge zu überprüfen, nicht dagegen, solche Entscheidungen unmittelbar selbst zu treffen. Auf ein vorausgehendes Verwaltungsverfahren kann daher grundsätzlich nicht verzichtet werden (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.2007 – 6 C 42/06 – BVerwGE 130, 39, juris Rn. 23; U.v. 31.8.1995 – 5 C 11/94 – BVerwGE 99, 158, juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 12.11.1979 – 14.B – 918/79 – BayVBl. 1980, 296; Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 42 Rn. 37; Schmidt-Kötters in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.10.2019, § 42 Rn. 56; Pietzcker in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 37. EL Juli 2019, § 42 Rn. 96, der das Erfordernis dem Rechtschutzbedürfnis zuordnet).
Dieser Grundsatz gilt aus Gründen der Verfahrensökonomie nicht uneingeschränkt, sodass es unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein kann, einen neuen (Bau-)Antrag ohne erneutes Verwaltungsverfahren in das gerichtliche Verfahren einzubeziehen. Im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz ist allerdings zu fordern, dass dabei der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt. Ferner sind die Besonderheiten des Baurechts zu berücksichtigen, wonach sich der Bauantrag nicht allein an die Genehmigungsbehörde richtet, sondern zunächst den Nachbarn und der Gemeinde vorzulegen ist, wobei deren Stellungnahmen rechtserhebliche Bedeutung haben können (vgl. Art. 64, Art. 66 BayBO und § 36 BauGB). Die Änderung eines Bauantrags kann daher nur dann unmittelbar in ein gerichtliches Verfahren einbezogen werden, wenn sie weder aus Sicht der Genehmigungsbehörde noch aus Sicht der Gemeinde und der nachbarlichen Interessen einen wesentlich neuen Streitstoff liefert. Wann es sich um einen wesentlich neuen Streitstoff handelt, kann dabei nicht allgemein, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Eine Änderung ist jedoch dann als wesentlich anzusehen, wenn sie geeignet ist, die Beurteilung des gesamten Vorhabens zu ändern, das heißt, wenn nicht auszuschließen ist, dass ein vorher unzulässiges Vorhaben aufgrund der Änderungen insgesamt zulässig geworden ist. Eine wesentliche Änderung wird häufig dann gegeben sein, wenn die planungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens durch die Änderung grundlegend berührt wird (vgl. BayVGH, U.v. 12.11.1979 – 14.B – 918/79 – BayVBl. 1980, 296; Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 42 Rn. 37). Das Bundesverwaltungsgericht hat diesbezüglich entschieden, dass es keines neuen Antragsverfahrens bedarf, wenn erstens der Betroffene die Änderung in einer ohne Weiteres prüfungsfähigen Weise anbietet, wenn zweitens die Änderung – bezogen auf die baurechtliche Beurteilung – nur untergeordnete Bedeutung hat und wenn drittens die zumindest prinzipielle Genehmigungsfähigkeit des geänderten Antrags nicht zweifelhaft ist (vgl. BVerwG, B.v. 14.1.1971 – IV B 101.70 – Buchholz 310 § 68 VwGO Nr. 9).
Die Voraussetzungen für eine derartige Ausnahme erfüllt der Hilfsantrag nicht. Gegenstand des Bauantrags vom 11. April 2017 war die Errichtung einer doppelseitigen Werbeanlage. Mit dem Hilfsantrag begehrt die Klägerin nunmehr die Genehmigung zur Errichtung einer einseitig genutzten Werbeanlage, nämlich der Westseite der Tafel. Darin ist eine nicht bloß unwesentliche Änderung oder Änderung von untergeordneter Bedeutung zu sehen, weil die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit durch die Änderung des Bauantrags grundlegend berührt wird. Wie bereits oben dargestellt (vgl. unter 1. b) bb)), ist ein wesentlicher Aspekt bei der Bejahung der Ortsbildbeeinträchtigung i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB der der unmittelbaren Blickbeziehung zwischen der Ostseite der geplanten großflächigen Werbeanlage und dem denkmalgeschützten Kirchturm. In Bezug auf die Westseite der Werbeanlage würde es an einer solchen Blickbeziehung fehlen. Daher ist die Änderung des Bauantrags hier geeignet, die Beurteilung des gesamten Vorhabens – insbesondere in Bezug auf § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB – zu ändern. Eine bloß unwesentliche Änderung oder Änderung von untergeordneter Bedeutung liegt nicht vor. Folglich bleibt es bei dem Grundsatz der Unentbehrlichkeit eines Verwaltungsverfahrens und damit der Unzulässigkeit der Verpflichtungsklage bezüglich des Hilfsantrags, weil die Klägerin vor dem gerichtlichen Verfahren noch keinen Antrag auf Errichtung einer einseitigen Werbeanlage bei der zuständigen Genehmigungsbehörde gestellt hat.
3. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Dabei entspricht es der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre Kosten selbst trägt, weil sie sich in Ermangelung einer eigenen Antragstellung ihrerseits auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben