Baurecht

Verhältnis von Vorbescheid und nachfolgender Baugenehmigung, Gebot der Rücksichtnahme bei Einsichtmöglichkeiten (verneint)

Aktenzeichen  AN 3 K 21.00664

Datum:
11.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13301
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des jeweiligen Verfahrens als Gesamtschuldner.
2. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind unbegründet, da sowohl der Vorbescheid (1.) als auch die folgende Baugenehmigung (2.) in für Drittschutz relevanten Aspekten rechtmäßig sind und die Kläger insofern nicht in eigenen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Kläger als Dritte können sich mit ihrer Anfechtungsklage nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen einen Vorbescheid oder eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig sind sowie die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Dritten zu dienen bestimmt ist (sog. Schutznormtheorie, vgl. u.a. BayVGH, B.v. 30.7.2021 – 1 CS 21.1506 – juris Rn. 9 m.w.N.).
1. Die Klage gegen den Vorbescheid bleibt ohne Erfolg, da die dort erteilten Befreiungen nicht in einem drittschützenden Aspekt rechtswidrig sind.
Regelungsgegenstand eines baurechtlichen Vorbescheids sind nach Art. 71 Satz 1 BayBO einzelne Fragen des Bauvorhabens. Der Vorbescheid entwickelt als „vorweggenommener Teil der Baugenehmigung“ innerhalb seines Regelungsgegenstands Bindungswirkung für das spätere Baugenehmigungsverfahren. Veränderungen der Planung zwischen der Erteilung des Vorbescheids und der Baugenehmigung („Tekturen“) heben die Bindungswirkung jedoch wieder auf, es sei denn die Veränderungen an der Planung sind geringfügig in dem Sinne, dass Genehmigungsfragen nicht erneut und rechtserheblich aufgeworfen werden (BVerwG, B.v. 10.10.2005 – 4 B 60/05 – juris Rn. 3 ff. = BauR 2006, 481; BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 7 ff.).
Für die vorliegende Drittanfechtungsklage kommt es nur auf die Fragen 1 und 2 des Vorbescheidverfahrens an, welche eine Befreiung vom Bebauungsplan Nr. 1 der Gemeinde für die Ausweisung von Flächen für Garagen (Frage 1) und den festgesetzten Baugrenzen (Frage 2) regeln. Soweit auch die Verlagerung der Stellplätze (Frage 3) angesprochen ist, ist nicht erkennbar, dass die Realisierung der Stellplätze vor dem Haus irgendwelche über Fragen 1 und 2 hinausgehenden drittschützenden Aspekte aufwirft. Im Hinblick auf die „bauplanungsrechtliche Zulässigkeit im Übrigen“ (Frage 4) ist für das Gericht schon nicht klar, ob diese Frage überhaupt im Vorbescheid geregelt werden sollte. Jedenfalls, könnte diesbezüglich auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung (2.) verwiesen werden, weshalb auch hier keine Rechtsverletzung der Kläger zu sehen ist.
1.1 Für die Frage des Rechtsschutzes Dritter gegen Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB kommt es zunächst darauf an, ob die Festsetzung des Bebauungsplans, von der befreit werden soll, selbst drittschützenden Charakter hat (BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 21 = NVwZ-RR 2020, 960). Bei drittschützenden Festsetzungen kommt dem Nachbarn ein Vollüberprüfungsanspruch der Voraussetzungen von § 31 Abs. 2 BauGB mit der Folge zu, dass jeder Verstoß gegen Tatbestandselemente des § 31 Abs. 2 BauGB zum Erfolg der Klage führt (BayVGH, B.v. 28.1.2019 – 15 ZB 17.1833 – juris Rn. 2 m.w.N.). Bei Befreiungen von nicht drittschützenden Festsetzungen kommt den Nachbarn lediglich der Anspruch auf „Würdigung der nachbarlichen Belange“ zu, was auf einen Anspruch auf Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme hinausläuft (BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris Rn. 5 m.w.N. = NVwZ-RR 1999, 8). Weitergehende Ansprüche im Fall nicht drittschützender Festsetzungen, insbesondere einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung im Übrigen, hat der Nachbar nicht (BVerwG a.a.O.).
Drittschutz ist immer dann anzunehmen, wenn die Festsetzung in ein wechselseitiges (nachbarliches) Austauschverhältnis gestellt (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 – juris Rn. 15 m.w.N. = BVerwGE 162, 363) und damit vergleichbar einem Gebietserhaltungsanspruch eine „bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft“ gebildet werden sollte. Ob eine Festsetzung drittschützende Wirkung hat oder nicht, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei auf die konkrete Anordnung von Drittschutz in der Festsetzung, auf die Begründung des Plans, Unterlagen des Aufstellungsverfahrens oder die Bewertung des Zusammenhangs der Festsetzungen abgestellt werden kann (BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23 = NVwZ-RR 2020, 960).
Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung im Regelfall keinen Drittschutz vermitteln sollen, sondern aus gestalterischen Gründen geregelt werden (BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 4 = BayVBl 2015, 170; B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23 m.w.N. = NVwZ-RR 2020, 961). Insbesondere Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche wie Baugrenzen sind regelmäßig nicht drittschützend (BayVGH, B.v. 5.8.2019 – 9 ZB 16.1276 – juris Rn. 5).
Ein Drittschutz der hier maßgeblichen zeichnerischen Festsetzung der Flächen für Garagen (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 BauGB) und der Baugrenzen (§ 23 BauNVO) ist weder von der Klägerseite behauptet noch sonst irgendwie ersichtlich. Die Aufstellung des Bebauungsplans erfolgte schon ausweislich der Begründung von 1973 aus dem Motiv heraus, das bestehende Ortsbild zu regeln, da der Ort „recht willkürlich gewachsen“ sei und das „Massengefüge“ störe. Selbst bei Aufstellung der „städtebaulichen Leitlinie“ zur Befreiungspraxis im Jahr 2010, welche ausdrücklich nicht zu einer förmlichen Änderung des Bebauungsplans führte, spielte die Frage eines wechselseitigen Austauschverhältnisses keine Rolle.
1.2 Damit kommt den Klägern nur ein Anspruch auf Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme im Sinne der Würdigung nachbarlicher Belange zu. Eine Verletzung dessen durch die Befreiungen ist nicht ersichtlich, wobei die folgenden Erwägungen für beide Befreiungen gleichermaßen tragen.
1.2.1 Soweit die Klägerseite schon schriftsätzlich den Verlust eines „Gebietscharakters“ wegen der Aufweichung der aus paarweise angeordneten Kettenhäusern bestehenden Struktur oder den Verlust der „Gebietsfunktion“ wegen der Zunahme der (immer noch eingehaltenen) Grundflächenzahl annimmt, kann das Gericht schon keine subjektiv-rechtliche Position der Kläger erkennen. Inwiefern es sich dabei um „nachbarliche Belange“ im Sinne des Gebots der Rücksichtnahme handelt, verbleibt unklar. Allenfalls im Rahmen eines Gebietsprägungserhaltungsanspruchs (dazu 2.4) könnten solche Quantitätsaspekte eventuell relevant werden.
1.2.2 Im Hinblick auf den gerügten Verlust eines Baumes, der scheinbar als Schutz gegen Lichtimmissionen durch die Straßenbeleuchtung wirkt, ist zum einen anzumerken, dass der Verlust des Wurzelwerks auf dem Grundstück des Beigeladenen zivilrechtlich gedeckt (§ 910 BGB) und im Rahmen einer Baugenehmigung kein Prüfungsaspekt ist (Art. 68 Abs. 5 BayBO). Selbst wenn der Baum öffentlich-rechtlich geschützt wäre, käme diesem Schutzaspekt keine drittschützende Funktion zu (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 9 ZB 18.912 – juris Rn. 8). Die befürchteten Lichtimmissionen gingen – wenn überhaupt – von der öffentlichen Straßenbeleuchtung aus, worauf schon der Beigeladene zu Recht hingewiesen hat. Der Zusammenhang zum Bauvorhaben ist damit rein mittelbar.
1.2.3 Zum genannten Aspekt der Verschattung des Kellerraumes bleibt das Vorbringen ebenfalls erfolglos. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Abstandsflächen, welche die Belichtung des Nachbarn sicherstellen sollen, eingehalten sind und deswegen eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme diesbezüglich regelmäßig ausscheidet (BayVGH, B.v. 24.11.2021 – 2 CS 21.2600 – juris Rn. 8 m.w.N.). Dies gilt auch nach der Verkürzung der Abstandsflächen durch Art. 6 Abs. 5 BayBO n.F. (BayVGH a.a.O.).
Darüber hinaus befindet sich der Kellerraum aktuell 8 m von der östlichen Außenmauer des durch den Beigeladenen geplanten Anbaus entfernt. Der Anbau hat lediglich eine Höhe von 3,60 m und ist mit einem Flachdach genehmigt. Eine substantielle Verschattung, welche trotz Einhaltung der Abstandsflächen ausnahmsweise eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme bewirken könnte, ist abwegig. Im Übrigen ist ein Kellerraum per se einer größeren Verschattung ausgesetzt, weshalb üblicherweise erwartet werden kann, dass dort kein Hauptaufenthaltsraum eingerichtet wird.
1.2.4 Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – NVwZ 1989, 1060 = juris Rn. 7). In bebauten innerörtlichen Bereichen (wie hier) gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in andere Grundstücke und Gebäude genommen werden kann. Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen daher kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt, allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme etwas anderes ergeben (BayVGH, B.v. B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 – BeckRS 2019, 7160 Rn. 12 ff.). Dem Nachbarn ist es insbesondere dann, wenn die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO eingehalten sind, grundsätzlich zuzumuten, seine Räumlichkeiten, in die potenziell vom Bauherren aus eingesehen werden könnte, durch in Innerortslagen typische Sichtschutzeinrichtungen, wie z.B. Vorhänge, Jalousien o.ä., vor ungewollter Einsichtnahme zu schützen (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 19 m.w.N. = BayVBl 2020, 273). Jedenfalls wäre notwendig, dass der Nachbar darlegt, inwiefern durch die Realisierung neue, vorher nicht vorhandene Einsichtsmöglichkeiten für besonders geschützte Bereiche geschaffen werden, die über das normale, in Innerortslagen zu erwartende Maß weit hinausgehen (BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris Rn. 26).
Vorliegend ist hierfür nichts ersichtlich. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Abstandsflächen unbestritten eingehalten sind und der tatsächliche Abstand zwischen dem Anbau des Beigeladenen und dem Gebäude der Kläger 8 m beträgt. Neue Einsichtsmöglichkeiten werden seitens des Beigeladenen nur durch die Schaffung zweier Schlafzimmerfenster und eines Badfensters in seinem Anbau geschaffen. Alle übrigen Einsichtsmöglichkeiten bestanden auch schon vorher. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das von den Klägern befürchtete „Entlanggehen an der Grundstücksgrenze“ im Sinne eines neuen „Verkehrswegs“.
Vom Schlafzimmer des Beigeladenen bzw. von seinem neuen Badezimmer mag man aus einem anderen Winkel auf das Gebäude der Kläger sehen. Letztlich blickt der Beigeladene ausweislich der Aussagen der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung auf ein „Treppenhaus“ mit anschließenden Fluren. Diese Bereiche genießen keinen besonderen Schutz mangels Bestimmung zum dauerhaften Aufenthalt. Dass man eventuell bei geöffneten Türen in weitere Bereiche (wie Schlafzimmer) blicken kann, können die Kläger durch zumutbare und einfachste Mittel (geschlossene Türen) verhindern. Die Hauptaufenthaltsbereiche der Kläger sind ebenso wie die sensiblen Blickbeziehungen im Übrigen offensichtlich nach Süden hin situiert und können vom Anbau des Beigeladenen nicht eingesehen werden.
Insofern bleibt die Klage gegen den Vorbescheid ohne Erfolg.
2. Auch die Klage gegen die Baugenehmigung bleibt ohne Erfolg, da auch insofern keine drittschützenden Belange verletzt wurden. Im Hinblick auf diese sind folgende Erwägungen in Ergänzung zu obigen (1.) Ausführungen relevant.
2.1 Der Vorbescheid entwickelt grundsätzlich eine Bindungswirkung für die nachfolgende Baugenehmigung. Geringfügige „Tekturen“ zwischen Erteilung des Vorbescheids und der Erteilung der Baugenehmigung lassen die Bindungswirkung nicht entfallen (BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 7 ff.). Die Bindungswirkung muss im Falle eines nicht bestandskräftigen (weil etwa durch Klage angefochtenen) Vorbescheids im Wege einer konstitutiven Regelung – also eines Zweitbescheids – in der Baugenehmigung übernommen werden (BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 14/85 – juris Rn. 8 ff. = NVwZ 1989, 863; BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 1 CS 17.693 – juris Rn 5). Die Genehmigungsbehörde hat die Feststellungen des Vorbescheids nochmals inhaltlich zu prüfen und mit Regelungswirkung festzustellen, wobei immer noch eine Bindungswirkung (nur) der Behörde an das Ergebnis des angefochtenen Vorbescheids besteht (BVerwG a.a.O.). Eine rein redaktionelle Übernahme im Sinne einer „wiederholenden Verfügung“ ohne Feststellungswirkung reicht nicht.
Für das Gericht ist ersichtlich, dass das Landratsamt vorliegend gerade keinen Zweitbescheid, sondern eine wiederholende Verfügung getroffen hat, denn ausweislich Hinweis 7 des Genehmigungsbescheids vom 10. August 2021 wurden die Befreiungen „schon im Vorbescheid erteilt“. Im Übrigen wurden sie auch gegenüber dem Vorbescheid nicht nochmals tenoriert. Im Hinblick auf die Begründung Ziffer 2 wird klar, dass die Befreiungen auch nicht nochmal geprüft worden sind.
Dennoch ist dieser Aspekt für die Kläger irrelevant, da es auf diese Frage nur ankommen könnte, wenn der Vorbescheid rechtswidrig wäre. Ist der Vorbescheid – wie hier – rechtmäßig und nicht auf Klage der Nachbarn hin aufzuheben, hätte auch eine Regelung als Zweitbescheid in der Baugenehmigung keine Auswirkungen auf das Ergebnis der Klage gegen die Baugenehmigung gehabt.
Gleiches gilt auch für die Tatsache, dass die Lage des Anbaus scheinbar gegenüber dem Vorbescheidsverfahren geringfügig nach Süden verlagert wurde. Eine relevante, die Bindungswirkung durchbrechende „Tektur“, die die bauplanungs- oder bauordnungsrechtlichen Fragen erneut aufwirft, kann das Gericht hierin nicht erkennen.
2.2 Soweit im Übrigen ausführlich im Rahmen der Schriftsätze zu Fragen des gemeindlichen Einvernehmens der Standortgemeinde bzw. dessen Ersetzung vorgetragen wurde, bleibt hier nur auszuführen, dass höchstrichterlich geklärt ist, dass Fragen des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB dem klagenden Bürger keinen Drittschutz vermitteln (BVerwG, B.v. 7.5.1997 – 4 B 73/97 – juris Rn. 6 = NVwZ 1997, 991).
2.3 Ein Verstoß gegen die Abstandsflächen des Art. 6 BayBO ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch ein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, da es sich um einen Wohnanbau mit Stellplätzen in einem reinen Wohngebiet handelt.
2.4 Schließlich ist auch kein Verstoß gegen den Gebietsprägungserhaltungsanspruch ersichtlich.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Aus den Ausführungen im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 2002 (4 B 86.01 – NVwZ 2002, 1384 f.) zu § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ist teilweise der Schluss gezogen worden, das Bauplanungsrecht beinhalte neben dem Gebietserhaltungsanspruch, dem Abwehranspruch wegen Verletzung einer (sonstigen) drittschützenden Festsetzung des Bebauungsplans und dem Abwehranspruch wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots auch einen hiervon unabhängigen „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“, wonach ein Vorhaben, das im konkreten Baugebiet hinsichtlich der Nutzungsart an sich entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig ist, gleichwohl als gebietsunverträglich vom Nachbarn im (auch faktischen) Plangebiet abgewehrt werden können soll, wenn es der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebietstyps widerspreche, wenn es also – bezogen auf den Gebietscharakter des Baugebietes, in dem es verwirklicht werden soll – aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirke und deswegen gebietsunverträglich sei (BayVGH, B.v. 4.11.2009 – 9 CS 09.2422 – juris = juris Rn. 11 ff.; VG Neustadt a.d.W., U.v. 26.3.2019 – 5 K 1482/18.NW – Rn. 39, unter Verweis u.a. auf die Rechtsprechung des rheinland-pfälzischen OVG; Decker, JA 2007, 55 ff.; Stühler, BauR 2011, 1576/1579 f.; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5). Von anderer Seite wird demgegenüber die rechtliche Existenz eines eigenständigen bauplanungsrechtlichen „Gebietsprägungserhaltungsanspruchs“ angezweifelt und die vom Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2002 entwickelten Grundsätze als Maßgaben für die Anwendung des (nachbarschützenden) Rücksichtnahmegebots – etwa im Anwendungsbereich von § 31 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB (vgl. z.B. VG Ansbach B.v. 4.5.2015 – AN 9 S 15.00693 – juris Rn. 98) – verstanden (vgl. OVG Schleswig-Holst., B.v. 08.1.2018 – 1 MB 23/17 – juris Rn. 6 f.; Hofmann, BauR 2010, 1859 ff.; ebenso zweifelnd, i.E. offenlassend BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 7 ff.; B.v. 3.2.2014 – 9 CS 13.1916 – juris Rn. 13; B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – BayVBl 2019, 349 – juris Rn. 16).
Unabhängig von dieser Streitfrage kann ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (i. V. mit § 34 Abs. 2 BauGB) – sei es als eigenständiger Anspruch, sei es als Bestandteil des Rücksichtnahmegebots (mit dann zu fordernder „fühlbarer“ Beeinträchtigung des Nachbarn) – von vornherein nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gemäß §§ 2 bis 14 BauNVO (hier i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB) an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht. Für ein vom Kläger behauptetes (nachbar-) rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne müsste das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 16.03.1995 – 4 C 3.94 – NVwZ 1995, 899 = juris Rn. 17). Da es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift zur Art der baulichen Nutzung handelt, ist ein solcher Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets aber nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das Neubauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung im Einklang steht, genügt dafür nicht (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5; am Beispiel eines Asylbewerberheims vgl. auch OVG Rh-Pf, B.v. 08.12.2016 – 8 A 10680/16 – juris Rn. 11 f.).
Es ist vorliegend nicht ersichtlich, wie die von den Klägern gerügten Aspekte der GRZ-Zunahme, der Lage des Anbaus innerhalb der immer noch vorhandenen Kettenhausstruktur oder die „Verzahnung mit den umliegenden FFH-Gebieten usw.“ ein Umschlagen von Quantität in Qualität bewirken könnten. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass diese Aspekte auch tatsächlich als Rüge des Maßes der baulichen Nutzung aufgefasst werden müssen. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ist allerdings eine Norm der Art der baulichen Nutzung. Es ist nicht erkennbar, dass die durch den Anbau hinzutretenden neuen Maße eine derartige Quantität besäßen, dass sie die Eigenart des Baugebiets im Sinne der Art der baulichen Nutzung beeinflussen könnten. Der hier planerisch festgesetzte Gebietscharakter als reines Wohngebiet wird durch den geplanten Anbau schlichtweg nicht negativ tangiert.
Insofern bleibt auch die Klage gegen die Baugenehmigung ohne Erfolg.
Nach alledem sind die Klagen abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Da sich der Beigeladene mangels Stellung eines Sachantrags auf Klageabweisung selber keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es auch nicht der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO ihm einen Kostenerstattungsanspruch zuzusprechen. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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