Baurecht

Vorbescheid, Landschaftsbestandteileverordnung, Bestimmtheit

Aktenzeichen  9 ZB 19.1315

Datum:
9.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9524
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
GG Art. 20 Abs. 3
BNatSchG § 29

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 17 K 16.1740 2019-04-04 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Vorbescheids zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage auf dem Grundstück Flnr. … Gemarkung S … (Baugrundstück). Die Beklagte lehnte diesen sowie die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach ihrer Landschaftsbestandteileverordnung mit Bescheid vom 10. August 2016 ab, weil das Baugrundstück innerhalb des geschützten Landschaftsbestandteils Nr. 85 liege. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 4. April 2019 ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
a) Die Landschaftsbestandteileverordnung der Beklagten vom 14. Juni 1999 (LBV) verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.
Die Klägerin ist der Ansicht, diese Landschaftsbestandteileverordnung sei unbestimmt, weil das seit 1987 existierende Baugrundstück der Klägerin, das durch Teilung entstanden sei, im Verordnungstext nicht genannt werde. Die Verordnung stelle vielmehr ausschließlich auf Teilbereiche der Grundstücke FlNr. … und … jeweils Gemarkung S … ab und stimme damit nicht mit der Karte überein. Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass mit Hilfe der kartografischen Darstellung klar festgestellt werden könne, welche Teilflächen unter Schutz gestellt seien. Dies ist nicht ernstlich zweifelhaft.
Nach dem Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit, das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ableitet, müssen Rechtsnormen hinreichend klar gefasst sein, um es dem Bürger zu ermöglichen, sich ein eigenes Bild von der Rechtslage zu machen (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 19 N 15.420 – juris Rn. 125; BVerwG, U.v. 16.6.1994 – 4 C 2.94 – juris Rn. 8). Maßgebend ist hier das aus dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot sich ergebende Erfordernis einer klaren Abgrenzung des räumlichen Geltungsbereichs (vgl. BVerwG, U.v. 12.4.2018 – 3 A 10.15 – juris Rn. 33); die Verordnung muss erkennen lassen, auf welche Flächen sie sich bezieht (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2020 – 2 N 18.1181 – juris Rn. 27). Dies ist hier – entgegen der Ansicht der Klägerin – der Fall.
In § 1 Abs. 1 LBV hat der Verordnungsgeber zunächst den Schutzgegenstand beschrieben, während sich aus § 1 Abs. 2 LBV die Lage im Gemeindegebiet durch Eintragung in die Landschaftsschutzgebietskarte ergibt, auf die in der Verordnung auch ausdrücklich verwiesen wird (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.2015 – 8 CN 2.14 – juris Rn. 34). Der Landschaftsbestandteil (LB) 85 ist dabei in § 1 Abs. 1 LBV als „Wäldchen auf dem südlichen Teil des Grundstücks an der H …straße“ bezeichnet. Dieser Beschreibung lässt sich eindeutig auch das Grundstück der Klägerin zuordnen, auf dem das Bauvorhaben ausgeführt werden soll.
Sofern die Beklagte bei der Novellierung der LBV die Bezeichnung der Flurnummern nicht aktualisiert hat, ergibt sich daraus nicht der vom Zulassungsvorbringen geltend gemachte Widerspruch. Denn die in § 1 Abs. 1 LBV im Klammerzusatz genannten Flurnummern allein genügen als katastermäßige Umschreibung schon deswegen nicht der Bestimmtheit, weil das „Wäldchen auf dem südlichen Teil des Grundstücks an der H …straße“ nur Flurstücksteile hiervon erfasst (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1994 – 4 C 2.94 – juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 12.4.2018 – 8 N 16.1660 – juris Rn. 44). Zwar stimmen die zum LB 85 im Klammerzusatz angegebenen Flurnummern mit der Lage des Landschaftsbestandteils nicht (mehr) überein. Die textliche Beschreibung des Landschaftsbestandteils (§ 1 Abs. 1 LBV) und die Karte (§ 1 Abs. 2 LBV) sind jedoch nicht widersprüchlich. Vielmehr lassen sich hieraus – zumindest nach Auslegung, wenn man die im Klammerzusatz angeführten Flurnummern berücksichtigt – die Grenzen des Landschaftsbestandteils ohne weiteres eindeutig bestimmen, zumal die aktuellen Flurnummern sämtlich durch Teilung aus den in der Verordnung im Klammerzusatz angegebenen Flurnummern hervorgegangen sind. Die Beklagte hat zudem angegeben, die LBV nur ergänzt zu haben, ohne bisherige Landschaftsbestandteile zu ändern. Gegenteiliges zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf, so dass die Auslegung des Verwaltungsgerichts sowohl dem Willen des Verordnungsgebers, als auch der historischen Entstehungsgeschichte der LBV entspricht.
b) Die LBV ist auch nicht materiell unwirksam, weil sie Teile des Innenbereichs gemäß § 34 BauGB in den Geltungsbereich einbezieht.
Das Zulassungsvorbringen stellt darauf ab, dass das gesamte Baugrundstück eindeutig Innenbereich sei und dort die naturschutzrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Landschaftsschutzverordnung nur ausnahmsweise gegeben seien (vgl. BayVGH, U.v. 27.9.1991 – 1 B 91.738 – juris Rn. 38). Dies führt jedoch nicht zu der von der Klägerin angenommenen materiellen Unwirksamkeit der LBV.
Unabhängig davon, dass auch die Einbeziehung im Zusammenhang bebauter Ortsteile nach § 34 BauGB in den Geltungsbereich einer Landschaftsschutzverordnung grundsätzlich möglich ist (vgl. § 29 Abs. 2 BauGB; HessVGH, U.v. 24.11.1995 – 4 UE 239/92 – juris Rn. 36; BayVGH, U.v. 27.9.1991 – 1 B 91.738 – juris Rn. 37), handelt es sich bei der hier angegriffenen LBV nicht um eine Landschaftsschutzgebietsverordnung, sondern um eine Verordnung zum Schutz von Landschaftsbestandteilen. Landschaftsbestandteile sind jedoch ausdrücklich auch im bebauten Bereich möglich (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.2016 – 14 N 15.1870 – juris Rn. 94; Hendrischke/Kieß in Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 29 Rn. 3), weil es sich – anders als bei dem, dem Gebietsschutz unterfallenden Landschaftsschutzgebiet – um Objektschutz handelt (vgl. BayVGH, U.v. 18.5.2017 – 14 N 15.1171 – juris Rn. 22; U.v. 13.8.2002 – 9 N 98.2010 – juris Rn. 35; BVerwG, 18.12.1995 – 4 NB 8.95 – juris Rn. 7).
c) Ein Anspruch auf Befreiung von der LBV für die Klägerin besteht nicht.
Die Klägerin beruft sich auf eine atypische Sondersituation, weil ihr Grundstück dem bauplanungsrechtlichen Innenbereich zuzuordnen sei und spätestens seit seiner Ausmessung 1987 die Funktion eines dem Hausanwesen auf ihrem nördlich angrenzenden Wohngrundstück zugehörigen Hausgartens habe. Mangels Erwähnung des Grundstücks in der Neufassung der LBV 1999 sei entweder von einer bewussten Herausnahme des Grundstücks oder aber von einem Abwägungsfehler auszugehen, weil ein grundsätzlich bebaubares Grundstück vollständig mit einem Bauverbot belegt sei. Dieses Vorbringen führt jedoch nicht zur Zulassung der Berufung.
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Klägerin durch Grundstücksteilung selbst dafür verantwortlich ist, dass das Baugrundstück nunmehr vollständig im Bereich des geschützten Landschaftsbestandteils liegt und ihr deshalb der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegenzuhalten ist. Darüber hinaus dränge sich die Bebauung angesichts der dem Grundstück natürlich anhaftenden Schutzbedürftigkeit, die immanenter Bestandteil des konkreten Eigentums sei, nicht auf. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen.
Regelungen in naturschutzrechtlichen Verordnungen, die die Nutzbarkeit von Grundstücken situationsbedingt einschränken, sind keine Enteignung, sondern die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.1997 – 4 BN 5.97 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 13.12.2016 – 14 N 15.873 – juris Rn. 89). Maßstab für die Zulässigkeit ist daher auch im Falle eines Landschaftsbestandteils im Innenbereich nach § 34 BauGB deren Verhältnismäßigkeit (vgl. BayVGH, U.v. 18.5.2017 – 14 N 15.1171 – juris Rn. 28 ff.). Die hierbei erforderliche Abwägung nach § 2 Abs. 3 BNatSchG erfordert keine Einzelabwägung aller Belange wie im Fachplanungsrecht; vielmehr ist es für die Einzelfallbeurteilung ausreichend, wenn – wie hier in §§ 4, 5 LBV – ein System von Ausnahme- und Befreiungsregelungen vorhanden ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2017 – 4 BN 8.17 – juris Rn. 9; VGH BW, U.v. 25.11.2020 – 5 S 748/18 – juris Rn. 32).
Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass hier das verfassungsrechtliche Mindestmaß an Nutzungs- und Verfügungsfreiheit des Eigentümers beeinträchtigt wird, zumal – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – das Baugrundstück erst durch die von der Klägerin veranlasste Teilung vollständig von dem Landschaftsbestandteil erfasst wurde. Das Verwaltungsgericht hat ferner darauf abgestellt, dass die Verhinderung von Bauten typischerweise vom Verordnungsgeber gewollt sei (vgl. NdsOVG, U.v. 22.11.2012 – 12 LB 64/11 – juris Rn. 78; OVG NW, B.v. 6.3.2009 – 8 A 2064/08 – juris Rn. 8). Situationsgebundene Nutzungseinschränkungen belasten den Eigentümer aber regelmäßig nicht unverhältnismäßig (vgl. Tausch, BayNatSchG, 2007, Vorbem. III. Abschnitt Rn. 15). Insoweit ist nicht ersichtlich, weshalb die angebliche Funktion des Baugrundstücks als eines dem Hausanwesen zugehörigen Hausgartens seit 1987 für eine Atypik relevant sein sollte, zumal sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen lässt, dass damit die Schutzwürdigkeit des Landschaftsbestandteils entfallen oder vermindert wäre. Auch die angeführte Zahlung von Erschließungs- und Herstellungsbeiträgen für das Baugrundstück ist insoweit nicht aussagekräftig, unabhängig davon, dass hierfür weder Zeitpunkt noch Umfang der Beitragspflicht angegeben wurde. Insgesamt zeigt das Zulassungsvorbringen damit nicht auf, dass eine atypische Ausnahmesituation vorliegt, die deutlich von dem vom Normgeber zugrunde gelegten Regelfall abweicht, d.h. mit der bei einem innerörtlichen Baumbestand nicht zu rechnen ist (vgl. NdsOVG, B.v. 23.10.2019 – 4 LA 71/19 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 8.12.2014 – 14 ZB 12.1943 – juris Rn. 10).
d) Aus den von der Klägerin angeführten Vergleichsfällen ergibt sich nichts Anderes. Abgesehen davon, dass mangels Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Befreiungstatbestände (s.o.) schon gar kein Ermessen eröffnet ist, besteht im Übrigen auch kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2019 – 6 C 15.18 – juris Rn. 33).
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen, lassen sich, wie die vorstehenden Ausführungen unter 1. zeigen, ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären. Im Übrigen lässt sich dem Zulassungsvorbringen für die Darlegung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten nichts Entscheidungserhebliches über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Dargelegte hinaus entnehmen. Die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und die Klägerin genügt nicht, besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.1493 – juris Rn. 26).
Soweit das Zulassungsvorbringen anführt, besondere rechtliche Schwierigkeiten ergäben sich aus der Frage, weshalb die Beklagte beim Neuerlass der LBV 1999 das seit 1987 existierende Grundstück, auf dem sie nunmehr bauen wolle, nicht in den Text des § 1 Abs. 1 LBV beim LB 85 aufgenommen habe, ist dies nicht entscheidungserheblich. Denn aus dem Verordnungstext und der zugehörigen Karte ergeben sich – wie oben ausgeführt – eindeutig die Bestimmtheit der Verordnung und deren maßgeblicher Geltungsbereich. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob die Rechtsprechung zum Innenbereich (BayVGH, U.v. 27.9.1991 – 1 B 91.738 – juris Rn. 38) sich auf die LBV übertragen lasse, ist ebenfalls nicht rechtlich schwierig, da sie sich – wie auch bereits oben ausgeführt – unmittelbar aus den (unterschiedlichen) gesetzlichen Vorschriften zum Landschaftsschutzgebiet einerseits und zum Landschaftsbestandteil andererseits sowie den Anforderungen an Ausnahme- und Befreiungstatbestände beantworten lässt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.1.1.1, 9.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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