Baurecht

Zulässigkeit einer Wettannahmestelle im besonderen Wohngebiet

Aktenzeichen  M 8 K 15.3209

Datum:
21.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO BauNVO § 1 Abs. 3, Abs. 7, § 4a Abs. 2 Nr. 2, § 15 Abs. 1 S. 1
BauGB BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Eine Wettannahmestelle fällt nicht unter den städtebaulichen Begriff der „Vergnügungsstätte“ und ist deshalb in einem besonderen Wohngebiet zulässig, wenn der Raum der Wettannahmestelle nach dem genehmigten Plan über keine Bildschirme und keine Sitzgelegenheiten verfügt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine nach § 1 Abs. 7 BauNVO im Bebauungsplan festgesetzte Modifizierung der in der BauNVO festgelegten Baugebietstypen vermittelt den Grundstückseigentümern, deren Grundstücke in dem maßgebliche Gebiet liegen, nicht kraft Bundesrecht Nachbarschutz in Form eines (atypischen) Gebietserhaltungsanspruchs (vgl. BayVGH BeckRS 2012, 54266). Etwas anderes gilt nur dann, wenn diese Festsetzungen nach dem Willen des Plangebers auch dem Schutz der Nachbarn dienen sollen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 26. Juni 2015 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren nachbarschützenden Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
Die angefochtene Baugenehmigung vom 26. Juni 2016 verletzt keine nachbarschützenden Normen des Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts.
II.
Die im westlichen Teil des Erdgeschosses des Anwesens …straße 31 genehmigte Wettannahmestelle ist planungsrechtlich zulässig und verletzt keine nachbarschützenden Rechte der Klägerin.
1. Die planungsrechtliche Zulässigkeit der genehmigten Nutzung richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 1 BauGB, da für das streitgegenständliche Grundstück ein qualifizierter Bebauungsplan gilt. Der Bebauungsplan Nr. … setzt für den Bereich des streitgegenständlichen Anwesens ein besonderes Wohngebiet (WB 8) fest. Nach § 3 Abs. 1 des Bebauungsplanes i.V.m. § 1 Abs. 3, § 4 a Abs. 2 BauNVO 1990 sind Läden in den festgesetzten besonderen Wohngebieten allgemein zulässig.
Die genehmigte Nutzung der Räumlichkeiten als Wettannahmestelle stellt einen „Laden“ im Sinne dieser Vorschriften dar und fällt nicht unter den Begriff einer – in einem besonderen Wohngebiet weder allgemein noch ausnahmsweise zulässigen – Vergnügungsstätte.
2. Der Betrieb von Wettvermittlungsstellen kommt in bauplanungsrechtlicher Hinsicht seiner Art nach als Gewerbebetrieb oder als Vergnügungsstätte in Betracht (gegen die Einstufung als Laden i.S.v. §§ 2 bis 4a BauNVO vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 4a Rn. 23.69). In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird zwischen sog. „Wettannahmestellen“ und „Wettbüros“ unterschieden. Während bloße Wettannahmestellen für Sportwetten mit den Annahmestellen für Lotto und Toto gleichgestellt werden, sind Wettbüros als Vergnügungsstätten zu behandeln, wenn sie auch der kommerziellen Unterhaltung dienen (BayVGH, B.v. 23.4.2015 – 15 ZB 13.2377 – juris Rn. 15; B.v. 7.5.2015 – 15 ZB 14.2673 – juris Rn. 5 f.; B.v. 21.5.2015 – 15 CS 15.9 – NVwZ-RR 2015, 774 = juris Rn. 14; B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris Rn. 7; OVG Berlin-Bbg, U.v. 6.10.2015 – OVG 10 B 1.14 – juris Rn. 42; OVG Rh-Pf., B.v. 14.4.2011 – 8 B 10278/11 – NVwZ-RR 2011, 635 = juris Rn. 11; OVG Saarl, B.v. 24.4.2009 – 2 B 265/09 – BauR 2010, 449 = juris Rn. 13; HessVGH, B.v. 25.8.2008 – 3 UZ 2566/07 – NVwZ-RR 2009, 143 = juris Rn. 5; vgl. auch Söfker in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Kommentar, Stand November 2015, § 6 BauNVO Rn. 43; Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Auflage 2014, § 4a Rn. 23.69; Mitschang, ZfBR 2012, 419 ff. – jeweils m.w.N.).
Unter den Begriff „Wettbüro“ fallen Räumlichkeiten, in denen zwischen dem Kunden (Spieler), dem Wettbüro (Vermittler) und dem – meist im europäischen Ausland ansässigen – Wettunternehmen Transaktionen abgeschlossen werden, wobei es sich um Sportwetten bzw. um Wetten auf diverse sonstige Ereignisse handelt; hinzu kommt im Regelfall, dass die Räumlichkeiten – insbesondere durch die Anbringung von Bildschirmen – Gelegenheit bieten, die Wettangebote bzw. -Ergebnisse live mit zu verfolgen, wobei dies alles das Wettbüro von einer bloßen Lotto-/Toto-Annahmestelle in einem Geschäftslokal unterscheidet (vgl. OVG NRW v. 10.7.2012 – 2 A 1969/11 – juris; OVG NRW, B.v. 14.2.2014 – 2 A 1181/13 – juris Rn. 14 m.w.N.). Wettbüros fallen unter den städtebaulichen Begriff der Vergnügungsstätte, da sie unter Ansprache des Spieltriebs ein bestimmtes gewinnbringendes Freizeitangebot vorhalten (HessVGH v. 25.8.2008 – NVwZ-RR 2009, 143; vgl. auch BayVGH v. 6.7.2005 – 1 B 01.1513 – juris). Wettbüros sind jedenfalls dann Vergnügungsstätten, wenn sie nicht nur Gelegenheit zur Abgabe von Wetten und zur Entgegennahme von Gewinnen, sondern zu einem wesentlichen Teil auch zur Unterhaltung und zum Spiel in der Zeit bis zur Bekanntgabe der Ergebnisse aktueller Wetten bieten (VGH BW v. 1.2.2007 – BauR 2007, 1217). Ein Wettbüro ist dann als Vergnügungsstätte zu werten, wenn die Kunden durch die konkrete Ausgestaltung der Räumlichkeiten animiert werden, sich dort länger aufzuhalten und in geselligem Beisammensein (gemeinschaftliches Verfolgen der Sportübertragungen) Wetten abzuschließen (OVG Rheinland-Pfalz v. 14.4.2011, NVwZ-RR 2011, 635; Hess. VGH v. 25.8.2008, NVwZ-RR 2009, 143 und BayVGH, U.v. 6.7.2005 – 1 B 01.1513).
2.1 Demnach fällt die mit der streitgegenständlicher Baugenehmigung genehmigte Nutzung im westlichen Teil des Anwesens nicht unter den städtebaulichen Begriff der „Vergnügungsstätte“, da es hier an einem entsprechenden Unterhaltungsangebot fehlt. Nach dem genehmigten Plan verfügt der Raum der Wettannahmestelle über keine Bildschirme und keine Sitzgelegenheiten. Die ursprünglich in dem Eingabeplan eingetragenen Bildschirme wurden durch Handeintragung vom 16. September 2015 gestrichen, sodass eindeutig eine Nutzung ohne die Bildschirme genehmigt wurde. Ferner verfügt der Raum lediglich über zwei Stehtische und keine Sitzgelegenheiten, was gegen einen längeren Aufenthalt der Besucher in der Wettannahmestelle spricht.
Auch die Betriebsbeschreibung vom 18. Dezember 2014 – die Bestandteil der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist – spricht eindeutig von einer ladenmäßigen Nutzung „wie bei einem Totogeschäft“, in dem nur Tippscheine abgegeben werden. Nach einer Handeintragung in der Betriebsbeschreibung ist eine Anbringung von Bildschirmen nicht möglich. Schließlich sprechen auch die in der Betriebsbeschreibung festgelegten Öffnungszeiten von 10 bis 20 Uhr eher für das Vorliegen einer ladenmäßigen Nutzung.
Zwar ist der Klägerin zuzustimmen, dass die Nutzfläche der genehmigten Wettannahmestelle mit 60,72 m² relativ groß ist und die übliche Größe einer herkömmlichen Lotto-/ Toto-Annahmestelle überschreitet. Die Größe der Nutzfläche eines Wettlokals kann zwar unter Umständen ein Indiz für das Vorliegen eines Wettbüros in Form einer Vergnügungsstätte darstellen. Es müssen jedoch zusätzliche Merkmale einer Vergnügungsstätte, wie beispielsweise ein bestimmtes Unterhaltungsangebot, hinzukommen, um einen Betrieb diesem städtebaulichen Nutzungstyp zuordnen zu können. Wie oben ausgeführt, sind in den streitgegenständlichen Räumlichkeiten weder Sitzgelegenheiten, noch Bildschirme, noch ein Angebot an Speisen oder Getränken vorhanden.
Mangels eines Unterhaltungsangebots ist die genehmigte Nutzung nicht auf ein längeres Verweilen der Besucher angelegt.
2.2 Entgegen der Ansicht der Klägerin kann die genehmigte Wettannahmestelle nicht in Zusammenschau mit der im östlichen Teil des Anwesens genehmigten Cafébar als eine einheitliche Vergnügungsstätte qualifiziert werden.
Es besteht vorliegend weder eine bauliche noch eine betriebliche Verbindung zwischen den beiden genehmigten Nutzungen, sodass sich eine gemeinsame Betrachtung verbietet.
Da beide Nutzungseinheiten nach dem genehmigten Plan vollständig voneinander getrennt sind und über zwei getrennte Zugänge verfügen, besteht keine bauliche Einheit zwischen beiden Nutzungseinheiten. Insoweit spielt die Tatsache, dass bei dem gerichtlichen Augenschein am 21. November 2016 eine nicht abgesperrte Verbindungstür zwischen den Nutzungseinheiten festgestellt wurde, keine Rolle. Dabei handelt es sich wohl um einen baurechtswidrigen Zustand, der aber von der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht gedeckt ist und für ihre Rechtmäßigkeit nicht von Bedeutung ist.
Vorliegend kann auch nicht von einer betrieblichen Einheit ausgegangen werden, unabhängig von der Frage, ob dies für die Bejahung einer einheitlichen Vergnügungsstätte ausreichend wäre. Nach der Betriebsbeschreibung vom 18. Dezember 2014 soll die Wettannahmestelle unabhängigen von dem Café betrieben werden. Die Öffnungszeiten beider Betriebe überschneiden sich zwar, sind jedoch nicht identisch. Weitere Anhaltspunkte für einen einheitlichen Betrieb sind den Baugenehmigungsunterlagen nicht zu entnehmen. Auch bei einer herkömmlichen Lotto-/Totoannahmestelle kann kaum verhindert werden, dass Besucher ein Getränk oder eine kleine Speise aus dem benachbarten Café in die Räumlichkeiten der Annahmestelle mitbringen und während des Ausfüllens der Lottoscheine verzehren. Allein dieser Umstand begründet noch keine betriebliche Einheit.
Es liegt zwar nahe, dass beide Nutzungseinheiten tatsächlich gemeinsam als eine Vergnügungsstätte betrieben werden. Eine solche Vorgehensweise entspricht sowohl der häufig anzutreffenden Geschäftspraxis solcher Betriebe, als auch dem bei dem gerichtlichen Augenschein tatsächlich vorgefundenen Zustand. Die Ausgestaltung des Betriebes als eine einheitliche Vergnügungsstätte entspricht jedoch nicht dem mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung genehmigten Bauvorhaben. Da das Gericht im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ausschließlich die Baugenehmigung vom 26. Juni 2015 in der Gestalt der hierzu eingereichten Bauvorlagen überprüft, spielt die tatsächliche, baugenehmigungswidrige Nutzung der Räumlichkeiten für das hiesige Verfahren keine Rolle.
Nach alldem ist festzuhalten, dass die genehmigte Wettannahmestelle nach § 3 Abs. 1 des Bebauungsplans i.V.m. § 1 Abs. 3, § 4 a Abs. 2 Nr. 2 BauNVO in dem festgesetzten besonderen Wohngebiet (WB 8) nach der Art der Nutzung allgemein zulässig ist.
2.3 Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die genehmigte Nutzung im Einzelfall wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig sein könnte.
2.3.1 Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U. v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris Rn. 22; U. v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 16; BayVGH, B. v. 12.09.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (vgl. BVerwG, B. v. 06.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9).
Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liegt insbesondere nicht schon deswegen vor, weil ein Vorhaben einen zusätzlichen Stellplatzbedarf auslöst. Die Pflicht zur Herstellung einer ausreichenden Zahl von Stellplätzen dient nicht dem Schutz des Nachbarn, sondern vielmehr ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung der öffentlichen Verkehrsflächen vom ruhenden Verkehr (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2010 – 2 ZB 09.2191 – juris Rn. 10). Eine Nachbarrechtsverletzung ist nur dann gegeben, wenn die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderlichen Stellplätze zu Beeinträchtigungen führt, die dem Nachbarn bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles unzumutbar sind. Das kann etwa der Fall sein, wenn der durch den Stellplatzmangel bewirkte Park- oder Parksuchverkehr den Nachbarn unzumutbar beeinträchtigt oder wenn die bestimmungsgemäße Nutzung des Nachbargrundstücks nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.8.2009 – 1 CS 09.287 – juris).
2.3.2 Vorliegend begründen weder ein etwaiger erhörter Fahrzeugverkehr, der von dem Vorhaben ausgeht, noch ein etwaiger Mangel der Stellplätze einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Aufgrund der Ausgestaltung der genehmigten Wettannahmestelle als Laden, der üblicherweise kein hohes Verkehrsaufkommen auslöst, ist mit keiner unzumutbaren Beeinträchtigung der Klägerin durch Fahrzeugverkehr zu rechnen. Auch eine unzumutbare Lärmbelastung der Klägerin durch den dem Vorhaben zuzurechnenden Fahrzeugverkehr ist nicht zu erwarten, da das Eigentum der Klägerin an einer stark befahrenen Straße liegt und schon deshalb erheblicher Lärmbelastung durch den Fahrzeugverkehr ausgesetzt ist. Umstände, die eine nennenswerte Erhöhung der bereits bestehenden Lärmbelastung durch zusätzlichen Fahrzeugverkehr erwarten lassen würden, sind vorliegend nicht ersichtlich.
III.
Die im östlichen Teil des Anwesens genehmigte Cafébar verletzt die Klägerin ebenfalls nicht in ihren Nachbarechten.
1. Eine Rechtsverletzung der Klägerin ergibt sich vorliegend insbesondere nicht daraus, dass die Beklagte in der streitgegenständlichen Baugenehmigung eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von der Festsetzung in § 3 Abs. 1 Satz 2 der Bebauungsplansatzung erteilt hat.
Bei einem Café bzw. einer Cafébar handelt es sich um eine Schank- und Speisewirtschaft im Sinne des § 4a Abs. 2 Nr. 2 BauNVO, die in einem nach § 1 Abs. 3 BauNVO 1990 festgesetzten besonderen Wohngebiet (WB 8) grundsätzlich allgemein zulässig ist. § 3 Abs. 1 Satz 1 der Bebauungsplansatzung i.V.m. § 1 Abs. 7 Nr. 1 und Abs. 8 BauNVO 1990 modifiziert diese Gebietsfestsetzung jedoch dahingehend, dass bestimmte, in einem besonderen Wohngebiet grundsätzlich zulässige, gewerbliche Nutzungen in Gebäuden entlang der … und …straße nur in Erdgeschossen und in 1. Obergeschossen zulässig sind. § 3 Abs. 1 Satz 2 des Bebauungsplans bestimmt ferner, dass in den Erdgeschossen nur Läden zulässig sind.
Da diese Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … Schank- und Speisewirtschaften in den Erdgeschossen grundsätzlich ausschließen, konnte die streitgegenständliche Cafénutzung nur im Wege einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zugelassen werden.
2. Hinsichtlich des Nachbarschutzes im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB ist danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit wird oder von nicht drittschützenden Festsetzungen. Weicht ein Bauvorhaben von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans ab, so hat der Dritte einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (vgl. grundlegend BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – NVwZ-RR 1999, 8; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 3). Bei einer Befreiung von nicht drittschützenden Festsetzungen kann der Nachbar lediglich eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme geltend machen. Alle übrigen denkbaren Fehler einer Befreiung machen diese und die auf ihr beruhende Baugenehmigung dann zwar objektiv rechtswidrig, vermitteln dem Nachbarn aber keinen Abwehranspruch, weil seine eigenen Rechte nicht berührt werden (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – NVwZ-RR 1999, 8; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 29.08.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 22).
Da es sich bei den Festsetzungen in § 3 Abs. 1 des Bebauungsplans Nr. … nach Überzeugung des Gerichts um keine drittschützende Festsetzungen handelt, kann die Klägerin grundsätzlich nur eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch das genehmigte Bauvorhaben geltend machen, die vorliegend nicht gegeben ist.
2.1 Bei der Festsetzung eines besonderen Wohngebiets im Sinne des § 4a BauNVO handelt es sich zweifelsohne um eine drittschützende Festsetzung der Art der baulichen Nutzung, die aufgrund des innerhalb eines Baugebiets bestehenden Austauschverhältnisses zwischen verschiedenen Nutzungsarten schon kraft Bundesrechts nachbarschützende Wirkung hat. Die hier erteilte Befreiung berührt jedoch nicht die Festsetzung der Gebietsart, da durch die Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 des Bebauungsplans keine Nutzung zugelassen wird, die in einem besonderen Wohngebiet im Sinne des § 4a BauNVO weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig ist. Die Zulassung der streitgegenständlichen Nutzung als Schank- und Speisewirtschaft im Befreiungswege ist nicht mit der Gefahr verbunden, dass das festgesetzte Baugebiet durch Zulassung gebietsfremder Nutzungen in ihrem Wesen verändert oder abgewandelt wird.
2.2 Vorliegend hat die Beklagte vielmehr eine Befreiung von einer modifizierten Gebietsfestsetzung gemäß § 1 Abs. 7 BauNVO erteilt. Durch die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 der Bebauungsplansatzung wurden lediglich einzelne allgemein bzw. ausnahmsweise in einem besonderen Wohngebiet zulässige Nutzungen ausgeschlossen und das festgesetzte besondere Wohngebiet insoweit modifiziert bzw. nach den Geschossen – vertikal – gegliedert.
Eine nach § 1 Abs. 7 BauNVO im Bebauungsplan festgesetzte Modifizierung der in der Baunutzungsverordnung festgelegten Baugebietstypen vermittelt den Grundstückseigentümern, deren Grundstücke in dem maßgebliche Gebiet liegen, nicht kraft Bundesrechts Nachbarschutz in Form eines (atypischen) Gebietserhaltungsanspruchs (BayVGH, B.v. 23.2.2012 – 14 ZB 11.1591 – juris Rn. 6). Solche modifizierenden Festsetzungen greifen nicht in das bundesrechtlich durch die Gebietstypisierung vorgegebene nachbarliche Austauschverhältnis ein. Denn sie dürfen zum einen keinen neuen Gebietstyp hervorbringen, zum anderen genügen für ihre Rechtfertigung allgemeine städtebauliche Gründe ohne Beschränkung auf nachbarliche Belange. Diese Festsetzungen ergehen damit grundsätzlich allein im öffentlichen Interesse, mit der Folge, dass daraus kein Drittschutz erwächst (BayVGH, B.v. 23.2.2012 a.a.O.; BayVGH, B.v. 17.10.2002 – 15 CS 02.2068 – juris Rn. 20; vgl. auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, U.v. 11.7.2007 – 3 L 74/06; mit ausführlichen Argumenten gegen die a. A. in der Literatur OVG Lüneburg, B.v. 11.12.2003 – 1 ME 302/03 – juris Rn. 24 ff.).
Den Festsetzungen im Sinne des § 1 Abs. 7 BauNVO, die den Gebietstyp modifizieren, kommt eine nachbarschützende Wirkung nur dann zu, wenn diese Festsetzungen nach dem Willen des Plangebers auch dem Schutz des Nachbarn dienen sollten (BayVGH 23.2.2012 und 17.10.2002 a.a.O.).
Ein solcher Wille des Plangebers ist vorliegend nicht ersichtlich. Aus der Begründung des Bebauungsplans Nr. … folgt, dass die in § 3 Abs. 1 Satz 2 des Bebauungsplans festgesetzte Beschränkung der Erdgeschossnutzung in den Gebäuden entlang der … und …straße zum einen die Aufwertung des Fußgängerbereichs entlang der … und …straße und zum anderen den Ausschluss der Wohnnutzung in den Erdgeschossen dieser Gebäude wegen erheblicher Lärmbelastung bezweckte (vgl. Ziff. 4.2 Seite 22 der Bebauungsplanbegründung). Eine dem Schutz der Nachbarschaft dienende Zielsetzung kann weder den Bebauungsplanfestsetzungen selbst, noch der Bebauungsplanbegründung oder sonstigen Unterlagen entnommen werden.
3. Eine Nachbarrechtsverletzung der Klägerin kann nach alldem nur in einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme liegen, die vorliegend zu verneinen ist.
Hinsichtlich der Stellplatz- und Verkehrsproblematik gelten die Ausführungen unter Ziffern II, 2.3 ff. entsprechend. Auch im Hinblick auf die genehmigte Cafénutzung sind keine besonderen Umstände erkennbar, die eine unzumutbare Beeinträchtigung der Klägerin durch den von dem Vorhaben ausgehenden Fahrzeugverkehr begründen könnten.
Es ist auch nicht zu erwarten, dass von einer Schank- und Speisewirtschaft in der genehmigten Größe mit einem nur 44,11 m² großem Gastraum und 27 Sitzplätzen unzumutbare Belastungen für die Nachbarschaft durch Immissionen ausgehen werden.
Eine Gesamtschau der mit streitgegenständlicher Baugenehmigung genehmigten Nutzungen ist – wie ausgeführt – aufgrund der baulichen und betrieblichen Trennung beider Nutzungseinheiten nicht möglich. Die mit der Baugenehmigung vom 26. Juni 2015 genehmigten Nutzungen stellen sich nicht als rücksichtslos dar.
IV.
Schließlich verletzt auch die in der streitgegenständlichen Baugenehmigung erteilte Befreiung gemäß § 31 Abs. 1 BauGB wegen Überschreitung der festgesetzten Baugrenze durch die Fahrradabstellplätze die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Bei der Festsetzung einer Baugrenze handelt es sich grundsätzlich um eine nicht nachbarschützende Festsetzung, die nur städtebaulichen Charakter hat (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98, BayVBl. 1999, 26 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 21.11.2008 – 15 CS 08.2683 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 20.8.2008 – 1 CS 08.2201 – juris Rn. 14). Abweichendes ergibt sich vorliegend nicht aus den Bebauungsplanunterlagen, sodass vom Fehlen eines auf den Drittschutz gerichteten Willens des Plangebers auszugehen ist.
Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch Überschreitung der Baugrenze ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist eine klägerseits geltend gemachte Behinderung des (Fußgänger-)Verkehrs durch die geplanten Fahrradabstellplätze nicht zu erwarten, da sie auf dem Vorhabengrundstück selbst liegen und nicht in den öffentlichen Straßenraum hineinragen, sodass insoweit keine Behinderungen des Fußgängerverkehrs zu erwarten sind.
V.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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