Baurecht

Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch erdrückende Wirkung eines Bauvorhabens

Aktenzeichen  M 8 SN 19.151

Datum:
25.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 9117
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 212a Abs. 1
BayBO Art. 6, Art. 59 S. 1

 

Leitsatz

Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes kommt dann in Betracht, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird, was insbesondere bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommt. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe es Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 12. Dezember 2018 (M 8 K 18.6135) gegen die der Beigeladenen durch die Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 14. November 2018 für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage auf dem streitgegenständlichen Grundstück …straße 53, Fl.Nr. …, Gemarkung … Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks …straße 49, Fl.Nr. …, Gemarkung …, welches nördlich an das streitgegenständliche Grundstück unmittelbar angrenzt.
Das Grundstück der Antragstellerin ist mit einem dreigeschossigen Mehrfamilienhaus bebaut. Das streitgegenständliche Grundstück ist derzeit mit einem zweigeschossigen Wohngebäude bebaut.
Beide Grundstücke sind im Straßengeviert, welches durch die …straße im Westen, die … Straße im Norden, den … Weg im Osten und die … Straße im Süden begrenzt wird, situiert. Die zwei Fahrstreifen der …straße werden dabei durch einen zwölf Meter breiten Grünstreifen getrennt. Für die beiden Grundstücke ist eine vordere (im Abstand von 5 m zur straßenseitigen Grundstücksgrenze) und eine rückwärtige (im Abstand von 17 m zur straßenseitigen Grundstücksgrenze) Baugrenze festgesetzt.
Am 31. Juli 2018 (Eingangsdatum) beantragte die Beigeladene bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit fünf Wohneinheiten und Tiefgarage.
Geplant ist die Errichtung eines dreigeschossigen Mehrfamilienhauses, wobei das 2. Obergeschoss als Terrassengeschoss ausgebildet ist. Die Grundfläche des Gebäudes beträgt 186 m² (15,50 m x 12,00 m), wobei die längeren Gebäudeseiten parallel zur …straße verlaufen; sie sind auf der vorderen und rückwärtigen Baugrenze vorgesehen. Im Süden ist das Gebäude auf der Grundstücksgrenze situiert. Der Grenzabstand des Gebäudes nach Norden beträgt im Erdgeschoss 3,44 m (Ostseite) bzw. 3,495 m (Westseite). Die Wandhöhe des 2. Oberschosses ist mit 9,26 m, die Wandhöhe des 1. Obergeschosses ist mit 6,49 m und die Geländeroberkante im 1. Obergeschoss mit 7,27 m angegeben.
Das Terrassengeschoss ist im Osten um 1,50 m, im Westen um 1,40 m und im Norden um 1,50 m (auf einer Breite von 5,925m) bzw. 2,50 m (auf einer Breite von 3,175 m) zurückversetzt. Im Westen befindet sich im Terrassengeschoss ein 3,98 m großer Erker, der nicht zurückversetzt ist. Im 1. Obergeschoss befinden sich an der Ostseite zwei Balkone mit jeweils einer Breite von 2,25 m und einer Tiefe von 1,50 m.
Zudem ist die Errichtung von fünf Stellplätzen in einer Tiefgarage auf dem streitgegenständlichen Grundstück vorgesehen. Die Zufahrt zur Tiefgarage schließt sich im Norden an das Vorhabengebäude an und ist 0,12 m (Ostseite) bzw. 0,175 m (Westseite) von der nördlichen Grundstücksgrenze entfernt. Sie weist eine Grundfläche von 29,88 m2 (3,32 m x 9,00 m) auf, wobei die Längsseiten parallel zur nördlichen Grundstücksgrenze verlaufen. Die Höhe der Zufahrt ist mit 3,00 m angegeben.
An das geplante Gebäude schließt sich im Süden auf dem Grundstück …straße 55, Fl.Nr. …, Gemarkung …, ein weiteres Gebäude an, welches jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.
Lageplan mit geplanter Bebauung (nach dem Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
Mit Bescheid vom 14. November 2018 (Az.: …), der Antragstellerin laut Zustellungsurkunde am 17. November 2018 zugestellt, genehmigte die Antragsgegnerin den Bauantrag der Beigeladenen vom 31. Juli 2018 (Eingangsdatum) nach Plan Nr. … mit Handeinträgen am 20. August 2018, 5. Oktober 2018 und 25. Oktober 2018 sowie Freiflächengestaltungsplan nach Plan Nr. … und Baumbestandsplan nach Plan Nr. 2018-016954 mit Handeintragungen vom 12. Oktober 2018 im vereinfachten Genehmigungsverfahren. Insbesondere wurde im Baugenehmigungsbescheid eine Fällungsgenehmigung für den Baum Nr. 18 erteilt. Weiter wurden Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB wegen Überschreitung der vorderen bzw. rückwärtigen Baugrenze durch Lichtschächte, den Müllstandort, die Tiefgarage, Terrassen und zwei Balkone erteilt. Zudem wurde eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO wegen Überschreitung der maximal zulässigen Rampenneigung erteilt.
Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2018, am 14. Dezember 2018 beim Verwaltungsgericht München eingegangen, erhoben die Bevollmächtigten der Antragstellerin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 14. November 2018. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen M 8 K 18.6135 geführt und ist noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2019, am selben Tage beim Verwaltungsgericht München eingegangen, beantragten die Bevollmächtigten der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 12. Dezember 2018, Aktenzeichen M 8 K 18.6135, gegen den Baugenehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 14. November 2018, Aktenzeichen … anzuordnen.
Zur Begründung führten die Bevollmächtigten der Antragstellerin im Wesentlichen aus, dass der zulässige Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz auch begründet sei.
Eine Antragsbefugnis der Antragstellerin folge aus einer möglichen Verletzung in ihrem Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG sowie des Gebots der Rücksichtnahme.
Die Baugenehmigung verletze die Antragstellerin in drittschützenden Vorschriften. Die Eigentumsverhältnisse an dem Baum Nr. 18 seien ungeklärt, weshalb die Antragstellerin durch die genehmigte Fällung in ihrem Recht auf Eigentum verletzt sein könnte. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege darin, dass es durch die unmittelbar an das Grundstück der Antragstellerin angrenzende Zufahrt zur Tiefgarage zu einer qualifizierten Lärmbelästigung für die Antragstellerin komme, was näher ausgeführt wurde. Lärmschutzmaßnahmen an der Grundstücksgrenze seien nicht vorgesehen. Es bestünde auf der anderen Grundstücksseite – also der von der Antragstellerin abgewandten Seite – die Möglichkeit die Tiefgarage zu platzieren, wie es der dort angrenzende Nachbar ebenfalls vorgesehen habe.
Mit Beschluss vom 15. Januar 2019 wurde die Bauherrin und Adressatin der streitgegenständlichen Baugenehmigung zum Verfahren beigeladen.
Sie hat sich zum Verfahren nicht geäußert.
Mit Schriftsatz vom 22. Januar 2019 legten die Bevollmächtigten der Antragstellerin den ablehnenden Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2019 vor, in welchem diese den Antrag der Antragstellerin gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 VwGO ablehnte. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass das Vorhaben keine bauplanungsrechtlichen nachbarschützenden Vorschriften verletze. Die Tiefgarage sei an der geplanten Stelle planungsrechtlich zulässig; Bezugsfälle für vergleichbare Tiefgaragen seien mehrfach vorhanden. Das Bauvorhaben füge sich insgesamt in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Das Vorhaben sei nicht rücksichtslos, da der Nachbar grundsätzlich alle Immissionen hinzunehmen habe, die von den für das Bauvorhaben notwendigen bzw. zulässigen Stellplätzen ausgingen. Das Vorhaben verletze auch keine bauordnungsrechtlichen nachbarschützenden Vorschriften im Hinblick auf den Baumschutz.
Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2019 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte sie insbesondere aus, dass keine Eigentumsverletzung der Antragstellerin durch Erteilung der Genehmigung für die Fällung der Rotbuche (Baum Nr. 18) vorliege. Die angefochtene Baugenehmigung bewirke noch keinen unmittelbaren hoheitlichen Eingriff in etwaige Eigentumsrechte an dem Bau, sondern räume lediglich die öffentlich-rechtlich entgegenstehenden Hindernisse aus. Die Tiefgaragenzufahrt sei nicht rücksichtslos (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten in diesem sowie im Hauptsacheverfahren (M 8 K 18.6135) Bezug genommen.
II.
Der Antrag der Antragstellerin gemäß § 80a Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Die angefochtene Baugenehmigung vom 14. November 2018 verletzt bei summarischer Prüfung keine nachbarschützenden Vorschriften, die im Prüfumfang der Baugenehmigung enthalten sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog, Art. 59 Satz 1 Bayerisch Bauordnung – BayBO).
1. Nach § 212 a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Dabei stehen sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage von Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessensabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011, a.a.O.).
Ein Dritter kann eine Baugenehmigung mit dem Ziel der Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch dem nachbarlichen Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind, weil dieser in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 – juris; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009, a.a.O. Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren aber nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B. v. 16.1.1997 – 4 B 244.96 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3).
2. Dies zugrunde gelegt, wird die Klage der Antragstellerin nach summarischer Überprüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben. Sie erweist sich voraussichtlich als zulässig, aber unbegründet. Die angefochtene Baugenehmigung vom 14. November 2018 verletzt keine nachbarschützenden Vorschriften, die im Prüfumfang der Baugenehmigung enthalten sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog, Art. 59 Satz 1 BayBO).
2.1 Das Vorhaben verstößt nicht gegen drittschützende Normen des Bauplanungsrechts, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO zu prüfen sind; es liegt kein Sonderbau gemäß Art. 2 Abs. 4 BayBO vor.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 34 BauGB, da kein Bebauungsplan für das streitgegenständliche Grundstück besteht, sondern nur ein gemäß § 173 Abs. 3 Bundesbaugesetz (BBauG) und § 233 Abs. 3 BauGB übergeleitetes und fortgeltendes Bauliniengefüge, welches für das streitgegenständliche Grundstück eine vordere und eine hintere Baugrenze vorsieht, und das streitgegenständliche Grundstück im Übrigen im unbeplanten Innenbereich liegt.
2.1.1 Eine Verletzung drittschützender Rechte hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung liegt nicht vor. Unabhängig von der konkreten Bestimmung der maßgeblichen Umgebung fügt sich das Vorhaben bereits objektiv nach summarischer Prüfung nach der Art der baulichen Nutzung jedenfalls nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die nähere Umgebung ein, da nach dem Vortrag der Beteiligten und den Luftbildern davon auszugehen ist, dass in den zum streitgegenständlichen Grundstück benachbarten Grundstücken (auch) eine Wohnnutzung – wie sie das Vorhaben vorsieht – vorliegt. Dies wird von der Antragstellerin auch nicht bestritten.
2.1.2 Das Maß der baulichen Nutzung, die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, und die Bauweise (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) sind nicht drittschützend (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.9.2008 – 1 CS 08.2201 – juris Rn. 1; B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4; VG München, B.v. 5.4.2017 – M 8 S7 17.1207 – juris Rn. 22), weshalb sich die Antragstellerin auf eine subjektive Rechtsverletzung diesbezüglich nicht berufen kann.
2.1.3 Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen das drittschützende, bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
2.1.3.1 Insoweit kann dahinstehen, ob sich dieses im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Baunutzungsverordnung (BauNVO) ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – juris Rn. 9). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist aber regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 6).
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 15: Drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe es Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.). Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; B.v. 9.2.2015 – 2 CS 15.17 n.v.).
2.1.3.2 Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Vorhaben nicht rücksichtlos.
Eine einmauernde oder erdrückende Wirkung kommt dem Bauvorhaben nicht zu.
Zum einen stellt das streitgegenständliche Vorhaben bereits keinen übergroßen Baukörper dar. Sowohl das Gebäude der Antragstellerin als auch das streitgegenständliche Gebäude weisen drei Geschosse auf, wie sich aus den dem Gericht vorliegenden Luftbildern ergibt. Mit einer Wandhöhe des 2. Obergeschosses von 9,26 m hält sich das streitgegenständliche Gebäude auch im Rahmen des Üblichen für ein dreigeschossiges Gebäude. Eine erhebliche Höhendifferenz wurde auch von Seiten der Antragstellerin nicht substantiiert vorgetragen.
Zum anderen ist nicht von einem geringen Abstand des geplanten Hauses zum Grundstück der Antragstellerin auszugehen. Das geplante Wohngebäude ist über 3 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt. Der Abstand zwischen den Wohngebäuden der Antragstellerin und dem Vorhaben des Beigeladenen beträgt sogar um die 8 m. Im dicht besiedelten, städtischen Bereich sind derartige Abstände keinesfalls rücksichtslos, da mit einer größtmöglichen Ausnutzung des Grund und Bodens zu rechnen ist. Nichts anderes kann im Hinblick auf die grenznah geplante Tiefgaragenzufahrt gelten. Hierbei ist vor allem zu berücksichtigen, dass ein vergleichbares Gebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin ebenfalls an der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtet worden ist. Gerade angesichts des freigehaltenen hinteren Grundstücksbereichs des Grundstücks der Antragstellerin kommt es nicht zu einer „Einmauerung“.
Auch im Übrigen ist das Vorhaben nicht rücksichtslos. Der Vortrag hinsichtlich der befürchteten Beeinträchtigungen durch die Tiefgaragenzufahrt ist unsubstantiiert. Insoweit sei darauf hingewiesen, dass nach § 12 Abs. 2 Baunutzungsverordnung (BauNVO) in Wohngebieten Stellplätze und Garagen für den durch die zugelassene Nutzung notwendigen Bedarf zulässig sind. Die Vorschrift begründet für den Regelfall auch hinsichtlich der durch die Nutzung verursachten Lärmimmissionen eine Vermutung der Nachbarverträglichkeit. Der Grundstücksnachbar hat deshalb die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Bauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – NVwZ 2003, 1516 = juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 23 m.w.N.). Die hier vorgesehenen fünf Stellplätze entsprechen dem Stellplatzbedarf nach der Stellplatzsatzung der Beklagten (vgl. Nr. 1.1 der Anlage 1 der Satzung der Beklagten über die Ermittlung und den Nachweis von notwendigen Stellplätzen für Kraftfahrzeuge vom 19. Dezember 2007, MüAbl. Sondernummer 1, S. 1), sodass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass rücksichtslose Immissionen zu erwarten sind.
2.2. Das Vorhaben stimmt auch mit den nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 lit. b BayBO i.V.m. Art. 6 BayBO überein.
Im für die Beurteilung der Begründetheit baurechtlicher Nachbarklagen maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage bei Erteilung der Baugenehmigung (vgl. BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – juris Rn. 3 m.w.N.; BayVGH, U.v. 14.2.2005 – 26 B 03.2579 – juris Rn. 15; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 131. EL Oktober 2018, Art. 66 Rn. 592 m.w.N.; VG München, U.v. 21.1.2019 – M 8 K 17.778 – n.v. m.w.N.) am 14. November 2018 gehören die Abstandsflächenvorschriften (seit 1.9.2018) wieder zum Prüfprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens (vgl. §§ 1 Nr. 17, 6 des Gesetzes zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften vom 10. Juli 2018 – GVBl. 2018, 532).
Art. 6 BayBO ist jedoch beachtet.
Nach Süden hin kann das streitgegenständliche Gebäude Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO in Anspruch nehmen, wonach eine Abstandsfläche nicht erforderlich ist vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Denn wie sich aus dem amtlichen Lageplan und den Luftbildern ergibt, finden sich einseitige Grenzanbauten auf zahlreichen Grundstücken in der unmittelbaren Nähe des Vorhabengrundstücks, so z.B. auch auf dem Grundstück der Antragstellerin.
Nach Osten und Westen sind die Abstandsflächen offensichtlich eingehalten.
Bei einer Wandhöhe des 2. Obergeschosses von 9,26 m liegen die Abstandsflächen im Westen auf dem eigenen Grundstück bzw. auf öffentlichen Verkehrs- und Grünflächen, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayBO. Denn der Abstand des geplanten Gebäudes zur westlichen Grundstücksgrenze beträgt 5 m – der Baugrenze entsprechend. Bei einer Straßenbreite der …straße von 10 m (vgl. Lageplan) können daher weitere 5 m (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BayBO) in Anspruch genommen werden. Die Abstandsflächentiefe von 9,26 m (Art. 6 Abs. 4 Satz 1 und 2, Abs. 5 Satz 1 BayBO) ist kleiner als jene 10 m.
Nach Osten beträgt der Abstand zur östlichen Grundstücksgrenze 18,095 m (vermasst), sodass oben genannte Abstandsfläche erst recht eingehalten ist. Die an der Ostseite angebrachten Balkone bleiben bei der Abstandsflächenberechnung als untergeordnete Vorbauten gemäß Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO unberücksichtigt, da sie mit einer Breite von insgesamt 4,50 m (2x 2,25 m) nicht mehr als ein Drittel des Breite der Außenwand (4,50 m: 15,50 m = 0,29) und weniger als jeweils 5 m in Anspruch nehmen, mit 1,50 m nicht mehr als 1,50 m vor diese Außenwand vortreten und weit über 2 m von der gegenüberliegenden östlichen Nachbargrenze entfernt bleiben.
Auch nach Norden werden die Abstandsflächen eingehalten.
Dies gilt zunächst in Bezug auf die nördliche Außenwand des Gebäudes. Der Grenzabstand der 9,26 m hohen Außenwand des 2. Obergeschosses beträgt mindestens 4,99 m (3,44 m + mindestens 1,50 m Rückversatz), der Grenzabstand des Geländers auf dem 1. Obergeschoss mit einer Höhe von 7,27 m beträgt 3,74 m (3,44 m + 0,30 m Rückversatz) und der Grenzabstand der 6,49 m hohen Außenwand im 1. Obergeschoss beträgt 3,44 m. Für diese Außenwände kann die Beigeladene das 16-m-Privileg des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO in Anspruch nehmen, da die nördlichen Außenwände mit maximal 12,00 m Länge 16 m unterschreiten und kein Gebiet nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO vorliegt. Somit genügt als Abstandsflächentiefe H/2 (Art. 6 Abs. 6 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO). Die Abstandsflächentiefe der Außenwand des 2. Obergeschosses beträgt somit 4,63 m, was kleiner ist als der Grenzabstand von 4,99 m. Die Abstandsflächentiefe des Geländers auf dem 1. Obergeschoss ist 3,635 m, was kleiner ist als der Grenzabstand von 3,74 m. Die Abstandsflächentiefe der Außenwand im 1. Obergeschoss beträgt 3,245 m, was kleiner ist als 3,44 m. Die Abstandsflächen kommen daher auf dem eigenen Grundstück (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO) zum Liegen.
Auch die Tiefgaragenzufahrt ist abstandsflächenrechtlich unbedenklich. Da keine Terrasse mehr auf dem Zufahrtsgebäude vorgesehen ist, handelt es sich um eine privilegierte Anlage nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO, welche auch die übrigen Anforderungen der Norm beachtet: die Wandhöhe ist mit 3 m angegeben; die Länge beträgt 9,00 m. Dies hat zur Folge, dass die bauliche Anlage in den Abstandsflächen des Gebäudes (Art. 6 Abs. 3 Halbs. 2 Nr. 3 BayBO) sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig ist; unerheblich ist, dass die Anlage nicht unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet werden soll, Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO.
Die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften indiziert vorliegend zudem die Einhaltung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots (s.o.; vgl. BVerwG, B.v. 22.11.1984 – 4 B 244.84 – NVwZ 1985, 653 = juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11; B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 29 m.w.N.).
2.3 Auch die erteilte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO wegen Überschreitung der maximal zulässigen Rampenneigung nach § 3 Abs. 1 GaStellV verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.
2.4 Schließlich verletzt auch die erteilte Fällgenehmigung die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.
Zum einen sind Vorschriften in Baumschutzverordnungen nicht drittschützend. Denn diese dienen ausschließlich öffentlichen Zwecken, wie sich vorliegend aus § 2 der Baumschutzverordnung der Beklagten ergibt (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2014 – 14 ZB 14.962 – juris Rn. 4 f.; B.v. 18.6.2009 – 14 ZB 09.656 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Zum anderen ergeht die Baugenehmigung unbeschadet der – auch zivilrechtlichen – Rechte Dritter, Art. 68 Abs. 4 BayBO. Die Baugenehmigung enthält somit nur die öffentlich-rechtliche Genehmigung der Fällung, mithin die Feststellung, dass öffentlich-rechtliche Vorschriften des Baumschutzrechts einer solchen nicht entgegenstehen. Die zivilrechtliche Berechtigung zur Baumfällung ist mit dieser Regelung nicht verbunden und kann folglich nicht in den Verfahren vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht werden.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da diese keinen Sachantrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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