Baurecht

Unzulässigkeit einer Wohnunterkunft für Arbeitnehmer und Selbständige im reinen Wohngebiet

Aktenzeichen  2 ZB 15.2630

Datum:
2.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 115867
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 14 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, § 31
BauNVO § 3 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Die Nutzung eines Gebäudes dergestalt, dass sich bei einer maximalen Belegung des Gebäudes mit 28 Personen drei Personen ein Zimmer teilen und für 28 Personen zwei Küchen und zwei Bäder zur Verfügung stehen, unterfällt nicht dem Begriff des Wohnens, denn es fehlt an der Möglichkeit der Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises, da keine Rückzugsmöglichkeit und daher keine selbstbestimmte Häuslichkeit mit Privatsphäre gegeben ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 15.1411 2015-09-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 40.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass der Kläger keinen Anspruch auf Genehmigung der Nutzungsänderung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Vorhaben steht die wirksame Veränderungssperre der Beklagten entgegen (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB).
Dem Verwaltungsgericht zufolge stehen die Ziele der Planung nicht in Widerspruch zu den im Plangebiet vorzufindenden tatsächlichen Verhältnissen. Der maßgebliche Umgriff sei das von H …straße, R …straße, B …straße und W …straße umschlossene Geviert exklusive des Grundstücks FlNr. … Das letztere Grundstück befinde sich in einer nach Südwesten ausgreifenden Ecke des Gevierts und sei mit seiner Bebauung optisch dem K …platz zugeordnet. Es vermöge daher in dem Geviert keine prägende Wirkung zu entfalten. Der Senat hält diese Einschätzung des Erstgerichts anhand der vorliegenden Lagepläne für vertretbar. Der Kläger rügt, dass das Verwaltungsgericht den maßgeblichen Umgriff zur Beurteilung der Umgebungsbebauung zu eng gefasst habe. So gehörten hierzu auch die Gebäude am K …platz. Es fehlt jedoch jegliche Darlegung, wieso die Einschätzung des Verwaltungsgerichts fehlerhaft sein sollte. Um der Darlegungspflicht des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zu genügen, muss sich der Kläger substanziell mit dem angefochtenen Urteil auseinandersetzen. Er muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahme ernstlichen Zweifeln begegnet. Daran fehlt es hier, weil sich der Kläger nicht mit den Argumenten, weshalb das fragliche Gebäude in dem Geviert keine prägende Wirkung zu entfalten vermag, auseinandergesetzt hat.
Ein Anspruch auf Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB besteht nicht. Es stehen überwiegende öffentliche Belange entgegen, weil das Vorhaben mit der beabsichtigten Festsetzung eines reinen Wohngebiets nicht vereinbar ist. Die beantragte Nutzung ist nicht als Wohngebäudenutzung nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zulässig, weil die Nutzungsart nicht den bauplanungsrechtli-chen Begriff des Wohnens erfüllt. Der Begriff des Wohnens ist durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts geprägt (vgl. BVerwG, B.v. 17.12.2007 – 4 B 54/07 – juris). An der Möglichkeit der Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises fehlt es, wenn keine Rückzugsmöglichkeit und daher keine selbstbestimmte Häuslichkeit mit Privatsphäre gegeben ist (vgl. BayVGH, U.v. 15.2.2015 – 1 B 13.648 – juris). Nach der Baubeschreibung soll das Vorhaben als eine Wohnunterkunft für Arbeitnehmer, Selbständige und Gastarbeiter betrieben werden. Nach den dem Bauantrag beiliegenden Eingabeplänen sind im Keller, Erdgeschoss sowie Obergeschoss des Gebäudes 10 Bereiche mit Wohnen/Schlafen dargestellt. Im Erdgeschoss sind zwei Küchen, im Untergeschoss ein WC und im Obergeschoss sind zwei Bäder vorgesehen. Gemeinschaftsräume sind in den Eingabeplänen nicht enthalten. Die Unterkunft kann maximal durch 28 Personen genutzt werden. Von den insgesamt 10 Zimmern sind 2 Durchgangszimmer, wobei ein Wohn-/Schlafbereich des Erdgeschosses im Treppenhaus liegt. Die Räumlichkeiten, die derart intensiv von Personen genutzt werden, die familiär nicht verbunden sind, ermöglichen keine selbstbestimmte Häuslichkeit mit Privatsphäre mehr. Soweit der Kläger einwendet, die Zimmer seien abschließbar, führt dies nicht dazu, dass bei mehrfach belegten Zimmern eine Rückzugsmöglichkeit vorhanden ist. Bei einer maximalen Belegung des Gebäudes mit 28 Personen teilen sich drei Personen ein Zimmer. Es stehen für 28 Personen zwei Küchen und zwei Bäder zur Verfügung. Diese Art der Unterbringung bietet den Arbeitnehmern, Selbständigen oder Gastarbeitern keinen auf Dauer angelegten Wohnungsersatz. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass Gemeinschaftsräume, wie sie derzeit tatsächlich offensichtlich vorhanden sind, in den Eingabeplänen nicht enthalten sind.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die beabsichtigte Nutzung der eines Wohnheims, das in einem reinen Wohngebiet zulässig sei, gleichstünde. Die Einzelheiten der Nutzung seien vorliegend durch die von der Mieterin des Klägers verfügte Hausordnung und die Zimmerordnung festgelegt, die Ruhezeiten, Kochzeiten in der Küche und Waschzeiten sowie die Untersagung von Heizgeräten und des Kochens in den Zimmern regele. Der Kläger verkennt jedoch, dass Wohnheime im reinen Wohngebiet nur dann als Wohngebäude einzuordnen sind, wenn sie einem dauernden Wohnen im Sinn einer Häuslichkeit dienen (vgl. Stange, BauNVO, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 29; Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 3 Rn. 11). Wie oben dargelegt, fehlt es daran. Das Vorhaben musste auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer sogenannten wohnähnlichen Nutzung in einem reinen Wohngebiet ausnahmsweise nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB zugelassen werden. Das Erstgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Wohnähnlichkeit eines Vorhabens in der Rechtsprechung ein Gesichtspunkt nicht für die Zulässigkeit eines Vorhabens, sondern für dessen Unzulässigkeit in einem bestimmten Baugebiet war. Soweit der Kläger eine Befreiung nach § 31 BauGB für sich in Anspruch nimmt, hat er das Vorliegen der Voraussetzungen bereits nicht hinreichend dargelegt.
Der Kläger nimmt auf § 31 BauGB Bezug und macht geltend, es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Erteilung einer Befreiung nach § 31 BauGB nicht ermessensgerecht gewesen wäre. Diesbezüglich fehlt es schon an einer hinreichenden Darlegung des Vorliegens der Voraussetzungen der Vorschrift.
Aus den dargelegten Gründen hat das Verwaltungsgericht zutreffend auch den hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag als unbegründet angesehen. Das Vorhaben war bauplanungsrechtlich unzulässig, weil die beantragte Nutzung in dem bestehenden faktischen reinen Wohngebiet nicht zulässig war.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet auch hinsichtlich der Nutzungsuntersa-gung keinen ernstlichen Zweifeln. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ist aus den dargelegten Gründen nicht gegeben.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), denn sie verursacht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigenden Schwierigkeiten. Es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2000 – 23 ZB 00.643 – juris). Vielmehr ist der Rechtsstreit im tatsächlichen Bereich überschaubar und die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt. Im Rahmen dieses Zulassungsgrunds ist nicht die Richtigkeit des Ersturteils Gegenstand der Zulassungsentscheidung, sondern die mögliche „abstrakte“ Fehleranfälligkeit wegen der besonderen Schwierigkeiten der Fallbehandlung (vgl. Berkemann, DVBl 1998, 446). Diese ist nach Auffassung des Senats vorliegend nicht gegeben. Die Einordnung des vorhandenen Baugebiets in eine Gebietskategorie der Baunutzungsverordnung wirft vorliegend keine besonderen Schwierigkeiten auf. Gleiches gilt für die Frage, ob einem Wohnheim vergleichbare wohnähnliche Nutzungen in einem reinen Wohngebiet zulässig sind. Die Frage, ob es sich bei der beantragten Nutzung um ein Wohnen im Sinn des § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO handelt und ob die beantragte Nutzung gegebenenfalls im Wege der Ausnahme genehmigungsfähig ist, begründet noch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten. Im Übrigen wird auf die Ausführungen unter Ziff. 1. verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.


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