Baurecht

Vorbescheid für Mehrfamilienhaus – Abgrenzung von Innen- und Außenbereich

Aktenzeichen  M 1 K 19.959

Datum:
27.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41812
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35

 

Leitsatz

1. Ausschlaggebend für den Bebauungszusammenhang ist, ob und inwieweit eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB) wird durch ein Bauvorhaben beeinträchtigt, wenn die zur Bebauung vorgesehene Fläche entsprechend der im Außenbereich zu schützenden naturgegebenen Bodennutzung genutzt wird, und nichts darauf hindeutet, dass sie die Eignung für diese Nutzung demnächst einbüßen wird. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine – nicht durch Bauleitplanung geordnete – Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein ist grundsätzlich ein städtebaulich unerwünschter Vorgang; ihn zu vermeiden ist ein öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 2 und 3 BauGB. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein öffentlicher Belang i.S.d. § 35 BauGB ist nicht deshalb negativ berührt, weil eine Gemeinde sich Planungsmöglichkeiten offenhalten möchte. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Die zulässige Klage ist in Haupt- und Hilfsantrag unbegründet.
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Vorbescheids für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. 177/8, sodass die Klage im Hauptantrag unbegründet ist. Der Beklagte lehnte den Vorbescheidsantrag vom 5. September 2018 mit Bescheid vom 25. Januar 2019 zu Recht ab (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Anspruch auf Erteilung des Vorbescheids, mit dem der Kläger gemäß Art. 71 Satz 1 BayBO die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens erfragt, besteht nicht, weil das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist (Art. 68 Abs. 1 Satz 1, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB). Das Vorhaben ist im Außenbereich gelegen und beeinträchtigt als sonstiges Vorhaben öffentliche Belange (§ 35 Abs. 2 und 3 BauGB).
1. Die planungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens bemisst sich nach § 35 BauGB, weil es im Außenbereich ausgeführt werden soll. Das Baugrundstück liegt nicht im Zusammenhang eines bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, weil es, wie der Augenschein zur Überzeugung des Gerichts ergeben hat, am Bebauungszusammenhang fehlt.
Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jede Bebauung im Gebiet einer Gemeinde, die trotz vorhandener Baulücken geschlossen und zusammengehörend wirkt, nach Anzahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 47.68 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 1.7.2009 – 1 ZB 07.1653 – juris Rn. 9). Der Begriff des „im Zusammenhang bebauten Ortsteils“ umfasst also zwei Komponenten, nämlich den Ortsteil und den Bebauungszusammenhang.
Während die Ortsteileigenschaft der das Vorhabengrundstück umgebenden Bebauung nicht ernstlich zweifelhaft ist, fehlt es beim Vorhabengrundstück an der Voraussetzung des Bebauungszusammenhangs.
Ausschlaggebend für die Frage des Bebauungszusammenhangs ist, ob und inwieweit eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört (BVerwG, B.v. 1.9.2010 – 4 B 21.10 – juris Ls. 1; U.v. 1.12.1971 – IV C 6.71 – juris Rn. 20 f.; U.v. 6.11.1968 a.a.O.). Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit kennzeichnen eine gewisse – trotz Lücken – bestehende räumliche Verklammerung. Maßgeblich ist, ob das unbebaute Grundstück gedanklich übersprungen werden kann, weil es ein verbindendes Element gibt, nämlich die Verkehrsanschauung, die das unbebaute Grundstück als eine sich zur Bebauung anbietende Lücke erscheinen lässt (BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 15.84 – juris Rn. 15). Als Faustregel wird teilweise in der Rechtsprechung genannt, dass es sich noch um eine „Baulücke“ handele, wenn die unbebaute Fläche etwa die Ausdehnung von zwei bis drei der benachbarten Bebauungsstruktur entsprechenden Baugrundstücken hat (BayVGH, U.v. 16.2.2009 – 1 B 08.340 – juris 16; U.v. 16.6.2015 – 1 B 06.2015 – juris Rn. 22). Es entspricht der Erfahrung, dass die wachsende Größe einer unbebauten Fläche als Indiz gegen einen Bebauungszusammenhang spricht (BVerwG, B.v. 30.8.2019 – 4 B 8/19 – juris Rn. 9).
a) Bei der unbebauten Fläche nördlich der S…-Straße, zu der das Baugrundstück sowie jedenfalls das Grundstück FlNr. 177 sowie der nördliche Teil des Grundstücks FlNrn. 1714/1 gehören, handelt es sich um eine Außenbereichsfläche. Dafür sprechen maßgeblich zum einen die Dimensionen der Fläche, die ca. 11.000 m² umfasst. Wenngleich ihre konkrete Größe nur ein Indiz für ihre planungsrechtliche Einordnung ist, ist die Fläche groß genug, um einer von der Umgebung unabhängigen gesonderten städtebaulichen Entwicklung und Beplanung fähig zu sein. In Ost-West-Richtung misst sie ca. 170 m und eröffnet dem Betrachter einen freien Blick in die Weite, etwa vom Standpunkt der südöstlichen Ecke auf Höhe des Gebäudes M…straße 3 (vgl. hierzu das 8. Lichtbild in Anlage zum Protokoll), der die umliegende Bebauung als untergeordnet erscheinen lässt. Der Bebauungszusammenhang wird durch diese Fläche vielmehr unterbrochen.
b) Der südliche Teil des Baugrundstücks FlNr. 177/8, auf dem das Vorhaben entstehen soll, ist maßgeblicher Bestandteil dieser Außenbereichsfläche und erscheint im Lichte der umgebenden Bebauung nicht als bloße Baulücke. Wie die Ortsbegehung ergeben hat, prägt die umgebende Bebauung den Vorhabenstandort nicht in einer Weise, dass von der zwanglosen Fortsetzung der Bebauung zu sprechen wäre. Dabei ist angesichts der geringen Breite und der untergeordneten Verkehrsbedeutung der S…-Straße von ihrer nicht-trennenden Wirkung auszugehen, sodass das Baugrundstück von zwei Seiten von Bebauung umgeben ist, und zwar einerseits von Westen durch die baulichen Anlagen auf dem Grundstück FlNr. 1714/1, andererseits von Süden durch die Bebauung südlich der Straße. Bei wertender Betrachtung des zu beurteilenden Einzelfalls fehlt es hingegen an der Bebauung an einer weiteren Seite. Weder ist ein Bebauungszusammenhang Richtung Osten (Grundstück FlNr. 177/10) noch nach Norden (Grundstück FlNr. 1717/30) gegeben. Insbesondere handelt es sich südlich einer gedachten Linie zwischen der nordöstlichen Ecke des Gebäudes S…-Str. 16 und der nordöstlichen Ecke des Gebäudes M…str. 3 nicht um eine Baulücke im Rechtssinne, sondern um einen Teil der in Form einer liegenden Acht weiter nach Norden und Nordosten reichenden Außenbereichsfläche.
Dieser Eindruck gründet sich erstens auf die als deutlich wahrnehmbare Entfernung zwischen der vorhandenen Bebauung auf den Grundstücken FlNr. 1714/1 einerseits und FlNr. 177/10 andererseits (vgl. Lichtbilder Nr. 2 in Blickrichtung vom Baugrundstück Richtung Osten sowie Lichtbild Nr. 8 in Blickrichtung von Osten auf das Baugrundstück). Der Abstand beträgt über 100 m zwischen der östlichen Außenwand des Gebäudes S…-Str. 16a (FlNr. 1714) und der südwestlichen Hausecke des Gebäudes M…str. 3 (FlNr. 177/10) (herausgemessen aus dem Bayernatlas der Bayerischen Vermessungsverwaltung: 108 m). Diese breite Freifläche ist erkennbar Bestandteil des gleichermaßen unbebauten und als Grünfläche genutzten sonstigen Freibereichs, der der Annahme eines Lückenschlusses durch die beabsichtigte Bebauung entgegensteht. Zu diesem Eindruck trägt zweitens bei, dass beide genannten Gebäude sich durch ihre Lage voneinander und vom Vorhabenstandort abkehren: das Gebäude S…-Str. 16 ist nach Nordwesten orientiert und das Gebäude M…str. 3 nach Nordosten, sodass sich der unbebaute Bereich in nördliche Richtung ähnlich einem Trichter weiter Richtung Freibereich öffnet und auch dadurch keinen Eindruck der Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit entstehen lässt.
Ebensowenig ist Richtung Norden nach dem vor Ort gewonnenen Eindruck nicht vom Vorliegen einer Baulücke auszugehen. Auch angesichts einer immerhin ca. 70 m betragenden Entfernung des Vorhabenstandorts zur nächsten Bebauung, nämlich zur südöstlichen Gebäudeecke auf dem Grundstück FlNr. 1717/30, stellt sich die Freifläche in ihrer Gesamtheit als eine Außenbereichsfläche dar, auf die die vorhandenen Gebäude nicht derart zu einer räumlichen Verklammerung führen und die nicht so stark geprägt wird, dass sich zwanglos eine weitere Bebauung aufdrängt.
Aufgrund dieses vor Ort gewonnenen Eindrucks erachtet das Gericht auch die sog. Faustformel als unmaßgeblich, wonach noch von einer Baulücke ausgegangen werden kann, wenn die unbebaute Fläche südlich der gedachten Linie die Ausdehnung von etwa zwei bis drei der benachbarten Bebauungsstruktur entsprechenden Baugrundstücken hat. Darüber hinaus teilt das Gericht die Auffassung nicht, dass das im östlichen Teil des Grundstücks FlNr. 177/10 gelegene Mehrfamilienhaus, das eine Breite von ca. 22 m aufweist, für diese Frage maßstabbildend wäre. Zwar besteht eine Blickbeziehung vom Vorhabengrundstück zu dem genannten Mehrfamilienhaus, doch liegt das Gebäude in dem außergewöhnlich zugeschnittenen Zwickelgrundstück und weist insoweit keine Vergleichbarkeit zu dem Baugrundstück auf. Die Umgebung des Bauvorhabens ist insgesamt von deutlich kleinteiligerer Wohnbebauung geprägt, so etwa südlich der S…-Straße gegenüber dem Vorhabenstandort.
Da keine örtlichen Besonderheiten vorhanden sind, die es (ausnahmsweise) rechtfertigen könnten, den Bebauungszusammenhang noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt zuzuordnen, verbleibt es somit bei der Regel, dass der Bebauungszusammenhang am letzten an die hier gegebene Außenbereichsinsel angrenzenden maßstabbildenden Baukörper i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB endet, wobei dieser Grenzverlauf zwischen Innen- und Außenbereich vor- und zurückspringen kann.
2. Da das Wohnbauvorhaben nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert zulässig ist, richtet sich die Zulässigkeit nach § 35 Abs. 2 BauGB. Sogenannte sonstige Vorhaben im Außenbereich können im Einzelfall dann zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Das Vorhaben ist nicht zuzulassen, weil es öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 2, 3 BauGB beeinträchtigt.
a) Das Vorhaben beeinträchtigt die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Die natürliche Eigenart der Landschaft im Außenbereich wird durch die naturgegebene (land- und forstwirtschaftliche) Bodennutzung sowie ihre Erholungseignung für die Bevölkerung geprägt. Der Begriff der natürlichen Eigenart der Landschaft umfasst den Schutz des Außenbereichs vor einer wesensfremden Nutzung im Sinne eines öffentlichen Interesses (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.1969 – IV C 63.68 – juris Rn. 17). Sie wird durch ein Bauvorhaben beeinträchtigt, wenn die zur Bebauung vorgesehene Fläche entsprechend der im Außenbereich zu schützenden naturgegebenen Bodennutzung genutzt wird, und nichts darauf hindeutet, dass sie die Eignung für diese Nutzung demnächst einbüßen wird. Nur wenn sich das Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die Bodennutzung eignet, noch einen Erholungswert hat, oder wenn es seine Schutzwürdigkeit bereits durch andere Eingriffe eingebüßt hat, wird der Belang nicht beeinträchtigt (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2002 – 4 C 4.01 – juris Rn. 24).
Das Baugrundstück wird als Wiese naturgegeben genutzt. Die geplante Wohnbebauung und -nutzung ist dem Außenbereich wesensfremd und entzöge dem Boden diese natürliche Bodennutzung sowie dessen Erholungswert, sodass der Belang in Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB beeinträchtigt ist.
b) Die Zulassung des Vorhabens würde außerdem den öffentlichen Belang der Splittersiedlung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtigen, weil es zu einem unerwünschten Ausufern der Bebauung in den Außenbereich führen würde.
Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vor, wenn ein Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Zwar mag die Bestandsbebauung selbst keine Splittersiedlung darstellen, die durch die Zulassung des Vorhabens verfestigt oder erweitert würde. Eine Beeinträchtigung dieses öffentlichen Belangs ist jedoch auch dann anzunehmen, wenn die Bebauung in unerwünschter Weise in den Außenbereich ausufern würde und damit die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Eine – nicht durch Bauleitplanung geordnete – Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein ist grundsätzlich ein städtebaulich unerwünschter Vorgang; ihn zu vermeiden ist ein öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 2 und 3 BauGB (BVerwG, U.v. 13.2.1976 – 4 C 72.74 – juris Rn. 21; U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 3.2.2009 – 1 ZB 07.1079 – juris Rn. 12). Zu befürchten ist das Entstehen einer Splittersiedlung allerdings nur dann, wenn das Vorhaben zum Bestehen einer „unerwünschten Splittersiedlung“ führt, nämlich, wenn mit ihr ein Vorgang der Zersiedelung eingeleitet oder gar schon vollzogen wird; dabei spricht für das Vorliegen einer Zersiedelung gewissermaßen eine starke Vermutung (BVerwG, U.v. 3.6.1977 – IV C 37.75 – juris Rn. 24). Der Vorgang der Zersiedelung des Außenbereichs ist jedenfalls dann unerwünscht, wenn das Vorhaben eine weit reichende oder doch nicht genau übersehbare Vorbildwirkung besitzt. Hierfür reicht es aus, dass bei einer Zulassung des Vorhabens weitere ähnliche Vorhaben in der Splittersiedlung nicht verhindert werden könnten und dadurch der Außenbereich weiter zersiedelt würde (BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 13/97 – juris Rn. 12; B.v. 7.6.2016 – 4 B 47.14 – juris Rn. 17). Dabei kommt es auf eine abschließende bebauungsrechtliche Prüfung zu befürchtender Folgevorhaben, insbesondere auf die Prüfung einer etwaigen Beeinträchtigung anderer Belange durch ein Folgevorhaben nicht an (vgl. BVerwG, B.v. 2.9.1999 – 4 B 27.99 – juris Rn. 6).
So liegt der Fall hier. Mit der Zulassung des streitigen Vorhabens würde ein unerwünschter Vorgang der Zersiedelung eingeleitet, weil er einen Bezugsfall darstellen würde. Eine Bebauung auf dem streitgegenständlichen Grundstück hätte Vorbildwirkung für weitere Bauwünsche, etwa nördlich und östlich des Vorhabenstandorts und würde schließlich befürchten lassen, dass die Außenbereichsinsel in eine Innenbereichsfläche umschlägt.
c) Das Planungserfordernis hingegen, das die Beigeladene als nicht benannten öffentlichen Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB anführt, ist, ohne dass es darauf streitentscheidend ankommt, nicht einschlägig.
Ein Planungserfordernis im Sinne eines öffentlichen Belangs wird nur anerkannt, wenn wegen des Umfangs des Vorhabens die Koordinierung der in seinem Gebiet potentiell betroffenen Interessen nicht mehr dem Bauherrn überlassen werden kann. Das Vorhaben kann eine Konfliktlage mit so hoher Intensität für die berührten öffentlichen und privaten Belange auslösen, dass dies die in § 35 BauGB vorausgesetzte Entscheidungsfähigkeit des Zulassungsverfahrens übersteigt. Ein derartiges Koordinierungsbedürfnis wird vielfach dann zu bejahen sein, wenn die durch das Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einen in erster Linie planerischen Ausgleich erfordern, der seinerseits Gegenstand einer abwägenden Entscheidung zu sein hat. Eine in diesem Sinne „abwägende” Entscheidung ist nach der Gesetzeslage weder der Genehmigungsbehörde noch der Gemeinde im Rahmen des § 36 Abs. 1 BauGB zugestanden, sondern ist allein in einem Bauleitplanverfahren zu treffen (BVerwG, U.v. 3.5.1988 – 4 C 54/85 – juris Rn. 23; U.v. 1.8.2002 – 4 C 5/01 – juris Rn. 18). Die Planungsbedürftigkeit eines Vorhabens kann sich dabei aus seiner Einbettung in die Umgebung (Außenkoordination) ergeben, nämlich wenn in der Umgebung des Vorhabens nicht nur die abstrakte Möglichkeit künftiger konkurrierender Bodennutzungsinteressen besteht, sondern wenn konkret solche konkurrierenden Interessen und Belange vorhanden sind oder entstehen können, die nur durch einen planerischen Abwägungsvorgang zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden können. Ein Planungserfordernis als öffentlicher Belang kann auch in einer erforderlichen Koordinierung „nach innen“ (Binnenkoordination) liegen, wenn zur Koordination der im Gebiet des Vorhabens potenziell betroffenen Interessen eine Bauleitplanung erforderlich ist. Ein öffentlicher Belang ist nicht deshalb negativ berührt, weil eine Gemeinde sich Planungsmöglichkeiten offenhalten möchte (Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 35 Rn. 99 ff.).
Ein Planungs- und Koordinierungsbedürfnis besteht für das Vorhaben des Umfangs eines Mehrfamilienhauses nicht, und zwar weder nach außen mit Blick auf die Auswirkungen in die nähere Umgebung, noch nach innen; insbesondere die verkehrliche Erschließung des Vorhabens wäre über die S…-Straße gewährleistet. Soweit die Beigeladene wohl befürchtet, dass durch Zulassung des klägerischen Vorhabens der Freibereich zum planungsrechtlichen Innenbereich wird und dadurch möglicherweise eine städtebauliche Bewältigung der Erschließungssituation erforderlich wird, betrifft dies denkbare andere Vorhaben, kann jedoch dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht entgegengehalten werden.
II.
Eine weitergehende Entscheidung über den Hilfsantrag bedarf es angesichts der planungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Dabei entspricht es der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO), dass die vom Kläger zu tragenden Kosten auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen umfassen, weil sich die Beigeladene durch Stellung des Antrags auf Klageabweisung ein Kostenrisiko auf sich genommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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