Baurecht

Versagung einer beantragte Nutzungsänderung/-erweiterung für einen Bordellbetrieb im faktischen Gewerbegebiet

Aktenzeichen  M 11 K 14.4576

Datum:
3.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 BauGB
BauNVO § 8 BauNVO
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO

 

Leitsatz

1 Der in § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO verwendete Begriff „Gewerbebetriebe aller Art“ umfasst auch Bordelle bzw. bordellartige Betriebe (vgl. BVerwG BeckRS 2015, 55600 Rn. 4). (red. LS Andreas Decker)
2 Zur Annahme eines sog Tradingdown-Effektes bei der Erweiterung eines bordellartigen Betriebes in einer durch Bordelle und bordellartige Betriebe vorbelasteten Umgebung (hier bejaht). (red. LS Andreas Decker)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) – insofern hat die Beklagte die Erteilung einer solchen Genehmigung zu Recht abgelehnt -, noch einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Bescheidung, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung für die beantragte Nutzungsänderung.
Die gemäß Art. 55, 57 Abs. 4 Bayerische Bauordnung (BayBO) genehmigungspflichtige Nutzungsänderung ist nicht genehmigungsfähig. Sie ist bauplanungsrechtlich unzulässig (nachfolgend 1.1), so dass die Frage, ob außerdem ein Verstoß gegen Bauordnungsrecht wegen nicht ausreichender Anzahl nachgewiesener Stellplätze gegeben ist, offen bleiben kann (nachfolgend unter 1.2).
1.1 Die beantragte Nutzungsänderung ist bauplanungsrechtlich unzulässig, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Variante 1 BayBO i. V. m. §§ 29 ff. BauGB.
Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB zu beurteilen, weil es im unbeplanten Innenbereich liegt. Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht faktisch einem Gewerbegebiet, § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 8 BauNVO. Gemäß § 34 Abs. 2 i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO ist der von der Klägerin bereits betriebene Bordellbetrieb und demzufolge auch die beantragte Nutzungsänderung der Art nach grundsätzlich zulässig, weil der in § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO verwendete Begriff „Gewerbebetriebe aller Art“ auch Bordelle bzw. bordellartige Betriebe einschließt (vgl. nur BVerwG, B. v. 02.11.2015 – 4 B 32/15 -, juris Rn. 4; U. v. 25.11.1983 – 4 C 21/83 -, juris Rn. 9 ff.).
Die Beklagte geht jedoch zu Recht davon aus, dass die Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens an § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO scheitert. Nach dieser Vorschrift sind bestimmte Betriebe im Einzelfall in einem (faktischen) Gewerbegebiet u. a. dann unzulässig, „wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen“. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes kann sich bei Bordellen eine mit der Eigenart des Gewerbegebietes nicht zu vereinbarende Anzahl bereits dann ergeben, „wenn in dem Gebiet bereits ein solcher Betrieb oder gar eine Mehrzahl vorhanden ist“ (BVerwG, a. a. O., Rn. 14).
Das Gericht hat bereits in der Vergangenheit entschieden, dass im streitgegenständlichen Umgriff des (faktischen) Gewerbegebietes …-Ost unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles ein oder mehrere weitere hinzutretende Bordellbetriebe der Eigenart des vorliegenden Gewerbegebietes widersprechen (U. v.29.11.2012 – M 11 K 11.167 -, juris Rn. 24). Diese Entscheidung wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt (B. v. 14.05.2014 – 1 ZB 13.886 -, juris Rn. 4; zur Zulässigkeit eines Bordells bzw. bordellartigen Betriebes im Gewerbegebiet vgl. im Übrigen BayVGH, U. v. 19.10.2015 – 1 B 15.886 -, juris Rn. 24). Der Verwaltungsgerichtshof führt aus (BayVGH, a. a. O.): „Der Auffassung des Verwaltungsgerichtes, dass bei dieser Sachlage vom Vorliegen eines sog. Tradingdown-Effektes (s. hierzu z. B. BVerwG, B. v. 4.9.2008 – 4 BN 9/08 -, BauR 2009, 76) auszugehen ist, ist zuzustimmen“.
Die dieser Wertung zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände, nämlich diejenigen in der Umgebung des streitgegenständlichen Vorhabens, sind, wie die Feststellungen im gerichtlichen Augenschein im hiesigen Verfahren ergeben haben, im Vergleich zu den Feststellungen in den damaligen Entscheidungen unverändert. Bordelle bzw. bordellartige Betriebe befinden sich auf dem streitgegenständlichen Grundstück …-Straße 5, auf dem Anwesen …-Straße 2 (Bordell „…“), auf dem Anwesen …-Straße 17 („…“), sowie auf dem Anwesen …-Straße 5 a („…“). Diese vier unter den Beteiligten unstreitig als Bordell bzw. bordellartige Betriebe einzuordnenden Nutzungen genügen für sich bereits, um an der bisherigen Rechtsprechung, dass hier eine mit der Eigenart des faktischen Gewerbegebietes nicht mehr zu vereinbarende Anzahl von Bordellen bzw. bordellartigen Betrieben vorliegt, festzuhalten. Ob die weiteren beiden Einrichtungen auf den Anwesen …-Straße 10 sowie …-Straße 18 ebenfalls als Bordelle bzw. bordellartige Betriebe einzuordnen sind, kann dabei offen bleiben. Hinsichtlich des Anwesens …-Straße 10 spricht einiges dafür, dass insofern kein bordellartiger Betrieb, sondern sog. Wohnungsprostitution vorliegt (zur Abgrenzung der Wohnungsprostitution vom bordellartigen Betrieb BayVGH, B. v. 26.09.2014 – 15 ZB 13.656 -, juris Rn. 4). Für das Anwesen …-Straße 18, für das von Klägerseite ebenfalls geltend gemacht wird, dass hier (nur) sog. Wohnungsprostitution stattfinde, ist seitens der Beklagten jedenfalls ein Bordellbetrieb genehmigt. Unabhängig davon spricht übrigens auch das – unstreitige – Vorhandensein von sog. Wohnungsprostitution, die jedenfalls nach außen erkennbar ist, dafür, dass im Umgriff des streitgegenständlichen Vorhabens ein Tradingdown-Effekt auch tatsächlich bereits eingesetzt hat.
Aus den genannten Gründen geht das Gericht weiterhin davon aus, dass die Schwelle, ab der der sog. Tradingdown-Effekt eingreift, im (faktischen) Gewerbegebiet …-Ost erreicht bzw. überschritten ist. Das wird auch vom Klägerbevollmächtigten ausdrücklich nicht in Abrede gestellt, soweit dieser daraus den Schluss zieht, dass jedenfalls das Zutreten eines neuen, erstmalig in Betrieb genommenen Etablissements auch nach seiner Auffassung wegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig wäre. Entgegen seiner Auffassung steht diese Vorschrift jedoch auch der streitgegenständlichen Baugenehmigung für die beantragte Nutzungsänderung entgegen. Zwar handelt es sich nicht um ein komplett neues Vorhaben in dem Sinne, dass auf einem bestimmten Grundstück bisher bereits noch kein Bordell bzw. bordellartiger Betrieb bestünde. Vielmehr soll ein bestehendes, genehmigtes, wenn auch derzeit nicht betriebenes Bordell erweitert werden. Jedoch spricht alles dafür, auch auf diese Konstellation, jedenfalls im konkret hier zu entscheidenden Einzelfall, eine Unzulässigkeit im Einzelfall auf der Grundlage von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO anzunehmen.
Hierfür spricht zunächst, dass vorliegend eine Sondersituation zu verzeichnen ist. In tatsächlicher Hinsicht ist der von der Klägerin beabsichtigte Betrieb so zu bewerten, als ob er jetzt erst insgesamt genehmigt würde. Denn derzeit findet überhaupt keine Bordellnutzung statt. Jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht würde sich der Nutzungsbeginn für das Gesamtvorhaben einschließlich der hier streitgegenständlichen Nutzungsänderung bzw. -erweiterung wie eine Neuaufnahme eines Bordellbetriebes darstellen. Unabhängig davon spricht außerdem dafür, auch die vorliegende Konstellation unter § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zu subsumieren, dass der Bordellbetrieb durch die streitgegenständliche Baugenehmigung in nicht unerheblicher Weise vergrößert und intensiviert werden würde. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass weitere Arbeitsräume jedenfalls nicht Gegenstand des Baugenehmigungsantrages sind. Jedoch ist der streitgegenständliche Bordellbetrieb unter Berücksichtigung der auch nach dem Betriebskonzept der Klägerin wesentlichen sog. Wellness-Relaxfläche und weiterer Anschlussnutzungen, wie hier der laut Baugenehmigungsantrag für den umzunutzenden Bereich vorgesehene Buffet- bzw. Essbereich, Teil des Gesamtkonzeptes des klägerischen Bordellbetriebes. Angesichts der Größe der Erweiterungsfläche liegt auf der Hand, dass der Bordellbetrieb damit deutlich intensiviert und in seiner Qualität verändert und für die Kunden attraktiver wird. Wäre das nicht der Fall, würde die beantragte Erweiterung keinen Sinn ergeben und von der Klägerin aus wirtschaftlichen Erwägungen auch nicht beabsichtigt werden. Der Umstand, dass die Erweiterungsfläche nach außen hin nicht oder kaum sichtbar ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn eine bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit im Einzelfall aufgrund eines befürchteten sog. Tradingdown-Effektes nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist nicht davon abhängig, ob alles, was in den Bordellen bzw. bordellartigen Betrieben passiert, nach außen sichtbar ist. Inmitten steht vielmehr die (befürchtete) Zunahme einer Gesamtsituation mit den typischen Begleiterscheinungen eines „Rotlichtviertels“. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass nach der dargestellten Rechtsprechung die abstrakte Eignung bordellartiger Nutzungen für die (drohende) Abwertung eines Gebietes ausreicht.
1.2 Da das Vorhaben demnach bereits bauplanungsrechtlich unzulässig ist, kann die Frage, ob es wegen fehlender nachgewiesener Stellplätze auch bauordnungsrechtlich unzulässig wäre, offen bleiben. Insbesondere bleibt offen, ob, wie von der Beklagten angenommen, ein Stellplatzbedarf von insgesamt 28 Stellplätzen erforderlich ist. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass die mindestens – selbst nach Auffassung der Klägerin – zu fordernden 16 Stellplätze im Entscheidungszeitpunkt auch nicht nachgewiesen sind. Insofern weisen die bei den Akten befindlichen Bauvorlagen tatsächlich nur 15 Stellplätze nach. Der Umstand, auf den der Klägerbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 01. März 2016 hinweist, dass anstatt der Garage, die nur einen Stellplatz repräsentiert, nun wegen deren Abbruchs zwei Stellplätze vorhanden sind, ist unerheblich. Denn Entscheidungsgrundlage ist nicht das in diesem Schriftsatz Vorgetragene, sondern das, was in der letzten Fassung der dem Bauantrag zugrunde liegenden Bauvorlagen dargestellt ist. Eine Änderung der Bauvorlagen ist jedoch bis zuletzt nicht erfolgt.
2. Die Klage ist auch hinsichtlich des Hilfsantrages, über den wegen des Eintritts der für diesen gestellten Bedingung, nämlich die Erfolglosigkeit der Klage im Hauptantrag, zu entscheiden ist, ebenfalls unbegründet. Die hilfsweise beantragte Verbescheidung kommt nicht in Betracht. Ein Fall von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO liegt hinsichtlich der beantragten Baugenehmigung nicht vor; auch ansonsten besteht für eine Verpflichtung zur erneuten Verbescheidung kein Anlass.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 10.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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