Baurecht

Zum Anspruch auf Beseitigung einer Luftwärmepumpe bei Verletzung der Abstandsflächenregelung

Aktenzeichen  1 O 1222/17

Datum:
1.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 145897
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 912 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 6

 

Leitsatz

1 Gehen von der streitgegenständlichen Luftwärmepumpe Geräuschimmissionen aus, genügt dies allein, um die Luftwärmepumpe als sogenannte „andere Anlage“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO einzuordnen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Annahme einer Verletzung der Abstandsflächenregelung ist allein die Situierung der Luftwärmepumpe innerhalb des Abstandsflächenkorridors ausreichend. Darauf, ob die Immissionsschutzwerte der TA-Lärm eingehalten sind oder nicht, kommt es für die Annahme einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 BayBO nicht an. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagten werden verurteilt, die in einer Entfernung von ca. 1,80 m von der Grundstücksgrenze zu dem Kläger auf ihrem Grundstück im … in … errichtete Luftwärmepumpe zu entfernen.
II. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 € vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht Traunstein ist gemäß § 12 ZPO, §§ 23, 71 GVG örtlich und sachlich zuständig.
II.
Die Parteien streiten um den klägerischen Anspruch auf Umsetzung der auf dem Beklagtengrundstück befindlichen Luftwärmepumpe.
Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … in … ein Anspruch gegenüber den Beklagten als Eigentümer des Nachbargrundstücks Fl.Nr. …, aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 2 BGB i.V. mit Art. 6 BayBO auf Entfernung der auf dem Beklagtengrundstück befindlichen Luftwärmepumpe zu.
1. Verletzung von Art. 6 BayBO
Die bauordnungsrechtliche Vorschrift über Abstandsflächen des Art. 6 BayBO stellt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ein Schutzgesetz dar, dessen objektive Verletzung zu einem Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit § 823 Abs. 2 BGB führt (BGH, Urteil vom 29.04.2011, NVWZ 2011, 11048 f; OLG Nürnberg, Urteil vom 30.01.2017, MDR 2017, 639 f; OLG Frankfurt, Urteil vom 26.02.2013, NJW-RR 2013, 793 f; OLG Hamburg, Urteil vom 31.05.2016, ZMR 2016, 750 f). Art. 6 BayBO dient dem Interesse des Nachbarn nicht nur an ausreichender Belichtung und Belüftung seines Grundstücks, sondern insbesondere auch der Vermeidung von Lärmimmissionen (vgl. OLG Nürnberg a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.). Nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Tiefe der Abstandsflächen 1 H, mindestens 3 m. Da die Luftwärmepumpe sich in einer Entfernung von – unstreitig – 1,80 m zum Grundstück des Klägers befindet, verstößt deren Situierung grundsätzlich gegen die Abstandsflächenregelung. Insbesondere kommt Art. 6 BayBO auch für die besagte Luftwärmepumpe zur Anwendung, da es sich insoweit gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 um eine sogenannte „andere Anlage“ handelt, von der Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, weswegen auch insoweit die Abstandsflächen gegenüber Grundstücksgrenzen, hier dem klägerischen Grundstück, einzuhalten sind.
Von der besagten Luftwärmepumpe geht eine gebäudeähnliche Wirkung aus, da sie sich ähnlich wie ein Gebäude auf Brandschutz, Belichtung etc. insbesondere jedoch auch unter dem Gesichtspunkt der Immissionen, nämlich der Geräuschentwicklung, wie ein Gebäude auswirkt (so auch OLG Nürnberg a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.). Wie das vorgelegte schalltechnische Gutachten ergibt, gehen von der streitgegenständlichen Luftwärmepumpe unstreitig Geräuschimmissionen aus. Dies allein genügt, um die Luftwärmepumpe als sogenannte „andere Anlage“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO einzuordnen. Den Ausführungen des OLG Nürnberg ist insoweit zuzustimmen, dass funktionaler Anknüpfungspunkt für diese Regelung damit nicht das bauliche Ausmaß der Anlage, sondern das Ausmaß der von ihr ausgehenden Wirkung ist. Hieran ändert sich nichts, dass laut dem vorgelegten Gutachten die Immissionswerte der TA-Lärm für Dorfgebiete eingehalten werden, da sich dies nicht auf die Einordnung, ob es sich um eine bauliche Anlage handelt oder nicht, auswirkt bzw. auswirken kann. Auch insoweit ist der rechtlichen Argumentation des OLG Nürnberg zuzustimmen, dass ungeachtet der Frage nach der rechtlichen Relevanz des Ausmaßes der Geräuschimmissionen allein entscheidend ist, dass Geräuschimmissionen überhaupt vorliegen.
Entgegen den Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichtes München vom 06.12.2016 (Anlage K8) ist vorliegend Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO nicht einschlägig, sondern muss auch seitens der Luftwärmepumpe die Abstandsfläche eingehalten werden. In der Aufzählung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 findet sich eine Anlage wie die streitgegenständliche Luftwärmepumpe nicht. In der besagten Rechtsvorschrift werden nur Garagen, überdachte Tiefgaragenzufahrten, Aufzüge zu Tiefgaragen, Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten von der Einhaltung der Abstandsflächen ausgenommen. Bei der Luftwärmepumpe handelt es sich jedoch weder um ein Gebäude ohne Aufenthaltsraum noch um eine Feuerstätte. Hieran ändert sich auch nichts, dass um die Luftwärmepumpe eine Einhausung aus Holz angebracht wurde. Insofern sind die – an zwei Seiten offene – Ummantelung aus Holz und die Luftwärmepumpe getrennt zu bewerten. Hinsichtlich letzterer handelt es sich auch zweifelsfrei nicht um eine Solaranlage im Sinne des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 BayBO. Mithin können sich die Beklagten nicht auf eine Ausnahme zur geltenden Abstandsflächenregelung berufen. Hierbei sei auch erwähnt, dass das Verwaltungsgericht München sich in erster Linie mit der Frage beschäftigt hat, ob es sich bei der Festsetzung der Baugrenze durch den Bebauungsplan um eine nachbarschützende Funktion handelt, was seitens des Gerichtes – zutreffend – verneint wurde. Das Verwaltungsgericht hat sich insofern lediglich in einem „Nebensatz“ zur Frage der Abstandsflächenproblematik geäußert, was bereits an der gewählten Formulierung „abgesehen davon, dass die Abstandsflächen nicht Gegenstand der Prüfung im Rahmen der streitgegenständlichen Befreiung sind“ ersichtlich ist.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 2 b BayBO nicht dazu führt, dass die materiellen Anforderungen der Abstandsflächenregelungen nicht zur Anwendung kommen bzw. keine Berücksichtigung finden könnten.
Damit ist grundsätzlich festzuhalten, dass die Errichtung der Luftwärmepumpe in einer Entfernung von 1,80 m zum klägerischen Grundstück, damit innerhalb der freizuhaltenden Abstandsfläche von 3 m, gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO verstößt.
Soweit sich die Beklagten darauf berufen, dass ausweislich des vorliegenden schalltechnischen Gutachtens die zulässigen Werte der TA-Lärm für ein Dorfgebiet eingehalten wurden, so führt dies nicht dazu, dass der Anspruch des Klägers aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 2 BGB i.V. mit Art. 6 BayBO zu Fall gebracht würde.
Insofern stellt sich die Frage, ob man für die Annahme einer Verletzung der Abstandsflächenregelung allein die Situierung der Luftwärmepumpe innerhalb des Abstandsflächenkorridors als ausreichend ansieht oder – als weitere, zusätzliche Voraussetzung – anzunehmen ist, dass eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO dann nicht vorliegt, wenn die Immissionsschutzwerte der TA-Lärm eingehalten sind. Letzteres ist zu verneinen:
Diese Einschränkung kann zunächst bereits nicht dem Gesetzestext in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO bzw. den in den nachfolgenden Absätzen ergänzenden bzw. einschränkenden Regelungen entnommen werden. Dort finden sich keinerlei Ausführungen dazu, dass ein Verstoß gegen die Abstandsflächenregelung dann unschädlich ist, wenn andere rechtliche Vorgaben wie z.B. eine Einhaltung der TA-Lärm im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes gewährleistet sind. Art. 6 BayBO stellt ausschließlich darauf ab, dass eine Abstandsfläche von 3 m schlichtweg einzuhalten ist, es sei denn eine der dort geregelten Ausnahmen leigt vor, was, wie bereits dargelegt, nicht der Fall ist.
Allein in der unzulässigen Verkürzung der Abstandsfläche ist bereits eine fortdauernde Beeinträchtigung des Grundeigentums des Klägers zu sehen, weswegen der Beseitigungsanspruch bereits an sich aus der nachbarschützenden Funktion der verletzten Norm, nämlich der „verletzten Abstandsfläche“ an sich, folgt (ebenso OLG Nürnberg a.a.O; OLG Frankfurt a.a.O.). Hierbei spielt das konkrete Ausmaß der von der Luftwärmepumpe verursachten Immission dementsprechend keine Rolle wie auch die Frage der Ortsüblichkeit oder Wesentlichkeit der Immissionen (so auch OLG Nürnberg a.a.O., Juris Rn. 30; OLG Frankfurt a.a.O.). Mithin kommt es nicht mehr darauf an, ob bei den Mietern des Klägers gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die – dem Grunde nach unstreitigen – Geräuschimmissionen der Luftwärmepumpe eingetreten sind.
Der quasinegatorische Beseitigungsanspruch setzt auch ein Verschulden der Beklagten nicht voraus.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass im Leitfaden des bay. Landesamtes für Umwelt zu Luftwärmepumpen ausdrücklich auf die Einhaltung der TA-Lärm aufgrund des hohen Beschwerdepotentials derartiger Anlagen verwiesen wird.
Dieser Leitfaden beschäftigt sich mit der Problematik ausschließlich unter der immissionsschutzrechtlichen Problematik, nämlich wann ggf. nach BImschG der Betrieb zu untersagen wäre bzw. zulässig wäre, aber nicht unter dem bauordnungsrechtlichen Aspekt.
2. Keine Duldungspflicht bezüglich der Luftwärmepumpe
Der Kläger muss nicht nach § 912 Abs. 1 BGB analog die entgegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO errichtete Luftwärmepumpe dulden, § 1004 Abs. 2 BGB.
Zum einen stellt die Luftwärmepumpe – § 912 Abs. 1 spricht von der Errichtung eines Gebäudes – zweifelsfrei kein Gebäude dar, so dass § 912 Abs. 1 BGB bereits vom Wortlaut nicht die streitgegenständliche Konstellation erfasst. Eine analoge Anwendung dahingehend, dass Anlagen ohne Gebäudequalität erst recht geduldet werden müssen, kommt mangels erforderlicher Regelungslücke nicht in Betracht (so auch OLG Nürnberg a.a.O. und OLG Frankfurt a.a.O.). Im Übrigen ist der Kläger auch nicht mit seinem Anspruch ausgeschlossen, weil er nicht vor der Errichtung bzw. sofort nach dieser Widerspruch erhoben hat. Unstreitig hat der Kläger bereits im Vorfeld Bedenken bezüglich des gewählten Standortes hinsichtlich der Luftwärmepumpe angemeldet. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass – insoweit unstreitig – seitens der die Luftwärmepumpe errichtenden Firma Memminger 2014 zugesichert wurde, einen geeigneten Standort, der die Belange des Klägers und seiner Mieter berücksichtigen sollte, auszuwählen. Auch hat der Kläger im Wege der Klage vor dem Verwaltungsgericht München sofort, mithin ohne schuldhaftes Zögern, Klage gegen die Erteilung der Befreiung von den Vorgaben des Bebauungsplans durch die Gemeinde im Hinblick auf die Errichtung der Luftwärmepumpe erhoben. Es kann insofern nicht zu Lasten des Klägers gehen, dass er zunächst versucht hat, eine außergerichtliche – ggf. einvernehmliche – Lösung des Problems zu finden.
Da seitens der Beklagten auch nicht eingewandt wurde, dass eine Versetzung der Luftwärmepumpe an eine andere Stelle auf dem Beklagtengrundstück mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre, ergibt sich auch hieraus keinerlei Duldungspflicht für den Kläger. Im Übrigen wurde die Luftwärmepumpe trotz der von vorneherein seitens des Klägers und seiner Mieter geäußerten Bedenken errichtet, weswegen sich die Beklagten, ohne sich treuwidrig zu verhalten, auch nicht auf unverhältnismäßige „Versetzungskosten“ berufen könnten. Im Übrigen wurde auch nicht vorgetragen, dass eine Versetzung dazu führt, dass die Anlage gar nicht mehr betrieben werden könnte, sondern nur, dass die Anlage am technisch sinnvollsten Ort stünde.
Damit steht dem Kläger aufgrund der objektiv feststehenden Abstandsflächenverletzung und den unstreitig vorhandenen akustischen Immissionen, die von der Luftwärmepumpe ausgehen, aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 2 BGB, Art. 6 BayBO ein quasinegatorischer Beseitigungsanspruch zu.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 28.08.2017, eingegangen am 28.08.2017, damit nach Schluss der mündlichen Verhandlung, nicht nachgelassen wurde; er bietet keinen Anlass zur Wiedereröffnung der Hauptverhandlung.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Abs. 1 Satz 1 ZPO, da neben der Vollstreckung der Kosten auch ein möglicher Vollstreckungsschaden gemäß § 717 Abs. 2 ZPO einzustellen ist, wobei insofern, da die Höhe innerhalb der Instanz unabänderlich ist, eine eher großzügige bzw. ausreichende Schätzung vorzunehmen war (vgl. Zöller Rn. 3 zu § 709 ZPO).


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