Baurecht

Verstoß eines Bebauungsplans gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften

Aktenzeichen  15 N 18.1212

Datum:
25.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27374
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
UmwRG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 2, § 3
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 30, § 35
BayWG Art. 15
BauNVO § 11

 

Leitsatz

1. Zum Grundsatz der planerischen Zurückhaltung. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB wird nicht allein dadurch verletzt, dass sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen Belangs entscheidet. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag ist zulässig, jedoch unbegründet.
1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig, weil sich der Antragsteller als anerkannte Vereinigung (§ 2 Abs. 1; § 3 UmwRG) während des Verfahrens zur Aufstellung des streitgegenständlichen Bebauungsplans geäußert hat und vorliegend die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend macht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwRG i.V.m. § 2 Abs. 7, Anlage 5 Nr. 1.8 UVPG; § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst b und Satz 2 UmwRG). Dem Antrag fehlt entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Dabei kann offenbleiben, ob das Bauvorhaben zwischenzeitlich bereits „vollständig verwirklicht“ ist oder nicht, weil sich die Rechtsposition des Antragstellers jedenfalls in einzelnen der noch anhängigen Klageverfahren gegen die Baugenehmigungen dann verbessern kann, wenn die Unwirksamkeit des Bebauungsplans festgestellt wird. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der auf der Grundlage des Bebauungsplans (§ 30 BauGB) erteilten Baugenehmigung für Geländemodellierungen (Abgrabungen) im Plangebiet und zwar (erst recht) dann, wenn man der Rechtsauffassung folgt, dass bei einer Baugenehmigung nach § 30 BauGB – anders als bei einer Baugenehmigung auf der Grundlage des § 35 BauGB – keine umweltbezogenen Vorschriften zur Anwendung kommen und deshalb hiergegen auch keine Klagemöglichkeit seitens des Umweltverbands (Antragstellers) besteht (vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 11.4.2018 – 2 CS 18.198 – NUR 2019, 483 = juris Rn. 9). Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist ferner nicht offensichtlich, dass die Klage gegen die zuletzt erteilte Baugenehmigung (3. Bauabschnitt) wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig ist, da im Klageverfahren streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine öffentliche Bekanntmachung dieser Baugenehmigung erfüllt waren oder nicht. Ebenso ist keineswegs offensichtlich, dass sämtliche Klagen gegen die Baugenehmigungen „verwirkt“ sein könnten, weil der Antragsteller von seinem Klagerecht erst „zu einem Zeitpunkt, als das gesamte Vorhaben bereits weitgehend verwirklicht war“, Gebrauch gemacht hat. Der Antragsteller hat binnen Jahresfrist Klage gegen die Baugenehmigungen erhoben (vgl. zur Verwirkung des Klagerechts bei einem Umweltverband unter Anlehnung an § 58 Abs. 2 VwGO z.B. BayVGH, U.v. 7.8.2001 – 8 A 01.40004 – VGH n.F. 54, 130 = juris Rn. 21). Dem Vorbringen des Antragsgegners lassen sich demgegenüber keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass das Klagerecht des Antragstellers aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles (etwa im Verhältnis des Antragstellers zum Bauherrn) noch vor Ablauf der Jahresfrist hätte verwirkt gewesen sein können (vgl. hierzu grundlegend z.B. BVerwG, U.v. 25.1.1974 – IV C 2.72 – BVerwGE 44, 294 = juris Rn. 23 ff., 28). Ebenso gibt es keinen Grund zur Annahme, die Antragsbefugnis des Antragstellers im Normenkontrollverfahren könne dadurch verwirkt sein, dass der Normenkontrollantrag erst kurz vor Ablauf der Jahresfrist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) gestellt worden ist (vgl. zur Verwirkung im Normenkontrollverfahren vor Ablauf der Antragsfrist allgemein z.B. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 71).
2. Der zulässige Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet. Der Bebauungsplan verstößt entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht in entscheidungserheblicher Weise gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwRG), insbesondere hat der Antragsgegner die vorliegend geltend gemachten abwägungserheblichen (umweltbezogenen) Belange fehlerfrei ermittelt, bewertet und abgewogen (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB).
a) Entgegen der Ansicht des Antragstellers hat der Antragsgegner die Beseitigung des Niederschlagswassers (einschließlich des etwaigen Problems, dass umweltschädliche Stoffe über das Niederschlagswasser in den Freibach gelangen und zu nachteiligen Veränderungen der Gewässerqualität führen können) im Planaufstellungsverfahren nicht unberücksichtigt gelassen. Die Planung sieht – ausweislich der Anlage 1 zur Niederschrift über die vom Gemeinderat in dessen Sitzung vom 15. Mai 2017 vorgenommene Abwägung der im Planaufstellungsverfahren ermittelten und bewerteten Belange – vor, das Niederschlagswasser im Südwesten des Planungsgebietes zu sammeln und anschließend in den Freibach einzuleiten. Die Entwässerungsplanung hat dabei das Ziel, die Belange des Artenschutzes zu berücksichtigen und eine hydraulische Lösung für die Beseitigung des Oberflächenwassers zu finden. Im Rahmen der Entwässerungsplanung sind außerdem eventuelle Einträge von Schadstoffen durch Absetzvorrichtungen auszuschließen. Die Erreichung dieser Ziele ist nach der gerichtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gemeinderats durch die nachfolgende „wasserrechtliche Genehmigung des Rückhaltebeckens und der Einleitung des Niederschlagswassers in den Freibach“ gewährleistet. Gegen diese Einschätzung wurden im Planaufstellungsverfahren vom beteiligten Wasserwirtschaftsamt keine Einwände erhoben. Der Antragsgegner durfte nach alledem im Planaufstellungsverfahren dem Grundsatz der „planerischen Zurückhaltung“ folgen (vgl. hierzu z.B. BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 15 N 15.1201 – juris Rn. 57 ff.) und davon ausgehen, dass den vom Antragsteller erhobenen Bedenken im nachfolgenden wasserrechtlichen Verfahren Rechnung getragen wird und etwaige Probleme dort auch gelöst werden können. Tatsächlich stellt nunmehr der Bescheid des Landratsamts vom 17. Januar 2018 über die erteilte wasserrechtliche Erlaubnis in den Gründen auch fest, dass keine schädliche Veränderung der Gewässereigenschaft vorliegt, eine Beeinträchtigung bei ordnungsgemäßen Betrieb nicht zu erwarten ist und auch aus naturschutzfachlicher Sicht mit dem Vorhaben Einverständnis besteht.
b) Der Antragsgegner musste über den im Planaufstellungsverfahren eingeholten artenschutzrechtlichen „Fachbeitrag“ (vom 6.7.2016) über mögliche Verbotstatbestände für die Artengruppe der Fledermäuse hinaus auch keine weitere spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (etwa über etwaige im Freibach vorhandene geschützte Arten) vornehmen, weil nach den – auch naturschutzfachlich nicht substantiiert in Zweifel gezogenen – Erkenntnissen im Planaufstellungsverfahren der Antragsgegner zu Recht davon ausgehen durfte, dass die Umsetzung des Bebauungsplans jedenfalls nicht zwangsläufig an (etwaigen anderen) artenschutzrechtlichen Hindernissen scheitert (vgl. hierzu z.B. BayVGH, U.v. 18.1.2017 – 15 N 14.2033 – KommJur 2017, 112 = juris Rn. 32 m.w.N.). Der bereits genannte Bescheid des Landratsamts vom 17. Januar 2018 hat die Richtigkeit dieser Einschätzung ebenfalls bereits bestätigt.
c) Ein Abwägungsfehler liegt schließlich auch nicht darin, dass der Antragsgegner bei der Abwägung der in die Planung einzustellenden Belange den vom Antragsteller betonten umweltbezogenen Belangen (insbesondere die Veränderungen des Landschaftsbildes infolge Abgrabung, Aufschüttung und Versiegelung der Flächen) keinen durchgreifenden Vorrang eingeräumt hat. Das Abwägungsgebot verpflichtet die Gemeinde, die für die Planung bedeutsamen öffentlichen und privaten Belange (Abwägungsmaterial) zu ermitteln und zu bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB) sowie sie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB). Die Abwägung selbst unterliegt allerdings nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Gegen das rechtsstaatlich fundierte Gebot gerechter Abwägung wird (nur dann) verstoßen, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung dieser Belange verkannt wird (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität). Einen derartigen Abwägungsfehler vermag der Senat vorliegend nicht zu erkennen. Der Antragsgegner hat sich nach einer detaillierten Standortanalyse unter Betrachtung zahlreicher Standortalternativen aufgrund sachlicher Erwägungen für den gewählten Standort entschieden und im Bebauungsplan umfangreiche Maßnahmen der Landschaftspflege und des Naturschutzes zur Vermeidung und zum Ausgleich der nachteiligen Auswirkungen des Eingriffes in Natur und Landschaft festgesetzt. Eine Abwägungsfehleinschätzung oder eine Abwägungsdisproportionalität ist nicht ersichtlich. Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, wenn sich der Antragsgegner trotz der vom Antragsteller vorrangig in den Blick genommenen umweltbezogenen Belange gleichwohl zur Neuausweisung des Sondergebiets im vorherigen bauplanungsrechtlichen Außenbereich entscheidet. Denn das Abwägungsgebot wird nicht allein dadurch verletzt, dass sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen Belangs entscheidet (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 18.1.2017 – 15 N 14.2033 – KommJur 2017, 112 = juris Rn. 35 m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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