Baurecht

Versagung der Baugenehmigung für großflächige Werbeanlagen

Aktenzeichen  1 ZB 17.1540

Datum:
30.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21151
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 4
BayBO Art. 81 Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 2 S. 1
BauGB § 9 Abs. 4
GG Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Die Regelungen des Art. 81 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 BayBO lassen der Gemeinde die Wahl, je nach Zweckmäßigkeit örtliche Bauvorschriften entweder durch eine eigenständige Satzung nach Art. 23 GO oder im Rahmen der Aufstellung eines Bebauungsplanes nach § 9 Abs. 4 BauGB und Art. 81 Abs. 2 S. 1 BayBO zu erlassen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein generelles Verbot von Werbung mit Großflächenwerbetafeln in Mischgebieten ist unverhältnismäßig und daher wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG unwirksam, weil es dort voraussetzungsgemäß an einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters fehlt. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 K 15.1037 2017-03-07 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Die Darlegungen der Klägerin sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils zu wecken (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass den beantragten zwei Werbeanlagen an der nördlichen und der südlichen Außenwand des Gebäudes auf dem Grundstück der Klägerin, das im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „Ortsmitte – Westlich der L. Straße Teil 2“ der Beigeladenen vom 18. August 2016 liegt, die Festsetzung Nr. 12 des Bebauungsplans entgegensteht. Danach sind Werbeanlagen nur an den Fassaden für Einrichtungen in Gebäuden (Eigenwerbung) entlang der L. Straße zulässig, Werbung für Einrichtungen oder Produkte außerhalb des Geltungsbereichs (Fremdwerbung) ist hingegen unzulässig.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hält sich die von der Beigeladenen getroffene Regelung im Rahmen der gesetzgeberischen Ermächtigung des § 9 Abs. 4 BauGB und Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO. Es entspricht dem Wesen der Gemeinde als einer autonomen Gebietskörperschaft, dass sie ihr Orts-, Straßen- und Landschaftsbild selbst mitgestaltet und ihr „Gesicht“ selbst mitbestimmt sowie alle aus der örtlichen Gemeinschaft sich ergebenden Angelegenheiten selbst regelt (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand April 2019, Art. 81 Rn. 26). Die Regelungen des Art. 81 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BayBO lassen der Gemeinde die Wahl, je nach Zweckmäßigkeit örtliche Bauvorschriften entweder durch eine eigenständige Satzung nach Art. 23 GO oder – wie hier – im Rahmen der Aufstellung eines Bebauungsplanes nach § 9 Abs. 4 BauGB und Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO zu erlassen (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.1998 – 20 N 97.3429 – BayVBl 1999, 340).
Der von der Klägerin behauptete faktisch generelle Ausschluss von Anlagen der Fremdwerbung in dem festgesetzten Mischgebiet liegt nicht vor. Generalisierende Regelungen in Ortssatzungen, die die Zulässigkeit von Werbeanlagen überhaupt oder die Zulässigkeit bestimmter Werbeanlagen von der Art des Baugebiets abhängig machen, sind zwar im Grundsatz als vertretbar angesehen worden (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.1972 – IV C 11.69 – BVerwGE 40, 90). Ein generelles Verbot von Werbung mit Großflächenwerbetafeln in Mischgebieten ist jedoch unverhältnismäßig und daher wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG unwirksam, weil es dort voraussetzungsgemäß an einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters fehlt (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.1972 a.a.O.). Das Bundesverwaltungsgericht hat aber in seinem Urteil vom 22. Februar 1980 (4 C 44.76 – BayVBl 1980, 408) klargestellt, dass die erforderliche Einheitlichkeit bzw. Homogenität auch durch eine städtebaulich bedeutsame Prägung eines bestimmten Teilgebiets einer Gemeinde bewirkt sein kann. Eine „besondere“ Schutzwürdigkeit des Teilgebiets wird hierfür nicht vorausgesetzt. Es genügt vielmehr, dass das jeweilige Straßen- und Ortsbild überhaupt schutzwürdig ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2015 – 1 ZB 13.1903 – juris Rn. 4).
Dies hat das Verwaltungsgericht nicht verkannt. Es hat vorliegend im Zusammenhang mit dem Verbot im Mischgebiet die besondere städtebauliche Prägung des vom Fremdwerbeverbot betroffenen (und im Gegensatz zum Planungsbereich des ursprünglichen Bebauungsplans und dem Geltungsbereich der Werbeanlagensatzung der Beigeladenen erheblich reduzierten) Umgriffs (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.1980 a.a.O.) darin gesehen, dass die Beigeladene im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … begonnen habe, ihre städtebaulichen Entwicklungsvorstellungen der Sanierung des Ortskerns in die Realität umzusetzen. In dem im östlichen Teilbereich festgesetzten Mischgebiet sind nach den zutreffenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht alle Anwesen von dem Fremdwerbeverbot betroffen, der Ausschluss im Mischgebiet beschränkt sich vielmehr nach den örtlichen Gegebenheiten auf einen räumlich sehr eng umgrenzten Bereich an der Straße, nämlich auf die drei an der L. Straße anliegenden Anwesen. Damit liegt die erforderliche Rechtfertigung für das Zurücktreten der privaten Werbeinteressen der Klägerin vor.
Auch die erforderlichen ortsgestalterischen Gründe, die am Standort des Vorhabens den Ausschluss von Anlagen der Fremdwerbung rechtfertigen könnten, liegen vor. Der Ausschluss dient dem gestalterischen Schutz der städtebaulichen Neuordnung entsprechend dem durchgeführten städtebaulichen Wettbewerb und damit der Verhinderung einer Beeinträchtigung der seit langer Zeit gefestigten planerischen und gestalterischen Vorstellung der Beigeladenen, den Ortskern attraktiver zu gestalten. Dem Bebauungsplan liegt daher ein Gestaltungskonzept zugrunde, das bestimmte oder jedenfalls bestimmbare orts- oder baugestalterische Absichten verfolgt, die sich auf den räumlichen Geltungsbereich der Satzung beziehen. Angesichts der vom Verwaltungsgericht festgestellten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des vorliegend betroffenen Straßenbereichs geht der von der Klägerin in diesem Zusammenhang angeführte Verweis auf die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs vom 23. Januar 2012 (Vf. 18-VII-09) und des Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Januar 2015 (15 ZB 13.1896) fehl. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs betrifft zudem den abweichenden Fall des (unzulässigen) Betreibens von Städtebaupolitik im Gewand der örtlichen Bauvorschrift (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.1007 – 4 C 8.06 – NVwZ 2008, 311; U.v. 16.3.1995 – 4 C 3/94 – NVwZ 1995, 899; BayVGH, B.v. 20.1.2015 – 15 ZB 13.2245 – juris Rn. 24). So liegt der Fall hier nicht. Angesichts der Planungen der Beigeladenen kann auch nicht die Rede davon sein, dass es sich um ein bloßes Bemühen handelt, eine gegebene Situation zu verbessern und städtebaulich aufzuwerten (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2012 – 15 ZB 12.1515 – juris Rn. 6).
Die Ausführungen der Klägerin, die Gründe, die den Ausschluss von Werbetafeln für Fremdwerbung rechtfertigen könnten, seien weder dem Bebauungsplan noch dessen Begründung zu entnehmen, führen nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils. Aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt die Forderung nach der Bestimmtheit und der Rechtsklarheit örtlicher Bauvorschriften. Der Bestimmtheitsgrundsatz verpflichtet den Normgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Anforderungen der Klarheit und Justiziabilität entsprechen. Gebote und Verbote müssen so klar, bestimmt und allgemeinverständlich formuliert sein (BVerwG, U.v. 22.2.1980 – 4 C 44.76 – BayVBl. 1980, 598), dass die davon Betroffenen die Rechtslage zumindest ansatzweise eigenständig beurteilen und ihr Verhalten danach einrichten können, also sich mit ausreichender Sicherheit ermitteln lässt, was von dem Betroffenen verlangt wird. Ferner müssen die Normen so formuliert sein, dass die Gerichte in der Lage sind, die Anwendung der betreffenden Vorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren (BayVerfGH, E.v. 23.1.2012 – Vf. 18-VII-09 – VerfGHE BY 65, 1). Unklarheiten gehen zu Lasten der Gemeinde (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, a.a.O. Rn. 66). Die inhaltliche Bestimmtheit einer örtlichen Bauvorschrift bezieht sich auf den räumlichen Geltungsbereich der Satzung, den Regelungsgegenstand der Satzung im Sinn der konkreten Zielvorstellung der Gemeinde und den Regelungsinhalt der Satzung. Ungeachtet der Frage einer ausreichenden Darlegung in der Zulassungsbegründung sind diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt. Eine über die Ausführungen in Nummern 2 und 4.5 der Begründung des Bebauungsplans zu fordernde Begründungspflicht folgt weder aus der Bayerischen Bauordnung noch aus dem allgemeinen Rechtsstaatsgebot (vgl. BVerwG, B.v. 3.11.1992 – 4 NB 28.92 – DVBl 1993, 116; U.v. 3.7.1987 – 4 C 26.85 – BVerwGE 78, 23 zur Begründungspflicht bei Erhaltungssatzungen nach § 172 BauGB).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich nicht durch die Stellung eines Antrags in ein Kostenrisiko begeben hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nummer 9.1.2.3.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben