Baurecht

Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, Baugenehmigung, Mobilfunkanlage, Nachbarklage

Aktenzeichen  15 CS 21.3210

Datum:
26.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1945
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 6 S 21.1433 2021-11-25 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als Grundstücksnachbar gegen die der Beigeladenen zum Zweck der Mobilfunkversorgung erteilte Baugenehmigung zur „Errichtung einer Funkübertragungsstelle mit einem Stahlgittermast“ (Bescheid des Landratsamts vom 21.10.2020). Im Bescheid wurde u.a. eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften in Richtung des Nachbargrundstücks des Antragstellers erteilt.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 25. November 2021 den sinngemäß gestellten Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 VwGO) der gegen die Baugenehmigung erhobenen Klage (RN 6 K 20.2864) und den ebenfalls gestellten Antrag auf Erlass einer auf bauaufsichtliches Einschreiten (vorläufige Stilllegung von Bauarbeiten bzw. Unterlassung weiterer Bauausführung und Untersagung der Nutzungsaufnahme) gerichteten einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) abgelehnt. Zwar seien die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Baugenehmigung wegen „Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht“ als offen einzuschätzen. So habe die Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung noch nicht vorgelegen, so dass die „Einhaltung des Bestimmtheitsgebotes“ im Hinblick auf die „Immissionsbetroffenheit“ der Nachbarn des Bauvorhabens im Hauptsacheverfahren zu klären sei. Außerdem sei die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO durch das Bauvorhaben (mit einer Höhe von 40 m und einer Breite und Tiefe von jeweils 1,50 m) bzw. die hiervon erteilte Abweichung (Art. 63 BayBO) im Hauptsacheverfahren näher zu prüfen. Gleichwohl gehe im Hinblick auf die überwiegenden Interessen am Vollzug der Baugenehmigung die gebotene Interessenabwägung vorliegend zulasten des Antragstellers aus. Der auf bauaufsichtliches Einschreiten gerichtete Antrag des Antragstellers (§ 123 VwGO) sei bereits „teilweise unzulässig“ (im Hinblick auf die begehrte Einstellung der Bauarbeiten), da der Funkmast bereits am 29. Juli 2021 „vollständig fertiggestellt worden“ sei. Er sei im Übrigen auch unbegründet (hinsichtlich der begehrten Nutzungsuntersagung), da aufgrund der mittlerweile erteilten Standortbescheinigung vom 7. Januar 2021 eine unzumutbare Immissionsbelastung der Nachbargrundstücke außerhalb der konkret benannten Sicherheitsabstände „aller Voraussicht nach nicht gegeben“ sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel im Wesentlichen weiter. An dem Antrag auf Einstellung der Bauarbeiten werde „nicht mehr festgehalten“. Es werde jedoch weiterhin begehrt, „jede etwaige Nutzung vorläufig zu untersagen“. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts müsse beim Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Baugenehmigung erhobenen Klage (§ 80 Abs. 5 VwGO) wegen der „Unbestimmtheit“ der Baugenehmigung im Hinblick auf die „Immissionsbetroffenheit“ des Antragstellers und wegen der offenen Frage, „ob durch das streitgegenständliche Bauvorhaben die Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 BayBO eingehalten werden“ die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausfallen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 29. Dezember 2021 verwiesen.
Der Antragsgegner widersetzt sich dem Vorbringen des Antragstellers. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Landesanwaltschaft Bayern vom 14. Januar 2022 verwiesen.
Die Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem Verfahren sowie im Klageverfahren (RN 6 K 20.2864) und auf die Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine vom angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts abweichende Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Baugenehmigung erhobenen Klage (§ 80 Abs. 5 VwGO) sowie den ebenfalls gestellten Antrag auf Erlass einer auf bauaufsichtliches Einschreiten gerichteten einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) zu Recht abgelehnt.
a) Die gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung gerichteten Einwände des Antragstellers sind schon nicht hinreichend substantiiert. Der Antragsteller setzt insoweit lediglich seine eigene Wertung an die Stelle der vom Verwaltungsgericht getroffenen Würdigung der Sach- und Rechtslage. Unabhängig davon weist der Senat darauf hin, dass die von der Funkstrahlung des Mobilfunkmasts ausgehenden schädlichen Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Baugenehmigungsbehörde nicht zu prüfen sind. Die immissionsschutzfachlichen und gesundheitlichen Auswirkungen der Funkanlagen des Mobilfunkmastes auf die Nachbarschaft sind der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV) unterworfen. Erst nach Erteilung der sog. Standortbescheinigung darf der Betrieb einer solchen Anlage aufgenommen werden (§ 4 Abs. 1 BEMFV). Die vom Antragsteller – und auch vom Verwaltungsgericht – angenommene „Immissionsbetroffenheit“ ist deshalb nicht von der Bauaufsichtsbehörde, sondern von der hierfür ausschließlich zuständigen Bundesnetzagentur zu prüfen. Die Standortbescheinigung stellt der Sache nach eine Bescheinigung über die Zulässigkeit des Betriebs einer bestimmten Funkanlage an einem bestimmten Standort dar und hat die Funktion einer Freigabe des Betriebs; sie darf nur unter den Voraussetzungen des § 5 BEMFV erteilt werden. Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung und Standortbescheinigung entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, da die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2021 – 1 CS 21.2410 – juris Rn. 16 m.w.N.). Entgegen der Annahme des Antragstellers – und auch des Verwaltungsgerichts – leidet die angefochtene Baugenehmigung somit nicht deshalb an einem Mangel der Unbestimmtheit im Hinblick auf die „Immissionsbetroffenheit“ der Nachbarn des Bauvorhabens, weil zum Zeitpunkt der Baugenehmigung die Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur für das Bauvorhaben noch nicht erteilt worden war.
Im Übrigen ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung zulasten des Antragstellers trotz der im Hauptsacheverfahren noch abschließend vorzunehmenden Prüfung der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften bzw. der Rechtmäßigkeit der erteilten Abweichung hiervon schon deshalb im Ergebnis nicht zu beanstanden, weil nach vollständiger Fertigstellung des Bauvorhabens – die auch vom Antragsteller nicht bestritten wird – das Rechtsschutzbedürfnis für einen Eilrechtsbehelf gegen die Baugenehmigung regelmäßig entfällt, soweit sich dieser Eilrechtsbehelf gegen Beeinträchtigungen zur Wehr setzt, die von der Errichtung der baulichen Anlage als solcher – also vom Baukörper selbst – ausgehen. Denn das mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage verbundene Ziel, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, ist nach Fertigstellung der baulichen Anlage in Bezug auf Art. 6 BayBO nicht mehr zu erreichen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 11.1.2022 – 15 CS 21.2913 – juris Rn. 28 m.w.N.).
b) Dem auf bauaufsichtliches Einschreiten gerichteten Antrag des Antragstellers (§ 123 VwGO) ist ebenfalls nicht zu entsprechen. Der Senat folgt insoweit den Gründen des angefochtenen erstinstanzlichen Beschlusses (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Der Antragsteller legt auch im Beschwerdeverfahren nicht dar, weshalb er entgegen der von der Bundesnetzagentur erteilten Standortbescheinigung infolge der Nutzung des Bauvorhabens konkreten schädlichen (und damit nach Maßgabe des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme für den Antragsteller unzumutbaren) Umwelteinwirkungen ausgesetzt sein sollte.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene trägt billigerweise ihre außergerichtlichen Kosten selbst, weil sie im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.1.1, 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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