Baurecht

Vorläufiger Rechtsschutz, Nachbarantrag, Gebietserhaltungsanspruch, der Versorgung des Gebiets dienende Schank- und Speisewirtschaft, Beherbergungsbetrieb

Aktenzeichen  M 1 SN 21.1705

Datum:
25.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4097
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3 S. 2, § 80 Abs. 5 S. 1
BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die vorläufige Vollziehbarkeit einer dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Landhauses in eine Gaststätte mit Beherbergungsbetrieb und Errichtung eines Carports.
Die Antragsteller sind Miteigentümer des Grundstücks FlNr. 1/4 Gem. … … Der Beigeladene ist Eigentümer des unmittelbar nordwestlich an das Grundstück der Antragsteller angrenzenden Grundstücks FlNr. 7 Gem. … … (Vorhabensgrundstück). Mit nach mehrmaliger Überarbeitung am 1. Februar 2021 beim zuständigen Landratsamt eingegangenem (Änderungs-)Bauantrag vom 25. November 2020 beantragte der Beigeladene eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Landhauses in eine Gaststätte mit Beherbergungsbetrieb und Errichtung eines Carports auf dem Vorhabensgrundstück. Gleichzeitig beantragte der Beigeladene eine Ausnahme für die Zulassung eines Beherbergungsgewerbes nach § 34 Abs. 2 BauGB, § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO. Nach der letzten Betriebsbeschreibung vom 19. Januar 2021 ist eine Schank- und Speisewirtschaft mit max. 40 Gastplätzen und einem Gastgarten mit max. 26 Gastplätzen geplant. Weiterhin ist ein Beherbergungsbetrieb mit max. zwölf Betten in fünf Gästezimmern und einer Ferienwohnung geplant. Die Schank- und Speisewirtschaft soll benachbarten Vereinen und der Nachbarschaft zur Verköstigung sowie für das Abhalten von Privatfeiern dienen. Die Gaststätte einschließlich Gastgarten soll von Montag bis Donnerstag sowie samstags und an Sonn- und Feiertagen von 08:00 Uhr bis 22:00 Uhr geöffnet sein; freitags von 08:00 Uhr bis 23:00 Uhr. Der Gastgarten soll auch freitags nur bis 22:00 Uhr geöffnet sein. Zwischen 08:00 Uhr und 10:00 Uhr soll der Frühstücksbetrieb für die Pensionsgäste stattfinden.
Die Fachkundige Stelle für Wasserwirtschaft kommt in ihrer Stellungnahme vom 18. Juli 2018 zum im Wesentlichen identischen Bauantrag der Eltern des Beigeladenen zu dem Ergebnis, dass in wasserwirtschaftlicher Hinsicht keine Einwände gegen das Vorhaben, das sich im 60m- Bereich des G … Bachs befindet, bestünden.
Ein vom Beigeladenen in Auftrag gegebenes Lärmgutachten vom 27. Januar 2021 kommt zu dem Ergebnis (Anlage 3.2), dass im Falle des Maximalbetriebs an dem Immissionsort IO1 auf dem Grundstück der Antragsteller der Immissionsrichtwert von 55 dB(A) zur Tagzeit in südwestlicher Richtung um mindestens 9,8 dB(A), in nordwestlicher Richtung um mindestens 6,4 dB(A) unterschritten werde. Der Immissionsrichtwert von 40 dB(A) zur Nachtzeit werde in südwestlicher Richtung um 4,3 dB(A), in nordwestlicher Richtung um 0,7 dB(A) unterschritten. Mangels gewerblicher Vorbelastung seien an dem IO1 reduzierte Immissionsrichtwerte von 49 dB(A) tagsüber und 40 dB(A) nachts anzusetzen. Es seien aktive Schallschutzmaßnahmen erforderlich. Nach der Einschätzung des Ingenieurbüros stünden dem Vorhaben dann keine immissionsschutzfachlichen Belange entgegen, wenn Fenster und Türen der Gasträume zur Nachtzeit geschlossen blieben, zur Nachtzeit als Außenbereich für den kurzzeitigen Aufenthalt der Ausgang im Nordwesten und lediglich der dortige überdachte Freibereich genutzt würde sowie ein Carport über den acht Stellplätzen mit einer Höhe von mindestens 3,0 m über OK Gelände und einer Länge von 21,0 m errichtet würde und dieser mit einer Rückwand in Richtung Südwesten sowie einer verlängerten Seitenwand in Richtung Südosten geschlossen würde (S. 4 des Gutachtens).
Unter dem 9. Februar 2021 erteilte der 1. Bürgermeister der Gemeinde als Angelegenheit der laufenden Verwaltung das Einvernehmen.
Mit Bescheid vom 5. März 2021, den Antragstellern zugestellt am 11. März 2021, erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Landhauses in eine Gaststätte mit Beherbergungsbetrieb und Errichtung eines Carports unter Erteilung einer Ausnahme hinsichtlich des Beherbergungsbetriebs. Die Baugenehmigung enthält die Auflage (Nr. 1), dass die ausgewiesenen Ferienwohnungen nur fluktuierend, mithin ständig wechselnd im Rahmen des Fremdenverkehrs bis zu sechs Wochen je Feriengast/Ferienfamilie belegt werden dürfen.
Im Hinblick auf den Immissionsschutz ist festgelegt, dass bezüglich des Lärmschutzes die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm – gilt (Nr. 4).
Ferner enthält die Baugenehmigung folgende Auflagen:
Der Betrieb des Wirtsgartens ist nur tagsüber von 08:00 Uhr bis 22:00 Uhr zulässig und Musikdarbietungen im Freien sowie eine gezielte Beschallung der Terrasse bzw. der Freiflächen über Lautsprecher oder geöffnete Fenster und Türen sind grundsätzlich nicht zulässig (Nr. 5).
Fenster und Türen der Gasträume haben zur Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr grundsätzlich geschlossen zu bleiben (Nr. 6).
Während der Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr ist für den kurzzeitigen Aufenthalt (rauchen etc.) ausschließlich der Ausgang im Nordwesten und lediglich der dortige überdachte Freibereich zu nutzen (Nr. 7).
Für die acht Stellplätze entlang der südlichen Grundstücksgrenze ist ein Carport mit einer Höhe von mindestens 3 m über Geländeoberkante sowie einer Länge von 21 m zu errichten, der mit einer Rückwand in Richtung Südwesten sowie einer verlängerten Seitenwand in Richtung Südosten (Gesamtlänge 9,5 m; Höhe 3 m) mit jeweils einem Flächengewicht von mindestens 40 kg/m² sowie lückenlos und fugendicht geschlossen wird (Nr. 8).
Am Immissionsort Grundstück FlNr. 1/4 dürfen die Immissionsrichtwerte von tagsüber 49 dB(A) und nachts 40 dB(A) nicht überschritten werden (Nr. 9).
Geräuschabstrahlende Anlagen und Aggregate sind entsprechend dem Stand der Schallschutztechnik zu errichten, zu warten und zu betreiben (Nr. 10).
Die An- und Abfahrten mittels Lieferfahrzeugen sowie deren Be- und Entladung sind ausschließlich auf die Tageszeit von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr zu beschränken und dies ist durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen (Nr. 11).
An lärmrelevanten Frischluftansaug- und Ausblasöffnungen der Abluft von Lüftungs- und Küchenanlagen sowie Klimaaggregaten etc. sind ausreichend dimensionierte Schalldämpfer anzubringen (Nr. 12).
Die Küchenabluft ist mindestens 1 m über Dachfirst und mindestens 1 m über der Oberkante von Lüftungsöffnungen, öffenbaren Fenstern oder Türen in einem Umkreis von 15 m ungehindert senkrecht nach oben abzuleiten. Vom Inhaber der gaststättenrechtlichen Erlaubnis sind zudem Vorkehrungen zu treffen (z.B. Beschilderung, Durchsagen etc.), dass die Nachbarschaft nicht durch Lärm gestört oder belästigt wird; dabei ist insbesondere dafür zu sorgen, dass sich die Gäste im Freien nach 22:00 Uhr ruhig verhalten (Nr. 13).
Das Vorhaben sei nach § 34 BauGB zulässig. Der Beherbergungsbetrieb habe nach §§ 34 Abs. 2, 31 Abs. 1 BauGB, § 4 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden können. Die festgesetzten Auflagen beruhten auf Art. 36 BayVwVfG und seien notwendig gewesen, da die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Baugenehmigung nur durch Festsetzen der Nebenbestimmungen erfüllt werden könnten. Die Auswahl erfolge zum Schutz der Nachbarn vor Belästigungen und nachteiligen Einwirkungen.
Mit bei Gericht am … März 2021 eingegangenem Schriftsatz haben die Antragsteller Klage erhoben (Az. M 1 K 21.1704) und beantragen gleichzeitig im Wege des Eilrechtsschutzes,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom …03.2021 gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren vom 05.03.2021, Aktenzeichen … … … …-2018, anzuordnen.
Die Baugenehmigung sei rechtswidrig. Bei dem Baugebiet handle es sich um ein allgemeines Wohngebiet. Das Vorhaben füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die Gaststätte sei unzulässig, da sie nicht der Versorgung des Gebiets diene. Die örtliche Bevölkerung sei aufgrund verschiedener Gaststätten im Umgriff bereits ausreichend versorgt. Der Beherbergungsbetrieb sei im allgemeinen Wohngebiet ebenfalls unzulässig, da der touristische Zweck im Vordergrund stehe. Die ausnahmsweise Zulassung sei nicht hinreichend begründet worden. Durch das Vorhaben solle der Giebel gedreht werden, was umfangreiche Baumaßnahmen erforderlich mache. Dies führe dazu, dass die Nutzung im allgemeinen Wohngebiet für ein touristisches Vorhaben noch weiter ausgedehnt werde. Den Nachbarn sei der An- und Abfahrtsverkehr, auch am Wochenende und an Feiertagen, verbunden mit Lärmbelästigungen, Abgasimmissionen, Lichtimmissionen und der Möglichkeit, ständig Einblick in das Grundstück der Antragsteller zu erhalten, unzumutbar. Der bereits errichtete Carport verstärke die Lärmauswirkungen auf das Grundstück der Antragsteller, da sich der Schall in Richtung des Grundstücks ausweite. Es sei keinerlei Prüfung der Lärm-, Licht- oder Abgasimmissionen vorgenommen, sondern lediglich allgemeine Aussagen getätigt worden. Die der schalltechnischen Untersuchung zugrundegelegte aktualisierte Betriebsbeschreibung vom 19. Januar 2021 habe unverständlicherweise keine Änderung der Immissionswerte ergeben. Sie gehe von falschen Grundlagen aus und sei unzureichend. Das Gebot der Rücksichtnahme aus § 15 Abs. 1 BauNVO sei verletzt. Der Beigeladene habe ohne Baugenehmigung umfangreiche bauliche Veränderungen vorgenommen, etwa durch Erhöhung des Bodenniveaus zur Beseitigung von Unebenheiten und Asphaltierung. Dies habe erhebliche Auswirkungen auf den Niederschlagswasserabfluss. Das Wasser laufe ungehindert auf das Grundstück der Antragsteller. Der Palisadenzaun bewirke eine erdrückende Wirkung. Die Antragsteller seien zudem ständigen Einblicken auf ihr Grundstück von Gästen ausgesetzt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es sei nicht zutreffend, dass mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung eine Giebeldrehung genehmigt worden sei. Die Gaststätte sei nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 BauNVO zulässig. Die Öffnungszeiten beschränkten sich auf die Tagzeit und die Gäste seien diverse Stammtische aus dem umliegenden Gebiet. Die Laufkundschaft setze sich fast ausschließlich aus Anwohnern des umliegenden Gebiets zusammen. Es lasse sich nicht ausschließen, dass die Gaststätte in einem derart touristisch geprägten Gebiet auch von Touristen besucht werde. Die Zulassung des Beherbergungsbetriebs beruhe auf § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO. Es sei kein größerer An- und Abfahrtsverkehr als durch die Gäste zu erwarten. Im Rahmen der Gebietsverträglichkeit sei zu beachten, dass im streitgegenständlichen Gebiet praktisch jeder Gang außer Haus mit dem Pkw geschehe. Die schalltechnische Untersuchung bestätige die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der näheren Umgebung. Das Gutachten sei entsprechend der geänderten Eingabepläne angepasst worden. Der auf Grundlage der zurückgenommenen Baugenehmigung errichtete Carport sei aus Gründen des Immissionsschutzes für erforderlich erachtet worden, sodass dieser erneut gefordert worden sei. Ein bauaufsichtliches Einschreiten hinsichtlich des Carports sei nicht ermessensgerecht gewesen.
Der Bevollmächtigte des Beigeladenen beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Eine Drehung des Dachs sei nicht Gegenstand der Baugenehmigung. Das Vorhaben verletze nicht den Gebietserhaltungsanspruch. Die Gaststätte sei gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB zulässig. Der überwiegende Kundenstamm ergebe sich aus den Gästen des Beherbergungsbetriebs und der Nachbarschaft. Die Nutzung als Beherbergungsbetrieb sei gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB ebenfalls ausnahmsweise zulässig. Eine Verletzung nachbarschützender immissionsrechtlicher Vorschriften sei nicht ersichtlich, das Lärmgutachten vom 27. Januar 2021 habe dies nachgewiesen. Die aktualisierte Betriebsbeschreibung sei berücksichtigt worden. Es komme nicht zu einem Wasserzufluss auf das Grundstück der Antragsteller. Die wasserwirtschaftliche Stellungnahme vom 18. Juli 2018 habe bestätigt, dass insoweit keine Einwände gegen das Vorhaben bestünden.
Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 ergänzte der Antragsgegner seine Ermessenserwägungen hinsichtlich des Beherbergungsbetriebs.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte, auch im zugehörigen Hauptsacheverfahren M 1 K 21.1704, Bezug genommen.
II.
1. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen der Antragsteller haben keinen Erfolg. Die Anträge sind zwar zulässig, aber unbegründet.
a) Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung darüber, welches der Interessen – das Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts oder das Interesse des Nachbarn an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs – höher zu bewerten ist (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 85 ff.). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Hoppe, a.a.O., § 80 Rn. 85 ff.). Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessensabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (BayVGH, B.v. 26.7.2011, a.a.O.).
b) Im Rahmen von Rechtsbehelfen Dritter können sich diese nur dann erfolgreich gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
c) Ausgehend davon überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Die Klagen der Antragsteller bleiben nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos, da sie unbegründet sind. Der angefochtene Bescheid vom 5. März 2021 – die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung – ist voraussichtlich rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
aa) Nicht von Belang für die Beurteilung ist zunächst die von der Antragspartei aufgeworfene Problematik hinsichtlich einer etwaigen Drehung des Dachgiebels. Die mit dem Bauantrag eingereichten Eingabepläne lassen eine derartige Drehung nicht erkennen und sie ist von der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht umfasst. Allein entscheidend ist der Genehmigungsumfang, über den im Bescheid entschieden wurde. Eine etwaige planabweichende Errichtung wäre nur im Rahmen eines Antrags auf bauaufsichtliches Einschreiten zu überprüfen. Für die hiesige Drittanfechtungsklage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist diese Frage irrelevant.
Selbiges gilt für den Vortrag der Bevollmächtigten der Antragsteller bezüglich des Palisadenzauns, der sich zwischen dem Grundstück der Antragsteller und dem Vorhabensgrundstück befindet. Sowohl die Eingabepläne als auch der Bauantrag beinhalten nicht die Errichtung des Zauns. Der Genehmigungsumfang beschränkt sich auf die Nutzungsänderung, mit der keine bauliche Veränderung einhergeht und die Errichtung eines Carports. Ferner wurde der Zaun nicht durch die Baugenehmigung beauflagt. Er ist folglich für das streitgegenständliche Verfahren gegen den Bescheid vom 5. März 2021 ohne Belang.
bb) Die Antragsteller werden durch das Vorhaben nach summarischer Prüfung nicht in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt.
Der allgemeine bauplanungsrechtliche Gebietserhaltungsanspruch gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung des Nachbarn ihn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 27). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, U.v. 11.5.1989 – 4 C 1.88 – juris Rn. 43). Aus der Gleichstellung beplanter und faktischer Baugebiete entsprechend der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergibt sich, dass ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (BVerwG, B.v. 22.12.2011 – 4 B 32.11 – juris Rn. 5). Dies bedeutet, dass auch innerhalb von faktischen Baugebieten über § 34 Abs. 2 BauGB eine nachbarschützende Wirkung entsteht. Der Grundsatz, dass sich ein Nachbar im Plangebiet auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden kann, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird, lässt sich daher auf den Nachbarschutz im faktischen Baugebiet übertragen.
Ausgehend davon liegt keine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs vor.
Vorliegend spricht – auch unter Zugrundelegung der in den Akten befindlichen Lagepläne und Verwendung des elektronischen Kartenmaterials des Programms „BayernAtlas“ – einiges dafür, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Gebiet um ein faktisches reines Wohngebiet, § 3 BauNVO, oder um ein faktisches allgemeines Wohngebiet, § 4 BauNVO, handelt. Die Parteien gehen unstreitig von einem faktischen allgemeinen Wohngebiet aus. Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung im Rahmen der summarischen Prüfung im Eilverfahren an. Ob dies tatsächlich der Fall ist oder es sich womöglich um ein reines Wohngebiet gemäß § 3 BauNVO handelt, bedarf einer Klärung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens, auch unter Einbeziehung der Genehmigungsunterlagen des Bestandsgebäudes des Beigeladenen.
(1) Die genehmigte Gaststätte ist als der Versorgung des Gebiets dienende Schank- und Speisewirtschaft im faktischen allgemeinen Wohngebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO allgemein – und nicht lediglich ausnahmsweise – zulässig und fügt sich demnach der Art nach in die Eigenart der näheren Umgebung ein.
Unter diesen planungsrechtlichen Nutzungsbegriff fallen Gewerbebetriebe, in denen Getränke aller Art allein oder zusammen mit zubereiteten Speisen an Gäste zum Zwecke des Verzehrs in den Wirtschaftsräumen, ggf. auch im Freien, verabreicht werden, wobei die Bezeichnung der Anlage für die rechtliche Qualifikation unerheblich ist (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 143. EL, § 4 BauNVO Rn. 58). Das Vorhaben stellt eine derartige Schank- und Speisewirtschaft dar, da die Verabreichung von Speisen und Getränken im Vordergrund steht und nicht lediglich einen Nebenzweck darstellt.
Diese dient nach summarischer Prüfung auch der Versorgung des Gebiets. Eine derart funktionale Zuordnung der Anlage zu dem Gebiet setzt voraus, dass die Anlage objektiv geeignet ist, ihren Umsatz wenigstens zu einem erheblichen, ins Gewicht fallenden, also mehr als nur unerheblichen Umfang aus dem Baugebiet zu beziehen (Stock a.a.O Rn. 40), das zu versorgende Gebiet ist grundsätzlich das konkret festgesetzte allgemeine Wohngebiet (Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 28. Edition, § 4 Rn. 45). Ob der Betrieb objektiv geeignet ist, der Versorgung des Gebiets zu dienen, richtet sich auf der betrieblichen Seite nach Lage, Größe, Zweckbestimmung, Raumaufteilung und Ausstattung der Anlage, ggf. ist zusätzlich das Betriebskonzept heranzuziehen (Stock a.a.O Rn. 42). Durch diese Ausrichtung einer Schank- und Speisewirtschaft auf die Gebietsversorgung soll sichergestellt werden, dass diese jedenfalls in einem bedeutsamen Umfang von einem Personenkreis aufgesucht wird, der die mit einem Gaststättenbetrieb ohnehin verknüpften nachteiligen Folgen für die Anwohner in der Umgebung der Betriebsstätte nicht noch dadurch erhöht, dass er durch An- und Abfahrtverkehr Unruhe erzeugt, die von einem Wohngebiet ferngehalten werden soll (BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 17).
Gemessen daran bestehen unter Zugrundelegung der Betriebsbeschreibung und der in den Akten befindlichen Stellungnahme des Beigeladenen zum Bauantrag (Bl. 31 d. Behördenakte – BA) keine Zweifel daran, dass sich der Adressatenkreis des Vorhabens im Wesentlichen aus örtlichen Gesellschaften zusammensetzt. Die Gaststätte soll 40 Innen- und 26 Außensitzplätze aufweisen. Das Gebiet umfasst in südlicher Richtung des Vorhabensgrundstücks ca. 40 bebaute Grundstücke. Angesichts dieser Dimensionen hinsichtlich der anzunehmenden Anzahl der im Gebiet befindlichen Bewohner einerseits und den verfügbaren Sitzplätzen in der Gaststätte andererseits handelt es sich um eine ortstypische kleine Schank- und Speisewirtschaft. Die dem Bauantrag beigefügte Stellungnahme des Beigeladenen über die Zusammensetzung der Gäste bestätigt dies. Danach soll die Gaststätte von diversen Stammtischen verschiedener Konstellationen besucht werden, u.a. der örtlichen Feuerwehr, der Blaskapelle … …, der Wintersaison der Strickdamen, dem Kartenspielerstammtisch, den „R … B …“ u.v.m. Darüber hinaus würden die Anwohner im Umgriff der Gaststätte diese zum Abhalten von Privatfeiern in familiärer Atmosphäre (Tauf-/Trauerfeiern, Kommunionsfeiern, Geburtstagsfeiern etc.) nutzen. Angesichts dieses dargestellten Personenkreises ist nach summarischer Prüfung anzunehmen, dass die Zweckbestimmung der Gaststätte auf eine verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung ausgerichtet ist und die Gebietsversorgung keine bloße Nebenrolle spielt. Sie ist vielmehr durch einen funktionalen Bezug zu dem Gebiet geprägt. An dieser grundsätzlichen Ausrichtung des Vorhabens ändert auch die Tatsache nichts, dass die Gaststätte vereinzelt durch Touristen aufgesucht wird. Dies lässt sich in einem touristischen Gebiet nicht schlechthin ausschließen. Schließlich führt auch der Einwand der Antragsteller, dass die örtliche Bevölkerung bereits durch eine ausreichende Anzahl anderer, bestehender Gaststätten hinreichend versorgt sei, zu keiner anderen Beurteilung. Die Versorgungsklauseln in § 4 Abs. 1 Nr. 2 BauNVO haben bodenrechtlichen Charakter und bezwecken daher keine Wirtschaftslenkung. Die Zulässigkeit des Vorhabens ist nicht davon abhängig, ob in dem Baugebiet ein konkreter Bedarf in der örtlichen Bevölkerung für den Betrieb der Schank- und Speisewirtschaft des Beigeladenen besteht. Eine Bedürfnisprüfung ist somit unzulässig (Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 4 Rn. 13). Maßgeblich ist, dass die Gaststätte jedenfalls nach objektiven Kriterien nicht vorwiegend auf den Besuch von Gebietsfremden ausgerichtet und damit planungsrechtlich zulässig ist.
(2) Das Vorhaben verletzt wohl auch nicht den Gebietserhaltungsanspruch, soweit dem Beigeladenen durch die Baugenehmigung der Betrieb eines Beherbergungsgewerbes genehmigt wurde. Es dürfte sich gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO i.V.m. §§ 34 Abs. 2, 31 Abs. 1 BauGB als ausnahmsweise zulässiges Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen.
(a) Der Begriff des Beherbergungsgewerbes ist ein eigenständiger Begriff des Bauplanungsrechts. Dem Beherbergungsgewerbe sind diejenigen Betriebe zuzuordnen, die einem ständig wechselnden Kundenkreis gegen Entgelt vorübergehend Übernachtungsmöglichkeiten bieten, ohne dass die Gäste ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können (BVerwG, U.v. 29.4.1992 – 4 C 43/89 – juris Rn. 17). Der Beigeladene beabsichtigt das Angebot entgeltlicher Übernachtung in den fünf Ferienzimmern und der Ferienwohnung und betreibt demnach ein Beherbergungsgewerbe.
(b) Das Vorhaben ist auch ausnahmsweise zulässig. Entscheidend ist das Gesamtbild des Betriebs in seiner konkreten Erscheinung; die Ausnahme für Beherbergungsbetriebe ist insbesondere nicht an das Erfordernis der Gebietsversorgung gebunden. Auch ist die für das reine Wohngebiet nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO geltende Größenbeschränkung auf kleine Betriebe nicht vorgesehen, sodass auch größere Betriebe untergebracht werden können. Sie dürfen jedoch den in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO genannten Kriterien der Eigenart des jeweiligen allgemeinen Wohngebiets nicht widersprechen (Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 28. Edition, § 4 Rn. 117). Insoweit gilt, dass die Anzahl der Betten zwar ein wichtiger, aber keineswegs allein bestimmender Anhaltspunkt für die Zulässigkeitsbeurteilung ist (Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 4 Rn. 68).
Ausgehend davon ist der Beherbergungsbetrieb im vorliegenden Gebiet nach summarischer Prüfung ausnahmsweise zulässig. Ein Betrieb mit zwölf Betten, verteilt auf fünf Zimmer und eine Ferienwohnung, sprengt nicht den Rahmen der Eigenart eines allgemeinen Wohngebiets. Mit der Zulassung des Vorhabens ist keine gebietsunverträgliche, unzumutbare Störung der Wohnruhe zu besorgen. Das Vorhabensgrundstück befindet sich am nördlichen Ende des Gebiets. Angesichts dessen führen weder der An- und Abreisverkehr der Gäste des Beherbergungsbetriebs noch der Lieferverkehr durch das allgemeine Wohngebiet. Dafür steht die westlich des Vorhabensgrundstücks verlaufende G … Straße zur Verfügung. Die Einfahrt zum Vorhabensgrundstück beansprucht lediglich einen marginalen Teil des nördlichen Abschnitts der durch das allgemeine Wohngebiet verlaufenden Straße „Am E …“. Mithin ist nicht zu befürchten, dass sich die Gäste des Beherbergungsbetriebs bis in den südlich gelegenen Großteil des allgemeinen Wohngebiets begeben. Auch hinsichtlich der Eigentümer der nördlich im Gebiet liegenden Grundstücke – wie etwa der Antragsteller – ist eine unzumutbare Störung der Wohnruhe nicht ersichtlich. Die Betriebsbeschreibung zum Bauantrag enthält die Angabe, dass An- und Abreiseverkehr lediglich zwischen 08:00 Uhr bis 22:00 Uhr stattfindet (Bl. 164 d. BA). Die Bewohner der unmittelbar angrenzenden Gebäude sind nicht zuletzt auch deshalb besonders geschützt, da zu ihrem Schutze vor erhöhten Lärmimmissionen ein Carport zu errichten ist. Die Zulassung der Ausnahme beeinträchtigt somit nicht die allgemeine Zweckbestimmung des allgemeinen Wohngebiets.
Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen ist dem Vorhaben auch nicht die Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO entgegenzuhalten, wonach die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig sind, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen.
(c) Die Ausführungen des Antragsgegners im Bescheid genügen zudem den Anforderungen an die Begründung der Ermessensentscheidung, Art. 40 BayVwVfG. Die Erwägungen konnten insbesondere zulässigerweise gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzt werden.
Ob ein Nachschieben von Ermessenserwägungen zulässig ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht. § 114 Satz 2 VwGO regelt lediglich, unter welchen Voraussetzungen derart veränderte Ermessenserwägungen im Prozess zu berücksichtigen sind. Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46/12 – juris Rn. 32).
Vorliegend ist in der Baugenehmigung unter Ziffer II. ausgeführt, dass der Beherbergungsbetrieb gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 3 BauNVO und § 31 Abs. 1 BauGB nach pflichtgemäßem Ermessen ausnahmsweise zugelassen werden konnte. Der Antragsgegner hat nicht erstmals im gerichtlichen Verfahren vorgetragen, dass er das Vorhaben im Hinblick auf den Beherbergungsbetrieb geprüft habe und zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es diesbezüglich ausnahmsweise zulässig sei. Bei den mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 zusätzlich vorgebrachten Erwägungen handelt es sich lediglich um ein Nachschieben von Gründen als Reaktion auf das Vorbringen der Antragsteller. Der Verwaltungsakt wird dadurch nicht in seinem Wesen verändert. Das Ermessen wurde demnach schon vorher ausgeübt, ein Ermessensausfall ist folglich nicht erkennbar.
cc) Das Vorhaben verletzt ferner nicht das sich aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergebende Gebot der Rücksichtnahme. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergänzt insoweit die §§ 2 bis 14 BauNVO und gilt dabei nicht nur für durch einen Bebauungsplan festgesetzte Baugebiete, sondern auch für unbeplante Gebiete, deren Eigenart gemäß § 34 Abs. 2 BauGB einem Plangebiet der BauNVO entspricht (BVerwG, B.v. 16.12.2008 – 4 B 68/08 – juris Rn. 4).
Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessenabwägung ist ausschlaggebend, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48/12 – juris Rn. 7). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 40). Die Bewertung der Zumutbarkeit richtet sich danach ausschließlich nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit. Diese Umstände müssen im Sinne einer „Güterabwägung“ in eine wertende Gesamtbetrachtung einfließen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O Rn. 7).
(1) Bei der Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen, insbesondere von Lärmimmissionen, ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen und die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts zurückzugreifen. Das Bundesimmissionsschutzgesetz legt diese Grenze und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereiches grundsätzlich allgemein fest (BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 – juris Rn. 22). Was die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen betrifft, kann die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm – bzw. die darin enthaltenen Immissionsrichtwerte herangezogen werden. Die TA Lärm gehört zu den normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, welche vorbehaltlich abweichender Erkenntnisse im Regelfall der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden.
Das Vorhaben hält voraussichtlich die im allgemeinen Wohngebiet maßgeblichen Immissionsrichtwerte ein, sodass eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO gegenüber den Antragstellern nicht zu befürchten ist. Soweit wie hier keine Festsetzungen in einem Bebauungsplan getroffen wurden, sind gemäß Nr. 6.6 Satz 2 TA Lärm die Immissionsrichtwerte nach Nummer 6.1. heranzuziehen, die der Schutzbedürftigkeit des Gebiets am ehesten entsprechen. Die TA Lärm sieht in Ziffer 6.1 Buchst. e) in allgemeinen Wohngebieten Immissionsrichtwerte tagsüber von 55 dB(A) und nachts von 40 dB(A) vor.
Die Kammer misst im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung dem im Auftrag des Beigeladenen erstellten Lärmgutachten vom 27. Januar 2021 wesentliche Bedeutung bei. Entgegen der Auffassung der Antragsteller berücksichtigt dieses auch die aktualisierte Betriebsbeschreibung des Beigeladenen vom 19. Januar 2021. Das Gutachten führt auf Seite 3 insoweit aus, dass auf Wunsch des Bauherrn die aktualisierte Betriebsbeschreibung vom 19. Januar 2021 hinterlegt und die übrigen Ansätze aus der ursprünglichen Untersuchung vom 5. April 2018 unverändert übernommen worden seien. Im Übrigen ist die aktualisierte Betriebsbeschreibung dem Gutachten als Anlage 2 beigefügt. Schließlich ist anzumerken, dass im Vergleich zur früheren Betriebsbeschreibung lediglich die Betriebszeiten verändert wurden (Bl. 138, Bl. 159 d. BA). So wurden die Betriebszeiten von Montag bis Donnerstag sowie samstags und an Sonn- und Feiertagen von 10:00 Uhr bis 22:00 Uhr auf 08:00 Uhr bis 22:00 Uhr verändert. Freitags wurde die Betriebszeit von 10:00 Uhr bis 02:00 Uhr auf 10:00 Uhr bis 23:00 Uhr reduziert. Bei den für das Gutachten vorgenommenen Berechnungen ergibt sich im Hinblick auf die geplanten Betriebszeiten kein Widerspruch.
Im Rahmen dieser Berechnungen wurde am maßgeblichen Immissionsort IO1 – dem Wohngebäude auf dem Grundstück der Antragsteller (Seite 15, Ziffer 5.4 des Gutachtens) – ein Beurteilungspegel tagsüber von 45,2 dB(A) in südwestlicher und von 48,6 dB(A) in nordwestlicher Himmelsrichtung ermittelt. Nachts wurde in südwestlicher Himmelsrichtung ein Beurteilungspegel von 35,7 dB(A), in nordwestlicher Himmelsrichtung ein Beurteilungspegel von 39,3 dB(A) ermittelt (Seite 26, Anlage 3.2 des Gutachtens). Den Berechnungen ist dabei bereits das Bestehen des Carports zugrunde gelegt (Seiten 3, 6 des Gutachtens). In der Folge kommt es zu der fachlichen Einschätzung (Seite 5 des Gutachtens), dass dem Betrieb keine immissionsschutzfachlichen Belange entgegenstehen, sofern Fenster und Türen der Gasträume zu Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr generell geschlossen bleiben, zur Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr als Außenbereich für den kurzzeitigen Aufenthalt (Raucher etc.) der Ausgang im Nordwesten und lediglich der dortige überdachte Freibereich genutzt wird sowie ein Carport über den acht Stellplätzen für die Nutzung der Gaststätte mit Wirtsgarten entlang der südwestlichen Grundstücksgrenze mit einer Höhe von mindestens 3,0 m über OK Gelände sowie einer Länge von 21,0 m erstellt wird und dieser mit einer Rückwand in Richtung Südwesten sowie einer verlängerten Seitenwand in Richtung Südosten (Gesamtlänge: 9,5 m; Höhe: 3 m) mit jeweils einem Flächengewicht von mindestens 40 kg/m² sowie lückenlos und fugendicht geschlossen wird. Die Empfehlung hinsichtlich des Carports begründe sich aufgrund der Nutzung der Gaststätte zur Nachtzeit (Seite 4 unten des Gutachtens). Ferner sei es angezeigt, mangels gewerblicher Vorbelastung am Immissionsort 1 reduzierte Richtwerte von 49 dB(A) tagsüber und 40 dB(A) nachts einzuhalten (Seite 3 unten des Gutachtens). Gegen die immissionsschutzfachliche Bewertung, an der zu zweifeln im Eilverfahren kein Anlass besteht, haben die Antragsteller im Übrigen keine substantiierten Einwendungen erhoben.
(2) Das Gebot der Rücksichtnahme ist auch nicht im Hinblick auf etwaige Auswirkungen auf den Niederschlagsabfluss verletzt. Sofern die Antragsteller vortragen, dass aufgrund der vom Beigeladenen vorgenommenen Erhöhung des Bodenniveaus zur Beseitigung von Unebenheiten und der Asphaltierung ungehindert Wasser auf das Grundstück der Antragsteller laufe, bestehen keine Anhaltspunkte für eine tatsächliche unzumutbare Beeinträchtigung. Die fachkundige Stelle für Wasserwirtschaft des Landratsamts hat die Beeinträchtigung wasserrechtlicher Belange ausführlich geprüft und das Ergebnis der Baugenehmigungsbehörde mit Schreiben vom 18. Juli 2018 vorgelegt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass in wasserwirtschaftlicher Hinsicht keine Einwände gegen das Vorhaben bestünden. Ferner betrifft die mangelhafte Versickerung von Niederschlagswasser die Frage der gesicherten Erschließung des Vorhabens. Dieses Kriterium dient jedoch grundsätzlich nur öffentlichen Interessen; es hat keine nachbarschützende Funktion (BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 9 CS 13.1916 – juris Rn. 14). Insoweit fehlt es an einer substantiierten Darlegung, inwieweit das Grundstück der Antragsteller ausnahmsweise durch eine eventuell mangelhafte Versickerung betroffen sein könnte.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO, im Hinblick auf die Personenmehrheit auf Antragstellerseite zudem aus § 159 Satz 2 VwGO. Dabei entsprach es der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen den Antragstellern aufzuerlegen, da sich der Beigeladene durch Stellung eines Antrags einem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffern 9.7.1, 1.5 des Streitwertkatalogs. Es erscheint angemessen, den für die Hauptsache anzunehmenden Streitwert von EUR 10.000,00 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.


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