Baurecht

Vorliegen eines ernsthaften und nachvollziehbaren, langfristigen Nutzungsinteresses entsprechend des eisenbahnrechtlichen Fachplanungsvorbehalts

Aktenzeichen  AN 10 K 20.00108

Datum:
12.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41270
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AEG § 23

 

Leitsatz

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.  

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger begehrt im Wege der Versagungsgegenklage gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die Erteilung der Freistellung der streitgegenständlichen Grundstücke von der Beklagten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung der streitgegenständlichen Grundstücke gemäß § 23 Abs. 1 AEG, da die Voraussetzung, dass langfristig keine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung zu erwarten ist, nicht vorliegt. Der Widerspruchsbescheid ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Gemäß § 23 Abs. 1 AEG stellt die zuständige Planfeststellungsbehörde für Grundstücke, die Betriebsanlage einer Eisenbahn sind oder auf dem sich Betriebsanlagen einer Eisenbahn befinden, auf Antrag des Eisenbahninfrastrukturunternehmens, des Eigentümers des Grundstücks oder der Gemeinde, auf deren Gebiet sich das Grundstück befindet, die Freistellung von Bahnbetriebszwecken fest, wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist.
Für streitgegenständlichen Grundstücke besteht eine eisenbahnrechtliche Widmung. Der Fachplanungsvorbehalt wurde durch den Erwerb der aus der ursprünglichen Bahntrasse herausgemessenen Grundstücke nicht tangiert, was sich auch aus den notariellen Verträgen zur Grundstücksversteigerung ergibt. Darauf, dass die Grundstücke für den aktuellen Bahnbetrieb nicht genutzt werden und die Bewachsung der Grundstücke darauf hinweist, dass diese seit längerem für den Bahnbetrieb nicht genutzt werden, kommt es nicht an. Allein eine Unterbrechung der Nutzung bzw. Außerdienststellung des Grundstücks als Betriebsanlage lässt die Widmung für Eisenbahnzwecke nicht automatisch entfallen. Dies macht auch § 23 Abs. 1 Satz 2 AEG deutlich. Notwendig ist eine formale Stilllegung der Grundstücke gemäß § 11 AEG oder wenigsten ein sonstiger hoheitlicher Akt mit einer gewissen Publizitätswirkung, der die rechtsstaatlich gebotene Eindeutigkeit öffentlich-sachenrechtlicher Rechtsverhältnisse gewährleistet (vgl. OVG Saarl, B.v. 16.12.1988 – 4 C 48.86 – NVwZ 1989,655; BVerwG, B.v. 5.2.1990 – 4 B 1.90 – BRS 50 Nr. 70, BVerwG, B.v. 26.8.1998 – 11 VR 4.98 – NVwZ 19999, 535 m.w.N.). Eine solche hoheitliche „Entwidmung“ ist vorliegend nicht erfolgt. Selbst wenn man, woran wegen der spezialgesetzlichen Regelung in § 23 AEG erhebliche Bedenken bestehen, in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung zur Funktionslosigkeit von Bebauungsplänen heranziehen wollte, lägen die Voraussetzungen nicht vor. Wegen Funktionslosigkeit treten Festsetzungen eines Bebauungsplans dann außer Kraft, wenn die dem Plan zu Grunde liegenden Verhältnisse der Verwirklichung des Plans auf unabsehbare Zeit entgegenstehen und das in die Fortgeltung des Plans gesetzte Vertrauen nicht schutzwürdig ist (BayVGH, B.v. 12.8.2014 – 2 ZB 13.912 – juris Rn. 3). Auf der Bahnstrecke finden täglich wenige Rangier- und Sonderfahrten statt. Ein objektiver Beobachter würde zwar erkennen, dass die Grundstücke für den aktuellen Bahnbetrieb nicht gebraucht werden, würde aber eine Zugehörigkeit der Grundstücke zu der Bahnstrecke und eine zukünftige, eisenbahnrechtliche Nutzung der Grundstücke nicht ausschließen können. Die schmalen Grundstücke grenzen mit ihrer langen Seite direkt an die Gleisstrecke an und sind aus der ursprünglichen Bahntrasse herausgemessen worden. Die vorhandene Bewachsung der Grundstücke steht einer künftigen eisenbahnrechtlichen Nutzung nicht ernstlich behindernd im Wege. Die bestehende Wohnbebauung entlang der Bahnstrecke wird wahrscheinlich eine intensivere Nutzung der Bahnstrecke hinsichtlich der Lärmschutzanforderungen und der Akzeptanz des Vorhabens erschweren, schließt eine eisenbahnrechtliche Verwendung der Grundstücke entsprechend der Zweckbestimmung aber jedenfalls nicht von vornherein aus und lässt nicht den Fachplanungsvorbehalt entfallen.
Unstreitig ist, dass die Grundstücke für den aktuellen Bahnverkehr nicht benötigt werden. Entscheidende Voraussetzung für den Anspruch auf Freistellung ist somit das Fehlen eines langfristigen Nutzungsinteresses entsprechend der Zweckbestimmung der Widmung. Das in § 23 AEG geregelte „Entwidmungsverfahren“ entscheidet, wann und unter welchen Voraussetzungen für Bahngrundstücke die Wirkungen der Planfeststellung enden. Das Freistellungsverfahren stellt sicher, dass eine bahnfremde Nutzung erst dann möglich ist, wenn die öffentlichen Belange, die für eine Nutzung gemäß der ursprünglichen Zweckbestimmung sprechen, mit Zeitablauf ihr Gewicht nahezu vollständig eingebüßt haben (vgl. BVerwG, B.v. 21.3.2014 – 6 B 55/13, B.v. 21.4.2010 – 7 B 39/9 – jeweils juris). Ein Anspruch des Klägers auf Freistellung nach dieser Vorschrift bestünde nur dann, wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist. Während die erste Voraussetzung auf den aktuellen Nutzungsbedarf abstellt, verlangt die zweite Voraussetzung eine Prognose der Planfeststellungsbehörde. Diese hat zu prüfen, ob die Fläche auf Dauer nicht mehr Bahnbetriebszwecken dient (vgl. Seegmüller, in Ziekow, Fachplanungsrecht, 2. Auflage 2014, § 12 Rn. 66.). Die Freistellung ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, der die Rechtswirkungen der Planfeststellung und der Widmung beseitigt und den rechtlichen Zustand wiederaufleben lässt, in dem sich das Grundstück vor der Belastung mit dem Fachplanungsvorbehalt befunden hat. Bei der Entscheidung über die Freistellung von Bahnbetriebszwecken nach § 23 AEG handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, der Planfeststellungsbehörde kommt bei ihrer Entscheidung über die Freigabe kein Abwägungs-, Ermessens- oder Gestaltungsspielraum zu (vgl. Kramer in, Allgemeines Eisenbahngesetz, 1. Auflage 2012, § 23 Rn. 3). Wie die Aufzählung der Anhörungsberechtigten in § 23 Abs. 2 AEG zeigt, sind für das langfristige Nutzungsinteresse nicht nur Bekundungen der betreibenden Eisenbahninfrastruktur- und Eisenbahnverkehrsunternehmen maßgeblich, sondern auch die nach Landesrecht zuständigen Aufgabenträger des Öffentlichen Personennahverkehrs, die Träger der Landes- und Regionalplanung sowie die betroffenen Gemeinden*(vgl. OVG Saarl, U.v. 10.01.2017 – 2 A 142/15 – juris Rn. 26). An die Erklärungen über ein langfristiges Nutzungsinteresse sind im Interesse der Planungshoheit der Gemeinden und zum Schutz des an einer bahnfremden Nutzung oder Verwertung interessierten Grundstückseigentümers gewisse Anforderungen zu stellen. Sie müssen nach den gesamten Umständen des Einzelfalles ernsthaft und nachvollziehbar sein. Eine „Reservierung“ von Bahngrundstücken für zukünftige, nicht präzisierte Nutzungen unter Berufung auf die vage Möglichkeit einer späteren eisenbahnspezifischen Nutzung erlaubt § 23 AEG nicht (vgl. OVG Münster, B.v. 4. 2. 2010 – 8 B 1652/0932 – NVwZ-RR 2010, 475).
Ausgehend von diesen Maßstäben kann nicht festgestellt werden, dass eine langfristige Nutzung der streitgegenständlichen Grundstücke im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist und die Freistellungsvoraussetzungen für die im Klageantrag genannten Grundstücke vorliegen.
Die Tatsache, dass die DB AG kein Nutzungsinteresse an den Grundstücken entlang der Bahnstrecke bekundet hat, genügt nicht, eine Nutzungserwartung i.S.d. § 23 Abs. 1 AEG auszuschließen, da die Beigeladene als betroffene Gemeinde und die BEG ein eisenbahnrechtliches Nutzungsinteresse an den Grundstücken bekundet haben.
Die Beigeladene hat ein ernsthaftes und nachvollziehbares Interesse an der langfristigen Nutzung der Grundstücke dargelegt. Geplant ist, die bislang eingeschränkte Nutzung der Bahnstrecke für Rangier- und Sonderfahrten zu einem regelmäßigen Personenbeförderungsbetrieb auszubauen. Dies geht mit einem zweigleisigen Ausbau oder wenigstens einer Ertüchtigung der vorhandenen Bahnstrecke einher, was einen erhöhten Platzbedarf, der sich auch auf die streitgegenständlichen Grundstücke erstreckt, begründet. Aus dem Sachverhalt ergibt sich, dass Planungsabsichten der Beigeladenen auch hinreichend konkret und ernsthaft sind. Dabei kann letztlich offen bleiben, ob für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung oder der Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblich ist. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist nicht abschließend geklärt, auf welchen Zeitpunkt das Gericht zur Beurteilung, ob die Freistellungsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 AEG vorliegen, abzustellen hat. Da der Kläger vorliegend einen gebundenen Anspruch gegen die Beklagte geltend macht, ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. Riese, in Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Rn. 267 m.w.N.). Dies steht nicht im Widerspruch zu den materiell-rechtlichen Wertungen des § 23 AEG oder zu der Rechtsprechung des BayVGH. Dieser hatte in seinem Urteil vom 9. Juli 2013 über einer Freistellungsentscheidung nach § 23 AEG maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abgestellt (BayVGH, U.v. 9.7.2013 -22 B 13.475 – BeckRS 2013, 54627). Dieser Entscheidung lag allerdings eine andere Ausgangssituation zu Grunde. In dem vom BayVGH zu entscheidenden Fall war von der Planfeststellungsbehörde bereits eine Freistellung erteilt worden, wogegen die betroffene Gemeinde Drittanfechtungsklage erhoben hatte. Der BayVGH stellte klar, dass es keine materiell-rechtlichen Gründe dafür gebe, von dem für Anfechtungsklagen üblichen Beurteilungszeitpunkt der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids – den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung – abzuweichen. Das materielle Recht erfordere geradezu, dass nach Abschluss des gemäß § 23 Abs. 2 AEG vorgeschriebenen Anhörungsverfahrens und der Prüfung nach § 23 Abs. 1 AEG, ob kein Verkehrsbedürfnis mehr bestehe und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten sei, alsbald Klarheit geschaffen werde, ob und ab welchem genauen Zeitpunkt die jeweiligen Betriebsanlagen der Eisenbahn nicht mehr dem Fachplanungsvorbehalt nach § 38 BauGB zugunsten des Allgemeinen Eisenbahngesetzes unterliege und wieder uneingeschränkt dem Bereich der kommunalen Planungshoheit angehöre (vgl. BayVGH, a.a.O.). Aus den Ausführungen des BayVGH ergibt sich aber nicht zwangsläufig, dass wegen dieser Erwägungen auch im Rahmen einer Verpflichtungsklage für die Beurteilung des Anspruchs auf Freistellung auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abgestellt werden muss. Aus § 23 AEG geht hervor, dass der Zeitpunkt der Aufhebung des Fachplanungsvorbehalts, für alle Beteiligten eindeutig festgestellt werden muss. Die Entscheidung über die Freistellung ist den Beteiligten nach § 23 Abs. 3 AEG förmlich zuzustellen. Ziel der Freistellungsentscheidung ist es, Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Planungshoheit zu vermeiden. Allein durch den Antrag des Eigentümers auf Freistellung und durch den Ablehnungsbescheid der Behörde wird der Fachplanungsvorbehalt aber nicht berührt und kein Schwebezustand geschaffen, auch dann nicht, wenn gegen den Ablehnungsbescheid Rechtsmittel eingelegt werden. Das Kriterium des fehlenden langfristigen Nutzungsinteresses erfordert dagegen eine in die Zukunft gerichtete Betrachtung. Die weitreichenden Rechtswirkungen der Aufhebung des Planungsvorbehalts für alle Beteiligte, sprechen ebenfalls dafür, auch im Verlauf des Rechtsmittelverfahrens eingetretene Änderungen der Sachlage bei der Prüfung des Freistellungsanspruchs zu berücksichtigen (so auch das OVG Saarl, im Ergebnis aber offen lassend, a.a.O., Rn. 34).
Dies kann hier jedoch letztlich dahinstehen, da, selbst wenn man den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zugrunde legt, die in § 23 Abs. 1 AEG genannte Voraussetzung des Fehlens eines langfristigen Nutzungsinteresses entsprechend der Zweckbestimmung bereits damals nicht vorgelegen hat. Die Beigeladene hatte zum Zeitpunkt des Widerspruchserlasses bereits mehrfach ihr Nutzungsinteresse an den Grundstücken bekundet, das Vorhaben war in Grundzügen in Verkehrsentwicklungsplänen enthalten und die Beigeladene hatte bereits erste konkretisierende verkehrsplanerische Entscheidungen für eine Ertüchtigung bzw. Reaktivierung der Strecke getroffen. Notwendig für das ernsthafte Nutzungsinteresse ist dabei nicht, dass außenwirksame, konkrete Dispositionen getroffen werden (vgl. OVG Saarl, a.a.O., Rn. 34). Allerdings hat die Beigeladene vor Erlass des Widerspruchbescheids bereits mit weiteren Planungs- und Aufgabenträgern Gespräche geführt. Hierzu wurde ausgeführt, dass die Beigeladene das im „Nahverkehrsentwicklungsplan …“ und im „Netzplan …“ festgehaltene Ziel der Reaktivierung der Ringbahn, sich nicht (mehr) nur als langfristige Planungsoption offen halte, sondern bereits 2018 intern überein gekommen war, einen neuen Versuch zu wagen, das in den Verkehrsentwicklungsplänen enthaltene Konzept in optimierter, abgewandelter Form umzusetzen. Dafür hätten mittlerweile Voruntersuchungen stattgefunden und es seien 2019 bereits mit den entsprechenden Stellen wie dem Zweckverband Verkehrsbund Großraum …, der Bayerischen Eisenbahngesellschaft und den Infrastrukturbetreibern sowie der aktuell betreibenden Verkehrsgesellschaft Gespräche aufgenommen worden, um einen Ausbau bzw. eine Ertüchtigung der in Rede stehenden Bahnstrecke zu realisieren. Die BEG hat als weitere Aufgabenträgerin die Planungen der Beigeladenen bekräftigt.
Selbst, wenn für die Voraussetzungen des Anspruchs nach § 23 Abs. 1 AEG nicht auf die weitere Entwicklung nach Erlass des Widerspruchbescheids abzustellen wäre, zeigen die zwischenzeitlich erfolgten Planungsschritte der Beigeladenen und der überregionalen Aufgabenträger (z.B. die Durchführung der Machbarkeitsstudie des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr), dass es sich bei den Stellungnahmen der Beigeladenen im Freistellungsverfahren nicht nur um bloße Absichtserklärungen gehandelt hat und ihr Nutzungsinteresse schon zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ein ernsthaftes war.
Die Planungen der Beigeladenen sind auch hinreichend konkret, um ein Nutzungsinteresse an den streitgegenständlichen Grundstücken zu begründen. Schon der Ausdruck der „langfristigen Nutzungserwartung“ in § 23 Abs. 1 AEG zeigt, dass an die Detailschärfe der Planungskonzepte zum Nachweis des langfristigen Nutzungsinteresses jedenfalls in der Anfangsphase des Planungsprozesses keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Die Planungen müssen so hinreichend konkret sein, dass das geltend gemachte Nutzungsinteresse bezüglich der Fläche nachvollziehbar und schlüssig dargelegt werden kann und erkennbar wird, das eine Realisierung des Vorhabens nicht schon von vornherein ausgeschlossen ist. Dem Ausbau einer Bahnstrecke geht naturgemäß ein langwieriger Planungsprozess voraus. Derartige Vorhaben nehmen nur langsam Gestalt an bzw. ändern sich noch im Verlauf des Planungsprozesses oder werden sogar wieder aufgegeben. Dies steht einer ernsthaften Nutzungserwartung in der jetzigen Phase des Planungsprozesses aber nicht entgegen. Die Beigeladene und die Beklagte konnten nachvollziehbar vortragen, dass die Bahnstrecke entlang der streitgegenständlichen Grundstücke für den regelmäßigen Personenverkehr im S-Bahn-Betrieb ausgebaut werden soll. Dabei wurde auch schlüssig dargelegt, dass sich das Nutzungsinteresse auch auf die streitgegenständlichen Grundstücke erstreckt, da der Ausbau der Strecke nach heutigen technischen und rechtlichen Standards jedenfalls mit einem erhöhten Platzbedarf für Betriebsanlagen, wie elektrischen Oberleitungen, Lärmschutzanlagen, Entwässerungsanlagen, Zugangs- und Reparaturflächen etc. einhergeht und daher die Fläche der an der aktuellen Gleistrasse liegen Grundstücke von den Planungen nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Nutzung der Grundstücke für das geplante Vorhaben erscheint auch nicht von vornherein als unrealistisch. Aus dem Sachverhalt ergibt sich, dass die Finanzierung des geplanten Vorhabens durchaus problematisch ist. Nach anfänglich positiven Ergebnissen, ergab die Kosten-Nutzen-Analyse des Vorhabens in seiner ursprünglichen Form einen negativen Wert und die Realisierung des Projektes wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Zu den jetzigen Planungen hat die Beigeladene vorgetragen, dass sich neue Potentiale durch einen Zuwachs an Bevölkerung und Arbeitsplätzen an möglichen Haltestellen ergeben. Zudem wird das Vorhaben, wie von der BEG bestätigt, in diesem Planungsprozess nun offiziell als Reaktivierungstrecke behandelt. Dies soll bessere Fördermöglichkeiten eröffnen. Auch sei die Vorgabe für Fördermittel, dass der Kosten-Nutzen-Faktor über 1,0 liegen müsse, mittlerweile weggefallen. Letztlich kann zur Finanzierbarkeit des Projekts erst die Machbarkeitsstudie erste valide Ergebnisse liefern. In der derzeitigen Planungsphase ist jedenfalls nicht bereits offensichtlich, dass das Vorhaben objektiv nicht finanzierbar ist. Diese Überlegungen gelten auch für den Klägervortrag, soweit nach Ansicht der Klägerseite auch eine günstigere Herstellung der Verkehrsanbindung durch einen einspurigen Ausbau oder eine Buslinie möglich wäre oder andere Verkehrsprojekte der Beigeladenen die Reaktivierung der in Rede stehenden Bahnstrecke unprofitabler machten. Ob sich diese Kritik als berechtigt erweisen wird, ist nach jetzigem Kenntnisstand offen. Diese Bedenken stehen jedenfalls den weiteren Planungen des Vorhabens nicht grundsätzlich entgegen.
Wahrscheinlich ist, dass die Freistellung des Grundstücks FlNr. …, das zwischen zwei der streitgegenständlichen Grundstücke entlang der Gleistrasse liegt, den Ausbau der Strecke an dieser Stelle erschwert. Es kann aber wiederum zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht festgestellt werden, dass die Freistellung dieser Fläche den geplanten Ausbau der Bahnstrecke unmöglich macht, da noch offen ist, ob und auf welche Art dieses Grundstück genutzt werden soll und, ob sich mit dem Eigentümer eine Einigung erzielen lässt.
Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch die Ablehnung der Freistellung der streitgegenständlichen Grundstücke – in Abweichung zur Freistellung des Grundstücks FlNr. … – liegt nicht vor. Die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten des freigestellten und der streitgegenständlichen Grundstücke ähneln sich zwar. Die schmalen Grundstücke verlaufen alle direkt entlang der Bahnlinie und wurden aus der ursprünglichen Bahntrasse herausgemessen, sie werden für den aktuellen Bahnbetrieb nicht benötigt und sind mit Sträuchern und Bäumen bewachsen. Allerdings wurde das Grundstück, auf das sich der Klägerbevollmächtigte bezieht, bereits 2016 von der Planungsbehörde freigestellt, zu einem Zeitpunkt, als die Beigeladene sich die Reaktivierung der Ringbahn zwar als langfristige Planungsoption vorbehalten hatte, darüber hinaus aber eine konkrete Projektplanung und weitere Untersuchungen im Sommer 2015 erst ausgeschlossen hatte. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids Ende 2019 war die Situation wie bereits oben dargestellt eine andere, die Nutzungsabsichten der Beigeladenen hatten sich zwischenzeitlich konkretisiert und der Planungsprozess wurde aktiv betrieben. Dass sich die Bestrebungen der Beigeladenen von einer vagen Nutzungsabsicht zu einem ernsthaften, nachvollziehbaren und durch verkehrsplanerische Schritte dokumentierten Nutzungsinteresse gewandelt haben, hat nun einmal entscheidende Auswirkungen auf die Voraussetzungen des Anspruchs nach § 23 Abs. 1 AEG. Insofern begegnet es keinen Bedenken, dass die Beklagte vorliegend in der Sache anders entschieden hat.
Nach alledem ist der Prognoseeinschätzung der Beklagten im Widerspruchsbescheid, dass eine langfristige Nutzungserwartung aktuell nicht ausgeschlossen werden kann, zuzustimmen. Der Kläger wurde durch den Widerspruchsbescheid nicht in seinen Rechten, insbesondere nicht in seinem Eigentumsrecht verletzt. Die bisherigen Planungsschritte rechtfertigen die Annahme, dass langfristig mit einer Nutzung der Flächen für Zwecke des Eisenbahnverkehrs gerechnet werden kann. Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Freistellung nach § 23 AEG liegen daher nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Kostentragungspflicht des Klägers beinhaltet die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Es entspricht der Billigkeit, die Kosten der Beigeladenen dem Kläger als Unterlegenen aufzuerlegen, da die Beigeladene sich durch die Stellung eines Antrags dem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Eine Notwendigerklärung der Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 VwGO scheidet bereits wegen der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aus.


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