Baurecht

Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, Baugenehmigung, Mobilfunkanlage, Nachbarklage

Aktenzeichen  15 CS 21.398

Datum:
22.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10971
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 5 S 20.2755 2021-01-11 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur „Errichtung eines 35 m – Schleuderbetonmastes mit 3 m – Stahlrohraufsatz und zwei Plattformen sowie Outdoortechnik auf Bodenplatte“ (Bescheid des Landratsamts vom 11.5.2020). Das Vorhaben dient der Nutzung als Mobilfunksendeanlage und befindet sich im Außenbereich (§ 35 BauGB).
Die Antragstellerin zu 1 ist Eigentümerin eines benachbarten unbebauten Ackergrundstücks (ca. 150 m vom Standort der Mobilfunksendeanlage entfernt). Beide Antragsteller sind außerdem Miteigentümer eines weiteren benachbarten landwirtschaftlich genutzten Grundstücks (ca. 190 m vom Standort der Mobilfunksendeanlage entfernt). Ihr am Ortsrand liegendes Wohngrundstück ist etwa 410 m vom Standort der Mobilfunksendeanlage entfernt.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg hat mit Beschluss vom 11. Januar 2021 den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 VwGO) der gegen die Baugenehmigung erhobenen Klage (Au 5 K 20.980) abgelehnt. Die Antragsteller seien durch die Baugenehmigung nicht in eigenen Rechten verletzt. Sie würden durch das Vorhaben auch keinen schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt. Die von der Bundesnetzagentur vor Betrieb der Mobilfunkanlage nach Maßgabe der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV) zu erteilende und als weiterer Verwaltungsakt selbstständig anfechtbare Standortbescheinigung stelle sicher, dass die nach der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) geltenden Grenzwerte durch entsprechende Sicherheitsabstände der Anlage (auch) zu den Grundstücken der Antragsteller eingehalten werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.
Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihr Rechtsschutzziel weiter. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten der Antragsteller vom 19. Februar 2021, 22. Februar 2021, 10. März 2021 und 8. April 2021 verwiesen.
Die Antragsgegnerin widersetzt sich im Beschwerdeverfahren dem Vorbringen der Antragsteller. Die Beschwerde sei bereits unzulässig, weil den Antragstellern das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehle. Die streitgegenständliche Mobilfunkanlage sei mittlerweile bereits vollständig errichtet. Soweit sich die Antragsteller gegen den Betrieb der Mobilfunkanlage wendeten, müssten sich die Antragsteller – was sie auch getan hätten – gegen die Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur wenden. Im Übrigen sei die Beschwerde jedenfalls unbegründet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Landesanwaltschaft Bayern vom 17. März 2021 verwiesen.
Die Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem Verfahren sowie im Klageverfahren (Au 5 K 20.980) und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Vorbringen der Antragsteller im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine vom angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts abweichende Entscheidung. Dabei kann offenbleiben, ob der Beschwerde bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil die Mobilfunkanlage zwischenzeitlich errichtet ist. Denn das Verwaltungsgericht hat jedenfalls aufgrund der im Eilverfahren vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Interessen den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat folgt den ausführlichen Gründen des erstinstanzlichen Beschlusses (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Lediglich ergänzend ist zu bemerken:
Die Einwände der Antragsteller im Beschwerdeverfahren richten sich im Wesentlichen gegen den beabsichtigten Betrieb der Mobilfunksendeanlage, bei der es sich – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist – um eine immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Anlage handelt (§§ 22 ff. BImSchG). Diesen Einwänden ist im Eilverfahren jedoch das von den Antragstellern im Rahmen der Interessenabwägung gewünschte (erhöhte) Gewicht nicht beizumessen.
a) Soweit die Antragsteller bemängeln, dass die Mobilfunksendeanlage nach gegenwärtiger Rechtslage (nur) eine immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Anlage ist und der Gesetzgeber bisher „ignoriert“ habe, dass mit jeder neuen Mobilfunkgeneration (insbesondere durch die neue 5G-Technologie) die Strahlenbelastung (flächendeckend) steige und es in Anbetracht „der Dimension der Umwelteinwirkungen“ durch das Gesamtnetz deshalb – um die Grundrechte potenziell betroffener Bürger „durch Organisation und Verfahren“ zu wahren – einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht im Rahmen eines Gesamtkonzepts „für den Bereich Digitalisierung“, ähnlich „dem Gentechnikgesetz oder dem Atomgesetz“ bedürfe, bei der die einzelne Mobilfunksendeanlage nicht mehr isoliert betrachtet, sondern vielmehr die (schnell wachsende) Gesamtbelastung durch das (flächendeckend gewollte) Gesamtnetz in den Blick zu nehmen sei, weisen sie auf das komplexe Problem der durch den technischen Fortschritt entstehenden vielfältigen Konflikte hin, die gesamtgesellschaftlich zu diskutieren und letztlich durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber einer allgemein (im wesentlichen) akzeptierten Lösung zuzuführen sind. Im gerichtlichen Eilverfahren, bei dem lediglich die widerstreitenden Interessen der jeweiligen Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind, ist jedoch nicht erkennbar, weshalb im Hinblick auf die genannte gesamtgesellschaftlich geführte und zu führende Diskussion den Interessen der Antragsteller am Nichtvollzug der streitgegenständlichen Baugenehmigung der Vorrang vor den gegenläufigen Interessen der Beigeladenen einzuräumen wäre, zumal es im Bauordnungsrecht grundsätzlich keinen subjektiv-öffentlichen Anspruch des Nachbarn auf Einhaltung des „richtigen“ Genehmigungsverfahrens in Bezug auf ein Bauvorhaben gibt und somit allein durch die Wahl eines „falschen“ Genehmigungsverfahrens keine Nachbarrechte verletzt sein können (vgl. z.B. Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand Februar 2021, Art. 66 Rn. 288 m.w.N.).
b) Den Befürchtungen der Antragsteller, schädlichen (unzumutbaren) Umwelteinwirkungen ausgesetzt zu sein, ist im Rahmen der gerichtlichen Interessenabwägung ebenso kein von der Wertung des Verwaltungsgerichts abweichendes höheres Gewicht einzuräumen. Die Antragsteller weisen darauf hin, die Bundesnetzagentur prüfe im Standort-Bescheinigungsverfahren „lediglich rechnerisch“ die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV. Diese Grenzwerte bezögen sich indes lediglich auf thermische Schädigungswirkungen, hingegen seien nicht-thermische Schädigungswirkungen und Langzeitschädigungen ebenso wenig erfasst wie der „Schutz der Umwelt (Flora, Fauna, Klima etc.)“, obwohl auch dort Schädigungswirkungen durch elektromagnetische Strahlenfelder wissenschaftlich nachgewiesen seien. Zu elektromagnetischen Strahlenfeldern im Hochfrequenzbereich lägen außerdem aufgrund neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen ebenfalls hinreichende Nachweise dafür vor, dass bereits „weit unterhalb der Grenzwerte der 26. BImSchV besorgniserregende gesundheitliche Schädigungswirkungen“ (z.B. erhöhtes Krebsrisiko) eintreten. Zur Gefährlichkeit der neuen 5G-Technologie gebe es ohnehin „kaum wissenschaftliche Untersuchungen“. Ferner seien die zum Bauvorhaben erteilten Standortbescheinigungen (vom 22.10.2019 und vom 11.5.2020, letztere im Hinblick auf zusätzlich geplante Funkantennen) nichtig bzw. rechtswidrig, weil dem Gesetzgeber bei der Ersetzung der Rechtsgrundlage für die Standortbescheinigung „gravierende handwerkliche Fehler“ unterlaufen seien.
Dieses Vorbringen legt jedoch nicht dar, weshalb die Antragsteller, deren Grundstücke sich weit außerhalb des für Hochfrequenzanlagen nach der 26. BImSchV zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen errechneten Einwirkungsbereichs befinden, gleichwohl konkreten schädlichen (und damit nach Maßgabe des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme für die Antragsteller unzumutbaren) Umwelteinwirkungen ausgesetzt sein sollen. Der Umstand, dass die wissenschaftliche Diskussion zu schädlichen Umwelteinwirkungen anhält, der Gesetzgeber daraus jedoch noch keine Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine Änderung der gegenwärtig geltenden Gesetzeslage gezogen hat, rechtfertigt – trotz der von den Antragstellern im Hinblick auf etwaige betroffene Grundrechte geforderten „notwendigen Unterscheidung von rechtlicher und naturwissenschaftlicher Kausalität“ – nicht die Annahme, die von den Antragstellern im gerichtlichen Verfahren aufgezeigten Risiken (insbesondere Gesundheitsgefährdungen) müssten schon dann, wenn sie nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, zu einem Erfolg des Eilantrags führen.
Im Übrigen ist in der Rechtsprechung – soweit ein Verstoß gegen das nachbarschützende bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird – geklärt, dass zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Gebots der Rücksichtnahme auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückzugreifen ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 4.12.2019 – 15 CS 19.2048 – juris Rn. 23 m.w.N.) und die 26. BImSchV hinsichtlich elektromagnetischer Felder die Anforderungen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen und zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen konkretisiert und die dort festgelegten Grenzwerte von Rechts wegen unverändert nicht zu beanstanden und verfassungsgemäß sind (vgl. zuletzt z.B. BVerwG, U.v. 12.11.2020 – 4 A 13/18 – juris Rn. 44 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 26.6.2019 – 4 A 5/18 – juris Rn. 87 m.w.N.; BVerwG, U.v. 17.12.2013 – 4 A 1/13 – juris Rn. 49 ff. m.w.N.; vgl. ferner BayVerfGH, E.v. 18.3.2020 – Vf. 17 – VII – 18 – BayVBl 2020, 372 ff. = juris Rn. 41 ff. m.w.N.).
c) Schließlich greift auch der Einwand der Antragsteller, eine immissionsschutzrechtliche Prüfung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BImSchG sei vorliegend unterblieben, nicht durch. Nach Maßgabe dieser Regelung sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG) und ferner so zu errichten und zu betreiben, dass nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG). Dieses „Vermeidungs- und Minimierungsgebot“ gebiete nach Ansicht der Antragsteller etwa den (vorrangigen) Ausbau des Glasfasernetzes (anstelle der Mobilfunksendeanlagen) oder ein „nationales Roaming“, bei dem einzelne Mobilfunkbetreiber ihr jeweiliges Funknetz auch anderen Mobilfunkbetreibern zur Verfügung stellen, um eine Mehrfachbelastung durch mehrere (jeweils flächendeckende) Betreibernetze zu vermeiden. Auch insoweit legen die Antragsteller jedoch nicht dar, weshalb ihnen durch die streitgegenständliche Mobilfunksendeanlage konkrete schädliche (unzumutbare) Umwelteinwirkungen drohen, denen durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Baugenehmigung erhobenen Klage begegnet werden müsste.
d) Bei der Interessenabwägung kann im Übrigen nicht außer Betracht bleiben, dass für den Fall, dass infolge des Betriebs der streitgegenständliche Mobilfunksendeanlage (künftig) tatsächlich schädliche (unzumutbare) Umwelteinwirkungen zu befürchten sind, jederzeit ergänzende behördliche immissionsschutzrechtliche Anordnungen im Einzelfall getroffen werden können (§ 24 BImSchG). Auch diese unverändert fortbestehende Möglichkeit des behördlichen Eingriffs zur Gefahrenabwehr und zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen spricht dagegen, im vorliegenden – allein gegen die Baugenehmigung gerichteten – Eilverfahren den Interessen der Antragsteller den Vorrang vor den Interessen der beigeladenen Mobilfunkbetreiberin am Vollzug der Baugenehmigung einzuräumen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Beigeladene trägt billigerweise ihre außergerichtlichen Kosten selbst, weil sie im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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