Baurecht

Zum Kreis der klagebefugten Nachbarn und Drittbetroffenen bei Anfechtung einer Baugenehmigung

Aktenzeichen  M 9 K 16.4013

Datum:
23.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO eines Dritten gegen eine erteilte Baugenehmigung setzt voraus, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften, über deren Einhaltung im Genehmigungsverfahren entschieden wird, dem Nachbarn Rechte verleihen. In räumlicher Hinsicht erfasst der Drittschutz die von dem Rechtsverstoß betroffenen Grundstücke. Wessen Grundstück außerhalb des räumlichen Schutzbereichs der Norm liegt, kann nicht in seinen Rechten verletzt sein. Dabei ist der Kreis der Nachbarn oder möglichen Drittbetroffenen abhängig von der Art des Vorhabens gegebenenfalls über die direkt angrenzenden Nachbarn hinaus auch weiter zu ziehen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kostenschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist bereits unzulässig.
Die Kläger sind nicht klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Die Klagebefugnis setzt voraus, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften, über deren Einhaltung im Genehmigungsverfahren entschieden wird, dem Nachbarn Rechte verleihen. In räumlicher Hinsicht erfasst der Drittschutz die von dem Rechtsverstoß betroffenen Grundstücke. Wessen Grundstück außerhalb des räumlichen Schutzbereichs der Norm liegt, kann nicht in seinen Rechten verletzt sein (vgl. bspw. BayVGH, B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris).
Die Kläger sind als Eigentümer der FlNrn. … und … in örtlicher Hinsicht nicht direkter Nachbar (Angrenzer) des Vorhabens. Zwar ist der Kreis der Nachbarn oder möglichen Drittbetroffenen abhängig von der Art des Vorhabens gegebenenfalls über die direkt angrenzenden Nachbarn hinaus auch weiter zu ziehen.
Angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse ist vorliegend aber ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, ausgeschlossen.
Das Klägergrundstück liegt an der östlichen Flanke des im Westen an das Vorhabengrundstück angrenzenden Wohngebiets und damit im Umfeld des Baugrundstücks am weitesten entfernt vom Vorhaben. Der Abstand zum Vorhaben beträgt Luftlinie über 300 m (Straßenlänge: über 350 m). Das klägerische Wohnhaus wird durch sechs bzw. sieben dazwischen liegende Wohnhäuser abgeschirmt (vgl. zu allem auch BayVGH, B.v. 4.8.2015 – 9 ZB 13.663 – juris). Angesichts dessen steht bereits nach den allgemeinen Erkenntnissen der Akustik (BVerwG, B.v. 19.8.2003 – 4 BN 51.03 – juris; B.v. 19.2.1992 – 4 NB 11/91 – juris; BayVGH, B.v. 12.8.2014 – 2 N 14.1217 – juris) nicht zu erwarten, dass etwa durch Parkvorgänge verursachte Emissionen überhaupt noch wahrnehmbare Belastungen für die Kläger begründen. Dazu wird auch auf die Schalltechnische Verträglichkeitsuntersuchung der Ingenieurbüro G… GbR vom 4. Februar 2015 verwiesen. Nach dieser in sich stimmigen und nachvollziehbaren Untersuchung wurden unter Einbezug der von der Orangerie und vom neugestalteten Haupttrakt ausgehenden Geräusche (!) bei dem im selben Baugebiet, aber nur ca. 110 m entfernt gelegenen Grundstück FlNr. 994/2 (IO 1) im Regelbetrieb bereits nur mehr Beurteilungspegel von 35 db(A) tags und 22 dB(A) nachts – bei seltenen Ereignissen: 40 dB(A) tags und 41 dB(A) nachts – gemessen.
Wenn die Kläger die aus ihrer Sicht defizitäre Erschließungssituation des Vorhabengrundstücks – direkt über die …-Straße – rügen, so ist darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis der ausreichenden Erschließung sowohl unter bauordnungsrechtlichen als auch unter bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht nachbarschützend ist (BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris). Im Übrigen wird das klägerische Grundstück über die N-straße und nicht über die …-Straße erschlossen.
Auch Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm vermittelt keine Klagebefugnis. Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm schreibt ohnehin nur eine über § 24 BImSchG durchzusetzende Lärmminderungspflicht bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen fest (BVerwG, B.v. 8.1.2013 – 4 B 23/12 – juris). Eine eigene schalltechnische Untersuchung der An- und Abfahrtsgeräusche auf öffentlichen Verkehrsflächen, wie von den Klägern gefordert, konnte vorliegend mangels Erfüllung dieser Voraussetzungen unterbleiben, ohne dass dies auch nur ansatzweise eine (mittelbare) Verletzung des Rücksichtnahmegebots begründen könnte. Nach Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm ist die Verkehrslärmzusatzbelastung bei einer Anlage mit 71 Stellplätzen im Bestand (24 Stellplätze in der Tiefgarage und 47 Stellplätze oberirdisch) nicht konkret zu ermitteln, wenn nur 14 Stellplätze hinzutreten, da eine Unzumutbarkeit von vorn herein ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich daraus, dass die von Nr. 7.4. Abs. 2 TA Lärm vorausgesetzte Erhöhung des Beurteilungspegels um 3 dB(A) eine Verdoppelung der Verkehrsbelastung erfordern würde (BayVGH, U.v. 18.1.2010 – 11 BV 08.789 – juris; B.v. 23.11.2016 – 15 CS 16.1688 – juris m. w. N. aus der Rechtsprechung; VG München, U.v. 26.9.2012 – M 9 K 11.2647 – juris). Schließlich ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen, dass die maßgeblichen Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV – überschritten würden. Auch dürfte für das klägerische Grundstück eine Vermischung mit dem übrigen Verkehr erfolgen, da es an der Kehre der N-straße gelegen ist, die dem Klägergrundstück direkt gegenüber liegend eine größere Gaststätte, ein Gasthof und ein Café anbindet; dort befinden sich auch größere Parkplätze, die u. a. Wanderwege erschließen (vgl. Klagebegründung vom 16. September 2016, S. 3). Es ist damit nicht sicher prognostizierbar, welchen Weg die vom Ort kommenden Kfz nehmen.
In diesem Zusammenhang kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Standort der Kläger aufgrund der genannten Gastronomie und der Parkplätze schon durch entsprechende Belästigungen vorgeprägt ist. Damit vermindern sich entsprechend die Anforderungen des Rücksichtnahmegebots, da es für das Gebot der Rücksichtnahme vornehmlich auch darauf ankommt, in welchem Maß die Umgebung schutzwürdig ist; Letzteres ist bei Verkehrsgeräuschen ebenso wie bei sonstigen Immissionen nicht unabhängig von etwaigen Vorbelastungen zu bewerten (BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 5/98 – juris).
Im Übrigen wäre die Klage, ohne dass es darauf ankommt, aus den obigen und folgenden Erwägungen heraus auch unbegründet.
Die dem Beigeladenen zu 1. mit Bescheid des Landratsamtes M… (im Folgenden: Landratsamt) vom 27. Januar 2016 erteilte Baugenehmigung verletzt keine subjektivöffentlichen Rechte der Kläger, § 113 Abs. 1 VwGO.
Aus dem in sich stimmigen und nachvollziehbaren Gutachten der Ingenieurbüro G… GbR hervorgeht, dass auch die Umsetzung beider erteilter Baugenehmigungen – vom 14. September 2015 und vom 27. Januar 2016 – keine Überschreitung der Immissionsrichtwerte nach sich zieht. Dazu, dass die zu diesem Gutachten vorgebrachten Kritikpunkte nicht durchgreifen, wird auf die Parallelentscheidungen vom heutigen Tag, VG München, U.v. 23.11.2016 – M 9 K 15.4561 und M 9 K 15.5510 – UA, verwiesen. Der Bevollmächtigte der Kläger vertritt mit denselben Argumenten auch die dortigen Kläger und nahm stets Bezug auf seine dortigen Ausführungen.
Eine Rechtsverletzung durch die mit den neu herzustellenden 14 Stellplätzen in Verbindung stehenden Kfz-Bewegungen scheidet aus. Dies gilt sowohl für die dadurch auf dem Vorhabengrundstück entstehenden Parkemissionen als auch für die An- und Abfahrtsgeräusche auf öffentlichen Verkehrsflächen. Es wird auf die obenstehenden Ausführungen zur Unzulässigkeit der Klage und auf die Ausführungen in den Parallelentscheidungen vom heutigen Tag, VG München, U.v. 23.11.2016 – M 9 K 16.4014 und M 9 K 15.5510 – UA Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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