Baurecht

Verhältnis zwischen Bauplanungsrecht und Naturschutzrecht

Aktenzeichen  15 ZB 16.640

Datum:
11.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 48822
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 5
BNatSchG § 14, § 15, § 17, § 21 Abs. 5, § 30, § 67

 

Leitsatz

Der Senat teilt nach vorläufiger Rechtsansicht grundsätzlich die Auffassung, dass für den Fall, dass ein Vorhaben an den Zulässigkeitshürden der §§ 14 ff. BNatSchG scheitert, automatisch auch von der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit selbst bei einem privilegierten Vorhaben wegen entgegenstehender Belange iSv § 35 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB auszugehen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 15.307 2016-02-18 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Die Berufung wird zugelassen.
II.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird vorläufig auf 76.840,- € festgesetzt.

Gründe

Die Berufung ist gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache besondere tatsächliche Schwierigkeiten sowie (sinngemäß geltend gemachte) besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist.
1. Tatsächlich und rechtlich schwierig zu beurteilen ist die Frage, ob – wie das Verwaltungsgericht entscheidungstragend angenommen hat – dem (als gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert eingeordneten) streitgegenständlichen Vorhaben deshalb Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege gemäß § 35 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB entgegenstehen, weil von der Klägerin kein hinreichendes Ausgleichskonzept (§ 15 Abs. 2, § 17 Abs. 4 BNatSchG) vorgelegt wurde.
Der Senat teilt nach vorläufiger Rechtsansicht grundsätzlich die Auslegung des Verwaltungsgerichts, dass für den Fall, dass ein Vorhaben an den Zulässigkeitshürden der §§ 14 ff. BNatSchG scheitert, automatisch auch von der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit selbst bei einem privilegierten Vorhaben wegen entgegenstehender Belange i. S. von § 35 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB auszugehen ist. Bereits diese Ausgangsthese ist aber – wie etwa der abweichende Ansatz der Beklagten im vorliegenden Fall zeigt – dogmatisch umstritten. Der Senat nimmt insofern im Einzelnen Bezug auf die Ausführungen unter 2. b) aa) des Beschlusses vom heutigen Tag im Verfahren 15 ZB 14.400, mit dem gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2013 im Verfahren Au 5 K 13.309 ebenfalls die Berufung zugelassen wurde. Wie im Verfahren 15 ZB 14.400 stellen sich auch im vorliegenden Fall etwa hinsichtlich der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelungen die folgenden, nicht vollständig im behördlichen und erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren abgearbeiteten Fragen, deren Beantwortung in tatsächlicher sowie rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet:
– Liegt ein Eingriff gemäß § 14 Abs. 1 BauGB durch das Bauvorhaben vor? Worin ist dieser genau zu sehen?
– Ist der Eingriff i. S. von § 15 Abs. 1 BNatSchG vermeidbar, weil zumutbare Alternativen gegeben sind, um den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu erreichen?
– Bei Unvermeidbarkeit im vorgenannten Sinne: Kann der Eingriff durch den Verursacher (hier: die Klägerin als Bauherrin) über Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege ausgeglichen oder ersetzt werden? Ist die Klägerin – hier mit dem vorgelegten Kompensationskonzept des Landschaftsarchitekten Dipl. Ing. (Univ.) H. R. vom 5. November 2015 sowie mit dem (hinsichtlich des „Funktionsausgleichs“ ergänzenden) Kompensationskonzept der Dr. H.M. Schober Gesellschaft für Landschaftsarchitektur mbH vom 5. Februar 2016 – ihrer Pflicht zur Kompensation gemäß § 15 Abs. 2 BNatSchG, § 17 Abs. 4 BNatSchG hinreichend nachgekommen (vgl. § 17 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG)?
– Ist der ggf. nicht vermeidbare Eingriff unter keinen Umständen gemäß § 15 Abs. 5 BNatSchG zuzulassen, weil er nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen ist und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft anderen Belangen im Range vorgehen? Oder kann in Anwendung von § 15 Abs. 5 BNatSchG trotz Vorliegens eines unvermeidbaren, nicht gem. § 15 Abs. 2 BNatSchG ausgleichbaren Eingriffs im Wege einer Ermessens- bzw. Abwägungsentscheidung ausnahmsweise der Eingriff (ggf. unter Auferlegung einer Ausgleichszahlung, § 15 Abs. 6 BNatSchG) dennoch zugelassen werden?
– Kommt ggf. eine Befreiung gem. § 67 BNatSchG in Betracht?
Neben §§ 13 ff. BNatSchG kommen im vorliegenden Fall auch biotopbezogene Verbotstatbestände gem. § 30 Abs. 1 BNatSchG bzw. Art. 23 BayNatSchG in Betracht, so dass sich auch insofern dieselben Fragen stellen wie in den Parallelverfahren 15 ZB 14.400 und 15 ZB 14.401. Auch diesbezüglich wird auf den heutigen Zulassungsbeschluss des Senats im Verfahren 15 ZB 14.400 Bezug genommen. Der Senat geht davon aus, dass sich die Parteien auch im vorliegenden Verfahren mit den dort aufgeführten Problemfragen in der Berufungsbegründung (Klägerseite) und in der Berufungserwiderung (Beklagte) substanziiert auseinandersetzen, also die naturschutzrechtlichen Eingriffsregelungen sowie ggf. einschlägige naturschutzrechtlichen Verbotstatbestände abarbeiten und ihre Sicht der Dinge hierzu in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht konkret darlegen werden.
Das Verwaltungsgericht hat das Entgegenstehen von Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege damit begründet, dass das Konzept der Dr. H. M. Schober Gesellschaft für Landschaftsarchitektur mbH vom 5. Februar 2016, auf die sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich des „Funktionsausgleichs“ fokussiert hatte, für einen Ausgleich bzw. Ersatz gem. § 15 Abs. 2 BNatSchG nicht geeignet bzw. nicht ausreichend sei, weil sich die dort vorgesehene Kompensationsfläche mit dem laut Bauantrag situierten Reitplatz überschneide, weil der zwischen der Paar und dem Bauvorhaben verbleibende Korridor zu schmal sei (geboten seien statt 8 m mindesten 25 m) und weil dieser zudem als auentypisches Grünland ausgestaltet werden müsse. Dem ist die Klägerin innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zwar nicht konkret entgegengetreten. Auch hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Kompensationskonzept Schober hinsichtlich der Lage des Reitplatzes eine andere Projektbeschreibung als im Bauantrag zugrunde lag. Die Klägerin hat aber rechtzeitig und hinreichend substanziiert (§ 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) schon mit ihrer Zulassungsbegründung (vgl. Schriftsatz vom 23. Mai 2016, Seite 20 unten sowie Seite 21) gerügt, dass sich dem Verwaltungsgericht die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen zum „Funktionsausgleich“ hätte aufdrängen müssen und dass sich die im vorliegenden Fall zu klärenden Fragestellungen zum Rechtsgrund und zum Maßstab betreffend den sog. „Funktionsausgleich“ erheblich von dem Spektrum der sonst in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten unterscheiden. Dem stimmt der Senat auch und gerade mit Blick auf die vom Beklagten hervorgehobene Lage in einem sensiblen und naturschutzrechtlich wertvollen Auengebiet zu. Welche genaue Qualität dieser Situierung zukommt und welche Bedeutung die Lage des Vorhabens in einem im Arten- und Biotopschutzprogramm Bayern thematisierten Gebiet für das Vorliegen eines Eingriffs und seine Kompensierbarkeit gem. §§ 14 ff. BNatSchG bzw. für die Einschlägigkeit eines sonstigen naturschutzrechtlichen Verbotstatbestands (z. B. § 30 BNatSchG, Art. 23 BayNatSchG) hat, bedarf der sorgfältigen Aufarbeitung im Berufungsverfahren, was bislang weder im behördlichen noch im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren hinreichend geschehen ist. Nur wenn gemäß § 15 Abs. 2 BNatSchG (Kompensation für einen naturschutzrechtlichen Eingriff i. S. von § 14 Abs. 1 BNatSchG) – ggf. alternativ auch gemäß § 30 Abs. 3 BNatSchG (Ausgleich für ein biotopbezogenes Verbot gem. § 30 BNatSchG mit verbleibendem Ermessen?) – neben den im Ausgleichskonzept des Landschaftsarchitekten Dipl. Ing. (Univ.) H. R. vom 5. November 2015 vorgesehenen Kompensationsmaßnahmen überhaupt eine darüber hinausgehende Kompensation für eine „Funktionsstörung“ gefordert werden durfte, wäre in einem weiteren Schritt zu überlegen, ob das von der Dr. H. M. Schober Gesellschaft für Landschaftsarchitektur mbH erarbeitete ergänzende Konzept vom 5. Februar 2016 für diesen weiteren Ausgleich ungeeignet bzw. nicht hinreichend war. Weder die protokollierten Aussagen der Vertreter der Naturschutzbehörden des Beklagten in der mündlichen Verhandlung noch die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 18. Februar 2016 lassen sich zu dieser tatsächlich und rechtlich schwierigen Frage differenziert aus. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht nach Maßgabe der Äußerungen des Vertreters der höheren Naturschutzbehörde in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht das Vorhaben in der beantragten und streitgegenständlichen Ausführung – wenngleich ohne dezidierte Begründung – aufgrund eines zu schmalen verbleibenden Korridors zur Paar hin in der Sache als nicht gem. § 15 Abs. 2 BNatSchG kompensierbaren Eingriff bewertet. Es wäre aber dann ergänzend noch die – ebenfalls nicht einfach zu beantwortende – Frage zu eruieren gewesen, ob das Vorhaben dennoch gemäß § 15 Abs. 5 (ggf. i.V. mit Abs. 6) BNatSchG zulassungsfähig ist und ob ihm ggf. deshalb keine Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege gem. § 35 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 BauGB entgegenstehen.
Die diesbezüglichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen sind im Zulassungsverfahren auch als entscheidungserheblich (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 29) anzusehen, weil die Wertung, dass die erstinstanzliche Entscheidung aufgrund nicht tragender Erwägungen des Verwaltungsgerichts jedenfalls im Ergebnis richtig wäre, so nach Aktenlage nicht ohne weiteres möglich ist. Hinsichtlich anderer möglicherweise entgegenstehender Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB – z. B. gem. Nr. 1 bzw. Nr. 2 (Festsetzungen des Flächennutzungs- bzw. des hierin integrierten Landschaftsplans), Nr. 5 (Verunstaltung des Landschaftsbilds) und /oder Nr. 7 (Erweiterung einer Splittersiedung) – bedarf es der Prüfung in einem Berufungsverfahren. Auf die Ausführungen unter 2. b) bb) des heutigen Beschlusses des Senats im Verfahren 15 ZB 14.400 wird verwiesen.
2. Mit Blick auf einen anzustrebenden baldigen Abschluss des gerichtlichen Verfahrens geht der Senat davon aus, dass sich die Parteien in ihren anstehenden Schriftsätzen im Berufungsverfahren auch zu den folgenden Aspekten tatsächlich und rechtlich äußern:
a) Da die Klägerin im Bauantrag einen Antrag auf Abweichung gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO in Bezug auf Art. 28 Abs. 2 BayBO gestellt hat, werden die Parteien um Stellungnahme dazu gebeten, ob und ggf. welche Abweichungszulassungen in dieser Hinsicht notwendig sind und ob ggf. die beantragte Abweichung zulassungsfähig ist.
b) Sind die Angaben des AELF Augsburg vom 5. Januar 2012, wonach die Klägerin über 47 ha landwirtschaftlich genutzte Fläche verfügt (davon 15 ha im Eigentum und ca. 21 ha Grünland; zusätzlich 15,14 ha Wald) nach wie vor aktuell? Kann auf die zugepachteten Flächen langfristig zurückgegriffen werden? Die Parteien werden um Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des zuständigen AELF gebeten.
c) Liegt das Bauvorhaben nach wie vor im lediglich faktischen Überschwemmungsgebiet der Paar oder ist zwischenzeitlich eine Festsetzung als Überschwemmungsgebiet erfolgt? (Konsequenzen jeweils?)
d) Sind – auch mit Blick auf eventuelle zwischenzeitliche Geländeveränderungen – die Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts Donauwörth vom 30. Oktober 2014 und 22. Januar 2015 hinsichtlich des benötigten Retentionsraums und des erforderlichen Retentionsausgleichs weiterhin aktuell? Wird das von der Klägerin angebotene Grundstück FlNr. 2933 der Gemarkung K. – vgl. das Kompensationskonzept des Landschaftsarchitekten Dipl. Ing. (Univ.) H. R. vom 5. November 2015 – für den notwendigen Retentionsraumausgleich als geeignet angesehen? Der Beklagte wird um Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des WWA D. gebeten.
e) Ist die Erschließung als gesichert anzusehen?
f) Soweit die Landesanwaltschaft wie in den Parallelverfahren 15 ZB 14.400 und 15 ZB 14.401 (vgl. die heutigen Beschlüsse des Senats über die Zulassung der Berufung auch in diesen Verfahren) entgegen dem Votum des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Augsburg die Auffassung vertreten sollte, das Vorhaben „diene“ mangels eines tragfähigen nachhaltigen Betriebskonzepts nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb der Klägerin und sei deshalb gem. § 35 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig, geht der Senat davon aus, dass der Beklagte dies im Berufungsverfahren – vorzugswürdig in Abstimmung mit dem AELF als Fachbehörde – konkret darlegt und in fachlicher Hinsicht gerichtlich nachprüfbar fundiert belegt.
g) Es fällt auf, dass die von der Klägerin in den Antragsunterlagen angegebenen Baukosten (Bl. 26 der Behördenakte A1400475) und die vom Landratsamt errechneten Baukosten (Bl. 147 der Behördenakte A1400475) nicht unerheblich voneinander abweichen. Um dem Senat die abschließende Streitwertfestsetzung zu ermöglichen, werden die Parteien um Stellungnahme zu den tatsächlichen Rohbaukosten gebeten (vgl. Nr. 9.1.2.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
3. Soweit die Parteien mit Blick auf den derzeit laufenden weiteren Bauantrag keine zeitnahe Terminierung einer mündlichen Verhandlung, sondern stattdessen ein Ruhen des Verfahrens für zielführend halten, werden entsprechende Anträge im Rahmen der Berufungsbegründung /Berufungserwiderung angeregt.
4. Die vorläufige Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GKG i.V. mit Nr. 9.1.2.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.


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