Baurecht

Vorbescheid für Zweifamilienhaus – Verweigerung des Einvernehmens der Straßenbaubehörde

Aktenzeichen  1 ZB 17.650

Datum:
1.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27357
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
BayStrWG Art. 24 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Eine Verkehrsgefährdung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 BayStrWG kommt dann in Betracht, wenn mit dem Anbau an die Straße eine Steigerung der bestehenden Gefahrensituation verbunden ist. Geschützt ist der normale Verkehrsablauf, ohne dass die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen bestehen muss. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit eine fehlerhafte Beweiswürdigung gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder z.B. wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 15.2642 2016-10-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Vorbescheids zur Zulässigkeit der Errichtung eines Zweifamilienhauses. Das Baugrundstück ist bisher unbebaut, entlang seiner Südwestgrenze verläuft eine Kreis straße. In der dem Vorbescheidsantrag der Klägerin beiliegenden Planzeichnung ist ein Hauptbaukörper mit einem Richtung Straße vorspringendem Sockelgeschoss dargestellt. Die Bebauung soll zwischen 1,10 m und 1,20 m an die Grenze zum Straßengrundstück heranrücken. Das Staatliche Bauamt als zuständige Straßenbaubehörde verweigerte sein Einvernehmen zu dem Vorhaben, da die Verkehrssicherheit wegen der Örtlichkeit, dem starken Gefälle, der engen Kurve und eines nicht ausreichenden Schutzabstandes zur Fahrbahn gefährdet sei. Es bestünden konkrete Ausbauabsichten in Form eines Gehwegbaues entlang der Nordseite der Fahrbahn, weitere Ausbaumöglichkeiten, wie die Anlage eines Radweges könnten nicht ausgeschlossen werden. Der Vorbescheidsantrag wurde mit Bescheid vom 28. Mai 2015 aufgrund des fehlenden Einvernehmens des Staatlichen Bauamts und der Beigeladenen abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zur Begründung führte es aus, das erforderliche straßenbaurechtliche Einvernehmen sei wegen der abstrakten Gefährlichkeit, der geringen Straßenbreite und wegen der durch das Vorhaben unmöglich werdenden Errichtung eines Gehweges zu Recht verweigert worden.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Nach Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG darf das Einvernehmen der Straßenbaubehörde nur verweigert oder von Auflagen abhängig gemacht werden, soweit dies für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, besonders wegen der Sichtverhältnisse, Verkehrsgefährdung, Bebauungsabsichten und Straßenbaugestaltung erforderlich ist. Eine Verkehrsgefährdung im Sinn dieser Vorschrift kommt dann in Betracht, wenn durch den Anbau an die Straße eine Steigerung der bestehenden Gefahrensituation verbunden ist (vgl. Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand März 2019, Art. 23 Rn. 85 f.). Geschützt ist der normale Verkehrsablauf, ohne dass die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen bestehen muss (vgl. BayVGH, U.v. 20.11.2001 – 25 B 99.522 – juris Rn. 20). Das Verwaltungsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat die Annahme, dass die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayStrWG gegeben seien, nach Einnahme eines Augenscheins auf mehrere Erwägungen gestützt. Es hat neben einer abstrakten Gefährlichkeit auf die geringe Gesamtbreite der Straße, die Verbreiterungsabsichten des Staatlichen Bauamts sowie den durch das Vorhaben erforderlich werdenden Bau eines Gehwegs verwiesen und diese Umstände in einer Gesamtschau gewürdigt.
Mit dem Vorbringen der Klägerin, eine relevante Gefährdung des Verkehrs sei mit dem Vorhaben nicht verbunden, da eine Unübersichtlichkeit der geplanten Zufahrtssituation nicht bestehe, wendet sie sich gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Beweis- und Sachverhaltswürdigung, das nach Einnahme eines Augenscheins und Auswertung der Stellungnahmen der zuständigen Straßenbaubehörde zu dem Ergebnis gelangt ist, dass eine abstrakte Gefährlichkeit gegeben sei. Soweit eine fehlerhafte Beweiswürdigung gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder z.B. wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2017 – 1 ZB 14.68 – juris Rn. 5; B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 7 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts die genannten Mängel aufweist, werden mit dem fristgerechten Zulassungsvorbringen nicht aufgezeigt. Die Klägerin trägt selbst vor, dass Maßstab im Rahmen von Art. 24 BayStrWG eine abstrakte Gefährlichkeit sei. Die Tatsache, dass der Klägerin bisher keine konkrete Gefährdungssituation bekannt geworden sei, kann die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht entkräften. Auch der Hinweis der Klägerin, es seien in anderen Straßenabschnitten noch unübersichtlichere Situationen gegeben, ist nicht geeignet, die Gefahreinschätzung im Bereich des streitgegenständlichen Vorhabens in Frage zu stellen.
Mit dem Vortrag, die Straße sei ausreichend breit und Verbreiterungsabsichten nur theoretisch, widerspricht die Klägerin der auf der Einschätzung der zuständigen Fachbehörde beruhenden Beurteilung des Verwaltungsgerichts, ohne ihre Behauptung substantiiert darzulegen. Ausweislich der Augenscheinsfeststellungen des Verwaltungsgerichts verläuft auf dem Baugrundstück ein Gehweg, während ein solcher entlang der Kreis straße fehlt. Nachdem die im Südosten des Baugrundstücks beginnende, von der Kreis straße abzweigende Straße ein größeres Wohngebiet erschließt, ist damit zu rechnen, dass ausgehend von diesem Wohngebiet Fußgängerverkehr entlang der Kreis straße stattfindet. Der vom Verwaltungsgericht angenommene Verbreiterungsbedarf der Straße ist daher jedenfalls zum Zweck der Anlegung eines (Ersatz-) Gehweges und gegebenenfalls eines Radweges entlang der Kreis straße nicht nur theoretischer Natur. Eine Abstufung der Kreis straße infolge eines Verlustes von Verkehrsbedeutung ist nicht vorgesehen. Der Einwand der Klägerin, dass Gehwege an Kreis straßen die Ausnahme seien, ist unbehelflich. Unabhängig davon, dass die Behauptung der Klägerin für Ortsdurchfahrten von Kreis straßen nicht zutreffen dürfte, ändert eine möglicherweise vorhandene Gefährdung des Fußgängerverkehrs an anderer Stelle nichts an der hier zu befürchtenden Verschlechterung der Sicherheit des Fußgängerverkehrs.
Auch kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, die Verlegung des Gehweges sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Der sachliche Umfang des Vorbescheids wird durch den Antrag der Klägerin, insbesondere die Angaben in den Antragsunterlagen bestimmt (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2017 – 9 ZB 14.2230 – juris Rn. 5). Nachdem der Vorbescheidsantrag mit der beigegebenen Planzeichnung die genaue Lage des Vorhabens und dessen Grundfläche zum Inhalt hat, wird mit ihm die Zulässigkeit einer bestimmten Lage des Baukörpers abgefragt, nach der die jetzige Form des Gehweges nicht mehr möglich ist. Soweit die Klägerin geltend macht, die Verschiebung des Gehweges sei im weiteren Verfahren möglich, verkennt sie, dass dies eine Änderung des Vorbescheidsantrags voraussetzen würde und eine abweichende Lage des Baukörpers nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens ist. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach Bestandskraft des Vorbescheids keine Einwände gegen die zugelassene Lage des Baukörpers mehr möglich wären.
Soweit die Klägerin den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Sicherung der Erschließung des Vorhabens widerspricht, kann dies ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht begründen, da diese Frage nicht entscheidungserheblich war. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Frage offen bleiben könne, ob dem Vorhaben neben dem Straßenrecht noch ein weiteres Hindernis entgegenstehe.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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