Baurecht

Zur Antragsbefugnis des Nachbarn im Normenkontrollverfahren bei Verletzung des bauplanungsrechtlichen Abwägungsgebots

Aktenzeichen  9 N 11.1887

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
BauGB BauGB § 1 Abs. 7

 

Leitsatz

1 Ein verletztes Recht kann auch das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot sein. Es verleiht Privaten ein subjektives Recht darauf, dass ihre Belange in der Abwägung ihrem Gewicht entsprechend „abgearbeitet“ werden. Drittschützenden Charakter hat das Abwägungsgebot allerdings nur hinsichtlich solcher privater Belange, die für die Abwägung erheblich sind.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Deshalb muss ein Antragsteller, der in einem Normenkontrollantrag eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend machen will, einen eigenen Belang als verletzt bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Normenkontrollanträge werden abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Normenkontrollanträge, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, sind mangels Antragsbefugnis unzulässig.
Entgegen des Wortlauts des zuletzt gestellten Antrags vom 4. Juni 2014 geht der Senat unter Berücksichtigung des Rechtsschutzziels der Antragstellerin davon aus, dass nach wie vor (vgl. Antrag vom 11.8.2011) auch die 3. Änderung des Bebauungsplans „A.“ Gegenstand der Normenkontrolle sein soll (§ 88 VwGO).
Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO setzt voraus, dass die den Normenkontrollantrag stellende Person geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Insoweit reicht es aus, wenn der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zu prüfenden Rechtssatz in einem subjektiven Recht verletzt wird. Ein verletztes Recht kann auch das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot sein. Es verleiht Privaten ein subjektives Recht darauf, dass ihre Belange in der Abwägung ihrem Gewicht entsprechend „abgearbeitet“ werden. Der Antragsteller im Normenkontrollverfahren kann sich deshalb darauf berufen, dass seine abwägungsrelevanten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. Drittschützenden Charakter hat das Abwägungsgebot allerdings nur hinsichtlich solcher privater Belange, die für die Abwägung erheblich sind. Deshalb muss ein Antragsteller, der in einem Normenkontrollantrag eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend machen will, einen eigenen Belang als verletzt bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.2016 – 4 BN 11.15 – ZfBR 2016, 263 = juris Rn. 4 m. w. N.).
Daran gemessen fehlt es den Normenkontrollanträgen der Antragstellerin an der Antragsbefugnis, weil die geltend gemachten Belange nicht abwägungsbeachtlich sind.
1. Das Vorbringen der Antragstellerin, die Erweiterung des Regenrückhaltebeckens könne ihr benachbartes landwirtschaftlich genutztes Grundstück im Fall seines Überlaufens oder durch Einsickern durchnässen, verkennt, dass die konkrete bauliche Ausführung des Regenrückhaltebeckens, also dessen Detailplanung, nicht Gegenstand der planerischen Festsetzungen ist. Das betrifft auch die konkreten Abmessungen des Regenrückhaltebeckens sowie dessen Abstand zum Grundstück der Antragstellerin. Durch Bebauungsplan wurde zwar eine Fläche für die Anlage bzw. Erweiterung eines Regenrückhaltebeckens neben dem Antragstellergrundstück festgesetzt. Die Prüfung der Einhaltung der an die Errichtung und den Ausbau von Regenrückhaltebecken zu stellenden sicherheitsrechtlichen Anforderungen erfolgt aber in einem nachfolgenden wasserrechtlichen Verfahren.
Davon abgesehen ist die Besorgnis der Antragstellerin, ihr Grundstück werde nach Ausführung des Regenrückhaltebeckens vernässt, fernliegend, weil Regenrückhaltebecken Oberflächenwasser während eines Starkregenereignisses nur kurzfristig aufnehmen, bevor es in den Vorfluter gelangt und der Einbau eines Notüberlaufs vorgesehen ist.
2. Soweit die Antragstellerin das Fehlen von Regelungen zu Grenzabständen von Zäunen zu ihrem Grundstück in den Planungen beanstandet, kann die Antragsbefugnis auch hieraus nicht hergeleitet werden.
a) Der von der Antragstellerin geltend gemachte Belang, Abstandsregelungen für Einfriedungen in die Bebauungspläne aufzunehmen, ist mangels Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit nicht abwägungsbeachtlich.
Einfriedungen müssen bis zu einer Höhe von 2 m (vgl. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO) keinen Grenzabstand einhalten; sie sind von den Eigentümern benachbarter Grundstücke, auch solcher von landwirtschaftlichen Grundstücken, grundsätzlich hinzunehmen. Zwar dürfen durch örtliche Bauvorschriften, die auch durch Bebauungspläne erlassen werden können, bestimmte Anforderungen an Einfriedungen gestellt werden, etwa aus baugestalterischen Gründen, insbesondere zum Schutz des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds oder aus bausicherheitsrechtlichen Gründen (vgl. Art. 81 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 BayBO). Derartige Anforderungen dienen aber regelmäßig keinen privaten Interessen Dritter und können dementsprechend auch kein schutzwürdiges Interesse der Antragstellerin an deren Festsetzung im Bebauungsplan vermitteln. Landesrechtliche Grenzabstandsregelungen für Einfriedungen zugunsten landwirtschaftlicher Grundstücke – wie in den Nachbarrechtsgesetzen einiger Bundesländer zum Schwengel-, Anwende bzw. Pflugrecht – existieren in Bayern nicht (vgl. Art. 53 AGBGB zum Erlöschen altrechtlicher Anwenderechte). Davon abgesehen wurde in den Bebauungsplänen keine Pflicht zur Errichtung von grenzständigen Einfriedungen festgesetzt, so dass etwa gleichwohl bestehende privatrechtlich gebotene Abstände einzuhalten sind. Dass die Pflege eines – im Fall der Errichtung einer 0,5 m von der Grenze abgerückten Einfriedung – entstehenden schmalen Grünstreifens unweigerlich von dem angrenzenden Grundstück der Antragstellerin aus vorgenommen werden muss, ist nicht nachvollziehbar.
b) Nichts anderes gilt für die mit der 3. Änderung des Bebauungsplans „A.“ eingetretene Aufhebung der Gestaltungsregelung in Nr. 3.1 der textlichen Festsetzungen der ursprünglichen Planfassung, wonach „Einfriedungen nur außerhalb des 10 m-Pflanzstreifens zulässig“ waren. Im Zuge der Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bebauungsplänen sind die öffentlichen und privaten Belange zwar ebenso wie bei deren Aufstellung gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 8, Abs. 7 BauGB); hierzu gehört auch das Interesse Planbetroffener an der Beibehaltung von Festsetzungen. Insoweit gilt aber ebenfalls, dass es an der Antragsbefugnis fehlt, wenn auf den Fortbestand der bisherigen Festsetzung kein schutzwürdiges Vertrauen besteht. So liegt es hier. Denn die Festsetzung über die Unzulässigkeit von Einfriedungen innerhalb des Pflanzstreifens diente nicht – auch nicht mittelbar – der erleichterten Bewirtschaftung des Grundstücks der Antragstellerin, sondern erschöpfte sich in der Berücksichtigung von Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes, den ursprünglich als Fläche zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft festgesetzten 10 m breiten Grünzug in die freie Landschaft einzubinden, also zu dessen ökologischem Nutzen. Nachdem die interne Ausgleichsfläche in Form eines zu bepflanzenden Grünstreifens durch eine externe Ausgleichsfläche ersetzt wurde, bedurfte es des seiner ökologischen Funktionalität dienenden Einfriedungsverbots nicht mehr. Das Interesse der Antragstellerin am Bestand des Einfriedungsverbots ist danach zwar verständlich, weil es aus tatsächlichen Gründen zugleich die Bewirtschaftung ihres Grundstücks erleichterte; das Beibehaltungsinteresse der Antragstellerin ist aber nicht schutzwürdig, weil das Einfriedungsverbot nicht dem Schutz der Antragstellerin zu dienen bestimmt war.
3. Auch hinsichtlich der geforderten Pflanzabstände kann sich die Antragstellerin auf keinen schutzwürdigen Belang berufen, der im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen war.
a) Ob und in welcher Weise der nach wie vor als private Grünfläche festgesetzte Streifen entlang der Westseite des Bebauungsplans „A.“ mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt wird, steht jedenfalls nach dessen 3. Änderung im Belieben der Grundstückseigentümer. Ein Gebot zur Pflanzung von Gehölzen ist nicht mehr festgesetzt. Inwieweit etwa gleichwohl bestehende oder künftige Gehölzpflanzungen bestimmte Abstände zum Grundstück der Antragstellerin zu wahren haben, bemisst sich, wie im Übrigen Gemeindegebiet der Antragsgegnerin auch, nach den privatrechtlichen Pflanzabstandsvorschriften der Art. 47 ff. AGBGB; die Regelung des Art. 16 Abs. 3 BayWaldG zu Grenzabständen, die im Rahmen einer Auflage zur Erstaufforstungserlaubnis größer als in den Vorschriften des Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch festgelegt werden können, findet mangels Festsetzung von Flächen für Wald keine Anwendung. Nach der deshalb maßgebenden privatrechtlichen Bestimmung des Art. 48 Abs. 1 AGBGB ist gegenüber einem landwirtschaftlich genutzten Grundstück, dessen wirtschaftliche Bestimmung durch Schmälerung des Sonnenlichts erheblich beeinträchtigt werden würde, mit Bäumen von mehr als 2 m Höhe ein Abstand von 4 m einzuhalten. Liegen die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 AGBGB nicht vor, bemisst sich der einzuhaltende Abstand von Gehölzen nach Art. 47 Abs. 1 AGBGB. Die Einhaltung dieser aus dem Privatrecht folgenden Pflanzabstände ist gegenüber den Eigentümern angrenzender Grundstücke geltend zu machen, nicht zugleich auch gegenüber der Antragsgegnerin. Aus welchem rechtlichen oder tatsächlichen Grund der Antragstellerin aus Anlass der Bebauungsplanänderung über die Abstandsregelungen der Art. 47 ff. AGBGB hinausgehende Pflanzabstände bzw. Rechte einzuräumen gewesen wären oder die einzuhaltenden Pflanzabstände der Art. 47 ff. AGBGB als Festsetzung in den Bebauungsplan aufgenommen werden hätten müssen, ist weder hinreichend dargelegt noch ersichtlich.
b) Der Bebauungsplan „K.“ sowie dessen 1. und 2. Änderung enthalten keine Pflanzgebote auf der als Regenrückhaltebecken festgesetzten Fläche. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen unter Nr. 3 Buchst. a verwiesen werden. Gleichwohl hat die Antragsgegnerin anlässlich der 2. Änderung des Bebauungsplans „K.“ ohne Rechtspflicht klar gestellt, das in ihrem Eigentum stehende Regenrückhaltebecken im Bereich angrenzender landwirtschaftlich genutzter Flächen von Gehölzen freizuhalten (vgl. Gemeinderatsbeschluss vom 12.9.2013). Die mit Gehölzen zu bepflanzenden öffentlichen und privaten Grünflächen entlang der Nordseite sowie den West- und Südseiten des Baugebiets „K.“ grenzen nicht an das Grundstück der Antragstellerin FlNr. … an.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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