Baurecht

Verwirkung von Verfahrensrechten von materiellen Nachbarrechten

Aktenzeichen  AN 3 K 18.00985

Datum:
17.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10438
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6, Art. 54 Abs. 2
VwGO § 58 Abs. 2, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 5 S. 1, § 114
VwVfG § 35
BGB § 133, § 157, § 242

 

Leitsatz

1. Die rechtliche Qualität eines Behördenschreibens ist im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Einzelfallumstände zu bestimmen. Entscheidend dafür, ob behördliches Handeln einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG darstellt, ist der objektive Sinngehalt der Erklärung. (Rn. 28 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten besteht nicht schon bei Vorliegen einer Verletzung drittschütztender Rechte des Nachbarn, sondern nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist. Voraussetzung dafür ist ein erheblicher Grad der von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehenden Beeinträchtigungen sowie ein deutliches Übergewicht der Nachbarinteressen in der Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn. (Rn. 39 – 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Verfahrenskosten.

Gründe

Nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben, konnte über vorliegende Streitsache ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO
I.
Streitgegenstand vorliegender Klagen ist das Begehren der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten.
Im hier zu entscheidenden Fall bestehen bereits bezüglich der Zulässigkeit der Klagen Bedenken (siehe I), jedenfalls aber erweisen sich die Klagen als unbegründet (siehe II).
Zwar ist die Klagefrist des § 74 Abs. 2 VwGO gewahrt, denn mangels Rechtsbehelfsbelehrung:läuft gemäß § 58 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO insoweit vorliegend die Jahresfrist (vgl. unten 1.), jedoch ist eventuell vom Vorliegen einer Verwirkung/unzulässigen Rechtsausübung der verfahrensrechtlicher Nachbarrechte auszugehen im Hinblick auf den Zeitablauf unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände (vgl. unten 2.).
1. Das Schreiben des Landratsamtes … vom 10. Oktober 2017, mit welchem das klägerseits beantragte bauaufsichtliche Einschreiten durch Erlass einer Rückbauverpflichtung der streitgegenständlichen Gaube wegen Verletzung des Art. 6 BayBO abgelehnt wurde, stellt nicht nur eine bloße Auskunft oder einen Hinweis des Landratsamtes … zur rechtlichen Situation dar, sondern erfüllt die sich aus § 35 VwVfG ergebenden Anforderungen an das Vorliegen eines Verwaltungsaktes.
Die rechtliche Qualität eines Behördenschreibens ist vom Tatrichter im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Einzelfallumstände zu bestimmen (vgl. BVerwG vom 24.7.2018, 6 B 75.17 – juris).
Entscheidend dafür, ob behördliches Handeln ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG ist, ist der objektive Sinngehalt der Erklärung. Dieser erschließt sich – ähnlich wie der Inhalt einer Willenserklärung im Zivilrecht – entsprechend den §§ 133, 157 BGB aus dem „objektiven Empfängerhorizont“. Entscheidend ist demnach, wie ein Betroffener das Verhalten der Behörde unter Berücksichtigung aller in Betracht zu ziehender Umstände verstehen darf/muss, wobei z.B. das Handeln oder die Erklärung nach ihrer äußeren Form, ihrer Abfassung, ihrer Begründung, dem Beifügen einer Rechtsmittelbelehrungoder vergleichbarer Gesichtspunkte mögliche, aber nicht zwingende Anhaltspunkte bieten kann. Darüber hinaus sind auch alles sonstigen bekannten oder erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen, welche mit dem Vorgang in zeitlichem oder sachlichem Zusammenhang stehen. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (vgl. z.B. BVerwG vom 20.6.2013, 8 C 47.12 – juris).
Im Einzelfall ist zu klären, ob die Behörde bei der Abgabe einer bestimmten Erklärung einen entsprechenden Entscheidungs- bzw. Regelungswillen hatte i.S.d. § 35 VwVfG, wobei es in der Regel auf den nach außen hin erkennbaren Willen der Behörde ankommt, wie der Adressat von seinem Standpunkt aus bei verständiger Würdigung die Erklärung verstanden hat. Maßgebend ist nicht der innere, sondern der erklärte Wille. Es kommt also darauf an, wie der Adressat unter Berücksichtigung bestimmter äußerer Merkmale und aller sonstigen ihm bekannten/erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben bei objektiver Auslegung der Erklärung diese verstehen durfte (vgl. BVerwG vom 17.8.1995, 1 C 15.94 – juris).
Vorliegend spricht für die Annahme eines Verwaltungsaktes deutlich der Umstand, dass jenem Schreiben ein ausdrücklicher Antrag der Kläger vorausgegangen war und das Schreiben des Landratsamtes rechtsverbindlich klären sollte und wollte, ob ein Einschreiten erfolgen würde. Auch die Beteiligten selbst gingen erkennbar vom Vorliegen eines den Antrag der Kläger verbindlich ablehnenden Verwaltungsaktes aus. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten haben vorliegend die gegen die Annahme eines Verwaltungsakt sprechenden rein formalen Gesichtspunkte (keine „Bescheidform“, kein abgesetzter Regelungsausspruch, keine Rechtsbehelfsbelehrung:) zurückzutreten.
Ein präziser Zustellungszeitpunkt jenes einen Verwaltungsakt darstellenden Schreibens vom 10. Oktober 2017 ist den Akten nicht zu entnehmen, jedoch ist angesichts des am 25. Mai 2018 erfolgten Klageeinganges beim VG Ansbach festzustellen, dass die Klageerhebung im Rahmen der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO erfolgt ist.
2. Jedoch ist die nach obigen Ausführungen innerhalb des Laufes der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO erhobene Klage möglicherweise unter dem Gesichtspunkt Verwirkung/unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB anlog), welcher auch verfahrensrechtliche Rechte unterliegen (vgl. BVerwG vom 25.1.1974, BVerwGE 44, 294/301), unzulässig.
Nachbarn stehen zueinander in einem „nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis“, das nach Treu und Glauben von ihnen besondere Rücksichten gegeneinander fordert. Aus dem nachbarlichen Gegenseitigkeits- und Gemeinschaftsverhältnis resultiert etwa die Pflicht, Einwendungen gegen ein Bauvorhaben möglichst ungesäumt vorzutragen, um auf diese Weise wirtschaftlichen Schaden vom Bauherrn abzuwenden oder möglichst gering zu halten. Der Nachbar muss dieser Verpflichtung dadurch nachkommen, dass er nach Erkennen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend macht, wenn ihm nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden soll, weil er mit seinen Einwendungen länger als notwendig gewartet hat. Die Dauer des Zeitraums der Untätigkeit des Berechtigten, von der an im Hinblick auf die Gebote von Treu und Glauben von einer Verwirkung/einer unzulässigen Rechtsausübung die Rede sein kann, hängt dabei entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bereits vor Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO Verwirkung eintreten kann. Allerdings ist die Verwirkungsfrist deutlich länger als die Monatsfrist der §§ 70 i.V.m. § 58 Abs. 1 VwGO zu bemessen (vgl. z.B. BayVGH vom 21.3.2012, 14 ZB 11.2148 m.w.N. – juris).
Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles, so der Errichtung der hier inmitten stehenden Gaube spätestens Ende 2013 (vgl. die diesbezügliche Angabe im Erhebungsbogen für Baufertigstellung), der den Klägern im Februar 2017 zugestellten Befreiung der Stadt … (Bescheid vom 9.8.2016), erscheint das vorliegend gegebene weitere Zuwarten von wenigstens fünf Monaten zwischen der Ablehnung des begehrten bauaufsichtlichen Einschreitens und der Klageerhebung wohl als treuwidrig. Im Hinblick darauf, dass jedoch beigeladenenseits insoweit keine durch das Zuwarten der Kläger mit der Klageerhebung erfolgte Vertrauensbetätigung geltend gemacht wurde und eine solche auch nicht ohne Weiteres erkennbar ist, mag die Frage der Klagezulässigkeit wegen Verwirkung des Klagerechts oder wegen unzulässiger Rechtsausübung dahingestellt sein.
II.
Die Klagen erweisen sich jedenfalls – und das gilt für Haupt- und Hilfsantrag gleichermaßen – als unbegründet.
1. Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten nicht zu, eine Rechtsverletzung der Kläger durch die Ablehnung des Erlasses der begehrten Rückbauverpflichtung durch den Beklagten ist nicht gegeben, §§ 113 Abs. 5 Satz 1, 114 VwGO.
Nach Art. 76 Satz 1 BayBO steht die klägerseits begehrte Rückbauverpflichtung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
a) Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten besteht nicht schon bei Vorliegen einer Verletzung drittgeschützter Rechte des Nachbarn, sondern nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist, d.h., wenn jede andere Entscheidung mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Nachbarn ermessensfehlerhaft wäre. Voraussetzung dafür ist ein erheblicher Grad der von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehenden Beeinträchtigungen sowie ein deutliches Übergewicht der Nachbarinteressen in der Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn (vgl. z.B. BayVGH vom 14.3.2003, 15 ZB 99.2224 – juris; BayVerfGH vom 3.12.1993, BayVBl 1994, 110).
Im Beschluss vom 10. April 2018, 15 ZB 17.45 – juris, führt der BayVGH dazu unter anderem folgendes aus: „Danach ist dem Nachbarn unter Berücksichtigung des Grundsatzes Verhältnismäßigkeit ein Rechtsanspruch auf Einschreiten nur bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung des Nachbarn zuzubilligen. Das ist der Fall, wenn die von der (potentiell) rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 21.1.2002 – 2 ZB 00.780 – juris Rn. 2 […]), insbesondere wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (BayVGH München, Beschluss vom 9.9.2009 – 15 ZB 08.3355 – juris Rn. 9 m.w.N.).“
Vorliegend spricht bereits einiges dafür, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO nicht erfüllt sind, die streitgegenständliche Gaube vielmehr mit materiellem Recht in Einklang steht.
In Ansehung der dem Gericht vorliegenden Pläne im Baugenehmigungsverfahren … (bezüglich der planabweichenden Gaubenausführung sind keine zur Genehmigung gestellten Pläne vorhanden) löst das sich auf dem Baugrundstück vorhandene Wohnhaus bei Zugrundelegung einer Stichhöhe der streitgegenständlichen Gaube von 1,85 m unter Anwendung des 16-m-Privilegs im Bereich jener Gaube (wohl) eine Abstandsfläche von 4,42 m aus. Zum Klägergrundstück hin besteht nach Planlage ein Abstand von 4,45 m.
Jedoch auch bei Annahme einer (geringfügigen) Abstandsflächenverletzung durch die hier inmitten stehende Dachgaube ist nach obigen Ausführungen zur Ermessensreduzierung auf Null vorliegend nicht von einem Anspruch der Kläger auf Einschreiten des Beklagten auszugehen.
Eine für die nach der Rechtsprechung erforderliche Annahme einer qualifizierten Beeinträchtigung der nachbarlichen Rechtsstellung in Form einer unmittelbaren, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit oder sonstige unzumutbare Belästigungen ist angesichts der konkreten Gegebenheiten nicht erkennbar.
Gleiches gilt bezüglich einer möglichen Verletzung des drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme. Auch hier ist im Hinblick auf die streitgegenständliche Gaube nichts zu erkennen, was eine Rücksichtslosigkeit im planungsrechtlichen Sinne dartun würde, welche zur Bejahung einer Ermessensreduzierung auf Null bezüglich der klägerseits begehrten bauaufsichtlichen Einschreitens führen würde.
Das Rücksichtnahmegebot ist – unabhängig vom jeweiligen Planbereich – grundsätzlich dann verletzt, wenn sich das Vorhaben nach Abwägung aller Belange, insbesondere der Interessen des Bauherrn und der Nachbarn, als rücksichtslos darstellt, weil es auf besonders schutzwürdige und qualifizierte Belange des Nachbarn intensiv einwirkt (vgl. BVerwG vom 25.2.1977, 4 C 22.75).
Bedeutsam in diesem Zusammenhang könnte die von Klägerseite angeführte Einsichtnahmemöglichkeit in ihr Grundstück sein durch die streitgegenständliche Gaube. In der Regel stellt jedoch die Einsichtnahmemöglichkeit in Nachbargrundstücke keine unzumutbare Beeinträchtigung dar (vgl. z.B. BVerwG vom 3.1.1983, 4 B 224.82 – juris). Vielmehr ist diese Einsichtnahmemöglichkeit in bebauten Ortslagen regelmäßig unvermeidlich; das Gebot der Rücksichtnahme bietet im Regelfall im bebauten Ortsinneren keinen Schutz vor Einsichtnahme (vgl. z.B. BayVGH vom 6.8.2010, 15 CZ 09.3006 m.w.N. – juris).
Lediglich in Ausnahmefällen ist Schutz vor Einsichtnahme zu gewähren, dies hängt aber ausschließlich von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab.
Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen kann vorliegend mangels Gegebenseins/ Erkennbarkeit irgendwelche, diesbezüglich erforderliche, Besonderheiten eine Rücksichtslosigkeit durch die vom klägerischen Wohnhaus ca. 9 m entfernte streitgegenständliche Dachgaube nicht bejaht werden. Dies gilt sowohl hinsichtlich einer Rücksichtslosigkeit durch Einsichtnahme aufs Nachbargrundstück als auch – angesichts der konkreten Entfernung und Situierung der Dachgaube – im Hinblick auf die klägerseits befürchtete Verschattung.
b) Auch ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung besteht nicht.
Die Beklagte ist diesem Anspruch im angefochtenen Bescheid in nicht zu beanstandender Weise nachgekommen. Ermessensfehler sind nicht erkennbar (§ 114 VwGO).
Zu Recht durfte der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensbeteiligung die Auswirkungen des Vorhabens (Dachgaube) auf das klägerische Grundstück in Ansehung des Zeitablaufs berücksichtigen.
Ohne Ermessensfehler hat der Beklagte somit das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten abgelehnt.
2. Daneben haben die Kläger ihr materielles Abwehrrecht verwirkt bzw. es stehen der Berufung auf ein Recht auf bauaufsichtliches Einschreiten andere aus Treu und Glauben her zu leitende Gründe entgegen.
Die Kläger haben einen etwaigen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten in treuwidriger Weise verspätet geltend gemacht.
Grundsätzlich – wie bereits oben I. 2. zum Verfahrensrecht ausgeführt – ergibt sich aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis für den Nachbarn, dass er Einwendungen „ungesäumt“ geltend machen muss (BVerwG vom 18.3.1988, NVwZ 1988, 730), wobei keine allgemein geltenden Bemessungskriterien für die Dauer der Untätigkeit vorhanden sind. Entscheidend kommt es auch hier auf die Besonderheiten des Einzelfalles an, wobei sich der den Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten geltend machende Nachbar nicht unbedingt auf die Jahresfrist, § 58 Abs. 2 VwGO analog, berufen kann (BVerwG vom 25.1.1974, BVerwGE 44, 394 zur Verwirkung).
Der Mindestzeitraum liegt im Regelfall aber deutlich über der Monatsfrist für die Klageerhebung (BVerwG vom 16.5.1991, BayVBl 1991, 726 zur insoweit vergleichbaren Widerspruchseinlegung).
Das VG Regensburg führte diesbezüglich in seiner Entscheidung vom 14. Mai 2018, RN 6 K 17.2047 – juris, aus, dass im baurechtlichen Nachbarverhältnis Ansprüche auf bauaufsichtliches Einschreiten regelmäßig ein Jahr nach Erkennbarkeit einer Baumaßnahme nach Treu und Glauben nicht mehr geltend gemacht werden können, wobei insoweit maßgeblich die Umstände des Einzelfalles seien.
Soweit der BayVGH in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2019 15 ZB 18.979 – juris – so das VG Regensburg weiter, darauf verweist, dass unabhängig von der Frage der tatsächlichen oder möglichen Kenntnisnahme der Errichtung einer durch Baugenehmigung genehmigten baulichen Anlage der Nachbar nach einem Jahr einen Verstoß wegen Treu und Glaubens nicht mehr geltend machen könne, beziehe sich dies zunächst nur auf genehmigte Bauvorhaben. Der Grund für diesen Verstoß gegen Treu und Glauben liege aber im baurechtlichen Nachbarschaftsverhältnis, das unter Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalles auch in den Fällen maßgeblich sei, in denen der Nachbar von einem nicht genehmigten Bauvorhaben Kenntnis erlangt habe. Es gelte damit entsprechend für Ansprüche auf bauaufsichtliches Einschreiten.
Vorliegend haben die Kläger spätestens zum Dezember 2013, dem Fertigstellungszeitpunkt des Beigeladenenvorhabens mit der planabweichend errichteten streitgegenständlichen Gaube, Kenntnis erlangt/hätten erlangen können von der (behaupteten) Verletzung des Abstandsflächenrechts bzw. des Gebotes der Rücksichtnahme.
Dennoch haben sie die Ausführung dieser die Dachgaube betreffenden Baumaßnahme nicht im Sinne einer bauaufsichtliches Einschreiten fordernden Art und Weise gerügt. Eine am 29. September 2015 beim Landratsamt stattgefundene Besprechung sowie das Schreiben ans Landratsamt vom 12. November 2015 erfolgten ausschließlich im Hinblick auf ein Einschreiten wegen der dem Bebauungsplan widersprechenden Dachneigung von 42 Grad und der Befürchtung, dass im Spitzboden eine Wohnung errichtet werden würde (vgl. Mails der Kläger ans Landratsamt vom 9.12.2015 und vom 21.1.2016).
Erstmals im Laufe des Jahres 2016 wurde klägerseits gerügt, dass die streitgegenständliche Gaube mit einer Stichhöhe von 1,85 m der „Gaubenverordnung“ widerspreche. Eine bauaufsichtliche Prüfung bezüglich der Gaube wurde mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2016 begehrt. Im Februar 2017 wurde den Klägern die dem Beigeladenen bezüglich der Gaube erteilte Befreiung der Stadt … vom 9. August 2016 zugestellt, und die von der Stadt … im Zusammenhang mit jener Befreiungserteilung geforderten baulichen Maßnahmen an der Gaube wurden vom Beigeladenen gegenüber dem Landratsamt … zum 23. Februar 2017 als erfolgt gemeldet.
Daraufhin wandten sich die Kläger erst wieder mit Schriftsatz vom 18. Juli 2017 ans Landratsamt und rügten die Nichteinhaltung des erforderlichen Grenzabstandes.
Bei Zugrundelegung der oben erörterten, an den zeitlichen Rahmen einer Geltendmachung eines Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten zu stellenden Anforderungen im nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis, ist unter Berücksichtigung des konkreten zeitlichen Ablaufs seit Fertigstellung der Dachgaube spätestens Ende 2013 nicht von der Erfüllung der die Kläger treffenden Obliegenheit der „ungesäumten“ Geltendmachung von Einwendungen auszugehen.
Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass sich die Kläger nach Kenntniserlangung von der erteilten Befreiung nochmals ca. sechs Monate Zeit gelassen haben, bis sie sich erneut – und hinsichtlich abstandsflächenrechtlicher Bedenken ausdrücklich erstmals – ans Landratsamt zwecks „Prüfung und entsprechendem Vorgehen“ gewandt haben.
In Ansehung dieser im vorliegenden Fall diesbezüglich gegebenen konkreten Besonderheiten ist vom Vorliegen eines treuwidrig verspätet geltend gemachten Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten auszugehen.
Nach alldem waren die Klagen sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch des Hilfsantrages abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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