Baurecht

Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme wegen Verletzung der Abstandsflächenvorschriften

Aktenzeichen  M 8 SN 16.2877

Datum:
16.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 103545
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO §§ 80a, 80 Abs. 5
BauGB § 34 Abs. 1 und 2
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 1

 

Leitsatz

Zwar indiziert die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften, dass auch das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt ist. Daraus lässt sich aber nicht der Umkehrschluss ableiten, dass bei einer Verletzung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften regelmäßig auch eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes zu bejahen oder indiziert wäre (vgl. BayVGH BeckRS 2011, 33344; BeckRS 2011, 33787; BeckRS 2014, 51314). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die am 25. Mai 2016 erteilten Baugenehmigung für das südlich gelegenen Nachbargrundstück … Straße 45 in …, Fl.Nr. … der Gemarkung …
Auf dem streitgegenständlichen Grundstück befinden sich gegenwärtig zwei aneinander gebaute Häuser. Das westliche Gebäude an der … Straße ist zweigeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss. Östlich daran schließt sich ein eingeschossiges Gebäude mit Flachdach an.
Zur baulichen Situation vergleiche beiliegenden Lageplan:
Mit Bauantrag vom 18. Dezember 2015 nach Pl.Nr. … beantragte die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen die Nutzungsänderung der Bestandsgebäude auf dem streitgegenständlichen Grundstück von Wohnen zu Büro und von Schreinerei zu Wohnen sowie die Sanierung der Wohn- und Gewerbegebäude mit Carport und die Errichtung von Balkonen und Dachterrassen. Beabsichtigt sei ein innerer Umbau des zweigeschossigen Vordergebäudes unter Erhaltung der wesentlichen äußeren Abmessungen. Mit dem Bauantrag vom 15. Dezember 2015 wurde zugleich eine Abweichung gemäß Art. 63 BayBO von Art. 6 BayBO beantragt, da sich die Abstandsflächen des an der Ostfassade des Vordergebäudes vorgesehenen Balkons mit denen des Flachbaus überlappen würden. Mit Handeintragungen vom 8. Februar 2016 wurden die Bauvorlagen im Hinblick auf den geplanten Balkon, der Gegenstand des Abweichungsantrages ist, dahingehend tektiert, so dass dessen Breite von ursprünglich 5,70 m auf 3,90 m eingekürzt wurde. Die östliche Giebelwand, an der dieser Balkon errichtet werden soll, ist abgegriffen etwa 11,70 m breit.
Mit Bescheid vom 25. Mai 2016 erteilte die Antragsgegnerin der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen die Baugenehmigung gemäß dem Bauantrag vom 15. / 18. Dezember 2015 nach Pl.-Nr. … mit Handeintragungen vom 8. Februar 2016 im vereinfachten Genehmigungsverfahren.
Eine Nachbarausfertigung der Baugenehmigung wurde dem Antragsteller am 1. Juni 2016 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2016, am selben Tag bei Gericht eingegangen, erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers Klage gegen die Baugenehmigung und beantragten zugleich: Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung der Beklagten vom 25.5.2016, Az: … wird wiederhergestellt.
Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, die Abstandsflächen gemäß Art. 6 BayBO sowie die Brandschutzabstände gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 und Art. 30 Abs. 2 BayBO seien nicht eingehalten und im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens auch nicht geprüft worden. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 VwGO) sei geboten, da nach der summarischen Prüfung ein Erfolg im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher sei als ein Misserfolg.
Mit Schreiben vom 23. September 2016 beantragte die Antragsgegnerin, der Antrag wird abgelehnt.
Zum Sachverhalt wurde im Wesentlichen ausgeführt, der vordere Teil des Bestandsgebäudes der Beigeladenen sei bereits im Bestand mit einem nur geringen Grenzabstand zum antragstellerischen Grundstück hin genehmigt und errichtet worden. Im rückwärtigen Teil liege im Bestand ein Grenzanbau an der nördlichen Grundstücksgrenze vor. Das geplante Bauvorhaben greife diese Lage auf. Die bestehende Außenwand werde im vorderen Bereich des Grundstücks lediglich energetisch saniert, die Größe und Position der Fenster zum antragstellerischen Grundstück ändere sich nicht. Im Bereich des Übergangs werde der bisher an die nördliche Grenze reichende Bestand abgebrochen. Die auf dem Flachdach geplanten Terrassen träten lediglich in Form filigraner Umwehrungen in Erscheinung.
In rechtlicher Hinsicht wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, das durchgeführte Baugenehmigungsverfahren sei auf den in Art. 59 BayBO vorgesehenen Prüfumfang beschränkt worden. In diesem Prüfumfang sei weder die Einhaltung des Art. 6 BayBO noch des Art. 28 BayBO vorgesehen, so dass die Baugenehmigung zur Einhaltung dieser Vorschriften auch keine Feststellung treffe. Die Baugenehmigung enthalte auch keine Abweichung im Sinne von Art. 63 BayBO. Darüber hinaus läge auch kein Verstoß gegen Art. 6 BayBO bzw. Art. 28 BayBO vor, weil die geplante Nutzungsänderung keine abstandsflächen- bzw. brandabstandsrelevanten Merkmale betreffe. Die für die Abstandsflächen relevanten Parameter seien von der genehmigten Maßnahme nicht berührt, so dass kein Anlass bestehe, die Bebauung hinsichtlich dieser bauordnungsrechtlichen Vorgaben zu überprüfen (vgl. BayVGH, B. v. 12.9.2005 – 1 ZB 05.42). Die gesetzlichen Schutzgüter – Belichtung, Belüftung, Wohnfriede, Verhinderung von Brandüberschlag – würden im Vergleich zur bisher vorhandenen bestandsgeschützten Situation nicht negativ verändert.
Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2016 beantragten die Bevollmächtigten der Beigeladenen, der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2016 begründeten sie ihren Antrag und führten im Wesentlichen aus, dass das erstmals auf einem Lageplan von 1932 dargestellte Bestands-Vordergebäude zur nördlichen Nachbargrenze schon immer einen Abstand von nur ca. 1,00 m aufgewiesen habe. Mit Baugenehmigung vom 10. September 1965 sei die Errichtung einer Schreinerwerkstätte im mittleren Teil des Grundstücks „auf die Dauer von fünf Jahren stets widerruflich“ genehmigt worden. Ein Widerruf dieser Genehmigung sei nie erfolgt. Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 25. Mai 2016 enthalte keine Abweichungen, ein zunächst gestellter Abweichungsantrag sei zumindest konkludent zurückgenommen worden, da der betroffene Bauteil in der Tektur so verändert worden sei, dass er ohne Erteilung einer Abweichung genehmigungsfähig sei. Die Prüfung der Abstandsflächen des Art. 6 BayBO und des Art. 28 BayBO falle nach Art. 59 BayBO nicht in den Prüfungsumfang eines vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens. Spätestens mit der Tektur sei keine Abweichung mehr beantragt gewesen und die Genehmigungsbehörde habe keine Entscheidung getroffen. Für die nach Norden fallende Abstandsfläche des Rückgebäudes sei überhaupt keine Abweichung beantragt worden, daher falle die Prüfung dieser Abstandsfläche auch aus diesem Grund nicht in das Prüfprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens. Das drittschützende Rücksichtnahmegebot sei ebenfalls nicht verletzt. Die nunmehr genehmigte Bebauung sei identisch mit der seit 1965 existierenden Werkstatt, so dass keine Verschlechterung zu Lasten des Antragstellers entstehe. Aufgrund des schmalen Grundstückszuschnitts im westlichen Teil liege im Übrigen eine atypische Grundstückssituation vor. Die nachbarlichen Belange seien ausreichend berücksichtigt, da diese nicht stärker beeinträchtigt seien als durch den genehmigten Altbestand. Da der Antragsteller selbst im rückwärtigen Teil seines Grundstücks kommun an die Grundstücksgrenze angebaut habe und die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalte, könne er sich seinerseits nicht auf eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften berufen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
I. Der zulässige Antrag nach § 80 a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, da die angefochtene Baugenehmigung vom 25. Mai 2016 bei summarischer Prüfung voraussichtlich keine nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts verletzt, die im vorliegenden Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Nach § 212 a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 80 Rn. 146; Schmidt in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 71ff).
2. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass das mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugelassene Bauvorhaben voraussichtlich weder in bauplanungsrechtlicher noch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht gegen drittschützende Rechte des Antragstellers verstößt, die im vorliegenden Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (Art. 59 BayBO, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 34 Abs. 1 BauGB, da für das streitgegenständliche Grundstück kein qualifizierter Bebauungsplan besteht, sondern lediglich ein Baulinienplan, der eine (vordere) Baulinie entlang der … Straße festsetzt. Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
3.1 Die Art der baulichen Nutzung wird vorliegend nicht in Frage gestellt und von den Beteiligten auch nicht problematisiert. Anhaltspunkte, die gegen die Zulässigkeit der beantragten Nutzungsänderung von Wohnraum zu Büro sowie von Schreinerei zu Wohnen sprechen, sind voraussichtlich nach der nur möglichen, aber zugleich ausreichenden summarischen Prüfung nicht ersichtlich.
3.2 Auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung bestehen keine Bedenken. Es entspricht der ganz herrschenden Meinung, dass die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht nachbarschützend sind (vgl. BVerwG, B. v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B. v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 3; B. v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9).
Für die Verletzung von nachbarlichen Rechten kommt es daher vorliegend allein darauf an, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme auf den Antragsteller einhält (vgl. BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 4).
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG U. v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris Rn. 22; U. v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 16; BayVGH, B. v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
Gemessen am allgemeinen Gebot der Rücksichtnahme stellt sich das streitgegenständliche Vorhaben weder im Hinblick auf eine einmauernde oder erdrückende Wirkung (vgl. 3.2.1) noch hinsichtlich der Belichtung/Besonnung (vgl. 3.2.2) sowie eventueller Einblickmöglichkeiten (vgl. 3.2.3) und schließlich auch nicht wegen des gerügten Abstandsflächenverstoßes (vgl. 3.2.4) sowie des gerügten Verstoßes gegen Brandschutzvorschriften (vgl. 3.2.5) als unzumutbar und damit rücksichtslos dar.
3.2.1 Eine abriegelnde und erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U. v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U. v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, – juris Rn. 15: Drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B. v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B. v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B. v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B. v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9). Vorliegend fehlt es bereits an einer erheblichen Höhendifferenz zwischen dem Vorhabengebäude und dem Anwesen des Antragstellers.
3.2.2 Ebenso ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, dass das Vorhaben zu einer wesentlichen Verschlechterung der Belichtungs- und Besonnungsverhältnisse führen könnte, die für den Antragsteller unzumutbar seien.
3.2.3 Eventuelle Einblickmöglichkeiten auf das antragstellerische Grundstück durch das streitgegenständliche Vorhaben, soweit diese nicht ohnehin bereits durch die Bestandsbebauung gegeben sind, führen ebenfalls zu keiner Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Das Rücksichtnahmegebot gibt dem Nachbarn nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung, speziell vor jeglichen Einblicken verschont zu bleiben (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2005 a.a.O.; Sächs. OVG B.v. 23.2.2010 – 1 B 581/09 – juris Rn. 5). Gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten sind im innerstädtischen Bereich unvermeidlich. Das Gebot der Rücksichtnahme schützt grundsätzlich nicht vor der Möglichkeit, in andere Grundstücke von benachbarten Häusern aus Einsicht nehmen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 20. 12. 2016 – 9 CS 16.2088 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 13 m.w.N.).
3.2.4 Eine mögliche Verletzung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO führt nicht dazu, dass das Vorhaben bauplanungsrechtlich rücksichtslos ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2016 – 9 ZB 13.1877 – juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.12. 2016 – 9 CS 16.2088 – juris Rn. 16). Hierzu ist klarzustellen, dass zwar die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften für das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot in tatsächlicher Hinsicht indiziert, dass auch das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt ist (vgl. BVerwG, B. v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 NVwZ 1999, 879 – juris Rn. 4; BayVGH, B. v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9 – juris). Daraus lässt sich aber nicht der Umkehrschluss ableiten, dass bei einer Verletzung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften regelmäßig auch eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes zu bejahen oder indiziert wäre (vgl. BayVGH, B. v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17; B. v. 6.9.2011 – 1 ZB 10.1301 – juris; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11; Schwarzer/König, 4. Aufl. 2012, BayBO, Art. 6 Rn. 7). Zudem würde andernfalls die vom bayerischen Landesgesetzgeber mit der Beschränkung des Prüfungsumfangs im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren in Art. 59 BayBO verfolgte Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens ad absurdum geführt, wenn bei der Prüfung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme inzident und vollumfänglich die Prüfung der landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften geboten wäre.
3.2.5 Das streitgegenständliche Bauvorhaben verletzt das Rücksichtnahmegebot auch nicht im Hinblick auf bauordnungsrechtliche Brandschutzvorschriften. Ähnlich der Wertung, dass ein Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften nicht automatisch eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots impliziert (vgl. BVerwG, U. v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – NVwZ 1999, 879 f.; BayVGH, B. v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2326 – juris Rn. 10), bedeutet ein – möglicher – Verstoß gegen landesrechtliche Brandschutzvorschriften ebenfalls keine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme. Eine andere Bewertung würde sowohl die seit dem Gutachten des Bundesverfassungsgerichts von 1954 (BVerfG, Gutachten vom 16.6.1954, Az: 1 PBvV 2/52 – juris) klare Trennung zwischen bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Vorschriften in Frage stellen als auch eine Relativierung des eingeschränkten Prüfumfangs des Art. 59 BayBO bedeuten. Die Annahme der Verletzung des Rücksichtnahmegebots könnte daher bei einer Verletzung von bauordnungsrechtlichen Brandschutzvorschriften allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die Missachtung der letzteren evident und die Gefahr der Brandausbreitung auf das Nachbargrundstück konkret und erheblich wäre (vgl. VG München, U. v. 21.11.2016 – M 8 K 15.4834).
Hierzu ist von Seiten des Antragstellers nichts vorgetragen und aus den vorgelegten Behördenakten sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich. Die Baugenehmigung für das Bestandsrückgebäude vom 10. September 1965 enthält auf Seite 2 unter Ziffer 7 vielmehr die Auflage: „die nördliche Grenzabschlusswand sowie die Gebäudetrennwand zum Vordergebäude sind als Brandwände nach Art. 31 BayBO auszuführen“. Aus einem bei den Behördenakten befindlichen Schlussabnahmeschein vom 9. Juni 1969, Az. L 423,4531 geht hervor, dass aufgrund der am 6. Juni 1969 durchgeführten Schlussbesichtigung die bauliche Anlage … Straße 45 – Nebengebäude – gemäß Art. 98 BayBO abgenommen wurde. Daher ist auch von einer ordnungsgemäßen Bauausführung mit Brandwand im Sinne von Ziffer 7 der Baugenehmigung vom 10. September 1965 auszugehen. Hinzu kommt die mit Bescheid vom 1. April 1966 genehmigte Gartenmauer aus Stampfbeton B 160 auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze im Bereich des Flachdachanbaus, soweit dieser nicht auf der Grundstücksgrenze errichtet ist, die ebenfalls dazu beiträgt, die Gefahr eines Brandübergriffs zu reduzieren.
Nach Aktenlage gibt es auch keine Hinweise, dass das Vordergebäude mit seiner dem antragstellerischen Grundstück und Gebäuden zugewandten Seite durch die geplante energetische Sanierung sowie den geplanten Umbau im Gebäudeinneren eine besondere Gefahr der Ausbreitung eines Feuers darstellt, die über das bereits mit dem bisherigen Bestand verbundene Maß hinausgeht. Auch hierzu wurde von Seiten des Antragstellers nichts vorgetragen.
4. Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen drittschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften, die vom Prüfprogramm der streitgegenständlichen Baugenehmigung umfasst sind.
4.1 Der Einwand, das Vorhaben verletze die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenregelungen des Art. 6 BayBO, führt im vorliegenden Fall nicht zum Erfolg der Klage, da für das streitgegenständliche Vorhaben mangels Sonderbau im Sinne von Art. 2 Abs. 4 BayBO ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO durchzuführen war (vgl. BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11).
Im vereinfachten Genehmigungsverfahren ist gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 BayBO im Wesentlichen nur die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu prüfen. Die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften ist darin nicht vorgesehen; eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften wurde weder beantragt noch erteilt.
Bauordnungsrechtliche Anforderungen – wie das Abstandsflächenrecht des Art. 6 BayBO – gehören nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung nur dann gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO zum Prüfprogramm der Baugenehmigungsbehörde, wenn insoweit Abweichungen beantragt bzw. solche auch erteilt wurden (vgl. BayVGH, B. v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 33 und 36; BayVGH, B. v. 28.9.2010 – 2 CS 10.1760 – BayVBl 2011, 174; B. v. 7.2.2011 – 2 ZB 11.11 – juris; BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3 m. w. N.).
Der ursprüngliche Antrag vom 12. Dezember 2015 auf Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 63 BayBO von Art. 6 BayBO wurde von der Behörde zwar intern vorgeprüft. Dieser Antrag wurde jedoch durch die Tektur des Antrags auf Baugenehmigung vom 8. Februar 2016 (Verkleinerung des Balkons im 1. OG an der Ostseite des Vordergebäudes) gegenstandslos, weil dadurch die dem Antrag auf Abweichung zugrunde liegende Planung entfallen ist. Es kann daher offen bleiben, ob der Antrag damit als zurückgezogen anzusehen ist. Jedenfalls hat die Antragsgegnerin diesen gegenstandslos gewordenen Antrag nicht zum Gegenstand der streitgegenständlichen Baugenehmigung gemacht und somit auch keine Entscheidung über die Erteilung einer Abweichung getroffen.
Die Feststellungswirkung der Genehmigung ist deshalb auf die in Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO genannten Kriterien beschränkt (vgl. BayVGH, B. v. 28.9.2010 – 2 CS 10.1760 – BayVBl 2011, 174; B. v. 7.2.2011 – 2 ZB 11.11 – juris; BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3 m. w. N.). Den beschränkten Prüfungsmaßstab des Art. 59 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde außer im Fall der Versagung der Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO auch nicht selbst erweitern. Eine Erweiterung des Prüfungsumfangs bei Erteilung der Baugenehmigung ist nicht vorgesehen (vgl. BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3 m. w. N.; BayVGH, U. v. 19.1.2009 – 2 BV 08.2567 – BayVBl 2009, 507; B. v. 1.7.2009 – 2 BV 08.2465 – BayVBl 2009, 727). Eine solche würde auch, je weiter man entsprechende Feststellungen in einer Baugenehmigung zuließe, schließlich zur Entwertung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens führen (vgl. BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3 m. w. N.).
Ohne Belang ist es daher, dass die Antragsgegnerin behördenintern zunächst die Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften geprüft hat, die später durch die erwähnte Tektur der Planung ohnehin gegenstandslos geworden ist und die Beigeladene Abstandsflächen in den Planunterlagen dargestellt hat und dieser Plan ausweislich des Genehmigungsstempels der Antragsgegnerin Bestandteil der Baugenehmigung ist (vgl. BayVGH, B. v. 17.3.2014 – 15 CS 13.2648 – juris Rn. 14; B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11). Solange sich eine eventuelle Vorprüfung der Bauaufsichtsbehörde nicht durch die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO in der Baugenehmigung widerspiegelt, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung (vgl. BayVGH, B. v. 8.8.2016 – 2 CS 16.751).
Bereits in der Überschrift des streitgegenständlichen Bescheids, so wie an mehreren weiteren Stellen (vgl. Seite 1 Absatz 1 und Seite 4 unter „Inhalt der Baugenehmigung“) wird ausdrücklich und wiederholt darauf hingewiesen, dass die angefochtene Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO erteilt wird.
Eine Verletzung von Nachbarrechten des Antragstellers durch die angefochtene Baugenehmigung wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen kommt deshalb im vorliegenden Fall nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 17.3.2014 – 15 CS 13.2648 – juris Rn. 14 jeweils m. w. N.; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11 m. w. N.).
4.2 Aus den vorstehenden Gründen scheidet auch eine Verletzung von Nachbarrechten des Antragstellers wegen eines möglichen Verstoßes gegen brandschutzrechtliche Bestimmungen aus. Im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO sind die Vorschriften des Brandschutzes grundsätzlich nicht vom Prüfprogramm der Genehmigungsbehörde umfasst (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – BeckRS 2011, 31761 – juris Rn. 7; Wolf, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 123. EL August 2016 Art. 59 Rn. 25 und Rn. 107). Soweit der Antragsteller rügt, dass der Brandschutz nicht geprüft worden sei, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung. Denn die Prüfung des Brandschutzes gehört nicht zum Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens (Art. 59 Satz 1 BayBO). Nur dann, wenn die Norm überhaupt zum Prüfprogramm der Genehmigungsbehörde gehört, kann der mit ihr geschützte Belang auch zur objektiven Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führen. Dies ist bei den Bestimmungen über den Brandschutz (z.B. Art. 28 ff. BayBO) nicht der Fall. Auch wenn die Brandschutznachweise gemäß Art. 62 Abs. 3 BayBO gegebenenfalls zu prüfen sind (siehe Art. 59 Satz 2 BayBO), führt dies nicht zur Erweiterung des Prüfprogramms der Bauaufsichtsbehörde (vgl. BayVGH vom 27.10.1999 – 2 CS 99.2387 – BayVBl 2000,377 – juris Rn. 19).
Im vereinfachten Genehmigungsverfahren trägt der Bauherr auch hinsichtlich des Brandschutzes die Verantwortung, dass das Bauvorhaben den vom Prüfumfang des Baugenehmigungsverfahrens nicht umfassten öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Hierauf hat die Antragsgegnerin im Bescheid unter der Rubrik „Inhalt der Baugenehmigung“ hingewiesen. Die Verpflichtung des Bauherrn bestimmte bautechnische Nachweise und Bescheinigungen vorzulegen, ist zwar Voraussetzung für den Baubeginn oder bestimmte Abschnitte der Bauausführung, führt jedoch zu keiner Erweiterung des Prüfprogramms der Bauaufsichtsbehörde (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.1999 – 2 CS 99.2387 – juris Rn. 17).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Es entspricht billigem Ermessen im Sinn von § 162 Abs. 3 VwGO, dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich damit entsprechend § 154 Abs. 3 VwGO auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziff. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben